Leiharbeit: Lohnrückstand trotz Qualifikation

Böcklerimpuls

05.12.2011 / 19/2011

Leiharbeitnehmer verdienen deutlich weniger als andere Beschäftigte. Nur etwa die Hälfte des Lohnabschlags lässt sich auf persönliche Faktoren wie Qualifikationsunterschiede zurückführen.

Beschäftigte in der Zeitarbeitsbranche verdienen im Schnitt 40 Prozent weniger als andere Arbeitnehmer. Das geht aus einer Untersuchung der Arbeitsmarktforscherin Elke Jahn hervor. Die Wissenschaftlerin vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) stützt sich bei ihren Berechnungen auf eine vom IAB erhobene Stichprobe, die fünf Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten abdeckt.

Der Datensatz des IAB enthält neben Informationen zu Verdienst und aktueller Beschäftigungsform für die Jahre 1995 bis 2008 Angaben zu weiteren persönlichen Merkmalen. So konnte die Wissenschaftlerin herausarbeiten, wie sich Leiharbeiter von den übrigen Beschäftigten unterscheiden:

  • Beschäftigte von Zeitarbeitsunternehmen sind im Durchschnitt drei Jahre jünger als andere Arbeitnehmer.
  • Leiharbeiter sind überdurchschnittlich häufig Männer. Während die Vollzeitbeschäftigten anderer Branchen zu zwei Dritteln männlich sind, sind es unter den Leiharbeitnehmern etwa drei Viertel.
  • In der Leiharbeitsbranche arbeiten fast doppelt so viele Beschäftigte mit ausländischer Herkunft wie anderswo. Im Westen haben 26 Prozent einen Migrationshintergrund oder sind Spätaussiedler. In anderen Branchen gilt das nur für 14 Prozent der Arbeitnehmer.
  • Leiharbeiter haben häufiger keine Berufsausbildungabgeschlossen. In Westdeutschland trifft dies auf 21 Prozent der Leiharbeitnehmer zu, verglichen mit 11 Prozent bei den übrigen Beschäftigten.
  • Häufiger als andere Arbeitnehmer waren Leiharbeitskräftevor Antritt des aktuellen Jobs arbeitslos. Aus der Erwerbslosigkeit starteten in Westdeutschland 52, im Osten 60 Prozent in die Leiharbeit. Die entsprechenden Werte anderer Arbeitnehmer lagen bei 16 beziehungsweise 26 Prozent.

  • Zudem blicken Leiharbeiter meist "auf eine sehr viel instabilere Erwerbsbiografie zurück als ihre Kollegen in anderen Branchen", schreibt IAB-Forscherin Jahn. In den fünf Jahren, die der aktuellen Beschäftigung vorausgingen, hatten Zeitarbeiter im Schnitt vier verschiedene Jobs, andere Arbeitnehmer nur zweieinhalb. Und wer einmal Leiharbeiter war, bleibt mit höherer Wahrscheinlichkeit in diesem Segment des Arbeitsmarkts: Der durchschnittliche Leiharbeiter hat zuvor bereits zweimal bei einer Zeitarbeitsfirma gearbeitet, die übrigen Beschäftigten nur in Ausnahmefällen.

Um den Lohnrückstand von Leiharbeitern genauer einordnen zu können, müssten diese Unterschiede zwischen Beschäftigten mit Zeitarbeitsvertrag und anderen Arbeitnehmern berücksichtigt werden, so Jahn. Mit aufwändigen statistischen Verfahren hat die Forscherin den Einfluss personenspezifischer Merkmale herausgerechnet.

Ergebnis: Die Differenz schrumpft, bleibt aber erheblich. Nach der statistischen Bereinigung beträgt der durchschnittliche Lohnunterschied zwischen Leiharbeitern und Normalbeschäftigten bei gleicher Qualifikation 18 Prozent. Männliche Leiharbeiter in Westdeutschland verdienen 19 Prozent weniger. In den östlichen Bundesländern liegt der Lohnabschlag bei 15 Prozent. In Ballungsräumen ist die Differenz etwas größer als auf dem Land; bei Frauen, jüngeren Beschäftigten und Hochschulabsolventen ist der Abstand kleiner.

Die Wissenschaftlerin hat außerdem untersucht, wie sich das Einkommen von Arbeitnehmern vor und nach Leiharbeitsphasen entwickelt. Dabei zeigt sich, dass der Leiharbeit oft schon unterdurchschnittlich bezahlte Beschäftigungen vorangingen. Wer aus der Leiharbeit den Sprung in ein anderes Arbeitsverhältnis schafft, erhält nach einigen Monaten im Regelfall eine Bezahlung, die nur noch einige Prozentpunkte unter dem mittleren Lohn liegt. Allerdings gelingt drei Vierteln kein direkter Übergang in reguläre Beschäftigung.

In Deutschland sind rund 800.000 Menschen als Leiharbeiter tätig. Damit liegt der Anteil der Zeitarbeiter an allen Beschäftigten bei etwa 1,5 Prozent. Das entspricht dem europäischen Durchschnitt.

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Quellen

Elke Jahn: Entlohnung in der Zeitarbeit - Auch auf die Mischung kommt es an, in: IAB-Forum 1/2011