Rede zum Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesetz zur Sicherung der Handlungsfähigkeit von Haushaltspolitik in der Zukunft und Zukunftshaushaltsgesetz -Begleitgesetz

Rede Dr. Axel Troosts

21.09.2007 / 20.09.2007

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Den Antrag der Grünen und vieles in der Debatte durchzieht ein roter Faden, wonach antizyklische Finanz- und Wirtschaftspolitik gescheitert sei.

Ich gehöre seit 1975 zusammen mit dem Kollegen Herbert Schui zu einer Arbeitsgruppe von Professoren, die seit nunmehr 32 Jahren in jedem Jahr in einem Memorandum nachweisen, dass keine antizyklische Wirtschaftspolitik betrieben wird und dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, demzufolge in entscheidendem Umfang die Arbeitslosig-keit zu bekämpfen ist, nicht nachgekommen wird, sondern dass eine Politik betrieben wird, die letztlich Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche sowie durch Sozialabbau eher zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit und damit zu geringerem Wachstum der Steuereinnahmen beigetragen hat.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Aber Sie vertreten doch die These, dass man mehr ausgeben und mehr Schulden machen soll!)

Das ist seit 1975 unter verschiedenen Koalitionen der Fall: erst unter der sozial-liberalen unter Helmut Schmidt, dann der schwarz-gelben unter Herrn Kohl, dann der rot-grünen unter Herrn Schröder und nun unter der Großen Koalition.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Sagen Sie doch einmal, was Herr Gysi in den letzten Tagen gefordert hat!)

Letztlich ist es aber immer das gleiche Politikmodell.

In der Tat haben wir einen sehr hohen Schuldenstand. Aber wenn man sich anschaut, woher er in den letzten 20 Jahren gekommen ist, dann kann man insbesondere zwei Zeiträume hervorheben: Das sind zum Ersten in ganz erheblichem Umfang die Jahre nach 1990 mit dem sogenannten Aufbau Ost.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Das ist doch der Dreck Ihrer Politik, den wir be-seitigen mussten! – Widerspruch bei der Linken)

Wenn man das aufsummiert, sind darauf allein rund 700 Milliarden Euro des Schul-denstandes von 1,5 Billionen Euro zurückzuführen. Es ist zum Zweiten die Politik seit 2000, die dazu geführt hat, dass der Schuldenstand noch einmal um rund 300 Milliarden Euro gestiegen ist; darauf gehe ich gleich ein. Zwei Drittel des gesamten Schuldenstandes, über den wir reden, sind also nur durch diese zwei Phänomene verursacht.

Es wird gesagt, in Bezug auf den Aufbau Ost habe man andere Finanzierungsvorstel-lungen gehabt und es für falsch gehalten, zu meinen, das könne man aus der Portokasse bezahlen. Da manche sagen, das sei verschüttete Milch, schauen wir uns einmal an, was seit 2000 passiert ist.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Dass Sie von der Vergangenheit nichts wissen wollen, das kann ich verstehen!)

Es ist in der Tat so, dass unter Rot-Grün – natürlich mit Unterstützung der CDU/CSU – eine angebotsorientierte Politik gemacht worden ist, indem vorwiegend an Unterneh-men und Reiche milliardenteure Steuergeschenke gegeben worden sind in der Hoffnung, dies führe zu mehr Wachstum und zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit. Das Gegenteil ist eingetreten. Seitdem haben wir jährlich rund 50 Milliarden Euro weniger an Einnahmen. Im Jahre 2006 hätten wir insgesamt 53 Milliarden Euro mehr in den öffent-lichen Haushalten gehabt, wenn wir die Steuerquote des Jahres 2000 noch gehabt hätten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Ergebnis ist nicht, dass mehr Arbeitsplätze entstanden sind. Das Ergebnis sind vielmehr ein niedrigeres Wachstum und riesige Haushaltsdefizite, weil Steuermehrein-nahmen ausgeblieben sind. Sie haben nämlich makroökonomische Grundzusammen-hänge schlicht und einfach ignoriert. Die angebotsorientierten Steuersenkungen haben hauptsächlich Unternehmen und Spitzenverdiener entlastet und deswegen gerade nicht zu Wachstum geführt.

(Joachim Poß (SPD): Das ist Quatsch! – Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Und wa-rum haben wir so viel Wachstum?)

Die Unternehmen belohnten diese Steuergeschenke in den Jahren bis 2005 nicht mit einem Investitionsboom. Nein, sie nahmen die Steuersenkungen als willkommenes Ge-schenk mit und warteten auf steigende Nachfrage. Aber diese Nachfrage gab es aufgrund der Binnenmarktschwäche nicht im Inland, sondern ausschließlich im Export. Dies hat zu einer verteilungspolitischen Schieflage in erheblichem Umfang geführt und dazu, dass dem Anstieg der Schulden mit neuer Sparpolitik und – wohlgemerkt – Steuersenkungen entgegengewirkt wurde. Insofern glauben wir, dass ein Politikwechsel dringend erforderlich ist, ein Wechsel, der letztlich zu mehr Wachstum führt, das dann zu einer Sanierung der Staatsfinanzen beitragen kann.

Sie dagegen haben den Versuch unternommen – der Sachverständige Bofinger hat Deutschland als Weltmeister im Sparen auf dem öffentlichen Sektor bezeichnet –, der ständig steigenden Verschuldung mit Steuersenkungen und einer Schrumpfungspolitik entgegenzuwirken. Aber dieses Spiel geht nicht auf und hat zur Konsequenz, dass die öffentlichen Investitionen inzwischen dramatisch gesunken sind: zwischen 2000 und 2005 allein um 3,9 Prozent. Mit einer Investitionsquote von 1,3 Prozent haben wir inzwi-schen den niedrigsten Stand überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik.

Auch die Bundesländer mussten sich in der Tat totsparen. In Bremen zum Beispiel sind die Ausgaben zwischen 2000 und 2005 um jährlich 2 Prozent gefallen. Es gab drastische Einschnitte, aber auch dramatische Einbrüche auf der Einnahmenseite: Die Ein-nahmen sind in diesem Zeitraum pro Jahr um sage und schreibe 5,9 Prozent gesunken. Dies hat natürlich dazu geführt, dass die Verschuldung auch in diesem Land trotz Sparpolitik angestiegen und nicht zurückgegangen ist. Auf kommunaler Ebene herrscht mitt-lerweile ein dramatischer Investitionsstau. Es wurde errechnet, dass wir allein bis 2009 jährliche Investitionsbedarfe von über 70 Milliarden Euro haben.

Was heißt dies letztlich? Dies bedeutet wachsende Kinderarmut in einem der reichsten Länder der Welt, Bildungsnotstand, überall bröckelnde öffentliche Gebäude. Dies be-deutet tausendfache Armut durch Hartz IV, einen massiven Arbeitsplatzabbau sowie Lohn- und Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst. Das alles ist aber nicht Folge einer misslungenen antizyklischen Politik. Es ist das Ergebnis der gigantischen Steuerge-schenke an Unternehmen und der gescheiterten angebotsorientierten Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen sagen wir: Wir brauchen keine Schuldenbremse, sondern eine Steuersenkungsbremse.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün – damals natürlich mit Unter-stützung der Union und der FDP –, nicht wirtschaftspolitisch unsinnige Steuergeschenke an Unternehmen und Reiche beschlossen hätten, dann hätten wir diesen Schulden-anstieg seit 2000 nicht zu verzeichnen und deutlich geringere Zinslasten auszugleichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist daher völlig unredlich, so zu tun, als würde antizyklische Politik immer scheitern. Schauen wir uns in Europa oder der Welt doch einmal um. Laut Financial Times gibt es elf OECD-Länder, die seit zehn Jahren Haushaltsüberschüsse erwirtschaften. Davon haben acht Länder, unter anderem Kanada, Dänemark und Schweden, weder etwas mit dem europäischen Stabilitätspakt noch mit den Maastricht-Kriterien zu tun noch gelten dort großartige Verfassungsverbote. In anderen Ländern sind die Politikerinnen und Politiker also verantwortungsbewusst genug, um das wirtschaftspolitische Instrument Staatsverschuldung sinnvoll und effizient einzusetzen.

Dieses Verantwortungsbewusstsein lässt sich bei den Vorschlägen zur Verschuldungs-grenze nicht erkennen. Letztendlich verbirgt sich dahinter eine Selbstaufgabe. Dieses makroökonomische Instrument kann man in Zukunft nicht mehr antizyklisch einsetzen, was aber nötig wäre.

Faktisch wird eine solche Schuldenbremse dazu führen, dass in Krisenzeiten noch eher Ausgaben gekürzt werden und noch eher Sozialabbau betrieben wird. Faktisch entsteht eine Spirale aus Sparpaketen, niedrigem Wachstum und niedrigen Steuereinnahmen, die mit Verfassungssiegel und dem Etikett „Sachzwang“ verkauft wird. Das ist wirt-schaftspolitisch fragwürdig. Deswegen sagen wir dazu Nein.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen sagen wir Ja zu einer Politik, die mit einem Zukunfts- und Investitionspro-gramm gute Beschäftigung fördert, die in einem nationalen Pakt für Bildung und Ausbil-dung ausreichend Finanzmittel für Investitionen in die Zukunft unserer Kinder zur Verfügung stellt, die die öffentliche Daseinsvorsorge wieder aus- und nicht weiter abbaut, die öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse für Arbeitssuchende schafft – trotz Aufschwung sind noch mindestens 5 Millionen Menschen arbeitssuchend – und die, sobald sich der Aufschwung verfestigt hat, eine Reduzierung der Verschuldung vor-nimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor allen Dingen sagen wir aber Ja zu einer Politik, die sich ausreichend Steuern bei denen zurückholt, die von den Geschenken der letzten Jahre profitiert haben. Wir sagen Ja zu einer Wirtschaftspolitik, die demokratisch ist, die sozial gerecht ist und die nicht auf den wirtschaftspolitischen Lebenslügen von vorgestern aufbaut.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

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