Bericht zum Fachgespräch: Länderfinanzausgleich LINKS gedacht

24.09.2014 / 24.09.2014

Am 20. September fand im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages ein Fachge­spräch zur Neuordnung des Länderfinanzausgleichs statt. VertreterInnen von Sozial­verbänden, Gewerkschaften und kommunalen Spitzenverbänden tauschten sich aus mit PolitikerInnen der Partei DIE LINKE. Unter den circa 30 TeilnehmerInnen vertreten wa­ren sowohl Perspektiven aus Ost und West als auch die Kommunal-, Landes- und Bun­desebene. Im Gespräch wurde schnell deutlich, dass alle TeilnehmerInnen die gleiche Problemauffassung teilen und ähnliche Reformnotwendigkeiten sehen.

Hintergrund ist das Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 und die derzeit laufen­den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die grundsätzliche Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs. Die LINKE hatte sich frühzeitig mit ihrem Konzept „Länderfinanzausgleich LINKS gedacht: solidarisch und aufgabengerecht“ in die Dis­kussion eingeschaltet und konkrete Vorschläge zu einer Neugestaltung gemacht. Der Fokus liegt darauf, die Strukturblindheit des bisherigen Länderfinanzausgleichs zu überwinden, also die Mittel für Länder und Kommunen nicht nur an den kompletten Ein­nahmen zu orientieren, sondern auch den strukturell notwendigen Ausgaben der ver­schiedenen Regionen und Ebenen gerecht zu werden.

Axel Troost, stellvertretender Parteivorsitzender DIE LINKE und finanzpolitischer Spre­cher der Bundestagsfraktion, und Willi van Ooyen, Fraktionsvorsitzender der hessi­schen Landtagsfraktion DIE LINKE, hoben bei ihrer Vorstellung des Diskussionspapiers noch einmal die zentralen Punkte hervor:

  • 1. Auskömmliche Finanzausstattung aller Bundesländer und Kommunen. Bund, Länder und Kommunen sind strukturell unterfinanziert. Insbesondere bei Gültigkeit der Schuldenbremse muss ihre Finanzausstattung deutlich erhöht werden.
  • 2. Voller Einbezug der kommunalen Einnahmen in den Länderfinanzausgleich, welche bislang nur mit 64% berücksichtigt werden und somit wirtschaftsstarke Bundesländer ärmer darstellt.
  • 3. Aufgabengerechte Finanzausstattung der Bundesländer und Kommunen, ins­besondere für Sonderbedarfe von Stadtstaaten und die bundesstaatlich vorge­schriebenen Ausgaben wie SGB II, Asyl, sozio-ökonomisch benachteiligte Kinder und Jugendliche, sowie Hochschulen und BAföG. Ein Anfang ist hier gemacht mit der Übernahme von BAföG und Alters-Grundsicherung durch den Bund, dies muss weiter konsequent umgesetzt werden.
  • 4. Steuergerechtigkeit sicherstellen durch eine bundesweit einheitliche Steuer­verwaltung anstelle eines Steuerdumping-Wettbewerbs zwischen den Ländern. Denn einerseits müssten einheitliche Lebensverhältnisse für alle Menschen ge­wahrt bleiben, andererseits zeigten Studien, dass die unterschiedliche Finanz­ausstattung der Länder weitestgehend auf den industriellen Strukturwandel zu­rückginge, nicht auf bessere oder schlechtere Politik in den Ländern.
  • 5. Altschuldenfonds zur Entlastung von laufenden Zinszahlungen, welche be­reits heute große Teile der Haushalte von Ländern und Kommunen in Anspruch nehmen. Da eine Vermögenssteuer erst mittelfristig umsetzbar ist, muss der So­lidaritätszuschlag zur Finanzierung herangezogen werden.
  • 6. Auflage eines Solidarpakt III, um über die jährliche Einnahmen und Ausgaben­bedarfe hinweg gezielt strukturelle Defizite in Ost und West wie Süd und Nord anzugehen.

Die grundsätzliche Stoßrichtung des Konzepts fand breite Anerkennung unter den An­wesenden, wobei einzelne Punkte vertiefend erörtert wurden und sich unterschiedliche Positionen im Detail ergaben.

Grit Genster von ver.di betonte die Relevanz des Fachgesprächs, da die Halbwertszeit einer Neuordnung voraussichtlich bei 15 bis 20 Jahren liege. Sie warnte vor einer ver­knappten Darstellung in den Medien und der Überbetonung der Interessen einzelner Geberländer. Wichtig seien ver.di auch bundesweit einheitliche Standards beim Steuer­vollzug und eine bessere Ausstattung durch 12.000 zusätzliche Mitarbeiter. Sie fügte hinzu, dass insgesamt mehr Geld ins System kommen müsse, um einem ruinösen Wettbewerbsföderalismus zu verhindern. Als Negativbeispiel nannte sie die massive Senkung der Gewerbesteuer in Monheim auf den niedrigsten Hebesatz in ganz Nord­rhein-Westfalen, welche ganz klar auf die Abwerbung von Firmen ziele und auf Kos­ten der benachbarten Kommunen gehe.

Stefan Anton vom Deutschen Städtetag betonte, dass die Unterschiede in Deutschland wie auch der Druck auf die Kommunen insgesamt größer geworden seien und ein ge­zieltes Gegensteuern zu einheitlichen Lebensverhältnissen und Lebenschancen unum­gänglich. Es sei wichtig über die vielen aktuell in den Medien diskutierten Details die im Konzept der LINKEN aufgeworfenen grundlegenden Fragen im Auge zu behalten. Bei der Ausgestaltung des zukünftigen Länderfinanzausgleichs dürfe auch nicht vergessenwerden, dass viele Vorschläge eine Änderung des Machtgefüges zwischen Bund, Län­dern und Kommunen bedeuten würde. Gerade die Frage direkter Beziehungen zwi­schen Bund und Kommunen müsse thematisiert werden. Kritisch sah er die Rolle von Sondertrophäen, die einzelne Bundesländer für sich herausverhandeln könnten. Diese machten zwar oftmals erst Kompromisse möglich, führten jedoch zu nur noch schwer Komplexität der Regulierung.

Joachim Rock vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband warnte vor einer unzu­reichenden Neuordnung des Länderfinanzausgleichs, da gerade angesichts der nahen­den Schuldenbremse die Sozialsysteme in den Abgrund gerissen werden könnten. Zwar stehe der Verband erst noch vor der Beschlussfassung, aber weite Teile des Dis­kussionspapiers der LINKEN gingen in eine richtige Richtung. Hervorheben wolle er die vollständige Anrechnung der kommunalen Steuereinnahmen, einheitliche Steuerstan­dards sowie den Altschuldenfonds und er schloss sich besonders der Forderung der Streichung des Kooperationsverbots an. Der sich abzeichnende grundlegende Konsens der Anwesenden über einen zukünftigen Länderfinanzausgleich sei äußerst ermutigend.

Anschließend wurden regionale und lokale Perspektiven mit konkreten Zahlen von ver­schiedenen VertreterInnen der Länder- und Kommunalebene eingebracht:

Kristina Vogt, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion in der Bremischen Bürgerschaft, stellte dar, dass Bremen auf der einen Seite höhere Ausgabenanforderungen habe, u.a. durch den Strukturwandel eine der höchsten Armutsquoten und auf der anderen Seite durch den hohen Zinsdienst jeder dritte Euro im Haushalt nicht verfügbar sei. Zusätzlich verbaue eine vorgezogene Schuldenbremse auch diesen Ausweg. Gleichzeitig seien Einsparungen durch Personaleinbau kaum mehr möglich, selbst die Feuerwehr-Finanzierung sei bereits abgesenkt auf 50% des Länderschnitts, was mit zwei Minuten längeren Rettungszeiten ganz konkrete Folgen für die Lebensverhältnisse der Bürge­rInnen habe.

Wenn der Bund die Finanzierung der bundeseinheitlich vorgeschriebenen Ausgaben übernähme und ein Altschuldenfonds die Zinslast erleichtere, könne man auch über eine Absenkung der Einwohnerveredelung für Stadtstaaten reden. Angesichts der Tat­sache, dass die höchsten Armutsquoten oft in den höchst verschuldeten Kommunen zu finden seien, zeige eindeutig, dass primär eine Entlastung stattfinden müsse um über­haupt wieder Land zu sehen.

Eine ähnlich ausweglose Situation erläuterte der Stadtverordnete Bernhard Sander der LINKEN für Wuppertal: Die Frage sei schon lange nicht mehr die Qualität der Infrastruk­tur, sondern ob von kommunaler Seite überhaupt noch etwas bereitgestellt werden könne. Durch hohe Verschuldung und Grundlasten mit 94% Pflichtausgaben habe die Stadt keinen Handlungsspielraum mehr. Grob gesagt seien nur noch der Zoo, die Oper, und zwei Freibäder für 340.000 Einwohner übrig an Kürzungspotential. Besonders zu schaffen machten der Stadt dabei bislang ungestopfte Steuerschlupflöcher der Rot-Grünen Steuerreformen, konkret seien alleine durch eine aus dem Ausland übernom­mene Lackfabrik 24 Millionen Euro an Gewerbesteuern von Wuppertal zurückgefordert worden; dies könne eine Stadt kaputt machen. Mit Blick nach Süden erinnerte Sander daran, dass in den 1950er und 1960er Jahren die Kohle- und Stahlindustrie aus NRW den Strukturwandel in Bayern überhaupt möglich gemacht haben, nun jedoch, wo man selbst darauf angewiesen sei, diese Solidarität einseitig von Bayern aufgekündigt wür­de.

Manuela Schmidt, für DIE LINKE im Abgeordnetenhaus von Berlin, erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass Konnexitätsprinzip stärker in den Mittelpunkt zu rücken.Denn die angekündigte Übernahme von Eingliederungshilfen und BAföG durch den Bund gingen in die richtige Richtung, seien aber noch nicht beschlossen.

Kontrovers wurde diskutiert, inwieweit die Herkunft von Altschulden berücksichtigt wer­den könne und solle. Hier stand die Meinung, dass Politik stets einen Gestaltungsspiel­raum haben müsse und Verantwortung eben auch Konsequenzen bedeute, der Position gegenüber, dass die politische Verantwortung schwer zu differenzieren sei und Kür­zungszwänge gerade die ärmsten Menschen belaste, welche die Altschulden nicht zu verantworten und am meisten unter Kürzungen im Sozialbereich zu leiden haben. Ebenfalls wurde die Problematik diskutiert, dass Zahlungen des Bundes potentiell in die kommunale Autonomie eingreifen könnten, was im Detail beobachtet werden müsse.

Am Ende wurde von verschiedenen Teilnehmenden noch einmal Einigkeit betont, dass einer intransparenten Diskussion mit unstrukturierten Reformen vorzubeugen sei und ein gegenseitiges Ausspielen der Länder und Kommunen durch den Bund verhindert werden müsse.

Das Resümee des Fachgesprächs fällt für Axel Troost positiv aus: Die große Zustim­mung komme für ihn nicht überraschend, denn die Wahrung einheitlicher Lebensver­hältnisse in Deutschland liege im allgemeinen Interesse und verlange eine auskömmli­che und gezielte Finanzierung. Dies liege selbst im Interesse reicher Länder, denn auch Bayerns Infrastruktur sei nicht im Idealzustand, und in Baden-Württemberg haben SPD-Grüne entgegen ihres Wahlversprechens sogar LehrerInnen entlassen müssen. Diese Probleme und Sorgen müssten ebenfalls ernst genommen werden. Statt eines Wettbe­werbsföderalismus mit vorhersehbar vielen VerliererInnen schlage DIE LINKE jedoch eine aufgabengerechte und solidarische Lösung vor, welche alle Interessen angemes­sen berücksichtige. Statt Teile der Länder und Kommunen in die endgültige Handlungs­unfähigkeit zu treiben, ermöglicht es das Konzept der LINKEN allen ihre Aufgaben wahrzunehmen: vom bezahlbaren Schwimmbad, über angemessene Kinderbetreuung bis hin zu guten Schulen. Deshalb überzeugt das Konzept auch weit über die Partei hinaus.

Nun gelte es, der Öffentlichkeit diese Alternativen zu kommunizieren und sowohl den künstliche Zeitdruck bei den Verhandlungen als auch den kompletten Ausschluss von Bundestag, Landesparlamenten und Kommunen anzuprangern. Denn dieser Missstand sei mit ursächlich für die momentan wilde, unstrukturierte Diskussion, in welcher von allen Seiten Extremforderungen in den Raum geworfen würden. Jedes Land wolle nur noch seine Schäfchen ins Trockene bringen, notfalls auf Kosten seiner Nachbarn. Die Gefahr bestehe, dass unter Druck gerade die strukturschwächeren Länder für ein Lin­sengericht einem nicht auskömmlichen und unsolidarischen Vorschlag zustimmen und mittelfristig handlungsunfähig werden könnten. Es sei wichtig, gemeinsam Transparenz und Struktur in die Verhandlungen zum Zukunft des Länderfinanzausgleichs zu bringen. Deshalb müsse eine neue Föderalismus-Kommission eingesetzt werden, welche bis 2016 Zeit haben solle, um mit allen Betroffenen einen fairen und zukunftsfähigen Kom­promiss zu finden.