TROIKA-Politik: Hoffnung für Griechenland?

Von Axel Troost

20.03.2014 / 20.03.2014

Nach über sechsmonatigen Verhandlungen haben sich die Troika aus Vertretern der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internatio­nalen Währungsfonds (IWF) mit Griechenland auf die nächsten Schritte in der Struktur­politik und der Auszahlung ausstehender Kredittranchen geeinigt und damit können die längst überfälligen Tranchen in Höhe von 10,6 Mrd. Euro demnächst von der EU und dem IMF freigegeben werden. Zugleich kann sich das Europaparlament nicht mehr einer kritischen Betrachtung der den Krisenländern von der Troika verabreichten Rosskur-Therapie entziehen. Einseitige Kürzungen, zu viel Diktat, kaum Wachstums­impulse und zu wenig Transparenz, so lautet im Kern das Ergebnis des fast 500 Seiten starken Berichts, den das Parlament mit 488 zu 140 Stimmen verabschiedete.

Zwar habe die Troika geholfen, eine Pleite Griechenlands mit schwerwiegenden Folgen für die gesamte Eurozone zu verhindern, heißt es in dem Bericht. Es gebe jedoch „keine Gewähr dafür, dass dies langfristig vermieden werden kann“. Auch sei einer „Abmilderung der negativen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen“ der Spar­programme in den betroffenen Krisenländern Griechenland, Irland, Portugal und Zypern „zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt“ worden. Kürzungen bei den Sozialleistungen und steigende Arbeitslosigkeit hätten die Armut in diesen Ländern weiter vergrößert. Diese Kritik ist nur allzu berechtigt, angesichts der realen gesellschaftlichen Wirklichkeit der Griechen fällt diese Kritik eher zahm aus.

Die Troika hatte die Überprüfung der Kürzungs- und Konsolidierungsmaßnahmen wiederholt unterbrochen. Die internationalen Kontrolleure hatten zwar stets die Fort­schritte der griechischen Regierung bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte gelobt, aber zugleich weitere Schritte insbesondere im Bereich der wirtschaftlichen Strukturreformen gefordert. Inzwischen allerdings drängt die Zeit, da Athen im Mai in größerem Ausmaß Staatsschulden zurückzahlen muss. Im Gegensatz zu seinen laufenden Ausgaben kann der Staat diese Rückzahlung kaum ohne externe Hilfe finanzieren. Danach ist er indessen über mehrere Monate finanziert, weshalb die Euro-Finanzminister laut früheren Angaben über eine zusätzliche Unterstützung erst im oder nach dem Sommer beschließen wollen.

Die politische Auseinandersetzung ging um eine Bewertung der umgesetzten Kürzungs­maßnahmen. Seit einigen Monaten gibt es einige Anzeichen dafür, dass Griechenland die Talsohle des Absturzes erreicht hat. Griechenlands Wirtschaft ist zum Jahresende 2013 nicht so stark geschrumpft wie zunächst befürchtet: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging zwischen Oktober und Dezember „nur“ um 2,3 Prozent zum Vorjahresquartal zurück, wie das Statistikamt am Dienstag mitteilte. Bisher hatte die Behörde ein Minus von 2,6 Prozent veranschlagt. Die Einnahmen aus dem Sommertourismus sind deutlich besser ausgefallen. Seit Anfang des Sommers meldet der Automarkt, der zwischen 2009 und 2012 um 80% schrumpfte, wieder steigende Umsätze. Im November wurde eine Steigerung der Baugenehmigungen von 36% gegenüber dem gleichen Vorjahres­monat registriert.

Die griechische Administration meldet in der Konsequenz dieser Verbesserungen einen kleinen Primärüberschuss (bei dem im Unterschied zum „normalen“ Haushalt die Zinsausgaben herausgerechnet sind) von ca. 1,8 Mrd. Euro, was eine beachtliche Leistung für ein Land ist, das noch vor vier Jahren ein Primärdefizit von 24 Mrd. Euro vorweisen musste. Laut Finanzministerium ist mit dem Abschluss der Troika-Inspektion die letzte Hürde dafür beseitigt worden, um nach den Europawahlen eine überfällige Erleichterung der Schuldenlast zu klären.

Rosskur für Griechenland und die Folgen

Möglich wurde dies durch eine radikale Kürzungspolitik und eine drastische Steigerung der Steuerbelastung. Noch zeigen sich die Griechen in der Lage, ihren Verpflichtungen gegenüber dem Fiskus nachzukommen, sie müssen allerdings immer mehr auf Erspar­nisse zurückgreifen. In den Monaten Dezember und Januar, in denen die Einkommensteuer fällig wurde, gingen laut Bankkreisen die Einlagen um 2 Mrd. Euro auf 160 Mrd. Euro zurück. Ein wesentlicher Prüfungspunkt der Troika war daher, ob die Griechen weiter in der Lage sein werden, ihren steuerlichen Verpflichtungen nachzu­kommen. Die Regierung wollte den Kürzungsprozess mildern und mit den erwirtschaf­teten Mitteln die Binnenökonomie stärken. Bis Ende 2014 sollen mindestens 11.000 Staatsbedienstete in Griechenland entlassen werden. Knapp 4000 haben bereits ihre Arbeit verloren. Die Maßnahmen sind eine der Voraussetzungen für weitere Hilfen der EU und des Internationalen Währungsfonds (IMF).

Griechenland hat ein Ausmaß an Kürzungen umsetzen müssen, das in der OECD-Geschichte beispiellos ist. Im Zeitraum 2009 bis 2012 schrumpfte das öffentliche Defizit um 9,3 Prozentpunkte von 15,6% auf 6,3% des Bruttoinlandproduktes (BIP) und das Primärdefizit nahm von 10,4% auf 1,3% des BIP ab.

Die knapp elf Millionen Griechen haben für die neoliberale Rosskur einen hohen Preis bezahlt:

  • Die Inlandsnachfrage brach zusammen, etwa 100 000 Unternehmen gingen in Konkurs.
  • Die Arbeitslosenquote explodierte auf 27%, rund 1 Mio. Menschen verloren ihren Job.
  • Die Griechen büßten durchschnittlich 30% ihres Einkommens ein.
  • Das Land zählt inzwischen rund 500 000 Familien ohne jegliches Arbeitseinkommen.

Die Ausgaben des Staatshaushaltes wurden bis 2012 um gut 12 Mrd. Euro auf 68,7 Mrd. Euro zurückgefahren.

  • Die Ausgaben für Gehälter und Beamtenpensionen wurden von 25,2 Mrd. Euro (2009) auf 20,5 Mrd. Euro gekürzt,
  • die Betriebsausgaben des Staates von 9,2 Mrd. Euro auf 7,1 Mrd. Euro zurück­gefahren,
  • die Zahlungen an öffentliche Träger von 5 Mrd. Euro auf 3,3 Mrd. Euro reduziert und
  • die Rüstungsausgaben von 2,2 Mrd. Euro auf 700 Mio. Euro zusammengestrichen.
  • Allein durch die Kürzungen bei den Renten wurden nach Angaben des gewerk­schaftsnahen INE-Instituts bis 2012 4,2 Mrd. Euro eingespart.
  • Die Gesundheitsreform brachte Einsparungen von 1,5 Mrd. Euro.
  • Im öffentlichen Bereich wurde ein System der einheitlichen Besoldung eingeführt, welches die Ausgaben um 3,5 Mrd. Euro senkte.
  • Die Reform der kommunalen Selbstverwaltung von 2010 bringt seit 2011 Ein­sparungen von jährlich 1,2 Mrd. Euro.
  • Ohne diese Reformen wären die Ausgaben für soziale Transfers, die von 15,5 Mrd. Euro im Jahre 2009 auf 16,2 Mrd. Euro im Jahr 2012 stiegen, wesentlich stärker gewachsen.

Insgesamt wirkte die Austeritätspolitik auf die griechische Wirtschaft wie ein Schock. Der Konsum der griechischen Haushalte fiel ab 2010 im Schnitt um jährlich 7,7%. Sowohl der Auto- wie auch der Immobilienmarkt brachen zusammen, die Investitionen gingen 2011 um 19,6% und 2012 um 15% zurück und bewirkte zudem einen Abfluss der Einlagen aus dem griechischen Bankensystem über 65 Mrd. Euro – hierdurch wurde das Land in eine schwere Liquiditätskrise gestürzt. All dies beschleunigte die Rezession und wirkte sich destabilisierend auf das politische System aus. Mehr als hitzige Debatten über die Deckung des Finanzierungslochs oder die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung im Jahre 2020 braucht das Land Investitionen, um auf einen Wachstumspfad zurückzukehren.

Welche Auswirkungen hatte die Wirtschaftskrise auf die Gesellschaften der Krisen­länder? Nach der neuesten Ausgabe der OECD-Studie „Gesellschaft auf einen Blick“ hat sich die Anzahl von Menschen, die in einem Haushalt ohne Arbeitseinkommen leben, in Griechenland, Irland und Spanien verdoppelt. Auch haben Geringverdiene­rInnenhaushalte in vielen OECD-Ländern im Verhältnis die größten Einkommens­verluste hinnehmen müssen. Besonders hart traf es hier Estland, Italien, Griechenland, Irland und Spanien. Der Anteil an Menschen, die angaben, nicht immer genug Geld zu haben, um ausreichend Essen zu kaufen, stieg im OECD-Durchschnitt um zwei Prozentpunkte auf 13,2 Prozent.

Eine andere Strukturreform für Europa ist nötig

„Der Wirtschaftsaufschwung allein wird nicht ausreichen, um die soziale Spaltung zu überwinden und jenen wieder auf die Füße zu helfen, die es am härtesten getroffen hat“, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría. „Die Regierungen müssen wirksamere sozialpolitische Maßnahmen ergreifen, um für künftige Krisen vorzubauen. Sie sollten auf jeden Fall der Versuchung widerstehen, Reformen zu verschieben, nur weil der Druck kurzfristig leicht nachlässt.“

Die OECD-Studie geht davon aus, dass die Sozialausgaben nach ihrem vorübergehenden Anstieg in den ersten Krisenjahren in vielen Staaten weiter unter dem Druck der Haushaltskonsolidierung stehen. Vor allem die ärmsten Mitglieder der Gesell­schaft oder Alleinerziehende bleiben bei Fortführung der Politik auf Jahrzehnte gesell­schaftlich im Abseits.

Dieser Austeritätskurs, den immer mehr Länder praktizieren, bremst die wirtschaftliche Erholung im Euroraum stark ab und führte – entgegen den eigentlichen Bestrebungen der Troika – zu einer weiteren Krisenverschärfung. Die Bauelemente einer Alternative sind bekannt: notwendig ist ein Mix von Wachstumsanreizen und Sanierungs­maßnahmen für die öffentlichen Finanzen; außerdem werden Strategien gegen Europas interne Ungleichgewichte und Deutschlands enormen Leistungsbilanzüberschuss gebraucht. Konkret bedeutet dies Lohnerhöhungen in Deutschland und eine Industrie­politik, die in den Volkswirtschaften Randeuropas den Export und die Produktivität fördert. Das Scheitern der bisher verfolgten Strategie ist eindeutig: Wird gespart, verlieren die Menschen ihre Arbeit, weil die von ihnen hergestellten Produkte niemand kauft. Durch Jobverlust sinkt aber die Schuldenlast nicht, sondern steigt an.

Dieser Falle kann man nur entkommen, wenn es einen Abschied von der Diskussion über die Senkung der Schuldenquote durch Austeritätspolitik – höhere Massensteuern und niedrigere Ausgaben – gibt und Kurs auf schuldenfreundliche Konjunkturanreize genommen wird: nämlich über Steuererhöhungen für Besserverdienende und Millionäre bei Anhebung der Staatsausgaben im gleichen Ausmaß.

Es geht um Eingriffe in die Verteilungsverhältnisse – letztlich selektive Steuererhöhun­gen in Zeiten wirtschaftlicher Not. Denn Europa braucht Strukturreformen, aber eben nicht so wie die Verfechter einer Konsolidierungspolitik fordern. Die Alternative zur Kon­solidierung läuft darauf hinaus über eine Erhöhung der Steuern für höhere Einkommen, Vermögenserträge und angesammelte große Vermögen sollen öffentliche Güter und Dienste finanziert werden, die vom privatkapitalistischen Sektor nicht ausreichend bereitgestellt werden – Dinge wie die Verbesserung der sozialen Sicherheit, von Bil­dung, Gesundheitsvorsorge und öffentlicher Infrastrukturen.

Es geht mithin um steuerfinanzierte Ausgabenpolitik: Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat beispielsweise einen „Marshall Plan für Europa“ vorgeschlagen, bei dem über einen Zeitraum von zehn Jahren jedes Jahr zusätzliche Investitionen in Höhe von 260 Mrd. Euro (ca. 2% des BIP) getätigt würden (DGB 2012). Ein Europäischer Zukunftsfonds würde Anleihen emittieren, die von allen teilnehmenden Mitgliedsstaaten garantiert werden. Das Startkapital für den Fonds käme von einer einmaligen Vermögensabgabe.

Der Leidensprozess Griechenlands ist ohne einen Politikwechsel noch nicht zu Ende. Denn auch bei einer Erleichterung der Schuldenlast wird der wirtschaftliche Erholungs­prozess gering bleiben und eine Verbesserung des Lebensstandards wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen.