Finanzkrise überwunden?

Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE

20.03.2013 / 20.03.2013

Die deutsche Wirtschaft ist überraschend schlecht ins Jahr gestartet. Die Industrieauf­träge schrumpften im Januar leicht, weil die Nachfrage insbesondere in den kriselnden Euro-Ländern einbrach. Auch die Industrieproduktion schrumpfte. Die Bundesbank er­wartet trotzdem bessere Zeiten. „Der zögerliche Start in das Jahr 2013 stellt nicht die Perspektive einer konjunkturellen Belebung der Wirtschaftstätigkeit infrage“. Das Mann­heimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) teilt aufgrund der neues­ten Umfrage diesen Optimismus. Der ZEW-Index für die Konjunkturerwartungen gilt als Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung im kommenden halben Jahr. Als Grund für den nur leichten Anstieg im März nannte das Institut die politische Lage in Italien und das Hilfspaket für Zypern. Beides habe die Gefahr erhöht, dass sich die Schuldenkrise im Euroraum erneut verschärft.

Trotz der Eskalation der Lage in Zypern hält die Europäische Zentralbank an der opti­mistischen Einschätzung fest: Nach Einschätzung des Direktoriumsmitglieds Jörg Asmussen hat die Eurozone mittlerweile zwei Drittel des Wegs zur Überwindung der Schuldenkrise geschafft. Die Notenbank werde dabei auch weiterhin „alles tun, was wir im Rahmen unseres Mandats tun können“, um die Eurozone zusammenzuhalten.

Diese These von einer weitgehenden Bewältigung der Krise der Eurozone ist einiger­maßen befremdlich. Sie ist noch nicht einmal aus der Perspektive der Finanzmärkte begründet. Blick man hingegen auf die Realökonomie, dann gibt es wenig Grund für ei­nen wirtschaftlichen Optimismus.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die vorläufigen Wirtschaftswachstumsschätzungen für die G20-Staaten veröffentlicht. Dem­nach ist die Wirtschaft der G20-Mitgliedsländer im vierten Quartal 2012 um 0,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal gestiegen. Im vorherigen dritten Quartal wurde ein Anstieg um 0,6 Prozent verbucht. Entscheidend sich jedoch die Abstufungen: alle großen euro­päischen Länder wie Italien, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich mussten einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hinnehmen. In Italien wurde laut OECD ein Rückgang von 0,9 Prozent notiert, in Deutschland von minus 0,6 Pro­zent, in Frankreich von minus 0,3 Prozent und im Vereinigten Königreich ebenfalls von minus 0,3 Prozent. Im Kontrast dazu konnten die nicht-europäischen Länder Japan und USA ein leichtes Wachstum vorweisen.

Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Christine Lagarde fordert daher: Die Euro-Staaten müssten bei ihrem Spar- und Reformkurs auf die Balance achten und dürften eine Unterstützung der Wirtschaftserholung nicht vernachlässigen. Dazu sei es nötig, dass die Regierungen sich nicht nur auf die Defizitziele und das Vertrauen der Fi­nanzmärkte konzentrierten sondern auch auf Hilfe für die unter der Krise leidenden Menschen. „Eine bessere Stimmung an den Börsen sorgt nicht für mehr Arbeitsplätze und höhere Einkommen. Sie mag den Märkten helfen, aber sie hilft noch nicht der Be­völkerung“.

Dies gilt gerade auch für den akuten Sanierungsfall Zypern. Selbst wenn jetzt die Klein­sparer und -anleger von der „Sonderabgabe“ zur Umschuldung der Banken verschont blieben – die Krise frisst sich mit Sicherheit tiefer in den zyprischen Alltag. Alle Impulse für eine Erneuerung der Realökonomie unterbleiben, dabei wären Maßnahmen zur Wachstums- und Strukturpolitik dringend notwendig. Statt einem Wachstumsprogramm zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur soll Zypern ein Kürzungs- und Privatisie­rungsprogramm aufgezwungen werden.

Bestandteil des Sanierungsprogramms für Zypern ist aber wie üblich eine massive Be­schneidung öffentlicher Ausgaben in der Größenordnung von 4,5% der gesamtwirt­schaftlichen Leistung. Auch ohne einen kritischen Blick auf die mögliche Absetzbewe­gung von internationalen Investoren bleibt festzuhalten: Der Abwärtskurs in Zypern wirdsich dadurch wie bei den anderen Krisenländern verschärfen. Die Ökonomie in Zypern steckt seit Monaten in einer rezessiven Abwärtsspirale. Die Bank von Zypern berichtet, dass die Wirtschaftsleistung 2012 um 1% gesunken ist. Die Zentralbank rechnet für 2013 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 3,5%, für 2014 mit einem weite­ren Minus von 1,4%. Im Juni 2012 hatte die Bank noch 0,4% Wachstum für 2013 prog­nostiziert. Auch die Arbeitslosigkeit wird auf neue Rekordhöhen steigen: 2013 rechnet die Bank von Zypern mit 13,7% und 2014 mit 14,2% Beschäftigungslosen.

Den Großteil der Finanzmittel wird der Euro-Krisenfonds ESM beisteuern, doch die Chefin des IWF stellt auch eine Beteiligung in Aussicht. Es soll um etwa eine der insge­samt zehn Milliarden Euro gehen. Wie bei den bisherigen Programmen wird die Hilfe mit der Wahrung der finanziellen Stabilität des Hilfsempfängers und der ganzen Euro-Zone begründet.

Die gesamte südliche Peripherie der Euro-Zone ist in einem Schrumpfungsprozess der Realwirtschaft. Die hohen Arbeitslosenraten werden sich selbst bei einer erfolgreichen, wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik nur durch immense Anstrengungen zurückdre­hen lassen – und selbst das wird Jahre dauern. Von einem solchen Ausblick sind wir aber meilenweit entfernt, weil die eingeschlagene Wirtschafts- und Sparpolitik das Ge­genteil von wachstumsorientiert ist. Es kann also weder von einer weitgehenden Über­windung der Schuldenkrise in der Euro-Zone noch von der Sanierung des Finanzsek­tors die Rede sein. Da ist der IWF doch weit realistischer: Christine Lagarde dringt auf einen zügigen Fortgang der Reform des globalen Finanzsystems. Zwar sei weltweit in den vergangenen Jahren einiges erreicht worden, um global agierende Banken sicherer und weniger anfällig für Krisen zu machen, „aber sind wir damit schon fertig? Ich würde sagen: noch nicht,“ sagte Lagarde. Die bisher erreichten Fortschritte hätten das System etwas solider gemacht. „Die Struktur ist nach wie vor nur zur Hälfte fertig und deshalb auch noch nicht sicher.“

Nachdem die Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellen­länder (G20) schon vor Jahren ihre Absicht erklärt hätten, „jeden Markt, jedes Produkt und jeden Akteur im Finanzsystem“ als Lehre aus der Krise in Zukunft zu regulieren, sind die Erfolge in vielen Bereichen sehr bescheiden. Das Schattenbanken-System wu­chert munter weiter, die Finanzaufsicht ist weder gesetzlich noch personell hinreichend gestärkt worden und die Großbanken genießen weiterhin eine implizite Staatsgarantie.

Aber nicht nur diese Lektionen müssen endlich gelernt und in staatliche Kontrollsysteme umgesetzt werden, auch wirtschaftspolitisch müssen neue Wege beschritten werden. Wir brauchen endlich eine stärker auf gesamt- und außenwirtschaftliche Stabilität aus­gelegte Politik, die die nationalen Exportsektoren und Binnenmärkten ins Gleichgewicht bringt und zukunftsfähig macht. Das erfordert einen Strukturwandel, der nur durch gro­ße Investitionsoffensiven im Sinne eines sozial-ökologischen Umbaus auf den Weg ge­bracht werden kann. Wir dürfen also über die Probleme der Banken- und Schuldenkrise die strukturellen Probleme der Realwirtschaft nicht vergessen.