Nötiger Perspektivwechsel

Von Andreas Wehr

25.10.2012 / Junge Welt, 25.10.2012

Ankaufprogramme der EZB für Staatsanleihen bieten für linke Politik keinen Ansatz zur Lösung der Euro-Krise. Vielmehr müssen Pläne der Herrschenden ins Visier ­genommen werden, staatsähnliche Strukturen auf europäischer Ebene zu schaffen

Die Euro-Krise ist das zentrale Thema des Bundestagswahlkampfes, darin sind sich alle einig. Doch welche Position wird in dieser Auseinandersetzung die Partei Die Linke einnehmen? Bislang war alles klar: Ihre Fraktion im Bundestag hatte stets als einzige der Europapolitik der Regierung eine klare Absage erteilt. Sie hatte weder für die Hilfspakete für Griechenland noch für die Rettungsschirme oder den Fiskalpakt gestimmt. Nun ist aber Streit in der Partei über ihren Kurs ausgebrochen. Es geht um die Frage, wie man den Beschluß des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 6. September 2012 bewerten soll, mit dem die Möglichkeit geschaffen wurde, kurzfristige Staatsanleihen der Krisenländer in unbegrenzter Höhe aufzukaufen. Offizielle Zielsetzung dieser Maßnahme ist die Stabilisierung bzw. Absenkung der hohen Renditeforderungen für die Krisenländer. Vorbereitet worden war die Entscheidung von EZB-Präsident Mario Draghi mit seiner Ankündigung aus dem Sommer »alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu retten«.

Die Vizechefin der Bundestagsfraktion der Linken, Sahra Wagenknecht, kritisierte dieses Ankaufprogramm scharf, da aus ihrer Sicht »mit dem frischen Zentralbankgeld (…) die EZB zur Giftmüllhalde für toxische Wertpapiere mutiert«. Sie forderte statt dessen, »die Staatsschulden durch einen harten Schuldenschnitt und eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre drastisch zu senken«.1 Ihr widersprach der stellvertretende Parteivorsitzende Axel Troost in einem offenen Brief an die Fraktion: »Aus meiner Sicht verhält sich die EZB inzwischen deutlich pragmatischer und lösungsorientierter als die unter der Dominanz der deutschen Bundesregierung handelnde europäische Regierungsebene. (…) Wir sollten daher aufhören, die Krisenpolitik der EZB anzugreifen, sondern vielmehr genau ihren Pragmatismus und Undogmatismus betonen.«2 Die Medien – schon lange unglücklich über das Ausbleiben von Streit in der Partei, den sie vermarkten können – griffen diese Kontroverse begierig auf. Die Süddeutsche Zeitung vom 14.9.2012 gab Troost in dramatischen Worten Rückendeckung: »Entsetzt verfolgen linke Finanzexperten, wie Sahra Wagenknecht sich als Anwältin der Steuerzahler geriert und die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank geißelt. (…) Verzweifelt versucht der Bundestagsabgeordnete und Volkswirtschaftler Axel Troost durchzudringen mit seiner Gegenmeinung, daß die EZB mit den Anleihekäufen genau das Richtige tue.« Die tageszeitung (taz) stellte sich bereits sechs Tage zuvor sogleich auf die Seite »des als moderat geltenden Finanzexperten Troost«.

Ähnlich positiv wie von Troost werden die Anleihekäufe von Gustav Horn, dem Chef einer gewerkschaftsnahen Forschungseinrichtung, und vom alternativen Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel gesehen. In seinem jW-Beitrag »Die Macht der Zentralbank« vom 19.10.2012 schloß sich nun auch Lucas Zeise dieser Haltung an, auch wenn er am Ende seines Beitrags Kritik an der konkreten Ausgestaltung des Ankaufprograms übt. Wir haben es also mit einem innerlinken Streit zu tun. Im folgenden soll versucht werden, ein wenig Licht auf seine Hintergründe zu werfen, soll doch die Debatte auch einen Lern­effekt haben.

Das Staatsfinanzierungsverbot

Lucas Zeise wendet sich bei der Befürwortung des Ankaufprogramms in seinem zentralen Argument gegen das in den europäischen Verträgen verankerte Staatsschuldenverbot, denn damit werde den Euro-Staaten der Ausweg aus der Krise mit Hilfe von Geldschöpfung verbaut: »Weil es dieses Verbot gibt, werden Griechenland, Italien und Spanien auf dem internationalen Markt für Staatsanleihen viel schlechter behandelt als Großbritannien, Japan und die USA. Das hat mit dem Zustand der Staatsfinanzen in diesen Ländern herzlich wenig zu tun, sondern damit, daß die Regierungen der drei letztgenannten Länder sich in einer Währung, nämlich der eigenen, verschulden können, von der sie über einen unbegrenzten Vorrat verfügen, aus dem sie die Gläubiger jederzeit bezahlen können.« Zeise sieht im europäischen Staatsschuldenverbot nur ein Ergebnis der Politik: »Das Staatsfinanzierungsverbot für die Notenbank ist eines jener neoliberalen Prinzipien, deren Wirkung die Banken und den Finanzsektor stärkt und umgekehrt den Staat als wirtschaftlichen Akteur in seiner Handlungsfreiheit einengt.«

Zeise benennt damit einen Widerspruch in der Konstruktion der gemeinsamen Währung: Als Mitglieder der Euro-Zone haben die Länder nicht nur ihre eigene Währung aufgegeben, sie haben sich zugleich des Rechts begeben, Geld zu drucken, was bedeutet, sie könnten tatsächlich bankrottgehen. Die Finanzmärkte mißtrauen den in die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit geratenen Euro-Ländern – und hier vor allem Griechenland, Irland und Portugal –, da sie erleben, daß die für die Geldpolitik der Euro-Zone nunmehr allein zuständige EZB nicht bereit ist, die weggefallene Rolle des unbeschränkten nationalen Kreditgebers zu übernehmen. Denn dagegen steht das in den europäischen Verträgen festgeschriebene Staatsfinanzierungsverbot für die Notenbank.

Die von Zeise geforderte Aufhebung dieses Staatsfinanzierungsverbots würde aber keineswegs automatisch bedeuten, wie von ihm angenommen, daß die schwachen Euro-Länder auf dem internationalen Markt für Staatsanleihen nicht länger mehr schlechter behandelt werden würden. Es darf nicht übersehen werden, daß im Prozeß der europäischen Integration die 27 EU-Staaten zahlreiche Instrumente zur Steuerung ihrer Wirtschaft aufgegeben haben. Sie unterliegen den Bestimmungen des Binnenmarktes, die den freien Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und die Arbeitnehmerfreizügigkeit zwischen ihnen vorschreiben. Sie dürfen deshalb keine Kapitalverkehrskontrollen einführen, ihre Unternehmen nicht subventionieren und haben nicht das Recht, die Ansiedlung von Firmen in ihren Ländern abzuweisen, um nur einige Beispiele zu nennen. Schwache EU-Länder sind damit schutzlos der Konkurrenz starker Konzerne der kerneuropäischen Länder, und hier vor allem Deutschlands, ausgeliefert. Für die 17 Euro-Länder ist die Lage noch schwieriger. Sie haben mit ihren Währungen auch die Möglichkeit zu ihrer Abwertung aufgegeben, was regelmäßig ein entscheidendes Instrument zum Erhalt der nationalen Konkurrenzfähigkeit ist.

Ganz anders stehen da etwa die USA oder Japan da. Ungeachtet ihrer riesigen Defizite sind sie weiterhin nahezu unbegrenzt für die Finanzmärkte kreditwürdig, da sie zu den Staaten gehören, die trotz aller internationalen Verpflichtungen, die sie zur Öffnung ihrer Märkte eingegangen sind, noch über hinreichende Instrumente zum Schutz ihrer Volkswirtschaften verfügen. Dementsprechend erwarten die Märkte von deren Notenbanken und Regierungen, daß sie im Falle eines Falles mittels einer entsprechenden nationalen Steuerpolitik die Vermögen ihrer Bürger bzw. die Wirtschaftskraft des Landes zum Schuldenausgleich heranziehen, ihre Märkte nach außen schützen, Konjunkturprogramme auflegen und ihre Volkswirtschaften notfalls durch Abwertung der Währung konkurrenzfähig halten. Dies ist das Geheimnis der problemlosen extrem hohen Staatsverschuldung Japans von inzwischen deutlich mehr als 200 Prozent.

Währung ohne Staat

Die Europäische Union stellt keinen Ersatz für die geschwächten europäischen Staaten dar. Die EZB verfügt nicht über ein staatliches Hinterland, wie es etwa die US-amerikanische oder die japanische Notenbank haben. Der EU-Haushalt ist mit einem Anteil von nicht einmal einem Prozent am gesamten Bruttoinlandsprodukt der EU viel zu klein, um nachhaltige europäische Konjunkturprogramme finanzieren zu können. Die EU hat keinen Zugriff auf die nationalen Haushalte der Euro-Mitgliedsländer. Es gibt keine koordinierte Wirtschaftspolitik, weder in der EU noch in der Euro-Zone. Nicht einmal die Steuerpolitik ist unter den Euro-Ländern abgestimmt. Der Euro ist mithin eine Währung ohne Staat! Das ist das Problem. Zwar kann es einen Staat ohne eigene Währung – das war vor dem Euro etwa Luxemburg –, aber auf Dauer keine Währung ohne Staat geben, da haben der Liberale Guy Verhofstadt und der Grüne Daniel Cohn-Bendit in ihrem gemeinsamen Manifest »Für Europa« durchaus recht. Die internationalen Kapitalmärkte mißtrauen schlicht einem einheitlichen Währungsraum, der weder zu einer einheitlichen Finanz- und Wirtschaftspolitik noch zu einer abgestimmten Steuerpolitik fähig ist. In wirtschaftlich ruhigen Zeiten machen sich diese strukturellen Defizite kaum bemerkbar, anders jedoch in Krisenzeiten wie jetzt.

Das von Zeise nun als die Ursache der Euro-Krise identifizierte »Staatsfinanzierungsverbot für die Notenbank« ist daher nur ein Element des Gesamtproblems der Fehlkonstruktion der Währungsunion bzw. der EU. Seine Analyse greift daher zu kurz. Daraus folgt, daß es als Therapie zur Lösung der Euro-Krise nicht ausreicht, das »neoliberale Prinzip« des Staatsfinanzierungsverbots einfach zu ignorieren. Damit würden die notleidenden Euro-Länder auf dem internationalen Markt für Staatsanleihen noch lange nicht wie Japan oder die USA behandelt werden.

Zerstören europäischer Demokratien

Finanzminister Wolfgang Schäuble arbeitet mit seiner Forderung nach einem EU-Haushaltskommissar weiter an der Erfüllung deutscher Großmachtpläne in Europa (Berlin, 24.10.2012) Foto: dapdDoch was hat das nun alles mit dem innerlinken Streit um das Ankaufprogramm der EZB für Staatsanleihen zu tun? Die Antwort darauf lautet: Dieses Programm stellt für Zeise und Troost den Einstieg in die gewünschte Staatsfinanzierung und damit in die Lösung der Euro-Krise dar. Dies ist aber ein Trugschluß.

In der Logik der in Europa Herrschenden dagegen ist die fehlende Staatlichkeit der Euro-Zone das Problem. Auf ihre Weise blicken sie daher weiter als alle Kritiker, die nur das Staatschuldenverbot angreifen. Die gegenwärtige Krise soll genutzt werden, um zumindest staatsähnliche Strukturen auf europäischer Ebene zu schaffen. Dafür werden die Souveränitätsrechte der Euro-Staaten durch Übertragung von Kompetenzen in der Haushalts- und Wirtschaftspolitik nach Brüssel entscheidend geschwächt werden. Dem dienen all die hektischen und oft wenig durchdachten Versuche, neue Sanktionsmöglichkeiten und für alle Euro-Länder verbindliche Regelungen zu schaffen. Deshalb wurde der Euro-Plus-Pakt auf den Weg gebracht, das Europäische Semester zur Aufsicht über die Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten beschlossen, das Six-Pack zur Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts durchgepeitscht und der Fiskalpakt mit der Schuldenbremse als seinem Kern beschlossen.

Doch dabei soll es nicht bleiben: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble forderte kürzlich sogar direkte Durchgriffsrechte für den EU-Haushaltskommissar auf die nationalen Haushalte. Geht es nach ihm, soll dieser künftig sein Veto einlegen können, wenn ein nationaler Haushaltsplan gegen den Stabilitäts- und Wachstums­pakt zu verstoßen droht. Damit folgt Schäuble dem Großspekulanten George Soros, der »die Schaffung einer Europäischen Finanzbehörde, die berechtigt ist, Entscheidungen im Namen der gemeinsam und solidarisch agierenden Mitgliedsländer zu treffen«, fordert. Denn das ist nach Soros »die fehlende Zutat, die notwendig ist, um den Euro zu einer vollwertigen Währung mit einem echten Kreditgeber letzter Instanz zu machen«.3 Der Vorschlag von Schäuble wurde aufgrund des Widerspruchs des französischen Präsidenten François Hollande auf der Europäischen Ratstagung am 18./19. Oktober 2012 aber zunächst einmal zurückgestellt.

Vergleichbar weitreichende Vorschläge zur Etablierung einer europäischen Staatlichkeit werden gegenwärtig in einer vom Europäischen Rat eingesetzten Arbeitsgruppe unter seinem Präsidenten Herman Van Rompuy vorbereitet. Hier wird über die Schaffung eines eigenen Haushalts und einer besonderen parlamentarischen Vertretung für die Euro-Staaten nachgedacht. Da man glaubt, die europäischen Verträge nicht schnell genug ändern zu können, soll jeder der 17 Euro-Staaten einzeln mit der Europäischen Kommission einen Vertrag über die Einhaltung der Haushaltsdisziplin abschließen. Ende Dezember 2012 soll der Rat abschließend über diese Vorschläge entscheiden.4

Allen diesen Maßnahmen ist gemeinsam, daß mit ihnen massiv Souveränitätsrechte von den Euro-Mitgliedsländern auf die europäische Ebene verlagert werden. Dies ist nichts anderes als ein Programm zur Zerstörung der europäischen Demokratien, denn diese existieren nun einmal nur auf nationalstaatlicher Ebene. Dieser geplante Umbau wird am Ende entweder am Widerstand der Bevölkerungen der Mitgliedsländer scheitern – wie es bereits mit dem Europäischen Verfassungsvertrag geschah – oder er wird zu einem autoritären Europa unter deutscher Hegemonie führen.

Die Frage nach der Staatlichkeit der Euro-Zone bzw. nach der Schaffung einer politischen Union wird daher auch nach einer möglichen Lösung der gegenwärtigen Verschuldenskrise der Defizitländer, etwa aufgrund eines drastischen Schuldenschnitts, auf der Tagesordnung der EU bleiben. Es spricht einiges dafür, daß diese Frage unlösbar ist und sich die Euro-Zone schließlich als eine von Beginn an absurde und geschichtlich unhaltbare Konstruktion erweisen wird.

Rückzug der Banken aus Peripherie

Zeise und Troost verteidigen – wie dargestellt – das EZB-Ankaufprogramm so vehement, weil sie in ihm eine Durchbrechung des neoliberalen Prinzips des Verbots der Staatsfinanzierung sehen. Sie wollen, bildlich gesprochen, diesen Zipfel ergreifen, um mit seiner Hilfe zu einer völlig neuen Ordnung der Finanzierung der Euro-Zone zu kommen: anstatt über den Finanzmarkt über die Notenbank. Für dieses Unternehmen haben sie sich jedoch ein ausgesprochen fragwürdiges Projekt ausgesucht, denn mit ihm wird lediglich das bereits seit Mai 2010 bestehende Ankaufprogramm bestätigt und für zeitlich unbefristet erklärt.

Dieses Ankaufprogramm war seinerzeit auf Druck des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy geschaffen worden, damit vor allem die im europäischen Süden engagierten französischen Banken ihre von dort stammenden Staatsanleihen bei der EZB abladen und gegen solche aus Ländern mit besserer Bonität eintauschen können. Aber auch deutsche, niederländische und Geldhäuser aus anderen Ländern bedienten sich. Unter dem früheren EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet wurde dieses Programm dann immer mal wieder ausgesetzt, um dann doch immer wieder neu aufgenommen zu werden. Obwohl die EZB auf diese Weise Staatsanleihen von Krisenländern in Höhe von bisher nicht weniger als 220 Milliarden Euro aufgekauft hat, war eine Stabilisierung der Renditen der Anleihen dieser Länder auf ein tragfähiges Maß bestenfalls kurzfristig feststellbar. Nichts anderes ist von der jetzt beschlossenen Ausweitung des Programms zu erwarten.

Das Ankaufprogramm ist daher nicht der von Zeise und Troost erhoffte Vorbote eines neuen Staatsfinanzierungssystems jenseits des Neoliberalismus, sondern es ist Ausdruck der sich immer tiefer fressenden Krise des Euro-Systems, zu der gehört, daß sich die Banken aus Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und anderen kerneuropäischen Ländern aus den Risikoländern des Südens zurückziehen. George Soros hat diese Entwicklung beschrieben: »Aber mit dem Fortschreiten der Krise ordnet sich das Finanzsystem zunehmend entlang nationaler Grenzen. Die Regulierungsbehörden fördern tendentiell die inländische Kreditvergabe, Banken trennen sich von ausländischen Vermögenswerten, und die Risikomanager versuchen, Vermögenswerte und Verbindlichkeiten aus dem Bereich innerhalb ihrer nationalen Grenzen und nicht aus der Euro-Zone aufeinander abzustimmen.«5

Sozialisierung der Verluste

Für die Banken hat sich das Aufkaufprogramm der EZB als ausgesprochen nützlich erwiesen, nimmt ihnen doch die EZB Anleihen notleidender Länder zu günstigen Bedingungen ab. Zeise kritisiert in seinem Artikel meine These, daß der Staatsschuldenkauf durch die EZB eine »gigantische Sozialisierung privater Verluste« ist: »Der Vorwurf, die Notenbank werde damit zur ›Müllhalde abgewerteter staatlicher Schuldpapiere‹, wie ihn Wehr (…) erhebt, trifft weder im allgemeinen, ja nicht einmal in diesem speziellen Fall des Kaufs von Staatsanleihen von bereits in Zahlungsschwierigkeiten befindlicher Staaten zu. Wie bei der letzten Kaufrunde wird die EZB auch dieses Mal die staatlichen Schuldpapiere mit Preisen erheblich unter pari, also mit einem gehörigen Abschlag zum Ausgabekurs, erwerben. Und generell gilt, daß die Staaten immer noch die vergleichsweise besten Schuldner sind.«

Übersehen wird hier, daß die heute »unter pari« gekauften Staatsanleihen bei einem unvermeidlichen Schuldenschnitt erneut erheblich abgewertet werden müssen. Den öffentlichen Haushalten der Euro-Länder werden dann weitere Lasten aufgebürdet. Sie sind es vor allem, die bei einem Schuldenschnitt Athens die Verluste zu tragen haben, befinden sich doch die griechischen Anleihen bereits zu 70 Prozent im Besitz der EZB! Sahra Wagenknecht spricht daher völlig zu Recht von einer EZB, »die zur Giftmüllhalde für toxische Wertpapiere mutiert«. Axel Troost beschreibt offen in einem Thesenpapier die Wirkungen des ausgeweiteten Aufkaufprogramms: »Viele Banken werden im Ergebnis wahrscheinlich italienische oder spanische Staatsanleihen an die EZB verkaufen und dafür deutsche Staatsanleihen kaufen oder bei der EZB ein Festgeldkonto eröffnen.«6 Genauso ist es bereits: Die Banken entledigen sich auf Kosten der EZB und damit der Allgemeinheit jener Anleihen, die mit dem Risiko eines Ausfalls behaftet sind und retten sich durch den Umtausch ihrer heißen Papiere in deutsche Anleihen in den sicheren Hafen. Was ist das anderes als das altbekannte Muster der Sozialisierung der Verluste?

Angesichts dieses eindeutig unsozialen Charakters der Anleihekäufe war bislang auch niemand in der Linken auf die Idee gekommen, den Ruf danach in den Forderungskatalog zur Lösung der aktuellen Krise aufzunehmen. Bislang war vollkommen unstrittig, daß diese Käufe die EZB zu einer europäischen Bad Bank machen. Warum sollte die Linke ausgerechnet jetzt dieses Programm begrüßen, wo es verstetigt wird und künftig unbefristet gelten soll?

Die Forderungen der Linkspartei zur Lösung der aktuellen Krise gehen in eine andere Richtung. In ihnen steht der »Schuldenschnitt für hoch verschuldete Staaten« im Mittelpunkt.7 Mit dieser Position verortet sich die Partei eindeutig jenseits des parteipolitischen Spektrums von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen, die alle einen solchen Schnitt ablehnen. Doch angesichts des nicht enden wollenden Desasters in der Euro-Zone wird ein solcher Schuldenschnitt immer häufiger, selbst von Anhängern neoliberaler Politik als letzter verbleibender Ausweg genannt. Der Internationale Währungsfonds brachte ihn auf seiner Jahrestagung in Tokio erneut ins Spiel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung ließ erst kürzlich Verfechter dieses Vorgehens ausführlich zu Wort kommen.8

Einen solchen Schuldenschnitt hat auch Lucas Zeise vor nicht allzu langer Zeit noch gefordert: »Die akute Finanzierungskrise der Staaten wird sich ohne eine Umschuldung nicht lösen lassen. Dabei haben Trichet und seine Kollegen ausnahmsweise Recht, wenn sie darauf hinweisen, daß der Bankensektor eines umschuldenden Landes umkippt, daß zugleich die Banken und Versicherungen in den Gläubigerländern in Gefahr geraten und daß, drittens, die Umschuldung in einem Land das Mißtrauen der Finanzinvestoren in alle anderen Euro-Länder verstärkt. Der weltweite Finanzmarkt würde damit vermutlich stärker erschüttert als durch die Pleite von Lehman Bro­thers im Herbst 2008. Die Konsequenz aus dem gemalten düsteren Bild kann allerdings nicht lauten, die Umschuldung einfach zu vermeiden. Das wird nicht gehen. Die bisherige Taktik, sie zu verschieben, verlagert die drohenden Verluste nur von den Privaten zu den anderen Staatshaushalten. Es bleibt nur eine große Lösung: Ein Schuldenschnitt für alle europäischen Staaten.«9

Anmerkungen

1 Sahra Wagenknecht, Merkel will Milliardenrisiken bei der EZB verstecken, in: Die Linke im Bundestag, Pressedienst vom 6.9.2012

2 Axel Troost, Die Euro-Krise, die EZB, die Linke und das liebe Geld, Die Linke im Bundestag, Die Fraktion in den Medien vom 9.10.2012

3 George Soros, Deutschland muß führen oder aus dem Euro austreten, in: Spiegel online vom 9.9.2012

4 Vgl. ausführlich dazu Andreas Wehr, »Die EU braucht eine neue Vision«, in junge Welt vom 15.10.2012

5 George Soros, Deutschland muß führen oder aus dem Euro austreten, a. a. O.

6 Axel Troost, Die Euro-Krise, die EZB, die Linke und das liebe Geld, Anmerkungen zu einem spannungsreichen Verhältnis, S. 3

7 Vgl. Demokratie statt Bankenrettung, Beschluß des Parteivorstandes der Linken vom 4./5.8.2012, aus: www.die-linke.de

8 Harald Hau/Ulrich Hege, Warum ein Schuldenschnitt die bessere Lösung ist, in: FAZ vom 14.9.2012

9 Lucas Zeise, Reaktionär von Format, in: junge Welt vom 6.6.2011