Draghi trifft auf deutsche »Inflationsparanoia«

Interview mit Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, über den Besuch von Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), im Bundestag, die Politik der EZB, Inflationsängste und Auswege aus der Bankenkrise

24.10.2012 / linksfraktion.de, 24. Oktober 2012

Am Mittwoch stattet EZB-Präsident Mario Draghi dem Bundestag einen Besuch ab. Wenn Sie die Politik Draghis mit der seines Vorgängers Jean-Claude Trichet vergleichen – hat es einen Politikwechsel bei der EZB gegeben?

Axel Troost: Ja und nein. Kurzfristig hat sich in der EZB die Einsicht durchgesetzt, dass man in der Krise pragmatisch und nicht nur dogmatisch agieren muss. Diese Entwicklung hatte unter Trichet zwar bereits angefangen, aber seit Draghi steht die EZB auch öffentlich zu dieser Einsicht. Grundsätzlich hat sich aber nicht viel geändert: Das langfristige Modell bleibt die Neoklassik, wie die EZB als Teil der Troika immer wieder betont. Auch ihre Anleihe-Aufkäufe bindet die EZB an die neoliberalen Bedingungen des ESM.

Die Politik der EZB stößt in Deutschland auf Widerstand. Bundesbank-Chef Jens Weidmann stimmte als Einziger im EZB-Rat gegen den Plan Draghis, Staatsanleihen zu kaufen und damit die hohen Zinsen für Italien und Spanien zu drücken. Steht Draghi ein schwieriger Auftritt in Berlin bevor?

Ja. Aufgrund der krankhaften Inflationsparanoia wird Draghi in Deutschland von sehr vielen Seiten angegriffen. Jenseits dieser vordergründigen Attacken hat Draghis Programm zum Ankauf von Staatsanleihen den europäischen Regierungen und insbesondere der Bundeskanzlerin aber vor allem Luft verschafft. Merkel weiß, dass die Versorgung von Banken mit Liquidität zwar unpopulär, aber nötig ist. Die spannende Frage ist: Wird Merkel ihm deshalb im Hintergrund den Rücken stärken, damit er diese "Drecksarbeit" machen kann. Oder wird auch sie ihn öffentlich angreifen, weil das in der Union gut ankommt?

Der Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz kritisierte die Politik der EZB kürzlich in einem Interview scharf. Die Programme der EZB zur Bekämpfung der Eurokrise seien "reine Geschenke an die Banken" gewesen. Teilen Sie seine Meinung oder gibt es Alternativen?

Diese Sichtweise ist zu einseitig. In einer Krise muss der Staat den Banken notwendige Liquidität bereitstellen, weil sonst das Bankensystem zusammenbricht. Weil von funktionierenden Banken aber nicht nur indirekt die Gesamtwirtschaft, sondern vor allem direkt die Banken selbst profitieren, gehören die Banken in öffentliches Eigentum und unter gesellschaftliche Kontrolle, damit "die Geschenke" an die Banken letztlich an die Öffentlichkeit fallen.

Draghi arbeitete von 2002 bis 2005 für Goldman Sachs. Er ist außerdem Mitglied einer privaten Lobbyorganisation von Großbanken, der "Group of Thirty". Wie unabhängig muss ein EZB-Präsident sein?

Die EZB und ihr Präsident müssen unabhängig von den Banken sein, aber nicht unabhängig vom Gemeinwesen. Das ist leichter gesagt als getan, denn letztlich muss eine Zentralbank als Kreditgeber der letzten Instanz auch immer den Bankensektor mit der benötigten Liquidität versorgen. Das ist ein klarer Zielkonflikt, der nur zu überwinden ist, wenn die Banken selbst in öffentlicher Hand sind und somit die Unterstützung für die Banken nicht in private Taschen wandert. Die EZB ist umso unabhängiger von den Banken, je klarer der Gesetzgeber ihre Aufgaben vorgibt und je besser es eine Kontrolle der Zentralbank durch das Parlament gibt.

Welche Fragen möchten Sie Mario Draghi heute stellen?

Erstens will ich wissen, ob es überhaupt stimmt, dass bei einem Ausfall von Staatsanleihen zum Beispiel Griechenlands die entstehenden Verluste der EZB unmittelbar von den europäischen SteuerzahlerInnen übernommen werden müssen. Dazu gibt es bislang sehr unterschiedliche Einschätzungen. Auch möchte ich ihn fragen, wie er dazu steht, dass die EZB in Zukunft auch wachstums- und beschäftigungspolitische Ziele gleichrangig neben der Geldwertstabiltiät verfolgen soll. Und nicht zuletzt wäre es – auch und gerade für die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen – sicher sehr interessant von Draghi zu hören, wie die Diskussion um Inflationsbefürchtungen in den anderen Ländern der Euro-Zone geführt wird. Da scheint mir die Debatte in Deutschland nämlich mal wieder komplett am Sachverstand im Rest Europas vorbeizugehen.

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