Untaugliche Erfolgsmeldungen zur Eurorettung: Neue Krisen vorprogrammiert

Kommentar für die TAZ am 17.1.2014 von Rudolf Hickel

17.01.2014 / 17.01.2014

Die Euro-Macher, aber auch die Regierungschefs in den Krisenländern, sind mit einer Reihe von Erfolgsmeldungen nach dem Ausbruch der Eurokrise vor knapp vierzehn Jahren ins neue Jahr gestartet. Mario Draghi verkündet im Neujahrs-SPIEGEL, die Eu­rokrise sei noch nicht überwunden, aber es gäbe „viele ermutigende Zeichen“. Bundes­finanzminister Schäuble erklärt die „Ansteckungsgefahr“, also den Zusammenbruch des gesamten Kartenhauses durch einen einzigen insolventen Staat im Euroraum für ge­bannt. Irland hat sich aus dem autoritären Regime unter dem Rettungsschirm zurück­gezogen und bereits erfolgreich bei der Platzierung von Anleihen auf den Kapitalmärk­ten gepunktet. Wenn es auch eher politische Gründe gegenüber dem als bedrohlich wahrgenommenen Nachbarland Russland sind, Lettland ist am Neujahrstag als 18. Mit­gliedsland in den Eurowährungsraum aufgenommen worden. Gegenüber diesen eher zurückhaltenden positiven Meldungen zur Eurorettung erschrecken die Hurrameldun­gen aus den Geberländern, die durch die aufoktroyierte Schrumpfpolitik brutal in die Krise katapultiert worden sind. Spanien kündigt ein leichtes Wirtschaftswachstum als Lohn der Eurorettungspolitik an. Die Lobpreisungen der griechischen Regierung sind kaum noch zu toppen: Nach sechs Jahren Rezession wird erstmals für dieses Jahr ein leichtes Wirtschaftswachstum beschworen. Die EU-Kommission zusammen mit der Tro­ika – bekannt für viel zu optimistische Prognosen und die Unterschätzung der Krisen­wirkungen durch die Auflagenpolitik – wagt eine konkrete Prognose des wirtschaftlichen Wachstums mit real 0,6% in diesem Jahr. Hinzu kommt der peinliche Jubel über einen Primärhaushalt, bei dem die Einnahmen leicht über den Ausgaben liegen.

Dabei wird jedoch das zentrale Krisenproblem der Staatsschulden und damit die Belas­tung durch Zinsausgaben nicht berücksichtigt. Dann verkündet der griechische Premi­erminister auch noch die Rückkehr zu den Spekulanten auf den Kapitalmärkten. Aller­dings ist die Widersprüchlichkeit kaum noch zu steigern: Den völlig übertriebenen Er­folgsphantasien steht die Forderung nach einer dritten Tranche einer Kredithilfe mit über mehr als 10 Mrd. ¤ gegenüber.

Euroeuphorie: Gefährliches Ablenkungsmanöver

Die Absichten dieser Jubelausbrüche sind unbestreitbar: Die bisherige Rettungspolitikwird als erfolgreich gerechtfertigt. Die Übernahme der staatlichen Anschlussfinanzie­rung bei zu tilgenden Staatsschulden zusammen mit der unerbittlichen Konditionierung, in staatlichen Haushalten tiefgreifend zu kürzen, Massensteuern zu erhöhen sowie die Privatisierung öffentlichen Vermögens voranzutreiben und Lohnkürzungen durchzuset­zen, erscheint im positiven Licht. Und daraus wird geschlussfolgert: Diese Politik mit Kredithilfen gegen Schrumpfpolitik müsse konsequent fortgesetzt werden. Begründet wird ohne Rücksicht auf die Misserfolge und den hohen gesamtwirtschaftlichen Preis ein Weiterso der bisherigen Europolitik. Diese Schlussfolgerung unterstützt auch die Große Koalition in Berlin allerdings mit versöhnlerischen Tönen gegenüber Griechen­land. Eine kritische Bewertung der bisherigen Belastungen durch das Eurorettungsdiktat sowie eine Neuausrichtung der künftigen Politik kommt im Koalitionsvertrag nicht vor.

Die bittere Wahrheit: Absturz der Ökonomie, Arbeitslosigkeit und massenhafte Armut

Frei von politischen Macht- und Rechtfertigungsinteressen im Klima der bald wieder herzustellenden „segensreichen“ Marktkräfte zeigt sich ein ganz anderes Bild. Die als Gegenleistung für die Aufnahme unter den Rettungsschirm erzwungene Auflagenpolitik hat aktiv die ohnehin schwachen Wirtschaften in den Nehmerländern endgültig in die Knie gezwungen.

Dazu das Beispiel Griechenland: Sechs Jahre hintereinander ist die gesamtwirtschaftli­che Produktion gesunken, und die Wirtschaftsstruktur hat stark gelitten. Das war ein Ergebnis der knallharten Schrumpfkur. Vom dadurch erreichten Tiefstniveau der Pro­duktion aus kann ein ausschließlich über den Griechenlandtourismus generierter kleiner Zuwachs an Wertschöpfung eine positive Wachstumsrate erzeugen. Selbst ein kleiner absoluter Zuwachs vom tiefen Produktionsniveau aus führt rein rechnerisch zu einer positiven Wachstumsrate. Diese Hoffnung auf den Wechsel von der Depression in die Phase wenigstens eines Miniwachstums gehört ins Arsenal der Propagandasprüche. Das Miniwachstum ist Ausdruck des tiefen Absturzes. Die Realeinkommensverluste, die sich auf 37% addieren, lassen eine lang anhaltende tiefe Krise der Binnenwirtschaft erwarten. Vor allem die Zahl der Arbeitslosen signalisiert die ökonomische und soziale Wahrheit: Ende letzten Jahres ist in Griechenland die Rekordarbeitslosigkeitsquote mit 28,7% erreicht worden. In Spanien beträgt die Jugendarbeitslosigkeit über 50%. Zu den Skandalen dieser Rettungspolitik gehört der Sozialabbau, der bis in die früheren Mittel­schichten die Armut hat ansteigen lassen. Soziale Standards nach der Europäischen Grundrechtscharta sind nicht eingehalten worden. So ist die inhumane Gesundheitsge­fährdung die Folge der Streichung etwa von Beihilfen für Medikamente für einen Krebs­kranken. Aber auch die öffentlichen Haushalte sind zusammengebrochen. Weil die wirt­schaftliche Produktion stärker zurückgegangen ist als die öffentliche Neuverschuldung abgebaut werden konnte, sind die gesamten Staatsschulden bezogen auf das Bruttoin­landsprodukt Ende letzten Jahres auf 176,2 % gestiegen. Das durch die Geldgeber vor­gegebene Ziel, 2022 die Zielmarke 110% zu erreichen, ist realistischerweise nicht er­reichbar. Die Wirklichkeit lehrt, die bisherige Rettungspolitik muss durch einen Auf- und Umbau der Wirtschaft in den Krisenstaaten abgelöst werden.

Die Euro-Systemkrise an den Wurzeln anpacken

Denn die grundlegende Dynamik der Eurokrise ist längst nicht überwunden. Darüber sollte die bisher recht erfolgreiche Rettungspolitik nicht hinwegtäuschen. Durch den Rettungsfonds und die klare Androhung von Gegenmaßnahmen durch die Europäische Zentralbank sind die Spekulanten aus dem Euroraum verbannt worden. Diese Maß­nahmen schaffen jedoch nur Zeitgewinn.

Auch ist der Euro in den wichtigsten Währungsfunktonen recht erfolgreich: Niedrige In­fla-tionsrate, starker Außenwert, attraktive Währungsanlage für Notenbanken, stabiler Währungsraum ohne Devisenspekulationen. Die Erfolge können jedoch im Zuge eines erneuten Ausbruchs der Systemkrise schnell gefährdet werden. Im Kern geht es um dieÜberwindung der ökonomischen Systemkrise, die bereits dem Maastrichter Vertrag ein­gepflanzt worden ist. Die teilnehmenden Wirtschaften entwickeln sich einerseits sehr unterschiedlich. Andererseits wird die Auseinanderentwicklung durch eine darüber ge­stülpte Einheitswährung mit einheitlichem Steuerungszins verstärkt. Dieser Gründungs­fehler muss durch eine Stärkung der Wirtschaftsstruktur mit dem Schwerpunkt Export­wirtschaft in den schwachen Ländern korrigiert werden. Das Stichwort heißt Marshall­plan als klare Alternative zur aktuellen Austeritätspolitik. Dazu muss Deutschland end­lich die durch niedrige Lohnstückkosten erreichte außenwirtschaftliche Dominanz im Euroraum abbauen und dagegen die private und öffentliche Binnennachfrage aus­bauen. Erfolgreiche Schuldenschnitte zu Lasten der Gläubiger von Staatsanleihen ge­hören dazu. Entlastend kann auch ein EU-Schuldentilgungsfonds genutzt werden, der mit einer Vermögensabgabe finanziert wird. Schließlich muss endlich mit Eurobonds die künftige Schuldenpolitik vergemeinschaftet werden. Es ist schlichtweg Unsinn, dass sich die Krisenländer mit hohen Kapitalmarktzinsen nationalstaatlich finanzieren müs­sen. Dadurch ließe sich auch der Einsatz von Rettungsfonds zugunsten der Eurostabili­sierung reduzieren. Die EZB hat mit ihrer eingelösten doppelten Aufgabe gezeigt, die Eurokonjunktur zu stärken und den Währungsraum mit unkonventionellen Maßnahmen zu stabilisieren, was erfolgreiche Verantwortung für das Gesamtsystem heißt.

Eine schonungslose Analyse der wahren Ursachen der Eurokrise und eine daraus ab­geleiteten Politik der Stärkung der Währungsunion zusammen mit dem Aufbau einer Wirtschafts- und Finanzunion sind dringend geboten. Denn die Folgen der ökonomi­schen Systemkrise befördern eine brandgefährliche politische Krise. Vertrauen und poli­tische Akzeptanz schwinden. Die Feindseligkeit zwischen den Geber- und Nehmerlän­dern nimmt gefährliche Ausmaße an. Nationalistische Parolen machen sich nicht nur in den rechtslastigen Parteien bemerkbar. Derzeit haben die Geberländer nur die „nationa-le Brille“, mit der die Europrobleme reduziert werden, auf der Nase. Noch gefährlicher wird es, wenn der Ausstieg aus dem Euro und damit ein Zurück zu nationalen Währun­gen bzw. Währungsverbünden gefordert werden. Ohne umfassende Aufklärung für denEuro als Währungsbasis einer sozialen und ökologischen Ökonomie droht bei den Wah­len zum Europarlament eine gefährliche Renationalisierung.