Freihandelsabkommen mit den USA

Von Dr. Jürgen Glaubitz

25.02.2014 / www.verdi-bub.de, Februar 2014

Die USA und die EU verhandeln seit einiger Zeit über ein Freihandelsabkommen. Zollfreier Handel mit gleichen Standards ist das Ziel. Entstehen würde ein riesiger Wirtschaftsraum zwischen Los Angeles und Bukarest mit 850 Millionen Verbrauchern. An dem Projekt scheiden sich indes die Geister: Für die einen ist es ein Garant für mehr Wohlstand und Hunderttausende Arbeitsplätze. Für die anderen ist das geplante Abkommen nichts anderes als ein Einfallstor multinationaler Konzerne. Gegner und Befürworter liegen im Clinch. Fluch oder Segen? Wird der Wohlstand breiter Massen erhöht oder nur der Profit mächtiger Unternehmen? Drohen den Verbrauchern in Europa schon bald Chlorhühnchen, Hightechpflanzen, Klonfleisch und Hormon-Doping?

TTIP
Hinter dem Kürzel TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership; deutsch: Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen) verbirgt sich das größte Handelsabkommen der Geschichte. Der besagte Wirtschaftsraum (neben den USA und der EU auch Kanada und Mexiko, die EFTA-Staaten Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island) umfasst 44 Prozent der Weltproduktion, 60 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen und 42 Prozent der globalen industriellen Wertschöpfung. Gleichzeitig arbeiten und leben hier aber nur 12 Prozent der Weltbevölkerung (Angaben: ver.di, Abt. Wirtschaftspolitik).


Worum geht es bei den Verhandlungen?
Ziel ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen einer Vielzahl von Staaten Nordamerikas und Europas. Verhandelt wird seit Mitte 2013; auf europäischer Seite verhandelt die EU-Kommission. Chefunterhändler sind der US-Handelsbeauftragte Michael Froman und der EU-Handelskommissar Karel de Gucht.

Die Kommission hofft, dass das Abkommen bis 2015 steht. Zustimmen müssen alle 27 EU-Staaten und das Europaparlament. Im Fall einer Einigung entstünde ein mächtiger Wirtschaftsblock gigantischen Ausmaßes.

Vordergründig geht es bei den Verhandlungen um den Abbau von Zöllen zwischen den USA und Europa, also um die Reduzierung von sog. „tarifären“ Handelsbarrieren. Im Zentrum stehen aber vor allem die sogenannten nichttariflichen Handelshemmnisse. Das sind im Wesentlichen politisch gewollte Regulierungen zu Produktqualität und Produktionsbedingungen.

Aus Sicht der USA geht es darum, ihre Einflusssphäre weltpolitisch weiter zu festigen und zu vergrößern. Ihre einheimische Industrie und insbesondere die Landwirtschaft wittern neue Absatzchancen. Aus Sicht der europäischen Befürworter geht es zudem darum, „gemeinsam mit Nordamerika ein Gegengewicht zu den aufstrebenden Wirtschaftsmächten China und Indien zu bilden“ (Die Zeit vom 7.2.2014).


Zum aktuellen Stand
Die USA drängen, um die Verhandlungen zu beschleunigen. Zuletzt waren diese ins Stocken geraten. Ein Streitpunkt unter vielen ist die Landwirtschaft: Hier geht es u.a. um den Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen und um Fleisch hormonbehandelter Tiere.

Im Januar 2014 kam es zu einer Verhandlungspause. Anlass war der Streit um die sogenannten Investitionsschutz-Klauseln. Zu diesen umstrittenen Klauseln soll nun eine öffentliche Befragung stattfinden.

Das Freihandelsabkommen wird mittlerweile in Europa zunehmend kritisch gesehen und unpopulärer. Globalisierungskritische Gruppen haben ihre Anhänger gegen das Abkommen mobilisiert.

In der deutschen Politik gibt es sehr unterschiedliche Positionen. Während Bundeskanzlerin Merkel für ein solches Abkommen wirbt und der Bundeswirtschaftsminister Gabriel (SPD) warnt, das Abkommen nicht „kaputt zu reden“, sehen die Grünen „Chancen und Risiken“. Die Linkspartei lehnt das Abkommen rundweg ab.

  • „Das Freihandelsabkommen ist für Europa, für Deutschland, eine Riesen-Chance“ (Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, europe-online-magazine vom 3.2.2014).
Spitzenpolitiker der EU und der USA sind derzeit bemüht, Bedenken auszuräumen und Optimismus zu verbreiten. Die Verhandlungen seien auf einem „guten Weg“, heißt es da. Der Verhandlungsführer auf europäischer Seite, de Gucht, versicherte unlängst, „europäische Standards würden nicht aufgeweicht“ (ARD.de vom 18.2.2014). Es werde keine geringeren Standards geben, so der EU-Handelskommissar weiter, weder beim Verbraucherschutz noch bei Umwelt- und Datenschutz oder bei der Nahrungsmittelsicherheit. Genau das aber befürchten die Kritiker.


Was versprechen die Befürworter?
Die Befürworter des Freihandelsabkommens versprechen viel, vor allem mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze und sinkende Preise infolge des erhöhten Wettbewerbs. Die EU-Kommission geht davon aus, dass durch dieses Abkommen das Bruttoinlandsprodukt in Europa langfristig um 0,27 bis 0,48 Prozent wachsen könnte. Das Handelsvolumen zwischen den USA und Deutschland könne sich sogar verdoppeln, heißt es. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung prognostiziert ein Plus von 181.000 Arbeitsplätzen in Deutschland und 1,1 Millionen in den USA – und zwar über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren verteilt. Untersuchungen des ifo-Instituts kommen zu weitaus niedrigeren Zahlen.

Die behaupteten positiven Effekte werden von verschiedener Seite in Frage gestellt: Sie seien das optimistischste Szenario, und zudem über einen sehr langen Zeitraum gerechnet. Der DGB weist darauf hin, dass solche Studien oft auf unrealistischen Angaben beruhen. Andere werden noch deutlicher: Die avisierten Arbeitsplatzzahlen seien nichts anderes als übliche „Propaganda“ (Prof. Max Otte).


Was sagen die Kritiker?
Die Kritik an dem geplanten Freihandelsabkommen kommt von Verbraucherschutzorganisationen, Verbänden, Gewerkschaften und Politikern verschiedener Parteien. Ihre Kritik zielt auf mehrere wesentliche Punkte:

Geheimniskrämerei
Kritisiert wird, dass das Abkommen hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Ausgeschlossen sind u.a. Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltverbände sowie Nichtregierungsorganisationen aus den betroffenen Ländern. Während die kritische Öffentlichkeit konsequent ausgeschlossen wurde, hat man den Konzernen Tür und Tor geöffnet: Mehr als 600 Vertreter der Wirtschaftslobby können seit Monaten ihre Positionen und Vorschläge bei den Verhandlungen einbringen.

Kritiker sprechen deshalb zu Recht von mangelnder demokratischer Legitimation und Geheimniskrämerei. Das Abkommen wird „intransparent und unter Einbeziehung von Industrielobbyisten ausgemauschelt“ (Monitor, Ausgabe vom 31.1.2014).

Chlorhühnchen und Hormonfleisch
Es gibt eine Vielzahl inhaltlicher Kritikpunkte. Die Organisatoren von Compact haben u.a. folgende Themen aufgelistet:

  • TTIP höhlt Demokratie und Rechtsstaat aus: Ausländische Konzerne können Staaten künftig vor nicht öffentlich tagenden Schiedsgerichten auf hohe Schadenersatzzahlungen verklagen, wenn sie Gesetze verabschieden, die ihre Gewinne schmälern.
  • TTIP öffnet Privatisierungen Tür und Tor: Das Abkommen soll es Konzernen erleichtern, auf Kosten der Allgemeinheit Profite bei Wasserversorgung, Gesundheit und Bildung zu machen.
  • TTIP gefährdet unsere Gesundheit: Was in den USA erlaubt ist, würde auch in der EU legal – so wäre der Weg frei für Fracking, Gen-Essen und Hormonfleisch. Die bäuerliche Landwirtschaft wird geschwächt und die Agrarindustrie erhält noch mehr Macht.
Landet schon bald das Chlorhühnchen auf unseren Tellern? (Chlorhühner: Das Fleisch geschlachteter Hühner wird in den USA im Chlorbad desinfiziert. Die EU lehnt dieses Verfahren ab.)

Investorenschutz
Es geht natürlich um mehr als das mittlerweile schon berüchtigte Chlorhuhn. Ein wesentlicher Kern der Kritik dreht sich um die sogenannte Investitionsschutzklausel. Damit nämlich könnten Konzerne ihre Interessen gegenüber Staaten durchsetzen. Sie sollen davor geschützt werden, dass sie in ihrer unternehmerischen Hoheit eingeschränkt werden, weil sie ggf. nationale Regelungen (zum Beispiel Arbeitnehmerschutz) einhalten müssen. Für strittige Fälle sollen sie ein Klagerecht erhalten.

Mit anderen Worten: Konzerne sollen Klagemöglichkeit erhalten, wenn neue Umwelt- oder Sozialgesetze ihre Gewinnerwartungen schmälern. Ausländische Unternehmen könnten auf diesem Weg nationale Standards aushebeln. Profitinteressen von Multis würden damit über das Recht souveräner Staaten gestellt.

  • „Die Kritiker sorgen sich vor der Total-Ökonomisierung, die Europa, Wiege der Demokratie, zum Wilden Westen werden lässt, in dem Verbraucher keinen Schutz genießen und sich Großkonzerne schamlos bereichern können“ (Rheinische Post vom 4.2.2014).
Fazit
Es gibt große Unterschiede zwischen den USA und den EU-Staaten in der Ausgestaltung und Regulierung der industriellen Beziehungen. In den USA gibt es vorwiegend niedrigere Standards als in Europa. Der DGB sieht mit Sorge, dass sechs der acht grundlegenden Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von den USA nicht ratifiziert worden sind.

Wegen der fehlenden Standards sind US-Produkte in der Regel billiger als europäische. Es könnte somit also zu einem massiven Verdrängungswettbewerb kommen. Zudem würden die niedrigeren Preise mit höheren gesundheitlichen Risiken bezahlt.

  • „Dieses Wegkonkurrieren von Qualitätsstandards wird auch die arbeitsrechtlichen, sozialen und ökologischen Mindestregulierungen schwächen“ (Hickel).
Compact schlussfolgert: „Das geplante Freihandels-Abkommen TTIP zwischen der EU und den USA dient den Interessen der Konzerne und nicht uns Bürger-/innen“. Die Nichtregierungs-Organisation hat 350.000 Unterschriften gesammelt. Compact fordert die EU-Kommission auf, die Verhandlungen zu stoppen:
  • „Keine Geschenke für Monsanto, BASF & Co. Das TTIP-Handelsabkommen soll Konzernen Profite durch Fracking, Chlorhühner, Gen-Essen und laxen Datenschutz erleichtern – und es bedroht Europas Demokratie“ (Compact).
Der Widerstand gegen das Freihandelsabkommen bezieht sich mittlerweile nicht nur auf den immer größer werdenden Einfluss der Konzerne, er dokumentiert auch ein zunehmendes Misstrauen gegen Brüssel.


Alternativen und Forderungen
Kritiker des geplanten Freihandelsabkommens wie Prof. Hickel wenden sich gegen „eine Globalisierung, bei der die Großinvestoren ohne Rücksicht auf soziale und ökologische Standards dominieren“. Notwendig sei ein politisch gestaltetes und kontrolliertes Modell der Globalisierung: „Hier soll die Harmonisierung von Arbeits-, Sozial- und Umweltrechten in einem Regelsystem für die Weltwirtschaft durchgesetzt werden. Dazu gehören einheitliche Mindeststandards, die von keinem Land unterschritten werden dürfen“ (taz vom 12.2.2014).

Der DGB fordert, dass ein solches Freihandelsabkommen, wenn es denn zustände käme, nicht zulasten der Beschäftigten und von Sozial- und Umweltstandards gehen dürfe. Wesentliche Forderungspunkte der Gewerkschaften sind u.a.:

  • Keine weitere Deregulierung des Dienstleistungsmarkts; öffentliche Dienstleistungen müssen komplett aus den Verhandlungen herausgenommen werden.
  • Ein umfassendes Klagerecht für Investoren ist abzulehnen. Ausländische Investoren dürfen keine Möglichkeit bekommen, Verfahren vor nichtstaatlichen Schiedsgerichten anzurufen.
  • Wirksamer Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher.
  • Soziale und ökologische Ziele müssen gleichrangig mit wirtschaftlichen Zielen verfolgt werden. Anpassung von Vorschriften und Standards jeweils auf dem höchsten Niveau.
Reiner Hoffmann, DGB-Vorstand: „Für die Gewerkschaften macht ein solches Abkommen nur dann Sinn, wenn es zu wirklichen Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen für die Bevölkerung dies- und jenseits des Atlantiks kommt“.