Troika attackiert Tarifsysteme

Böckler Impuls Ausgabe 2/2014

05.02.2014 / Hans-Böckler-Stiftung, 29.01.2014

Reallöhne und Tarifbindung gehen drastisch zurück, Flächentarife werden zerstört. Das ist das Resultat der Politik von Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds in Europas Krisenländern.

Bis zu einem Drittel ihres 2009 zunächst eingefrorenen Gehalts haben manche Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Griechenland inzwischen eingebüßt. Auf die Nullrunde vor fünf Jahren folgten 2010 Einschnitte von 12 bis 20 Prozent; von 2011 bis 2013 kosteten die Sparprogramme griechische Staatsbedienstete erneut bis zu 17 Prozent ihres Verdienstes. Das geht aus einer Aufstellung des WSI-Tarifexperten Thorsten Schulten hervor.[1] Für das Europäische Parlament hat der Forscher zusammengefasst, welche Folgen die Auflagen von EZB, EU und IWF für Lohnniveau und Lohnverhandlungen in Griechenland, Spanien, Portugal, Irland oder Zypern haben. Es zeigt sich: Die reale Kaufkraft der Bevölkerung ist erheblich zurückgegangen, Tarife und Mindestlöhne spielen eine immer geringere Rolle.

Das Ziel der sogenannten Troika aus Zentralbank, Kommission und Währungsfonds besteht darin, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer durch Senkung der Arbeitskosten zu verbessern - nach Schultens Analyse ein Unterfangen mit hohen sozialen Kosten. Zudem sei es wenig dazu geeignet, das Wirtschaftswachstum anzuregen.

Lohnsenkungen erfolgen auf zwei Wegen: Erstens durch direkte Eingriffe, also Kürzung der Bezüge von öffentlich Bediensteten und Einfrieren oder Absenken von Mindestlöhnen. Zweitens durch "Strukturreformen", die etablierte Mechanismen kollektiver Lohnfindung schwächen oder außer Kraft setzen.

Bei allen Unterschieden im Detail laufen die in den vergangenen Jahren beschlossenen Gesetze laut Schulten darauf hinaus,

  • eine Übertragung von erzielten Tarifabschlüssen auf andere Teile der Wirtschaft zu erschweren,
  • betrieblichen Lohnvereinbarungen Vorrang vor Flächentarifen zu geben,
  • Nachwirkungsfristen ausgelaufener Tarifverträge zu verkürzen,
  • Belegschaftsvertreter ohne gewerkschaftliche Bindung als Verhandlungspartner zuzulassen.

In Griechenland gab es 2010 noch 65 Flächentarifverträge, heute sind es nur noch 14. Die Zahl der betrieblichen Lohnvereinbarungen ist dagegen in die Höhe geschossen - 80 Prozent davon führten zu einer Kappung der Verdienste. In Portugal arbeiten statt 1,9 Millionen heute nur noch knapp 330.000 Beschäftigte mit Flächentarifvertrag. In Spanien ging die Zahl von 12,0 Millionen auf 4,6 Millionen zurück.

Die Troika erzeuge auf diese Weise einen "starken Lohndruck, der eine Deflationsspirale mit sehr schädlicher Wirkung auf die Güternachfrage auslöst", warnt der WSI-
Forscher.

[1] Thorsten Schulten: The impact of the Troika policy on wages and collective bargaining, öffentliche Anhörung des Europäischen Parlaments zu den sozialen Folgen der Troikapolitik, 9. Januar 2014 Link zum Vortrag unter boecklerimpuls.de