"Patriarchale Bankrotterklärung"

Von Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

03.12.2013 / www.linksfraktion.de, 02.12.2013

Der Koalitionsvertrag ist ein Totalausfall bei der Bekämpfung des Gender Pay Gaps, der Lohn- und Einkommensungerechtigkeit gegenüber Frauen. Die 23 Prozent geringere Bezahlung der Frauen wird auf 185 Seiten nicht einmal erwähnt. Die sozialdemokratischen Wahlkämpferinnen und -kämpfer gegen das Betreuungsgeld und für die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben sind verstummt. Was sollen sie auch verkünden?

Das Vorzeigeprojekt der SPD, der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro ist auf 2017 verschoben. Millionen Beschäftigte, zumeist Frauen, erhalten weiter Löhne, von denen sie nicht leben können. Auch ein Entgeltgleichheitsgesetz stand im SPD-Wahlprogramm. Der politische Löwensprung zur Überwindung des Gender-Pay-Gap landet als betrieblicher Bettvorleger: "Wir wollen eine Initiative gemeinsam mit den Tarifpartnern starten, um die Muster von struktureller Entgeltungleichheit in Tarifverträgen zu erkennen und zu überwinden." Diese patriarchale Bankrotterklärung wird mit einem „individuellen Auskunftsanspruch“ versüßt. Da werden sicher um die 23 Prozent Unterschied herauskommen, je nach Branche, nur wird mit diesem wiederholten Erkenntnisgewinn keine Lohndiskriminierung von Frauen überwunden. Da werden im Laufe eines Erwerbslebens den Frauen Einkommen im Gegenwert von Einfamilienhäusern vorenthalten, und die politische Lösung soll sein, dass Frauen diesen Lohnraub ab jetzt individuell erfragen dürfen. So bleibt natürlich die auch versprochene Aufwertung von Pflegeberufen schön unverbindlich.

Besonders gern beschäftigte sich die Öffentlichkeit vor der Wahl mit der Quote in Führungsetagen. Nun haben wir eine Miniquote, statt des Wahlversprechens der SPD von 40 Prozent. Mini sind nicht nur die 30 Prozent, sondern auch die Geltung für gerade einmal 200 mitbestimmungspflichtige „und“ börsennotierte Aufsichtsräte. Mit einem „oder“ hätte diese Regelung wenigsten für 2000 Aufsichtsräte gegolten. Stattdessen kann der große Rest der Vorstände und Aufsichtsräte mit Zielquotenvereinbarungen weiterwurschteln wie bisher.

Entgegen allem Wahlkampfgetöse: Das Betreuungsgeld hat es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Das Geld fehlt weiterhin bei der Garantie des Rechtsanspruches auf einen Kita-Platz. Das fangen auch Neuauflagen von Investitionsprogrammen nicht auf.

Die „Mütterrente“, die auch für Väter gilt, bleibt ein Pflaster gegen die Rentenarmut von Frauen. Mit dem Blick auf weibliche Erwerbsbiografien ist die sanfte Abkehr von der Rente ab 67 eher eine absurde Lösung: Rente ab 63 bei 45 Beitragsjahren ist bei Frauen eher selten.

Bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen setzt die Große Koalition auf ein – noch nicht einmal evaluiertes – Hilfetelefon. Der politisch entscheidende Problemstau, die Finanzierung der Frauenhäuser, die Entbürokratisierung des Zugangs zu Schutzräumen bleibt unbearbeitet. Hingegen ist der Abschnitt zur Prostitution meisterhafte Ideologie, indem nicht die Verbesserung der Arbeitsstandards für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter behandelt werden, sondern sexuelle Dienstleistungen ausschließlich unter der Bekämpfung von Menschenhandel firmieren. Doch wer gehofft hatte, dass hier der EU-Richtlinie entsprochen wird, dass Strafverfahren unabhängig von der Aussagebereitschaft der Opfer werden, sieht sich in den geltenden unhaltbaren Zustand zurückversetzt: „Für die Opfer werden wir unter Berücksichtigung ihres Beitrags zur Aufklärung, ihrer Mitwirkung im Strafverfahren sowie ihrer persönlichen Situation das Aufenthaltsrecht verbessern sowie eine intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung gewährleisten.“ Obendrauf wird die heiß diskutierte Freier-Bestrafung bei wissentlicher Ausnutzung von Zwangsprostitution gepackt. Deren Nachweisbarkeit steht in den Sternen, ist allerdings auch ohne den Koalitionsvertrag verfolgbar.

Last but not least: Bei Frauen in Konfliktgebieten gibt es kein Wort zur Finanzierung des Nationalen Aktionsplanes. Ähnlich nichtssagend ist der Koalitionsvertrag, wenn es um die Rechte von Frauen und Mädchen in der Entwicklungszusammenarbeit geht: „Wir wollen die Gleichstellung von Frauen und Männern und die Durchsetzung der Rechte von Mädchen und Frauen zu einer Querschnittsaufgabe deutscher Entwicklungszusammenarbeit machen.“

Die Anerkennung unterschiedlicher Lebensweisen, die allen Geschlechtern mehr Zeit für berufliche und persönliche Selbstentfaltung, Bildung, das Leben mit Kindern und anderes lassen, ist bei den Koalitionsparteien noch nicht angekommen. Das werden sich Frauenverbände, die politische und gesellschaftliche Opposition, Familien, Mütter und Väter nicht bieten lassen. DIE LINKE lädt ein zu einem feministischen Dialog über eine zeitgemäße Politik für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit. Drei von unseren fünf ersten Initiativen nach der Bundestagswahl sind Anträge und Gesetzentwürfe, die deutlich für mehr Geschlechtergerechtigkeit sorgen und schon längst – ginge es nach den Wahlversprechen – parlamentarische und gesellschaftliche Mehrheiten hätten. Dazu gehört die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2014, die Abschaffung des Betreuungsgeldes, um die dafür im Haushalt eingestellten Mittel in den Ausbau der Kita-Infrastruktur umzuleiten und die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben.