Abrupt abgehängt

Von Lukas Grasberger

14.02.2013 / Magazin Mitbestimmung Ausgabe 01+02/2013

Pol Alonso wusste, dass es der erdenklich schlechteste Zeitpunkt war, sein Studium zu beenden. Gerade hatte die spanische Regierung milliardenschwere Kürzungen bei Schulen und Unis beschlossen, da bewarb sich der frischgebackene Mikrobiologe bei Hochschulen. Bald weitete er seine Suche auf Unternehmen aus. Ein halbes Jahr später sucht der spanische Mittzwanziger noch immer: "Es gibt Tage, da kotzt es mich richtig an. Aber wenigstens bin ich damit nicht allein", sagt Pol mit Galgenhumor in der Stimme. Die Krise ist allgegenwärtig im Leben junger EU-Bürger. Pol ist einer von 5,7 Millionen jungen Erwachsenen, die nach Angaben der Europäischen Kommission einen Arbeitsplatz suchen.


Pol Alonso aus Rubí bei Barcelona hätte einiges zu erzählen gehabt auf der Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin unter dem Motto "Jung, europäisch, sucht . Ist die Politik machtlos gegenüber der Jugendarbeitslosigkeit in Europa?" Forscher diskutierten dort die Ergebnisse ihrer Länderstudien, die sie im Auftrag der FES für etliche europäische Länder erstellt haben. Ihr Fazit: Von der Wirtschaftskrise sind Jugendliche viel stärker betroffen als Erwachsene.

Nicht nur in südlichen Krisenstaaten wie Spanien, Griechenland oder Italien, auch in den baltischen Ländern sei der "Anstieg teilweise dramatisch ausgefallen", kommentierte Hans Dietrich vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf der Konferenz die Ergebnisse seiner Überblicksstudie über die Lage in der EU. Selbst bei Europas Musterschülern in Sachen Beschäftigung, wie Luxemburg oder Schweden, liegt die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen mehr als dreimal so hoch wie bei Erwachsenen. "Die Krise hat unterschiedlichste strukturelle Probleme offengelegt, die sich über einen längeren Zeitraum aufgebaut haben", sagt IAB-Forscher Dietrich. Dazu kommt eine politisch forcierte Deregulierung der Arbeit, die jungen Beschäftigten kurzfristig half, sich aber im konjunkturellen Abschwung als Bumerang erweist.

In Spanien verführte das schnelle Geld mit Kurzzeitjobs vor allem junge Männer scharenweise dazu, die Schule abzubrechen und sich auf dem Bau zu verdingen: Fast 60 Prozent aller Stellen, die junge Beschäftigte seit 2008 verloren, waren befristet. Oder sie verschlimmerten die Krisenfolgen, wie in Italien. Das aus Rezessionen bekannte Prinzip, nachdem zuletzt Eingestellte als Erste gehen müssen, habe sich durch die Befristung verstärkt, analysiert Francesco Pastore, Professor für Wirtschaft an der Universität von Neapel, in seiner Studie. Nach der Statistik sind fast zwei Drittel aller Arbeitslosen in Italien Berufsanfänger, dazu ist die Übergangsdauer von der Ausbildung in eine feste Beschäftigung die längste aller Industrienationen. Auf der FES-Konferenz nannte Pastore eine erschreckende Zahl: Mehr als vier Jahre lang hangeln sich italienische Absolventen über Praktika, befristete Jobs und Phasen der Arbeitslosigkeit bis zum ersten Job.

EINE VERLORENE GENERATION

In vielen Ländern droht das Menetekel einer "verlorenen Generation" Wirklichkeit zu werden - das ist das Bild, das die Forscher in Berlin von der Lage zeichneten. Die Dauer der Jugendarbeitslosigkeit nimmt zu - eine fatale Entwicklung, denn man weiß, dass sich frühe Langzeitarbeitslosigkeit negativ bis lang in das spätere Berufsleben auswirken kann. Dramatisch gewachsen ist auch die Zahl der EU-Bürger unter 25, die nichts (mehr) tun, die resigniert haben: Die Zahl derjenigen ohne Ausbildung, Arbeit oder Schulung umfasst 7,5 Millionen. Abrupt abgehängt sehen sich vor allem arbeitslose Jugendliche in südlichen Ländern. Die Härten abzufedern liege vor allem in den Händen der Familie.

Pol, der arbeitslose spanische Uni-Absolvent, fühlt sich von der Arbeitsverwaltung "ziemlich alleingelassen". Orientierungsangebote der öffentlichen Arbeitsverwaltung? Fehlanzeige. "Diese Institution und die Uni, die wissen nichts voneinander." Zwei Drittel der spanischen Schulabgänger studieren - in einem System, das zu viel und zu lange ausschließlich auf theoretisches Wissen setzt. Auch in Italien bekommen 75 Prozent der Jugendlichen einen Schulabschluss, der sie zum Studium berechtigt, was zu einer hohen Quote an Studierenden führt. Doch über die Hälfte bricht die Hochschulausbildung vorzeitig ab. Anders als in nördlichen EU-Ländern erfolge die Selektion im italienischen Bildungssystem erst während des Studiums, so Pastore. Praktika in Firmen seien dagegen Mangelware: "Wir haben beschlossen, den Übergang von der Ausbildung in den Beruf nicht zu organisieren, sondern dem Markt zu überlassen", sagte der italienische Experte in Berlin.

Junge Beschäftigte würden zur Verfügungsmasse in einer Wirtschaft, die auf deregulierte und prekäre Jobs setze, schloss sich der spanische Arbeitsmarktexperte Fernando Rocha diesen Thesen an. In guten Zeiten habe die Jobmaschine funktioniert, die vor allem in der Bauwirtschaft gering qualifizierte Arbeiter förmlich aufsaugte. Die kurzzeitigen Profiteure, Jugendliche mit dem niedrigsten Ausbildungsniveau, seien nun die verwundbarsten Opfer der Krise, kritisierte Rocha, der für die gewerkschaftsnahe Fundación 1o de Mayo die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien untersucht hat.

Es mangle an "schneller, umfassender und individueller Betreuung". Die Arbeitsverwaltung müsse gestärkt, Aus- und Weiterbildungen aktiv angeboten werden, damit Schulabschlüsse nachgeholt werden könnten, appellierte Rocha an seine Regierung. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, fokussiert auf die Anforderungen vor Ort, könnte hier "Feuerwehr spielen" - doch im Zuge der staatlichen Streichmaßnahmen hat die Regierung die Mittel dafür um 21 Prozent gekürzt: Tausende Berufsberater wurden und werden entlassen.

Mehrere der südlichen Krisenstaaten wollen in Zukunft auf eine betriebliche und praxisnahe Ausbildung setzen. Öffentlichkeitswirksam starteten die deutsche Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und ihre Kollegin Elsa Fornero in Italien ein Pilotprojekt, um eine duale Ausbildung nach deutschem Vorbild zu etablieren. Auch Spanien will wesentliche Elemente dieses Modells kopieren und hat dazu im Herbst ein Gesetz verabschiedet. Doch Arbeitsmarktforscher und Praktiker warnen vor zu hohen Erwartungen. Denn das deutsche Modell lässt sich nicht einfach in südliche Krisenländer verpflanzen. Es wurzelt in wirtschaftlichen, sozialen und Bildungs-Traditionen, es wächst auf Grund von besonderen Voraussetzungen und Bedingungen.

praxisanteil nur 20 Prozent_ Die spanische Berufsausbildung, die nach deutschem Vorbild reformiert werden soll, hat derzeit einen schlechten Ruf. "Dort gehen die Jugendlichen hin, die sonst keine andere Möglichkeit haben", sagt Bernhard Iber beim telefonischen Interview mit der "Mitbestimmung". Iber kennt das spanische Berufsausbildungssystem gut, er sitzt im Vorstand der Aset, einer deutschen Auslandsberufsschule in Madrid, die die duale Ausbildung seit Jahren in Spanien anbietet und 1700 Lehrlinge ausgebildet hat. Kritisch sieht Iber das verschulte Konzept , in dem der Praxisanteil gerade einmal 20 Prozent beträgt.

"Das Niveau der beruflichen Ausbildung ist das niedrigste in ganz Europa", kritisiert auch sein spanischer Kollege Rocha. Verantwortlich hierfür macht er auch den geringen technischen Entwicklungsgrad der spanischen Firmen, von denen mehr als die Hälfte gerade einen oder zwei Mitarbeiter hat. Die Mentalität, Jugendliche lediglich als billige Handlanger zu sehen, ist laut Francesco Pastore auch in Italien weit verbreitet: Viele Fachberufe bieten überhaupt keine Lehre an.

Die Europäische Kommission hat im Dezember die Einführung einer sogenannten Jugendgarantie vorgeschlagen. Die EU-Mitgliedstaaten sollen sich verpflichten, jungen Arbeitslosen unter 25 binnen vier Monaten einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz oder zumindest eine Trainingsmaßnahme zur Verfügung zu stellen. Vorbild ist Österreich, wo es seit 2008 eine Ausbildungsgarantie gibt. Die Idee begrüßten Experten auf der FES-Konferenz zwar überwiegend; schnell wurden jedoch Zweifel über die Verbindlichkeit bei Finanzierung und Umsetzung laut. "Eine Jugendgarantie macht in Europa ja nur Sinn, wenn ich die leidige Frage kläre: Wer zahlt das?", sagte SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Barthel auf dem Podium. Die EU müsse sich um Mechanismen zur Umsetzung dieser Garantie kümmern - wie die Verpflichtung von Unternehmen, eine bestimmte Zahl von Ausbildungsplätzen zur Verfügung zu stellen. Schließlich müssten die Jugendlichen nach einer solchen Ausbildung per Garantie Anschluss im Beschäftigungssystem finden. Anerkannte Zeugnisse und Zertifikate seien unabdingbar. "Wir sind reich in der Finanzierung von Sackgassen und Warteschleifen."

SUCHE NACH WIRTSCHAFTSWACHSTUM

Selbst die beste Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik kann kein Wirtschaftswachstum ersetzen - da waren die Experten auf dem Podium der FES-Konferenz rasch einig. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat mittlerweile einen eigenen Vorschlag für ein Konjunktur-, Investitions- und Aufbauprogramm vorgelegt, der das Wachstum stimulieren soll - mit dem Titel "Ein Marshallplan für Europa". Finanziert werden soll er durch eine einmalige Vermögensabgabe von drei Prozent auf Vermögen ab 500.000 Euro sowie zehnjährige Anleihen der EZB - die Zinsen sollen nach Finanztransaktionssteuer bezahlt werden. Doch um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden, bräuchten die kriselnden Staaten nicht nur konjunkturelle Impulse, sondern vor allem auch wettbewerbsfähigere Unternehmen. "Wir brauchen eine makroökonomische Politik, die die Gesamtwirtschaft stimuliert; dazu spezielle Maßnahmen, um Industrie, Bildung und Innovation zu fördern", verlangt Fernando Rocha.

Eine solche Langfriststrategie müsse auf eine Transformation des spanischen Wirtschaftsmodells hinauslaufen - hin zu innovativeren Unternehmen mit höher qualifizierten Jobs. "Bisher setzte unser Modell im Wettbewerb darauf, Kosten und Preise zu drücken - und kaum auf Innovationsprozesse", räumt Rocha ein. Wissenschaftler sehen einen weiteren Hemmschuh für gute, qualifizierte Arbeit der Jungen: die massiven Einschnitte bei Forschung und Entwicklung. Dies werde den Braindrain, die Emigration junger Akademiker, verstärken. Auch Pol Alonso, der bereits einige Monate im Zuge des EU-Bildungsprogramms Leonardo in Wales war, will sich nicht mehr lange vergeblich auf Doktorandenstellen und Stipendien bewerben. "Ich gebe mir noch ein Jahr. Dann bin auch ich weg."

Einen weiteren interessanten Artikel von Agnes Alpers zum Thema finden Sie unter www.linksfraktion.de