Hunger: Die tägliche Katastrophe

Von Niema Movassat, für DIE LINKE Mitglied im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestages

17.10.2012 / 16.10.2012

Am Ende des heutigen Welternährungstages (Anm.: 16.10.2012) werden wieder 57 000 Menschen gestorben sein, weil sie zu wenig zu essen haben. Die Teller von über 870 Millionen Menschen werden leer bleiben, weil sie weder über eigenes Land zur Bewirtschaftung noch über ausreichend Geld für den Kauf von Nahrungsmitteln verfügen.

Die durchschnittlichen Preise für Getreide erreichten in diesem Monat ein Allzeithoch: Weizen und Mais sind so teuer wie noch nie. Die unerschwinglich hohen Preise für Grundnahrungsmittel sind keineswegs nur ein Ergebnis der steigenden Nachfrage. Weltweit produziert die Landwirtschaft genug für 12 Milliarden Menschen. Vielmehr ist die westliche Politik - auch die der Bundesregierung - für die permanente Hungerkatastrophe verantwortlich.

Die europäische Agrarpolitik, die jährlich mit Milliarden Euro subventioniert wird, zerstört durch massive Exporte künstlich verbilligter Nahrungsmittel die lokalen Märkte in den Ländern des Südens. Zugleich importiert die EU jährlich rund 21 Millionen Tonnen Sojamehl als Futtermittel für die massentierhaltenden Fleischfabriken. Die EU unterstützt die exzessive Nahrungsmittelspekulation an den Börsen und lässt Unternehmen bei großflächigem Landraub freies Spiel. Und als ob das nicht genug ist, werden wegen einer völlig verfehlten Energiepolitik Lebensmittel im Tank verbrannt. Diese Politik ist es, die das Menschenrecht auf Nahrung ständig torpediert.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen, um das Menschenrecht auf Nahrung umsetzen zu können, stellt der gesicherte Zugang zu Land und Wasser dar. Doch genau der wird seit einigen Jahren durch das Phänomen des Landraubs untergraben: Mit Kauf- oder Pachtverträgen über 99 Jahre sichern sich staatliche und private Investoren große Landflächen in den Ländern des globalen Südens. Das Land wird unter hohem Einsatz von Maschinen, Mineraldünger und Pestiziden bewirtschaftet -meist nicht für die örtliche Bevölkerung, sondern für den Bedarf des globalen Nordens. Die Menschen, die oft seit Jahrhunderten auf dem betroffenen Land leben, werden gewaltsam vertrieben oder als mies bezahlte Saisonarbeiterinnen und -arbeiter auf den neu angelegten Großfarmen eingesetzt. Der Landraub hat in den letzten Jahren eine Größenordnung von weltweit 203 Millionen Hektar erreicht – ungefähr die Landfläche von Westeuropa.

Hunger suggeriert Knappheit, und Knappheit verspricht hohe Preise. Die weltweiten Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel wie Weizen, Mais, Reis und Soja sind auch eine Folge von Nahrungsmittelspekulation, die in diesem Umfang erst durch die Deregulierung der Finanzmärkte möglich wurde - keine Zugangsbeschränkungen für Spekulanten, keine Obergrenzen, wie viele virtuelle Kontrakte auf zukünftige Ernten ein einzelner Spekulant halten darf, und kein Spekulationsverbot von Nahrungsmitteln für Rohstoffindexfonds. Stattdessen munteres Hochspekulieren der Preise auf Kosten der Ärmsten. Was das Einkommen nicht hergibt, muss der Magen entbehren.

Hinzu kommt auch die EU-Politik, die sich verbindliche Ziele für den Anteil erneuerbarer Energien gesetzt hat und diese vor allem durch alternative Kraftstoffe im Verkehrssektor zu erreichen versucht. Die benötigte Biomasse zur Herstellung von Agrokraftstoffen muss jedoch in die EU importiert werden. In Ländern des Südens werden Flächen geraubt, auf denen vormals Nahrungs- oder Futtermittel angebaut wurden. Nachdem lange Zeit die Relevanz der Agrokraftstoffe für den Hunger in Abrede gestellt wurden, beweist die Vielzahl der dokumentierten Fälle und der massive Anstieg der Anbauflächen für Energiepflanzen, auf wessen Kosten der Klimawandel aufgehalten werden soll.

Nahrungsmittelspekulationen stoppen, Agrarexportsubventionen stoppen, Landraub stoppen, den Import von Biomasse für Agrokraftstoffe stoppen! Das sind die wichtigsten Forderungen am heutigen Welternährungstag. Damit nicht weiterhin alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger stirbt.