Gier und Menschenrecht

Von Rudolf Hickel, Tageszeitung ND

30.01.2012 / 30.1.2012

Die Zukunft Griechenlands und wohl auch des Euro hängt vom freiwilligen Teilverzicht der Gläubiger ab. Auch durch politischen und öffentlichen Druck hatten zumindest die Banken und Versicherungen dies zugesagt. Der Verzicht hat nichts mit einer plötzlich entdeckten Verantwortungsethik zu tun. Vielmehr wissen die Gläubiger genau, dass ihre Verluste bei einer Totalpleite Griechenlands viel höher ausfallen würden.

Das diskutierte Modell sieht vor: 50 Prozent Verzicht auf die Anleiheforderungen von 200 Milliarden Euro, für weitere 15 Prozent Barauszahlung oder vom Rettungsfonds verbürgte Anleihen. Für die restlichen 35 Prozent sollen griechische Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit ausgegeben werden. Über den Zinssatz wird heftig gestritten. Je nach Ergebnis erwarten die Banken einen Forderungsverzicht von 70 bis 80 Prozent.

Mitten in die ohnehin schwierigen Verhandlungen kündigten einige besonders aggressive Hedgefonds an, sich nicht zu beteiligen. Ihr Anleihebestand wird auf 70 Milliarden geschätzt. Laut »New York Times« würden mit dieser Teilenteignung die Menschenrechte verletzt. Deshalb sei eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) unverzichtbar.

Den Anspruch auf unbegrenzte Profite als Menschenrecht einklagen zu wollen, würde aus Tätern Opfer machen. Es sind doch diese Geierfonds, die mit ihren skrupellosen Praktiken die Menschenrechte verletzen. Ihre Wetten mit Agrarrohstoffen treiben die Armut in armen Ländern nach oben. Zu dem Geschäftsmodell gehört auch der kreditfinanzierte Kauf von Firmen, die schnell ausgeschlachtet werden. Bisher Beschäftigte verlieren ihre Existenzgrundlage.

Im Fall Griechenland haben die Geierfonds mit dubiosen Anlagestrategien dafür gesorgt, dass sie in jedem Falle profitieren würden. Der Druck, eine Einigung zustande zu bringen, wird so groß sein, dass die »Heuschrecken« wohl nicht in den Schuldenschnitt einbezogen werden. Dann würden die derzeit mit einem Marktwert von unter 50 Prozent gehandelten Staatsanleihen zu 100 Prozent ausbezahlt werden. Auch bei einer Komplettpleite könnten die Hedgefonds über die eingekauften Kreditausfallversicherungen bis zu 100 Prozent des Anleihewertes erhalten.

Das Geschäft mit dem Elend ganzer Staaten ist nicht neu: So kaufte der US-Hedgefonds Donegal 1999 einen 15-Millionen-Dollar-Kredit Sambias auf dem Sekundärmarkt zum Spottpreis von 3 Millionen auf und verlangte für Tilgung, Zinsen und Verzug am Ende 55 Millionen. Eine gerichtliche Klage zwang Sambia, 17 Millionen Dollar auszuzahlen. Noch mehr Armut war der Preis für das menschenverachtende Geschäft.

Es bleibt nur zu hoffen, dass die Hedgefonds zum EuGH ziehen. In dem Verfahren ließe sich das Verhältnis von rücksichtslosen Profitgeschäften unter dem Ziel der Menschenwürde bewerten. Ein Urteil zugunsten der Menschenrechte wäre ziemlich gewiss.

Mit moralischer Einsicht ist bei den Geierfonds nicht zu rechnen. Deshalb müssen ordnungspolitische Spielregeln die einzelwirtschaftliche Gier eindämmen. Der Schuldenschnitt in Griechenland müsste wie das Bankenrettungsprogramm der USA obligatorisch für alle Gläubiger werden. Nicht die marktkonforme Demokratie, sondern demokratiekonforme Märkte sind das Gebot der Stunde.

In der wöchentlichen nd-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.