Investition in die Zukunft

Das »System Staatsverschuldung«. Teil I*: Stand, Quellen und Nutzen der staatlichen Kreditaufnahme

30.08.2008 / Von Karl Mai, junge Welt

Deutschland leidet immer noch unter einer politisch erzeugten Angstpsychose wegen steigender und zu hoher Staatsverschuldung. Die neoliberalen Haushaltspolitiker und manche Medien warten mit ablehnenden, ja auch »verteufelnden« Argumenten auf, und die Furcht vor der »untragbaren Schuldenlast für die künftigen Generationen« vergiftet die Parteipolitik und viele Gemüter. Die Vertrauenswürdigkeit der Politik wird am Verzicht auf weitere Neuverschuldungen ausgerichtet, von »Schuldenbremse« bis »Schuldenverbot« wetteifern politisch-ökonomische Konzepte. Was hat es mit den 1,5 Billionen Euro deutscher Staatsschuld auf sich?

Schuldenentwicklung seit 1990

Zum Zeitpunkt der Vereinigung von DDR und BRD ab Oktober 1990 brachte der Bundeshaushalt 526,3 Milliarden DM (269,1 Milliarden Euro) alte Schulden einseitig als »Geschenk« in den gemeinsamen Schuldentopf Deutschlands ein. Der »abgewickelten DDR« wurden bundesoffiziell – aber immer heftig umstrittene – aus DDR-Zeiten stammende Schuldverpflichtungen von etwa 216 Milliarden DM (110,4 Milliarden Euro) zur Vereinigung angerechnet. Die Verschuldung aller gesamtdeutschen Gebietskörperschaften (einschließlich des Bundes) hatte Anfang 1991 die bedeutende Summe von 1095 Milliarden DM (560 Milliarden Euro) zu verbuchen. Mit dem Akt der staatlichen Vereinigung sahen sich die früheren DDR-Bürger schlagartig um jenen Teil zusätzlich verschuldet, der aus der wesentlich höheren Altschuld der Bundesrepublik je Einwohner nun gesamtdeutsch zu tragen war. Die DDR-Bürger verloren ihren früheren Anteil am DDR-Volksvermögen und »gewannen« hohe zusätzliche BRD-Altschulden pro Kopf, die sie nicht verursacht hatten.

Seit der Vereinigung wuchsen die Staatsschulden der BRD allein bis 1997 gegenüber 1991 auf das Doppelte an. Ende 2007 hatten alle Gebietskörperschaften bereits Schulden in Höhe von 1540 Milliarden Euro erreicht, darunter die ostdeutschen Länderhaushalte neue Schulden von 74,7 Milliarden Euro und die ostdeutschen Gemeinden weitere 15,9 Milliarden Euro. Auf die ostdeutschen Gebietskörperschaften (ohne Berlin) entfielen Ende 2007 also 90,6 Milliarden Euro oder 5,9 Prozent der deutschen Gesamtschulden. Bezogen auf die Staatsschuldenquote Deutschlands von 62 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (2007, nach der Abgrenzung der Finanzstatistik) entfallen davon 38,7 Prozent auf den Bund, 19,7 Prozent auf die westdeutschen Länder und Gemeinden und 3,6 Prozent (!) auf die ostdeutschen Länder und Gemeinden. Dies belegt die relativ geringe regional-eigenverantwortliche Neuverschuldung seit 1990/1991 für die ostdeutschen Gebietskörperschaften.

Betrachtet man lediglich die Schuldenzunahme zwischen Anfang 1991 und Ende 2007, so haben die Gesamtschulden der BRD in diesem Zeitraum von 560 Milliarden Euro um 983 Milliarden zugenommen. Die deutsche Staatsschuldenquote am BIP stieg von 41,3 Prozent (1990) auf die schon genannten 62 Prozent (2007) an. Im internationalen Vergleich ist diese Erhöhung nicht extrem hoch zu bewerten: Im gesamten Euroraum stieg die Staatsschuldenquote von 1990 bis 2007 von 56,6 Prozent auf 66,5 Prozent an, lag also immer höher als die deutsche relative Gesamtverschuldung.

Motive der Staatsverschuldung

Der Leser wird sich nach den vorstehenden Angaben fragen, welchen Interessen die steigende Staatsverschuldung dient und welchen Quellen die permanente Staatskreditierung entspringt. Diese Fragen sind einfacher zu beantworten, wenn man das »System Staatsverschuldung« erkannt hat.

Die Kreditaufnahme des Staates bewirkt, daß über die steuerlichen Einnahmen eines Jahres hinaus höhere Haushaltsausgaben möglich werden, die sonst nicht finanzierbar wären. Dies entspricht der privaten Kreditaufnahme, weil eine Rückzahlung des Kredits die übliche Verpflichtung bildet – in beiden Fällen sind künftige Einnahmen des Kreditnehmers die notwendige Grundlage für die Kredittilgung einschließlich der Zinsen.

Der verschuldete »private Hausvater« ist für die Tilgung auf eigenes Einkommen angewiesen, das mit Risiken behaftet ist, weshalb für ihn auch eine enge Begrenzung der Schulden zwingend ist. Der verschuldete Staat hingegen hat immer risikolose künftige Einnahmen durch Steuern und Abgaben, so daß er als »sicherer Kunde« für die Banken jederzeit kreditwürdig ist. Dies ist die Vorbedingung für eine fortgesetzte Staatsverschuldung und läßt den Staat als »soliden Schuldner« erscheinen, der das Vertrauen der Gläubiger gleichsam automatisch nutzen kann.

Davon machte bisher der öffentliche Haushalt zugunsten von Ausgaben im konsumtiven und investiven Bereich (Bildung, Wissenschaft, Verkehrswege usw.) langjährigen Gebrauch, für die er sonst sofort auf höhere Steuereinnahmen angewiesen war. Der Staat finanziert damit im Vorgriff auf spätere Steuereinnahmen, die er noch nicht hat, umfangreiche öffentliche Güter und öffentliche Dienstleistungen für seine Bürger bzw. für die Unternehmen. Die allgemeine Bestimmung der Staatsverschuldung ist also diese vorzeitige Finanzierungsmöglichkeit für öffentliche Leistungen in erster Linie zum Nutzen der Wirtschaft, aber ebenso auch der Bürger. Das ermöglicht dem Staat, seine Steuereinnahmen für die Kreditablösung erst später zu mobilisieren bzw. zu beanspruchen.

Damit werden im Umfang der jährlichen fiskalischen Neuverschuldung bestimmte, sonst nur später steuerlich finanzierbare Haushaltsausgaben gleichsam schon vorzeitig finanzierbar. Den Preis dafür zahlt der Staat in Form seiner Zinslast an die privaten Kreditgeber zu Lasten seiner Einnahmen. Der Zwang zur steigenden Verschuldung wurde infolge der riskanten Steuersenkungspolitik auf die Einkommens- und Kapitalsteuern zusätzlich gefördert, die in der Ära des Bundeskanzlers Gerhard Schröder und seines Finanzministers Hans Eichel (beide SPD) bedeutende neue Haushaltslöcher aufriß.

Die »geniale Erfindung« der Staatsverschuldung – wie manche Ökonomen es sehen – wäre nicht praktikabel, wenn der Staat keine Gläubiger finden würde, die ihn kreditieren. Die Kreditgläubiger sind zu 30 Prozent private inländische Banken und zu 20 Prozent jene anderen inländischen Geldbesitzer, die über disponible Ersparnisse in Geldform verfügen und diese gegen sichere Zinsen des Staates verleihen (siehe Tabelle 1). Solche privaten Ersparnisse eines Jahres können teilweise als »Sparen« in Geldform durch den Kauf von verzinslichen Wertpapieren oder Anleihen des Staates sicher »angelegt« werden. In der Regel hat jede Staatsverschuldung diese in Geldform befindlichen »Überschüsse« aus der jährlichen Einkommensbildung der »privaten Haushalte« als einer innerwirtschaftlichen Quelle.

In der BRD wurde auch hochgradig durch ausländische Kreditgeber das weitere Wachstum der Schulden über den globalen Finanzmarkt bedient: Ende 1989 betrugen die ausländischen Kredite des Fiskus erst 105 Milliarden Euro, Ende 2007 sind sie auf 765,4 Milliarden Euro angestiegen und betragen jetzt 50 Prozent der Gesamtschulden der Bundesrepublik. Dabei decken allein zwischen 1991 und 1999 die 300 Milliarden Euro der ausländischen Nettokreditaufnahmen des Fiskus die zeitgleichen gesamten Nettotransfers des Bundes nach Ostdeutschland in Höhe von 606,1 Milliarden Euro bereits zur Hälfte ab. Diese ausländischen privaten Kreditgeber erreichten über den Finanzmarkt sichere Renditeanlagen bei der Bundesschuldenverwaltung. Es sind dies jedoch Kreditschulden des Fiskus und nicht der gesamten deutschen Wirtschaft – diese Unterscheidung ist wesentlich.

Nutzen der Kreditaufnahme

Aus der Verschuldung der öffentlichen Haushalte fließt genereller Nutzen aus den Wachstumsimpulsen zurück, die durch öffentliche Aufträge für die Wirtschaft ausgelöst werden: für Infrastrukturinvestitionen und für deren gewerbliche Zulieferungen sowie für die investive Basis staatlicher Dienstleistungen. Daher begrenzt ein Verfassungsgrundsatz die jährliche Neuverschuldung im Regelfall auf die Höhe der öffentlichen Sachinvestitionen.

Bei anhaltender Unterauslastung der Produk­tionskapazitäten kann durch staatliche Ausgabenprogramme das Wirtschaftswachstum gesteigert werden. Man spricht hier von der direkten und indirekten Erhöhung der Wertschöpfung durch staatliche Leistungsaufträge.

Kreditfinanzierte staatliche Investitionen sind auch für den öffentlichen Dienstleistungsbereich wichtig: Im Bildungsbereich fungieren Investitionen als eine Vorbedingung, um das notwendige »Humankapital« für den kapitalseitigen Verwertungsprozeß zu generieren, was insgesamt nur durch die staatliche Bildungsstruktur in erforderlichem Umfang gewährleistet werden kann. Im Gesundheitsbereich sind investive Maßnahmen zwingend, um das verfügbare »Humankapital« zu erhalten oder aber wiederherzustellen, von den übrigen humanitären Aufgaben abgesehen.

Die Anerkennung des speziellen Nutzens aus der Staatsverschuldung schließt auch gezielte konjunkturelle Ausgabenimpulse ein, die in der Abschwungphase im Zyklus der »normalen« Schwankungen des Wachstums ausgelöst werden, wobei eine Refinanzierung dieser zusätzlichen Staatskredite in der nachfolgenden Aufschwungphase erwartet wird. Konjunkturelle und auch mittelfristig angelegte Ausgabenprogramme liegen derzeit in der Öffentlichkeit vor, wie z. B. das Zukunftsinvestitionsprogramm der Partei »Die Linke« (siehe jW-Thema vom 8.5.2008).

Anders ist jedoch die staatliche Neuverschuldung zu bewerten, die aus der ostdeutschen Transformationskrise nach der Vereinigung entsprang. Diese politisch bedingte, historisch einmalige Neuverschuldung riesiger Dimension steht außerhalb der üblichen Verfassungsbegrenzung für Staatskredite. Dadurch stieg die Neuverschuldung auf Bundesebene zwecks Finanzierung der staatlichen investiven und konsumtiven Transfers West-Ost (Sozialversicherung, Zuschüsse für den Arbeitsmarkt, Nebenhaushalte).

Dazu kommen die rasch angestiegenen Neuverschuldungen in Kompetenz der ostdeutschen Gebietskörperschaften. Diese transformationsbedingte Verschuldung diente immer hauptsächlich konsumtiven, aber auch investiven Zwecken in den neuen Bundesländern, was infolge der niedrigeren eigenen Steuereinnahmen auf Landesebene unvermeidlich war.

Gegenargumente

Die Gegner jeglicher Staatsverschuldung haben immer wieder versucht, deren volkswirtschaftlichen Nutzen generell zu leugnen oder zu relativieren, um zunächst den Druck auf die haushaltsseitige Ausgabensenkung erhöhen zu können, damit Steuersenkungen zu ermöglichen und/oder die staatlichen Zuschüsse zu den Sozialleistungen (Rentenreform, Gesundheitsreform usw.) zu mindern. Das neoliberale Leitbild »Senkung der Staatsquote« steht konträr zum leistungsfähigen Sozialstaat. Aus der Palette der üblichen Argumente gegen die öffentliche Verschuldung sollen hier besonders wichtige genannt werden.

»Künftige Steuerzahlergenerationen werden mit höheren Steuern zusätzlich belastet.« Sie werden weniger mit Steuern belastet, als wenn sie noch Investitionen im schon erfolgten Umfang steuerlich neu finanzieren müßten – sie können die materiellen Vorleistungen früherer Generationen bereits voll nutzen. Es wird nicht nur der materielle Umfang der zuvor kreditfinanzierten Investitionen an die Folgegeneration »vererbt«, sondern auch die privaten Gläubigeransprüche an den Staat und damit die Zinseszinseinkünfte. Zwischen den Generationen insgesamt erfolgt also keine Umverteilung von Vermögen durch die Staatsverschuldung. Wesentlich wird die nominelle Last der Schuldentilgung real erleichtert durch die weiteren Einkommenseffekte des jährlichen Produktivitätsanstiegs, aber auch durch die fortlaufende Preisinflation.

»Kreditierte Ausgabenprogramme des Staates verpuffen ins Ausland.« Eine im Ausland realisierte Zuwachsproduktion erhöht auch das binnenländische Einkommen über die realisierte Wertschöpfung (u. a. Löhne, Gewinne), wie z.B. beim Export von Autos ins Ausland. Dieses zusätzliche Einkommen entspringt also dem Wirtschaftswachstum, auch wenn es teilweise für Importe verbraucht wird. Auch im Kapitalexportüberschuß »verpufft« nichts, weil dieser Überschuß nicht einfach verschenkt wird.

Der inländische Wachstumsschub läuft also über die zusätzlichen Investitionen (aus dem Impuls des staatlichen Ausgabenprogramms) und über die daraus resultierende spätere Investi­tionsneigung der Unternehmen.

»Der Staat entzieht der privaten Wirtschaft die notwendigen Kreditmittel.« Das ist längst nicht mehr der Fall, weil der private Wirtschaftssektor selbst disponible Mittel auf dem freien Kapitalmarkt anlegt, die er (zeitweilig) nicht selbst benötigt und außerdem seine unternehmerischen Eigenkapitalanteile schon deutlich erhöht hat. Der Staat konkurriert insofern nicht um »knappe« Kreditmittel, die ihm ohnehin jederzeit aus dem internationalen Kapitalmarkt reichlich zufließen. Damit wirkt die jährliche Neuverschuldung auch nicht generell zinserhöhend.

»Preiserhöhungen infolge eines staatlichen Konjunkturprogramms«. Dies gilt natürlich nicht bei unausgelasteten Kapazitäten infolge Auftragsmangel. Inflation durch Geldmengen­erhöhung tritt nicht auf, weil das Kreditgeld für den Staat gegen Guthaben der Geldbesitzer verrechnet wird. Zinsgetriebener Preisanstieg tritt nur bei Kreditverknappung auf und wird durch den globalen Finanzmarkt im Regelfall letztlich kompensiert.

»Die fiskalische Zinslast erhöht sich zunehmend weiter.« Dieser Fakt resultiert aus einer ansteigender Schuldenlast und löst eine betont ablehnende Reaktion im derzeitigen neoliberalen Lager aus. Dabei wird u. a. von der Tendenz abgelenkt, daß die gesamtwirtschaftliche »Zinsquote am Volkseinkommen« gleichfalls steigt, solange die reinen Geldkapitalanlagen sprunghaft anwachsen und damit ihre Zinssummen relativ steigen müssen. In Deutschland sind z. B. für 2005 aus der Verteilung der Gewinne insgesamt 422 Milliarden Euro als Zinsen für Kredite geflossen, das ist ein Viertel des Volkseinkommens. Insofern liegen die fiskalischen Zinslasten im Trend des gesamten Systems der Kapitalverzinsung.

Derzeit wird von bekannten Ökonomen dringend gefordert, durch ein staatliches Ausgabenprogramm das schwindende Wirtschaftswachstum zu stützen – bei zum Teil heftig ablehnender Haltung aus neoliberalen deutschen Forschungsinstituten. Kommen für den Staat jedoch Notfallsituationen oder strategische Zwangsmaßnahmen (z.B. seitens der NATO) auf die politische Tagesordnung, sind die Bundesregierungen und ihre tragenden Parteien letztenendes wiederum gezwungen, von der Neuverschuldung weiteren Gebrauch zu machen.

Zinslast und Zinsfalle

Die jährliche Höhe der Zinsausgaben für den Gesamthaushalt der BRD erreichte im Jahre 2007 66,1 Milliarden Euro bzw. 10,2 Prozent aller Ausgaben (siehe Tabelle 2). Das erscheint nicht überwältigend hoch, schränkt jedoch anderweitige Verfügungen ein.

Geht man zunächst vom laufenden Entstehen von »Überschußkapital« in der Wirtschaft (Überakkumulation) aus, was sich auch im gesellschaftlichen »Sparen« in der Geldform zeigt, dann steht man vor den Alternativen, den Kapitalexportüberschuß ins Ausland zu dulden oder wirtschaftspolitisch zu fördern oder aber den Staat als Kreditnehmer zu nutzen. Zweifellos tendieren viele Bürger zu der Position, statt den Wettkampf um die Außenmärkte zu verschärfen oder Waffenexporte zu forcieren, die geldförmigen Überschüsse zunächst in die nutzbringende Verwendung durch den Staat überzuleiten und neue Wachstumsimpulse auszulösen. Dies gilt besonders in einer konjunkturellen Schwächephase, wie gerade gegenwärtig wieder.

Geht man dagegen von den anwachsenden fiskalischen Zinslasten aus, die eine zunehmende Staatsverschuldung erzeugt, so entsteht das Problem: Übersteigt die Zinslast die erfolgte oder vertretbare jährliche Neuverschuldung zunehmend, besteht bereits eine »Zinsfalle«. Dann ist es geboten, die eskalierenden Zinsen zu begrenzen, und die »Quote der Zinsen am BIP« zu senken. Geschieht dies nicht, verbraucht man nur noch die Neuverschuldung für die Zinslast, statt sie – wie derzeit gesetzlich normiert – für die Erhöhung der öffentlichen Investitionen und damit der Wertschöpfung über den öffentlichen Bereich direkt nutzen zu können.

Die Zinslast vermehrt aber die jährlichen Überschüsse des Geldeinkommens (des Sparens) der Geld- oder Finanzkapitalbesitzer und damit wieder den Drang nach rentierlichen weiteren Anlagemöglichkeiten im Inland oder Ausland. Die »Zinsfalle« führt hier zu keinem nachhaltigen Ausweg aus dem schon entstandenen »Teufelskreis« der geldförmigen »Überakkumulation« infolge zu geringer Binnennachfrage.

Der verbleibende »Pfad der Tugend« besteht darin, die Gesamtverschuldung im Bereich der volkswirtschaftlichen »Tragfähigkeit« zu halten, d.h., die dadurch bestehenden Haushaltsbelastungen nicht relativ zum Bruttoinlandsprodukt ansteigen zu lassen. Dies wird durch eine Stabilisierung der bestehenden Staatsschuldenquote am BIP ermöglicht, was auch bei ausreichenden Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts und/oder vermindertem Anstieg der Haushaltsausgaben erreichbar erscheint. Bleibt die Staatsschuldenquote stabil, erhöht sich hieraus nicht die relative Zinslast im Haushalt. Es tritt eine Phase der »Nachhaltigkeit« der Finanzpolitik ein, die derart »tragfähige« Schuldenstände voraussetzt. Die »Nachhaltigkeit« reflektiert eine tragbare fiskalische Zinslast.

Damit wird dem Leser verständlich, daß die Zinslast verschiedene Wirkungen hat: Vor dem Entstehen der »Zinsfalle« kann die jährliche Neuverschuldung des Fiskus noch zur Refinanzierung von Zinsen und auch für andere Staatsausgaben nutzbar sein. Später muß bei Existenz der »Zinsfalle« die Zinslast bereits aus Steuermitteln refinanziert werden. Folglich wird dann jede fiskalische Neuverschuldung durch die Zinsen im Haushalt übertroffen. Die generelle Kritik lautet: die »Zinsen fressen die Neuverschuldung auf«.

Demgegenüber gilt es zu beachten: Vermeidet der Staat solche Zinslasten, werden auf dem Kapitalmarkt andere Gläubiger für das »disponible Geldkapital« gefunden – der Staatsbürger hat dann daraus keinen zusätzlichen Nutzen im Bereich der öffentlichen Infrastruktur und muß dennoch als Normalverbraucher die üblichen Kreditzinsen der Wirtschaft (nicht des Fiskus!) über die Preise der mit hohen Zinsanteilen belasteten binnenländischen Güter- und Dienstleistungen tragen. Die Bürger stehen sich ohne kreditfinanzierte Infrastrukturinvestitionen und ohne die öffentliche Zinslast keineswegs besser, von der Wirtschaft ganz zu schweigen.

1 Quellen: Deutsche Bundesbank: Statistische Sonderveröffentlichungen Nr. 4, von 7/2007: 26, 22; Deutsche Bundesbank, Langzeitreihen bq 1720 und bq 1715 (bundesbank.de); Deutsche Bundesbank: Monatsbericht 4/2007, Statistischer Anhang 59* sowie eigene Berechnungen

2 Quellen: Deutsche Bundesbank: Monatsbericht 4/2007: 54 *; 60*; Deutsche Bundesbank: Lange Reihen, BJ9047, BQ1720, Stand 10.07.07; SVR: Jahresgutachten 2006/2007, Anhang, Tab. 36, 78*; eigene Rechnung

Karl Mai, Ökonom i. R., ist Mitglied der Bremer Arbeitsgruppe »Alternative Wirtschaftspolitik« (memo.uni-bremen.de).

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* (Zum 2. Teil)