Die Welt will betrogen sein

REGULIERUNG ODER SELBSTREGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE- Der Banker Josef Ackermann findet zum wahren Glauben zurück

09.08.2008 / Von Michael R. Krätke, Freitag 32/2008

Mit der First National Bank of Nevada und der First Heritage Bank of California sind nach dem Crash des Hypothekenfinanzierers IndyMac Bankcorp weitere Opfer der US-Finanzkrise zu beklagen. Solange sich die internationalen Finanzmärkte in fortwährender Unsicherheit wiegen, ist das Anlass genug, über Reformen nachzudenken. Höchst bizarr, was dabei aus berufenem Munde über Regulierung und Selbstregulierung zu hören ist.

Noch vor wenigen Monaten schockierte Herr Josef Ackermann als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank die Republik mit der Mitteilung, ihm sei der Glaube an die "Selbstheilungskräfte des Marktes" angesichts der Finanzkrise abhanden gekommen. Inzwischen muss er zu seinem Glauben zurückgefunden haben, er wäre sonst kaum, im zweiten Anlauf, zum Honorarprofessor der Frankfurter Universität ernannt worden (s. Freitag 31/08). Dubiose Freisprüche in Untreueprozessen spielen dabei keine Rolle, das tolerieren die heutigen Universitätsgewaltigen locker. Schließlich sehen sie sich selbst als Unternehmer, die ein Geschäft betreiben und Geld verdienen wollen. Aber die Gelehrtendarsteller, voran die Professoren der Ökonomie, dulden eines nicht: Abweichungen von Dogmen, die sie mit unermüdlicher Frechheit zur Wissenschaft erklären. Herr Ackermann hat sich daher zum Vorreiter der Selbstregulierung der Finanzindustrie gemacht und sein angekratztes Renommee im Elitenzirkus erfolgreich aufpoliert.

Der Herrgott erhalte die Intransparenz!

Zwar haben die Zentralbanken seit Ausbruch der Finanzkrise im August 2007 mit Inbrunst ihren immer gleichen Irrglauben verkündet, es handele sich um eine Liquiditätskrise, die mit ein paar Geld- und Kreditspritzen leicht unter Kontrolle zu bringen sei - die falsche Diagnose erklärt die Erfolglosigkeit der Therapie.

Nein, auch wenn Banker und Zentralbanker sich das nicht eingestehen wollen, es handelt sich um eine Insolvenzkrise - auf deutsch: Zahlreiche Finanzmarktakteure auf der ganzen Welt - voran einige Großbanken - sind faktisch pleite. Und zwar deshalb, weil sie in ihren Tresoren Billionen von Dollar in Form von skurrilen Derivat-Papieren halten, die massiv an Marktwert verloren haben und die faktisch niemand mehr kauft. Sie sitzen auf Bergen von Papieren, die nichts mehr oder nur einen Bruchteil dessen wert sind, was einst dafür bezahlt wurde. Die betroffenen Banken halten sich deshalb (noch) über Wasser, weil sie das tatsächliche Ausmaß ihrer Verluste bis zum heutigen Tag in ihren Bilanzen verstecken können. Gäbe es Bilanzwahrheit, bestünde die vielbeschworene "Transparenz" auf den Finanzmärkten, von der unsere ahnungslosen Politiker im schönsten Ökonomenkauderwelsch schwadronieren - der große internationale Bankenkrach wäre längst da. Der Herrgott erhalte uns noch eine Weile die Intransparenz der Märkte. Das haben sich die Bankenexperten offenbar auch gedacht. Entsprechend sind ihre Vorschläge für neue Bilanzregeln ausgefallen.

Die zu finden, hatte der IWF schon im Herbst 2007 den Bankenverband Institute of International Finance (IIF) beauftragt. Da waren die Fondsgewaltigen noch optimistisch und glaubten, die Gesamtverluste für die Bankenwelt würden sich auf einige hundert Milliarden Dollar belaufen. Inzwischen gehen offizielle IWF-Schätzungen weit über die etwa 450 Milliarden Dollar an "Wertberichtigungen" und "Verlustabschreibungen" hinaus, die bislang weltweit eingestanden wurden. Eine Billion Dollar und mehr erscheinen jetzt realistisch, nachdem die IIF-Analysten im Juni ihren 213 Seiten starken Abschlussbericht vorgelegt haben. Seither beraten die Mitglieder des illustren Clubs, wie sie mit diesen Empfehlungen Politik gegen die Regulierer machen können. Josef Ackermann, der auch diesem Verbund von 380 Großbanken und Versicherungen vorsitzt, hat nun die Ergebnisse der Beratungen vorgestellt.

Nicht für Franz Häuslebauer

Geworben wird für einen neuen Kodex: Neue internationale Bilanzregeln anstelle des Regelwerks der International Financial Reporting Standards (IFRS), dem die meisten global tätigen Finanzinstitute bisher verpflichtet sind. Doch geht es nicht darum, die heute schon übliche Auslagerung fragwürdiger Operationen aus der Bilanz zu beenden, sondern die Bewertungs- und Buchungsregeln für hoch riskante Spekulationspapiere so zu ändern, dass das tatsächliche Ausmaß der Verluste möglichst spät oder gar nicht zum Vorschein kommt. Nur so ließen sich Panikreaktionen an den Finanzmärkten vermeiden, heißt es.

Die Welt, zumal die Finanzwelt, will betrogen sein. Bislang galt die Regel, dass Wertpapierbestände nicht einfach zwischen verschiedenen Buchungsposten verschoben werden konnten, und dass Papiere, die einmal im Handelsbestand verbucht waren, dort bis zum Verkauf zu bleiben hatten und jeweils zum Marktpreis an einem bestimmten Tag - normaliter zum Quartalsende - zu bewerten waren. Fiel der Preis, mussten die Banken den Buchwert der Papiere "berichtigen" - sprich: Verluste offen abschreiben. Nun soll es jederzeit erlaubt sein, Spekulationspapiere umzubuchen und statt zum aktuellen Marktwert zu einem Durchschnittswert - also mit Blick auf bessere Tage - künstlich hoch zu halten. Selbst dramatische Kursverluste brauchten Banken demnach nicht mehr zu offenbaren, Wertberichtigungen könnten sie auf langen Bänken vor sich her schieben - ein Freibrief, ja eine Aufforderung zur Bilanzmanipulation: Wenn Wertpapiere sich in Luft aufzulösen drohen, sollen die Bank das Recht haben, die Fassade zu wahren, um Aktionäre und Investoren bei der Stange halten.

Das Ganze ist so anrüchig, dass die US-Investmentbank Goldman Sachs im Juni aus Protest gegen dieses Vorhaben ihren Austritt aus dem IIF, dem erwähnten internationalen Bankenverband, erklärt hat. Das Institut gehört allerdings zu den Großbanken, denen die Finanzkrise bisher nur wenig anhaben konnte. Goldman Sachs will nicht an Reputation verlieren, was den meisten anderen Banken inzwischen egal ist. Die stört allein der drohende politische Eingriff in die heilige Freiheit des Geldmachens. Es gibt eine geradezu erbitterte Abwehr jeder schärferen Regulierung. Obwohl die internen Kontrollen der Banken wieder und wieder versagt haben, wollen sie sich weiter selbst kontrollieren. Was das heißt, wissen wir jetzt genauer.

Derzeit sitzt der Feind besonders in Brüssel. Die EU-Kommission hat jüngst vorgeschlagen, wie man die Spekulationsrisiken bei verbrieften Anleihepapieren mindern könne. Danach sollte der Verkäufer mindestens zehn Prozent davon in seinen Büchern behalten. Die Branche hielt sofort dagegen: Mit dieser Regel würden Kredite knapp und teuer und unbezahlbar für Franz Häuslebauer. Mit anderen Worten - ohne den weltweiten, schwunghaften Handel mit chic verpackten und hoch riskanten Kreditderivaten funktioniert der Kapitalmarkt nicht mehr. Aber genau diese Geschäftspraxis - die Verwandlung von Krediten in fiktive Handelswaren -, die jede Bank sofort weiterreicht, ohne einen Gedanken an die Risiken zu verschwenden, ist eine der zentralen Ursachen der derzeitigen Finanzkrise.

Ein gewisses Maß von Ehrbarkeit

Jedermann weiß inzwischen, dass wir nicht zuviel, sondern viel zu wenig Finanzaufsicht haben, obendrein die falsche. Jedermann weiß, dass die Privatunternehmen, die mit der gesammelten Weisheit der Finanzmarktakteure Geschäfte machen - die internationalen Rating-Agenturen nämlich - einmal mehr eine höchst dubiose Rolle gespielt haben. Die naheliegende Konsequenz wäre, Risikoanalyse und Qualitätsbewertung in die Hände öffentlicher, nicht gewinnorientierter Anstalten zu legen. Auf die absurde Idee, Gewerbeaufsicht und Gesundheitsämter zu privatisieren, kam bisher nur Frau Thatcher (mit verheerenden Folgen). Nun den Bankern die Entscheidung über die Bilanzregeln zu überlassen - bizarrer geht es wirklich nicht.

Und warum bleibt den Börsen die Börsenaufsicht überlassen? Solange die noch Gentlemen´s Clubs waren, konnte man auf ein gewisses Maß von Ehrbarkeit bauen. Das ist vorbei, seit die Weltbörsen international operierende Finanzkonzerne sind, die ebenso rücksichtslos operieren wie die Geldhäuser, die mit ihrer Hilfe dem organisierten Börsenspiel nachgehen. Die Politik, soweit es sie noch gibt, sollte diese Herausforderung annehmen und den Ackermännern das Handwerk legen.