Griechenland - welche Reformen?

Von Axel Troost

10.04.2015 / 10.04.2015

Während sich die deutsche Medienwelt überwiegend in Spekulationen darüber ergeht, wann der griechischen Regierung das Geld ausgeht, werden im Lager der deutschen Unternehmer die politischen Risiken abgewogen. Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Ingo Kramer hält der großen Koalition eine kleinkarierte und unpolitische Haltung in Sachen Griechenland vor. Der Präsident der bundesdeutschen Unternehmer warnt vor einem erzwungenen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone. „Ökonomisch wäre ein Grexit für Europa verkraftbar. Der Euro-Raum steht inzwischen wirtschaftlich besser da und hat Krisenmechanismen etabliert. … Politisch aber habe ich große Bedenken, ob ein Grexit für Europa zu schultern wäre und Griechenland helfen würde.“ Europa wäre den Beweis schuldig geblieben, auch in schwierigen Zeiten solidarisch Probleme zu lösen. Sein – zugegeben etwas einfacher – Lösungsvorschlag: „Wenn die griechische Regierung bereit sei, Verträge einzuhalten, stehe der Weiterführung des Rettungsprogramms aber nichts im Wege.“

Während der eine die Option eines Grexit aus Sicht der europäischen Eliten als politisch gefährlich für das Projekt Europa einschätzt, hat der andere für diesen Fall den Schuldigen schon parat. Der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, hat vor einer „humanitären Katastrophe“ in Griechenland nach einem möglichen Ausscheiden des Landes aus der Euro-Zone gewarnt. Sollte sich das Land selbst aus dem Euro „herauskatapultieren“, wären die Folgen enorm. „Die Regierung spielt momentan wirklich mit dem Feuer.“ Zugleich mahnte er die Regierungen der Euroländer nicht auf die Forderungen der griechischen Regierung einzugehen, die den Reformkurs verlassen will. „Der schlechteste und teuerste Weg wäre es, den Forderungen aus Athen nachzugeben, um den Grexit um jeden Preis zu verhindern“, sagte Schmidt, „das können und dürfen die Mitgliedstaaten des Euro nicht zulassen.“ Der „Chef-Wirtschaftsweise“ Schmidt kritisierte die neue Regierung in Athen für ihre Abkehr vom Reformkurs. Derzeit gebe es in dem Land zwar einen primären Haushaltsüberschuss und die Aussicht auf ein zartes Wachstum. Dem habe die Regierung aber „brutal den Stecker gezogen.“

Diese These ist nicht zutreffend. Schon im letzten Quartal 2014 unter der Regierung Samaras kippte das Wachstum in Schrumpfung um (-0,4%). Und diese Schrumpfung hat sich im ersten Quartal 2015 fortgesetzt. Die Schlüsselfrage lautet eben nicht Fortsetzung des Reformkurses oder nicht, sondern wie kommt Griechenland aus der anhaltenden Schrumpfung seiner Ökonomie heraus.

Griechenland muss in die Lage versetzt werden ökonomisch und sozial auf eigenen Beinen zu stehen. In den letzten sechs Jahren geht der politische Konflikt mit den internationalen Kreditgebern um die Kernfrage der makroökonomischen Rahmenbedingungen: Wie kommt das Land zu einem Haushaltsdefizit und Primärüberschuss,die eine Ökonomie erlauben, ohne massive Arbeitslosigkeit, große und wachsende Verarmung der Bevölkerung mit einer einigermaßen akzeptablen gesundheitlichen Versorgung. Während der letzten fünf Jahre ist die Allianz zwischen der politischen Elite Griechenlands und den internationalen Institutionen der Lösung des Problems nicht wirklich näher gekommen.

Ein Blick zurück ...

Zu Beginn der Krise 2009 offenbarte die damalige griechische Regierung von Giorgos Papandreou (PASOK) nach gewonnener Wahl eine miserable Haushaltssituation des Landes und einen desolaten Zustand des Staatsapparates. Schnell wurde mit den internationalen Institutionen vereinbart, dass das Land seine Steuern besser eintreiben und vor allem die Reichen angemessener an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligen müsse. Außerdem müsse das Haushaltsdefizit beseitigt werden durch Sparen und Streichen. Wo auch immer, Hauptsache die Zahlenkurve wendet sich in die gewünschte Richtung. Nachhaltig war und ist das keineswegs.

Im ersten Bericht der sogenannten Griechenland-Task-Force der EU-Kommission, die dem Land helfen sollte die Verwaltung auf Vordermann zu bringen, hieß es, dass aus den letzten Jahren noch 60 Mrd. Euro an Steuergeldern ausstehen würden. Zudem sollte ein Katasteramt her, um die Grundbesitzverhältnisse zu klären und die damit einhergehenden Steuern einzutreiben. Schließlich versprach die EU-Kommission, den Griechen zu helfen, damit sie an die ihnen zustehenden Fördermittel aus dem EU-Haushalt gelangen. Das war vor fünf Jahren.

Zwei milliardenschwere Hilfspakete wurden Griechenland seit Ausbruch der Finanzkrise gewährt: Ein erstes Paket in Höhe von 73 Mrd. Euro, das vor allem aus bilateralen Krediten bestand. Und ein zweites Paket von insgesamt 167 Mrd. Euro, finanziert vor allem aus dem Rettungsfonds ESM und dem IMF. Der Deal war immer: Kredite nur gegen „Reformen“.

Bis Dezember 2014 hätte Athen eigentlich alle Reformen umgesetzt haben müssen, zu denen es sich verpflichtet hatte, denn dann wäre das zweite Hilfspaket ausgelaufen und die letzte ausstehende Tranche von 1,8 Mrd. Euro hätte ausgezahlt werden müssen. Bereits im September 2014 hatte der griechische Ministerpräsident Samaras mit den internationalen Geldgebern über eine vorzeitige Beendigung des zweiten Hilfsprogramms verhandelt. Die Troika verlangte für die letzten Kredittranchen wieder einmal harte Reformen. Doch weil die Koalitionsregierung unter Ex-Premier Antonis Samaras die Zusagen nicht einlöste und stattdessen Präsidentenwahlen herbeipokerte, wurde Griechenland ein Aufschub bei dem zweiten Reformprogramm gewährt – bis Ende Februar 2015.

Der griechische Ministerpräsident wollte unbedingt bis zum Ende des Jahres 2014 damit brillieren, dass er die Finanzsouveränität des Landes wiedererlangt habe. Laut dem Plan der politischen Führung in Athen sollte die laufende Kontrolle der Geldgeber abgeschlossen, die fällige Kredittranche von 7,2 Mrd. Euro freigegeben und das Konsolidierungsprogramm für abgeschlossen erklärt werden. Ab Januar 2015 sollte Griechenland über seine Finanzen selbst entscheiden und wie Irland und Portugal seinen Finanzbedarf an den internationalen Kreditmärkten decken.

Die Eile von Samaras das Konsolidierungsprogramm zu beenden und der Aufsicht der Troika zu entkommen, war politisch motiviert. Es ging um die anstehenden Neuwahlen und ob oder wie die Allianz der bürgerlichen Nea Demokratia und sozialdemokratischen Passok ihre Macht verteidigen könnten. Nach Ansicht aller politischer Berater schien dies nur möglich, wenn er glaubhaft machen könne, dass die Troika-Aufsicht und die damit verbundene Austeritätspolitik beendet wird.

Das politische Manöver scheiterte, die Linkspartei Syriza übernahm mit einer rechtspopulistischen Kleinpartei die politischen Gestaltungshebel. Jetzt hat das griechische Parlament beschlossen zu untersuchen, wie das Land in die Spar- und Reformauflagen (Memoranden) mit den internationalen Geldgebern hinein gerutscht ist. Die Kommission des Parlaments soll den Ursachen der andauernden Staats- und Finanzkrise auf den Grund gehen und herausfinden, wer für die Schuldenkrise verantwortlich ist. Die Untersuchungen betreffen die ersten Jahre der Krisenbewältigung die Amtszeiten des sozialdemokratischen Regierungschefs Georgios Papandreou (2009 bis 2011), des parteilosen Regierungschefs Loukas Papademos (2011 bis 2012) und der Koalitionsregierung aus Konservativen und Sozialdemokraten (2012 bis 2015) unter Antonis Samaras.

Das politische Erbe für die neue Regierung

Unbeschadet von dieser Aufarbeitung hangeln sich die EU-Finanzminister, der IWF und die EZB immer noch von Krisensitzung zu Krisensitzung, ohne dass jedoch die Aussichtdarauf besteht, die Sanierung der griechischen Ökonomie endlich zu lösen. Das hat nicht einmal etwas mit der neuen griechischen Regierung zu tun. Diese hat eine Situation geerbt, aus der hervorgeht, dass bislang noch kaum richtig an der Problemlösung gearbeitet wurde. Sie hat also nicht „den Stecker gezogen“, sondern will endlich den Ausbruch aus der Krisenlogik erreichen.

Die internationalen Kreditgeber bestehen immer noch auf „Reformen“ bevor die letzten Tranchen ausgezahlt werden. Auch die Finanzmärkte haben längst signalisiert, dass deren Bereitschaft Griechenland Kredite zu vergeben, von der erfolgreichen Umsetzung des Konsolidierungsprogramms abhängt. Im Zentrum der Forderungen an die neue Regierung stehen „Reformen“ an den Sozialversicherungssystemen, am Arbeitsrecht und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Fakt ist, die Entwicklung der Ökonomie und die Sanierung der Staatsfinanzen läuft nicht nach Plan. Das griechische Finanzministerium hat dieser Tage den Entwurf für den Haushalt 2015 nach Brüssel geliefert mit dem Ziel zu einem Primärüberschuss von 1,2% des Bruttoinlandprodukts (anstatt der Planvorgabe von 3%) zu gelangen. Laut Aussagen des Finanzministeriums ist 2015 die ursprüngliche Zielvorgabe wegen der höheren Defizite der Sozialversicherungskassen nicht zu erreichen. Erwartungsgemäß fordert die Troika zusätzliche fiskalische Maßnahmen, um das Sparprogramm wieder „in die richtige Bahn zu bringen“. Allerdings gelten diese im Parlament als nicht mehrheitsfähig.

Die Euro-Finanzminister, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds verlangen Maßnahmen, die kurzfristig neue Einsparungen in Milliardenhöhe einbringen. Für dieses Jahr sei ein Betrag von 3,2 Mrd. Euro anvisiert. Nur so könne die Regierung in Athen überhaupt das Ziel eines Primärüberschusses halten, dass also der Staat mehr einnimmt, als er ausgibt, wenn man die Rückzahlung der Schulden außer Acht lässt.

Zentrale Verhandlungsthemen sind also – wie in den letzten Monaten – Kürzungen der Renten und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie die Art und Weise, wie diese eingenommen wird. Dem griechischen Staat gingen jährlich Milliarden verloren, weil die Abgabe nicht direkt und elektronisch abgeführt würde, monierten die internationalen Kontrolleure schon im vergangenen Jahr.

Statt weiter auf der „Lieferung“ politisch nicht durchsetzbarer und ökonomisch kontraproduktiver „Reformen“ zu bestehen, muss es um eine Alternative gehen: Ökonomisch viel sinnvoller wäre es, mit den Gläubigern die Freigabe der ausstehenden Kredittranche und ein weiteres Darlehen zur Deckung des Finanzierungsbedarfs der kommenden Jahre aushandeln zu können. Dies allein kann die Grundlage für eine Erholungder Ökonomie und eine Expansion des Primärüberschusses sein.

In dem deutschen Aufruf führender GewerkschafterInnen und namhafter SozialwissenschaftlerInnen „Griechenland nach der Wahl – Keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa“[1] wird festgehalten: „Der politische Erdrutsch in Griechenland ist eine Chance nicht nur für dieses krisengeschüttelte Land, sondern auch dafür, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU grundsätzlich zu überdenken und zu korrigieren. Wir unterstreichen erneut die von Seiten der Gewerkschaften in den zurückliegenden Jahren vielfach geäußerte Kritik: Die entscheidenden Bedingungen, unter denen die finanziellen Hilfen für Griechenland gewährt werden, hatten von Anfang an nicht die Bezeichnung „Reform“ verdient. Die Milliarden, die nach Griechenland geflossen sind, wurden vor allem für die Stabilisierung des Finanzsektors verwendet. Gleichzeitig wurde das Land mit einer brutalen Kürzungspolitik in die tiefste Rezession und damit zugleich in die höchste Staatsverschuldung der gesamten EU getrieben. Die Folge ist eine soziale und humanitäre Krise ohne Beispiel in Europa.“ Und als Alternative wird gefordert: „Das europäische Projekt wird nicht durch Spardiktate gestärkt, sondern nur durch die demokratische Initiative von unten für wirtschaftlichen Wiederaufbau und mehr soziale Gerechtigkeit.“

In Griechenland und anderswo in Europa wird der Begriff „Reform“ von vielen als Bedrohung wahrgenommen, als Verkleidungsformel einer Beraubung und erzeugt im Rahmen der europäischen Austeritätspolitik nur Ängste und Ablehnung. Wenn es darum ginge, die Steuerbasis und die Handlungsfähigkeit des defekten griechischen Staates endlich herzustellen, die Privilegien der Oligarchen zu schleifen und die Wirtschaft in Schwung zu bringen, könnten die „Reformen“ kaum radikal genug sein und der Druck von außen fände viele Freunde im Lande. Wenn die europäische Union nicht unheilbar demoliert werden soll, muss endlich ein Politikwechsel stattfinden. In diesem Punkte hat der Präsident der Arbeitgeber recht.

[1] www.europa-neu-begruenden.de

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