Anders regieren - Erste Erfahrungen der rot-rot-grünen

Von Susanne Hennig-Wellsow

15.02.2015 / sozialismus.de, 25.01.2015

Am 5. Dezember 2014 wählte der Thüringer Landtag Bodo Ramelow zum ersten Ministerpräsidenten der Partei DIE LINKE. Erstmals trägt nun eine rot-rot-grüne Koalition eine Landesregierung in der Bundesrepublik – und das mit einer denkbar knappen Mehrheit von einer Stimme im Parlament.

Zuvor hatte sich das Dreierbündnis auf einen detaillierten Koalitionsvertrag (»Thüringen gemeinsam voranbringen – demokratisch, sozial, ökologisch«) mit knapp 100 Seiten als Grundlage für die Arbeit der nächsten fünf Jahre verständigt.[1] Mit großen Mehrheiten war der Vertrag in Mitgliederbefragungen von Linkspartei (94%) und Grünen (84,3%) angenommen worden. Die Mitglieder der SPD hatten ihre Parteiführung bereits nach Abschluss der Sondierungsgespräche mit der CDU einerseits und Linkspartei sowie Grünen andererseits mit 69,93% eindeutig aufgefordert, in konkrete Verhandlungen zu gehen.

DIE LINKE war mit dem Ziel in den Wahlkampf gezogen, zu regieren. Sie wurde am 14. September 2014 von 28,2% der WählerInnen in Thüringen zur zweitstärksten Kraft hinter der CDU gewählt. Nach der Wahl gab es ebenso wie bereits 2009 eine rechnerische Mehrheit für Rot-Rot-Grün und diesmal auch den Willen bei SPD und Grünen, das politische Experiment zu wagen. Zudem gab es für den Wechsel wahrnehmbare Unterstützung aus der Bevölkerung und aus den Gewerkschaften. Und es gab eingespielte Kommunikationskanäle zwischen den politischen Partnern eines linken Reformprojektes in und außerhalb des Parlaments. In gewisser Weise ließ sich im Freistaat eine Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse feststellen: Die alten Konstellationen waren nicht mehr in der Lage, die WählerInnen zu überzeugen und vorhandene parlamentarische Mehrheiten zu einer Regierung zu organisieren. Sie waren nicht handlungsfähig, politisch verbraucht und versprachen keinen ausreichenden Nutzen mehr. Der nun regierenden Alternative wird aber genau das zugetraut. Diese historische Chance, auf die sich die PDS/DIE LINKE in Thüringen seit langem vorbereitet hat, mussten wir nutzen – oder sie ungenutzt verstreichen lassen. Die Zeit war eben reif für Rot-Rot-Grün.

Die Wahl von Bodo Ramelow zum Regierungschef und die neue Koalition auf Landesebene sind eine politische Zäsur. Sie bietet in Thüringen die Möglichkeit, den Filz aus fast 25 Jahren CDU-Herrschaft aufzubrechen und einen Schlussstrich unter die anti-soziale und tief-schwarze Politik der letzten Jahre zu ziehen. Wir müssen nun beweisen, dass wir stabil regieren und die Gesellschaft tatsächlich zum Besseren verändern können. Der Maßstab dafür wird sein, ob es gelingt, die Leitlinien des Koalitionsvertrages umzusetzen. Also eine merklich sozialere, demokratischere und humanere Politik zu gestalten, die Kommunen des Freistaates zu stärken, der extremen Rechten und dem Rassismus entschlossen entgegenzutreten und eine Energiewende einzuleiten.

Zugleich stellt die Regierungskonstellation DIE LINKE vor Herausforderungen. Im europäischen Maßstab findet mit der Wahl eine Normalisierung der politischen Verhältnisse statt. Starke Parteien links der Sozialdemokratie, auch in Regierungen, sind dort oft Normalität gewesen. Offenbar hat der tief sitzende Antikommunismus der Bundesrepublik an Wirkmächtigkeit eingebüßt. Egal ob bei parlamentarischen oder außerparlamentarischen Vorhaben, die DIE LINKE gemeinsam mit SPD, Grünen, Gewerkschaften, Sozialverbänden oder anderen politischen PartnerInnen umsetzen will: Niemand wird unsere Partei mehr einfach so in die politische »Schmuddelecke« stellen können. Die Idee des demokratischen Sozialismus und die Existenz einer antikapitalistischen Partei müssen nun als Normalität akzeptiert werden. Strategisch ist der Partei so ein weiterer wichtiger Schritt gelungen, den »Ring um die PDS zu sprengen« (Dieter Strützel).[2] Die konservative »Frankfurter Allgemeine Zeitung« notierte jüngst mit leicht besorgtem Unterton: »Niemand kann der Linken vorwerfen, sie habe ihre Absichten verschwiegen. Die Partei sei gekommen, um zu bleiben und das Land zu verändern … Mit Blick auf die Staatskanzlei und die Ministerien ist es keine Frage, dass sich das Land in einem grundlegenden Umbau befindet, der umso erfolgreicher sein wird, je unauffälliger er sich zu Beginn vollzieht.«[3]

Neben den Chancen birgt eine solche Konstellation politische Risiken. Bislang ist die PDS/DIE LINKE an den Wahlurnen immer geschwächt aus Regierungen gegangen. Auch wenn es uns gelingen sollte, unser Handeln und unsere Erfolge besser zu erklären, so werden auch wir Enttäuschungen produzieren, da wir unser Wahlprogramm nicht eins zu eins umsetzen und nicht alle Erwartungen erfüllen können. Wir sind im Zuge der Koalitionsverhandlungen bereits Kompromisse eingegangen und werden weitere schließen. Nicht alles, was wir in der Regierung vorhaben, werden wir realisieren können. Wir werden an Grenzen stoßen – an die Grenzen, die Bundesrecht, festgefahrene Verwaltungslogiken und Seilschaften in den Ämtern und Ministerien, politische Gegner und nicht zuletzt die Realität des Kapitalismus uns setzen. Es wird darum gehen müssen, »dass diese Regierung die Grenzen politisiert, die ihr gesetzt sind«[4] (Thomas Seibert), und mit Unterstützung von politischen PartnerInnen auch außerhalb des Parlaments versucht, diese abzubauen.

Das Regieren als stärkste Kraft in einer Koalition wird die Partei verändern – nicht nur in Thüringen. Mit der Koalition unter Führung von Bodo Ramelow verändert sich die öffentliche Wahrnehmung der Partei massiv. Es gilt, diese Chance zu nutzen und DIE LINKE bundesweit als relevante politische Kraft zu festigen und für unsere Politik zu werben.


Die ersten Wochen

Vor der Wahl von Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten hatte die Thüringer CDU noch einmal alles versucht, um Rot-Rot-Grün zu verhindern. Gemeinsam mit ehemaligen DDR-Oppositionellen mobilisierte sie ausgerechnet am 9. November zu einer Kundgebung gegen den Regierungswechsel. Auch die rechtspopulistische »Alternative für Deutschland« (AfD) sowie Neonazis riefen auf, an der Kundgebung teilzunehmen. Und so reckten etwa 3.000 Menschen auf dem Domplatz in Erfurt Kerzen und Fackeln in den dunklen Himmel und brüllten gemeinsam »Bodo raus!« und »Stasi raus!«. Kaum einer störte sich an den Neonazis, niemand schickte sie davon. Doch die rechte Volksfront hielt nicht lange. Zu einer zweiten Demonstration kamen nur noch 1.000 Menschen. Zu offensichtlich war die Instrumentalisierung durch die CDU zum Machterhalt, zu sehr schreckte die fehlende Abgrenzung nach rechts. Hinter den Kulissen verhandelte derweil der damalige Fraktions-Chef der CDU, Mike Mohring, mit der AfD über eine Minderheitsregierung – gegen den Willen der Bundespartei, die eine Kooperation mit der Rechtspartei ablehnt, aber mit Unterstützung weiter Teile der Thüringer Union.

Die alte Regierung organisierte eine Reihe von Störmanövern. Thüringens damaliger Finanzminister Wolfgang Voß (CDU) überwies eigenmächtig und ohne Kenntnis des Kabinetts Rücklagen in Höhe von 200 Millionen Euro an die Banken. Offiziell, um Schulden zu tilgen, doch tatsächlich sollte so der neuen Regierung erschwert werden, dringend benötig­tes Geld für finanziell notleidende Kommunen bereitzustellen. Und in den CDU-geführten Ministerien wurden die Stellen für persönliche Referenten, Pressesprecher usw. kurzerhand gestrichen, sodass sie nicht nahtlos mit neuem Personal besetzt werden konnten. Die neue Regierung steht nun vor der Aufgabe, das Verwaltungshandeln in Ministerien und Ämtern auf den Weg zu bringen, die fast ein Vierteljahrhundert vor allem CDU-geführt waren.

Auch politische Altlasten kamen im Zuge des Regierungswechsels gleich an die Oberfläche. So ist die neue Regierung gezwungen, eine seit Jahren umkämpfte Starkstromtrasse (380-KV-Trasse) quer durch den Thüringer Wald zu genehmigen und den Baubeginn einzuleiten. Das Genehmigungsverfahren war bereits so weit fortgeschritten, dass eine Verzögerung des Baus immense Schadensersatzforderungen nach sich ziehen würde. Die alte Regierung hatte nicht mehr unterschrieben, der schwarze Peter wurde von der CDU an die neue geschoben. Vor allem DIE LINKE und die Grünen hatten jahrelang gemeinsam mit Bürgerinitiativen und der linken Landrätin des Ilmkreises gegen den Bau der Trasse gekämpft. Im Koalitionsvertrag war festgehalten worden, dass die Regierung erneut prüft, ob der Bau noch zu verhindern sei. Diese juristische Prüfung fiel negativ aus.

Doch schon die allerersten eigenen Maßnahmen der Regierung zeigen, dass Rot-Rot-Grün ernst macht mit einer anderen Politik. Der erste Kabinettsbeschluss war ein Winterabschiebe­stopp als humanitäre Maßnahme und als klares Zeichen für eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik. Auf Drängen der Thüringer Linken und gemeinsam mit der Brandenburger Regierung wurde zudem das »Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr« der Bundesregierung von der »Grünen Liste« des Bundesrates gekippt. Darauf stehen Gesetzesvorlagen, gegen die es aus den Ländern keine Bedenken gibt.

Erste Belastungsprobe der neuen Regierungskoalition wird die Aufstellung des Landeshaushaltes. Finanzministerin Heike Taubert (SPD) macht derzeit einen Kassensturz, um endlich eine Einschätzung zu erhalten, welchen Kassenstand die alte Regierung hinterlassen hat. Auch wenn in den Koalitionsverhandlungen alle Vorhaben durchgerechnet wurden, wird sich nun erst zeigen, wie und in welchen Prioritäten unsere Politik zu bezahlen ist. Vier Projekte werden aber sofort angegangen: Erstens das gemeinsam mit den Gewerkschaften seit langem geforderte Thüringer Bildungsfreistellungsgesetz, damit sich auch hier erstmals Beschäftigte für arbeitsweltliche und gesellschaftliche Weiterbildung freistellen lassen können. Zweitens wird ein zweiter NSU-Untersuchungsausschuss eingerichtet. Drittens werden wir Vorhaben zur Stärkung der Thüringer Kommunen prioritär behandeln: den Anstoß zu einer Gebietsreform mit Bürgerbeteiligung, die Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs zur finanziellen Stärkung der Städte, Kreise und Gemeinden sowie ein Schul-Investitionsprogramm zur Sanierung von Schulen und Sporthallen. Und viertens steht die Abschaltung der Geheimdienst-Spitzel zur Eindämmung der Befugnisse des Geheimdienstes auf der Tagesordnung.


Partei – Fraktion – Regierung

Unsere Landtagsfraktion muss gegenüber unseren Regierungsmitgliedern den Anspruch auf ein linkes Profil der Regierungspolitik vertreten. Das linke Profil haben wir in den Koalitionsvertrag eingeschrieben. In der praktischen Ausgestaltung haben wir die Verantwortung dafür, dass es zum Tragen kommt. Das heißt nicht, dass unsere Regierungsmitglieder nicht selbst auf ein linkes Profil achten werden. Aber sie unterliegen von vornherein stärker dem Gebot, Kompromisse mit SPD und Grünen finden zu müssen. Die Fraktion hat hier viel größere Freiheiten. Indem wir diese Freiheiten nutzen, stärken wir unseren VertreterInnen in der Regierung in der Aushandlung der Politik mit SPD und Grünen den Rücken. Wir müssen gemeinsam lernen, welche Form der Abstimmung und des Spiels mit verteilten Rollen sich am besten eignet.

Gemeinsam mit den anderen Regierungsfraktionen fällt uns außerdem die Rolle zu, den gemeinsamen Willen der Koalition gegenüber der immer auch im eigenen Interesse handelnden Exekutive deutlich zu machen. Damit ist nicht gesagt, dass das Regierungshandeln per se den Intentionen der Parteien zuwider läuft. Aber beides ist auch nicht deckungsgleich. Die Fraktionen müssen dem Willen der Parteien im Prozess der Politikgestaltung kontinuierlich Ausdruck verleihen. Die Aufgabe der Fraktion im Landtag ist nicht mehr Opposition, was wir hervorragend konnten und können. Nun müssen wir das Regierungshandeln gegenüber der Opposition im Landtag aus CDU und AfD sowie Widerständen in Teilen der Gesellschaft verteidigen. Hier müssen wir uns in der jetzigen Konstellation umstellen und lernen, wie wir eine kooperative und vor allem erfolgreiche Arbeitsweise mit den Fraktionen der SPD und der Grünen, den VertreterInnen der Regierung und der Exekutive entwickeln.

Darüber hinaus dürfen wir Kritik an unserem Regierungshandeln nicht als »Majestätsbeleidigung oder parteipolitische Blutgrätsche«[5] (Tom Strohschneider) begreifen. Zumal dann, wenn sie von jenen kommt, die auf Rot-Rot-Grün gesetzt haben – also von Gewerkschaften, Sozialverbänden oder Bürgerinitiativen. DIE LINKE kann, sollte und muss solche Kritik als Unterstützung verstehen und nutzen, um in der Regierung stärker auftreten zu können. Hier bedarf es neuer Einübungen der verteilten Rollen zwischen Regierung, Partei und Fraktion sowie sozialen Bewegungen und außerparlamentarischen Akteuren – und viel Verständnis auf allen Seiten.

Wir haben uns mit dem Koalitionsvertrag auf ein gemeinsames Programm verpflichtet. Zugleich wollen und müssen wir als Partei in dieser Regierung erkennbar sein und als größter Partner ihr einen linken Kurs geben. Es gilt bei jedem einzelnen politischen Projekt, das wir anpacken, einen Weg zu finden, der beiden Ansprüchen gerecht wird. Auch hier bewegen wir uns auf Neuland.

Die Fraktion hat eine doppelte Scharnierfunktion zwischen Partei und Regierung. Sie nimmt die von der Partei formulierten Ansprüche auf, entwickelt adäquate politische Konzepte und speist diese in die Politik der Regierung ein. Umgekehrt vermitteln wir der Partei die Zwecke und Mittel des Regierungshandelns. Im Lauf der kommenden fünf Jahre werden wir mit gesellschaftlichen Entwicklungen konfrontiert werden, die wir im Koalitionsvertrag noch nicht absehen konnten. Umso wichtiger ist es, dass wir das, was unsere Partei als Antwort auf neue Entwicklungen formuliert, gegenüber der Regierung artikulieren. Das ist nicht Ausdruck eines Misstrauens, sondern entspricht der Tatsache, dass Parteien und ihre Abgeordneten einfach näher an den gesellschaftlichen Entwicklungen sind und die Interessen der WählerInnen aufnehmen können. Auf der anderen Seite können wir den Mitgliedern der Partei erklären, warum die Regierung so und nicht anders handelt, oder wo wir Kompromisse schließen mussten.

Jede Regierung neigt dazu, sich im Alltag des Regierungshandelns von den sie tragenden Parteien und Fraktionen zu entfernen. In schneller Abfolge muss sie tagtäglich Entscheidungen treffen und sich zu aktuellen Ereignissen äußern. Für intensive Rücksprachen mit Partei und Fraktion bleibt häufig keine Zeit. Dies muss nicht zu einem Problem werden, solange die Regierung akzeptiert, dass die Leitlinien ihres Handelns von den sie tragenden Parteien und Fraktionen bestimmt werden. Im Koalitionsvertrag sind die Linien vorgezeichnet. Es ist auch Aufgabe der Fraktion, unseren Regierungsmitgliedern immer wieder deutlich machen, worin der Wille von Partei und Fraktion besteht. Das ist auch nötig, um die Position der linken Regierungsmitglieder innerhalb der Regierung zu stärken. Den Nutzen davon haben wir alle, wenn es gelingt, den Interessen unserer WählerInnen im Handeln der Regierung Ausdruck zu verleihen.


Thüringen als Modell?

Hauptaufgabe des neuen Regierungsbündnisses ist es, auf der Grundlage des Koalitionsvertrages erstens eine andere, eine linke Politik in Thüringen zu machen und zweitens über den Bundesrat und andere Instrumente Einfluss auf die Bundespolitik zu nehmen. DIE LINKE muss sich drittens im Regierungshandeln der Aufgabe stellen, transformatorische Impulse im politischen Alltagsgeschäft zu setzen. Da bleibt nicht allzu viel Zeit, auch noch auf die Bundesebene zu schielen und die Koalition mit all ihren regionalen Besonderheiten[6] als Erfolgsmodell auf andere Länder oder den Bund übertragen zu wollen. Klar ist jedoch auch: Mit der Wahl Bodo Ramelows werden plötzlich andere politische Konstellationen denkbar. Laut einer Umfrage für die »Leipziger Volkszeitung« akzeptieren 54% der Menschen in Ost und West einen linken Regierungschef,[7] im Osten sind es deutlich mehr (65%). Das zeigt einen Stimmungswandel, den DIE LINKE nutzen sollte.

Doch die Thüringer Koalition ist nicht automatisch ein Signal für Rot-Rot-Grün im Bund. Auch wenn es vereinzelte und vorsichtige Signale aus SPD und Grünen für ein Bündnis mit der Linkspartei gibt, sind die politischen Differenzen derzeit noch zu groß. Gebetsmühlenartig wird DIE LINKE selbst von den BefürworterInnen einer Kooperation in oberlehrerhaftem Ton aufgefordert, Grundüberzeugungen vor allem im Bereich der Friedens- und Sozialpolitik über Bord zu werfen, um regierungsfähig zu werden. DIE LINKE ist und bleibt aber eine Friedenspartei, und DIE LINKE steht für einen Ausbau sozialer Sicherung und nicht dessen Abbau. Zudem finden wir im Bund völlig andere Mehrheitsverhältnisse im Parlament und Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft vor. Hier gibt es weiterhin verhärtete Fronten zwischen den drei Parteien, hier fehlt es bisher auf vielen Ebenen an vertrauensvollen Gesprächsfäden. Und es gibt viel zu wenig gemeinsame politische Erfolge in der parlamentarischen Oppositionsarbeit oder auf der Straße. In Thüringen war Rot-Rot-Grün seit Jahren gelebte politische Realität – in Kommunen, auf der Straße und selbst bei einer Reihe von Themen im Landtag. Im Bund müssen wir gemeinsame Projekte mit der Lupe suchen.

Ich hoffe, dass in SPD und Grünen linke Positionen stärker werden und eine Diskussion über mögliche linke Kernprojekte in Bewegung kommt. Rot-Rot-Grün entstand in Thüringen nicht über Nacht und wurde auch nicht erst nach der Wahl organisiert. Wer will, dass sich auch im Bund auf absehbare Zeit etwas verändert, muss langfristig denken. Es braucht praktische Erfahrungen erfolgreicher Kooperationen, um irgendwann zusammenarbeiten zu können. Davon sind wir weit entfernt, auch wenn eine gewisse Normalisierung im Umgang mit der Linkspartei festzustellen ist. Es braucht – so wie in Thüringen in den vergangenen Jahren – eine intensive und normale Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb des Parlaments von SPD, Grünen, Linkspartei, Gewerkschaften und Sozial- oder Umweltverbänden. Es muss deutlich werden, dass eine Zusammenarbeit Erfolge gegen einen konservativen und neoliberalen Mainstream haben kann. Die einen nennen es »Mosaik-Linke« (Hans-Jürgen Urban),[8] andere einen »linken gesellschaftlichen Block« (Thomas Seibert).[9] Es gilt, jene Themen zuerst in den Blick zu nehmen, in denen es politische Gemeinsamkeiten geben kann. Eine solche Debatte und entsprechende Initiativen müssen organisiert werden, sie müssen sich entwickeln, sie brauchen wahrscheinlich Anstöße aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Die Diskussion erst kurz vor den nächsten Bundestagswahlen zu führen, wäre zu spät. Für eine andere Politik auf Bundesebene braucht es eine »hegemoniefähige Politikagenda und eine Durchsetzungsstrategie«[10] – verbunden mit konkreten Reform- und Transformationsvorhaben.


Offene Baustellen

Mit der für DIE LINKE neuen Situation in Thüringen sehe ich drei Problemfelder, die von der Partei abgearbeitet werden müssen, will sie künftig erfolgreich Politik auch in Regierungsverantwortung machen – egal ob in Ländern oder im Bund:

Erstens müssen konkrete Ideen entwickelt und praktisch erprobt werden, wie Regierungspolitik nicht nur im Hier und Jetzt, sondern auch transformatorisch in Richtung eines demokratischen Sozialismus wirken kann. Mehr Geld für die Kommunen, mehr ErzieherInnen in Kitas oder weniger Spitzelei durch den Geheimdienst sind richtige Schritte, aber noch keine wirklichen Bewegung hin zu einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft. Michael Brie beschrieb diese Herausforderung linker Regierungspraxis so: »Positiven Einzelergebnissen steht bisher zumeist die Unfähigkeit gegenüber, eine stabile gegenhegemoniale Formation zu schaffen, die den Neoliberalismus in seinen Grundelementen herauszufordern und einen stabilen Pfad der Transformation einzuschlagen vermag. Dies aber ist die nächste Aufgabe«.[11] Ich hoffe, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung in dieser Hinsicht die Thüringer Regierungspraxis begleiten wird.

Zweitens fällt unserer Partei unsere fehlende »Kaderpolitik« massiv auf die Füße. Egal ob kommunal im Landratsamt oder im Land in einem Ministerium: Die politische Durchsetzung der Ministerien und Verwaltungen mit Getreuen anderer Parteien stellt uns vor große Schwierigkeiten, linke Politik zu realisieren. Die Besetzung von Positionen in den Behörden mit formal und fachlich qualifiziertem »eigenem« Personal in ausreichender Zahl ist eine Herausforderung. Hier muss DIE LINKE – will sie künftig in Verantwortung dauerhaft Erfolge haben – massiv in Qualifizierung und Personalentwicklung investieren.

Drittens ist das weitere Absinken der Wahlbeteiligung ein massives Problem für eine linke, eine soziale Politik. Die hauchdünne Mehrheit von Rot-Rot-Grün in Thüringen zeigt das Problem. »Die Zunahme der Wahlenthaltung hat einen Klassencharakter«,[12] schrieb Horst Kahrs völlig richtig. Gerade jene, die einen verlässlichen Sozialstaat und öffentliche Daseinsfürsorge brauchen, machen von ihrem Wahlrecht unterdurchschnittlich Gebrauch. Im Ergebnis müssen wir eine »systematische Verdrängung« eines Teils der Menschen aus dem politischen Leben feststellen. Politik habe sich »von der alltäglichen Lebenswelt eines Teils der Wahlbevölkerung erheblich entfernt«. Es gilt, Menschen nicht allein in Wahlkämpfen zu umwerben, sondern »eine Alltagsbeziehung mit ihnen auf(zu)bauen«. Dafür ist es auch notwendig, »wieder eine Vorstellung und ein Gefühl von der eigenen Macht und der Veränderbarkeit der Verhältnisse zu entwickeln«, schreibt Kahrs.

Angesichts der Zumutungen im Kapitalismus und der heutigen Gesellschaft braucht es DIE LINKE, eine Organisation, die »als Ort der gemeinsamen Praxis funktioniert, in der sich Erfahrungen neu zusammensetzen und gesellschaftlich etwas bewegen können«.[13] Benötigt wird eine Organisation, in der sich im politischen Alltag – und nicht nur auf Parteitagen – jene Menschen treffen, die linke Kommunalpolitik machen, in der Nachbarschaft für eine solidarische Gesellschaft werben, sich gegen Neonazis oder für den Erhalt von Kitas und Schwimmbädern engagieren, für gerechte Löhne streiten, in Sozialverbänden Solidarität praktisch organisieren, in wendländischen Wäldern Atommülltransporte blockieren, an Hochschulen kritische Wissenschaft reetablieren, linke Kultur organisieren, am 8. März für Frauenrechte auf die Straßen gehen – oder eben auch in einer Landesregierung in Thüringen für linke Politik streiten.

Susanne Hennig-Wellsow ist Vorsitzende der Partei DIE LINKE Thüringen und seit Dezember 2014 auch Vorsitzende der Linksfraktion im Thüringer Landtag.

[1] www.die-linke-thueringen.de/fileadmin/LV_Thueringen/dokumente/Koalitionsvertrag-2014.pdf
[2] Zitiert nach Dieter Hausold: Abschied, in: Jens-Fietje Dwars (Hrsg.): Die Wahrheit des anderen. Texte von und über Dieter Strützel, Erfurt.
[3] Claus Peter Müller: Mit Ruhe und Hochdruck, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.1.2015.
[4] »Keine andere Möglichkeit, als auf diese Kraft zu setzen«. Interview mit Astrid Rothe-Beinlich und Thomas Seibert, in: neues deutschland, 30.12.2014.
[5] Tom Strohschneider: Das Ding ist gestorben. Oder doch noch nicht?, in: Berliner Republik, Nr. 3/2014.
[6] Siehe hierzu meinen Beitrag »Rot-Rot-Grün ist möglich! Thüringen könnte anfangen und das Nötige möglich machen«, in: Sozialismus 10-2014.
[7] Jeder dritte Deutsche kann sich einen Linken-Politiker als Kanzler vorstellen, Leipziger Volkszeitung, 4.1.2015.
[8] Hans-Jürgen Urban: Stillstand in Merkelland: Wo bleibt die Mosaik-Linke?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 7/2014.
[9] »Keine andere Möglichkeit, als auf diese Kraft zu setzen«. Interview mit Astrid Rothe-Beinlich und Thomas Seibert, in: neues deutschland, 30.12.2014.
[10] Urban, a.a.O.
[11] Michael Brie: Ist sozialistische Politik aus der Regierung heraus möglich? Fünf Einwände von Rosa Luxemburg und fünf Angebote zur Diskussion, in: Ders./Cornelia Hildebrandt (Hrsg.): Parteien und Bewegungen. Die Linke im Aufbruch, Berlin 2006, S. 100
[12] Horst Kahrs: Abschied aus der Demokratie. Zum sozialen Klassencharakter der wachsenden Wahlenthaltung und der Preisgabe staatsbürgerlicher Rechte, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2012.
[13] Raul Zelik: Fast eine Liebeserklärung, in: neues deutschland, 16.6.2012.