Auf dem Weg zur Europäischen Bankenunion? Finanzsystem stabilisiert, aber noch nicht reguliert

Von Joachim Bischoff

16.09.2013 / sozialismus.de, vom 14.09.2013

Mit dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers vor fünf Jahren nahm die Immobilien- und Hypothekenkrise eine neue Qualität an: Die Pleite der US-Bank wurde zum Auslöser und zugleich Verstärker einer internationalen Finanz- und Bankenkrise.

Die Insolvenz des Instituts war jedoch nicht der Dominostein, der die Krise in Gang setzte. Vorauslaufende Warnsignale gab es selbst im Bankensektor reichlich: Da ist die Fast-Insolvenz der IKB Deutsche Industriebank, die Ende Juli 2007 vom Staat gerettet werden musste. Die US-Investmentbank Bear Stearns löste zwei Hedge-Funds auf, die in Hypothekenpapiere überinvestiert hatten. Die französische Großbank BNP Paribas setzte Rückzahlungen auf drei Investmentfonds aus. Anfang 2008 wurde die britische Northern Rock von der Regierung übernommen. Vor der Lehman-Pleite wurden die beiden US-Hypoinstitute Freddie Mac und Fannie Mae unter staatliche Kontrolle gestellt.

Durch staatliche Interventionen in mehreren Ländern wurde ein Systemcrash abgewendet. Die Zahlen aus dem Subventionsbericht der EU-Kommission verdeutlichen das Ausmaß der deutschen Bankenrettung, die im internationalen Vergleich sehr hoch ausfiel. Die von Brüssel genehmigten Rettungsmaßnahmen erreichten von 2008 bis September 2012 rund 646 Mrd. Euro. Nur Großbritannien musste mit 873 Mrd. Euro mehr Rettungsgelder bewilligen lassen. Zum Vergleich: Die Vereinigten Staaten stellten 700 Mrd. US-Dollar bereit, von denen die Banken 428 Mrd. US-Dollar benötigten. In Euro umgerechnet, war der Hilfsrahmen für deutsche Banken um ein Fünftel größer, obwohl die amerikanische Volkswirtschaft fast fünf Mal so groß ist.

Die massiven Finanzhilfen für den Bankensektor waren erfolgreich und konnten den drohenden Zusammenbruch des Finanzsystems verhindern. Für die Stützung in der auf die Finanzkrise folgende massive Schrumpfung der wirtschaftlichen Leistung wurden weitaus geringere Finanzmittel aktiviert. Diese Asymmetrie prägt die Antikrisenpolitik bis heute.

Staatseingriffe sind im akuten Krisenfall ein wichtiges Mittel, um Bank-Runs, Insolvenzen oder Kreditklemmen zu verhindern. Allerdings müsste dieses öffentliche Engagement mit Haftungsverlusten für die Kapitaleigentümer und der Übernahme von Eigentumsanteilen durch die öffentlichen Institutionen einhergehen. Außerdem müsste der Stabilisierung der Banken ein zügiger Übergang zu weitergehenden Regulationsformen folgen.

Die Entwicklungen in der EU sind völlig anders verlaufen: Eine begrenzte Verstaatlichung im Umfang der Finanzhilfen fand nicht statt und die Entwicklung seither legt den Schluss nahe, dass die neuen Regeln begrenzt bleiben und weitere Staatseingriffe auch künftig nicht ausgeschlossen sind. Damit nehmen die politischen Entscheidungsträger nebst hohen Verlustrisiken aus dem direkten Engagement des Staats auch eine nachhaltige Beeinträchtigung der Spielregeln auf den Finanzmärkten in Kauf.

In den USA ist das Bild partiell günstiger. Von den insgesamt 432 Mrd. US-Dollar, die der Staat für die Bankbranche aus dem Tarp (Troubled Asset Relief Program) und für die Rettung von Freddie Mac und Fannie Mae eingesetzt hat, wurden bis heute über 90% entweder zurückbezahlt oder flossen als Investitionserträge in die Staatskasse zurück. Weit über 400 insolvente Banken wurden abgewickelt. Ein schaler Nachgeschmack haftet an dem 2010 ins Leben gerufenen staatlichen Small Business Jobs Act. Anstatt daraus, wie vorgesehen, Kredite an kleine und mittlere Unternehmen zu vergeben, verwendeten Banken 80% der Mittel für den Tarp-Exit.

Demgegenüber ist in der Europäischen Union ein kompletter Ausstieg aus den Staatshilfen nicht abzusehen. Von den insgesamt bewilligten 5.100 Mrd. Euro (39% des BIP) wurde bis 2011 gut ein Drittel beansprucht. Davon wurden 67% als Garantieleistungen eingesetzt . 2012 wurden neue Hilfsgelder im Umfang von 429,5 Mrd. Euro bewilligt. Inzwischen erhält jede zehnte Bank in der EU staatliche Beihilfen und befindet sich in einem Restrukturierungsprozess. Nach der Bilanzsumme gewichtet, ist es gar jedes vierte Institut. Von den 76 größten Bankengruppen in der EU befanden sich gemäss dem Internationalen Währungsfonds 19 größtenteils oder vollständig in Staatsbesitz, aber dieser faktischen Verstaatlichung folgt keine Strukturpolitik bei der Reorganisation des Finanzsektors. Dabei sind Beihilfen bei weitem nicht nur in den krisengeplagten Euro-Ländern verbreitet.

Durch das Hinausschieben des Ausstiegs aus den Staatshilfen besteht in der Europäischen Union die Gefahr, dass auf absehbare Zukunft unterschiedliche Rahmen- oder Wettbewerbsbedingungen existieren. Banken, die länger als notwendig Krisenhilfen erhalten, kommen in den Genuss einer günstigen Finanzierung, die ihnen in einem kompetitiven Umfeld Wettbewerbsvorteile erschließen kann. Auch grundsätzlich insolvente Banken, die nur dank der Liquiditätsschwemme der Zentralbanken weiter auf dem Markt auftreten, verzerren den Wettbewerb. Hinweise für die Existenz solcher so genannten Zombiebanken sind gibt es reichlich.

Bei vielen Akteuren im Finanzsektor wie bei der Politik dominieren offenbar immer noch Illusionen über die Natur der Krise. Die Anpassung der Ökonomien der kapitalistischen Hauptländer an ein nachhaltig tragbares Schuldenniveau stellt sich als ein Prozess dar, der über mehrere Jahre hinaus eine Schwächung des wirtschaftlichen Wachstums bewirken wird. Dem übermäßigen Aufbau privater und öffentlicher Schulden wird unter Hegemonie des Neoliberalismus eine Periode schwachen Wachstums folgen, in der die entstandenen Ungleichgewichte beseitigt werden sollen.

Dies wird sich logischerweise auch in geringeren Geschäftschancen für die Banken niederschlagen, denn ein geringeres gesamtwirtschaftliches Wachstum senkt auch die Wachstumsrate der Kredit- und Einlagenvolumen, der Transaktionsvolumina im Zahlungsverkehr und der kapitalmarktnahen Segmente. Das Wachstum der Geschäftsvolumen europäischer Banken in ihren Heimatmärkten dürfte daher auf absehbare Zeit gering sein.

Die Eigenkapitalanforderungen für Banken steigen – und immer mehr Finanzmarktakteure drücken sich davor: Auf 51 Bio. Euro beziffert die EU-Kommission das weltweite Geschäft der so genannten Schattenbanken. Das ist mehr als doppelt so viel wie 2002 und entspricht in etwa der Hälfte des regulären Bankensektors. Bei den Schattenbanken handelt es sich um Fonds und andere Finanzmarktakteure, die bankähnliche Geschäfte wie etwa Kapitalanlage oder Kreditvergabe betreiben. Auch die regulären Banken selbst haben Geschäfte in den Schattenbanken-Sektor verlagert.

Die Banken müssen weiter ihre Eigenkapitalbasis stärken, ihre Risiken zur Refinanzierung reduzieren und Kosten sparen. Insgesamt wird die Branche auf Jahre hinaus kleinere Brötchen backen, es geht im Konkurrenzkampf darum, wie sich der Schrumpfungsprozess des Sektors auf die Institute verteilt. Eigenkapitalrenditen von 25% wie vor der Krise wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Ein Institut, das trotz der niedrigen Zinsen eine Eigenkapitalrendite von 10% erzielt, steht nicht schlecht da. Dazu kommen verschärfte Regulationsansätze (Basel III und europäische Bankenunion) sowie steuerliche Auflagen (Finanztransaktionssteuer).

Bei vielen europäischen Finanzinstituten ist die Lage kritisch. Dies gilt vor allem für Häuser in der Peripherie der Euro-Zone. Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellte fest: Von diesen müssten viele noch Fortschritte bei der Stärkung ihrer Bilanzen erreichen. Den Instituten fehlt es an Ertragskraft, und die Qualität ihrer Vermögenswerte verschlechtert sich.

Eine Mitte Juni veröffentlichte Bankenstudie von Independent Credit View (ICV) kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Abgesehen von Staaten wie Norwegen, Schweden und der Schweiz erwiesen sich der europäische Kontinent und sein Bankensektor aus Bonitätssicht als »Sorgenkind«. Positive Perspektiven fanden sich hingegen in Nordamerika und in einzelnen Schwellenländern. Für die untersuchten Banken weltweit errechneten die Autoren einen kumulierten Bedarf an frischem Kapital in Höhe von 1.028 Mrd. Euro, von dem alleine 776 Mrd. Euro auf Europa entfielen.

Die schwierige Situation spiegelt sich auch in den Ratings europäischer Finanzinstitute. Gemäss der Ratingagentur S&P haben zwei Drittel der Bonitätsnoten der 100 größten Banken in Europa derzeit einen »negativen Ausblick«, es droht also eine Herabstufung. S&P ist relativ skeptisch, was die wirtschaftliche Erholung in Europa angeht. Die Refinanzierungsbedingungen der Banken seien schwieriger und teurer geworden. Hinzu kämen die Auswirkungen der schärferen Regulierungen, die viele Finanzinstitute dazu zwingen, ihr Geschäftsmodell anzupassen.

Innerhalb Europas ist seit längerem ein Auseinanderdriften zwischen den Banken der EU-Peripherie und von Kerneuropa zu beobachten. Der Zwang zum Abbau von Risiken und schwache makroökonomische Daten drückten auf die Kreditvergabe, schreibt die Landesbank Baden-Württemberg in einer Studie. Das Niedrigzinsumfeld belaste die Profitabilität und damit die Fähigkeit zum Aufbau von Eigenkapital. Einige Banken aus Peripherieländern kämen so in einen Teufelskreis aus nachlassender Qualität der Vermögenswerte, höherer Risikovorsorge und schwacher Eigenkapitalrentabilität.

Dies hat die verhängnisvolle Interdependenz zwischen Banken und Staaten verstärkt. Marktbeobachter schätzen die Exponierung europäischer Banken gegenüber europäischen Staaten mittlerweile auf weit über 1.000 Mrd. Euro. So werden durch die Hintertür Staatsdefizite finanziert. Den europäischen Banken wurde zwar die Refinanzierung ermöglicht und Liquidität zur Verfügung gestellt. Die zugrunde liegenden Probleme, wie die zu schwache Kapitalausstattung und die bis jetzt zu geringen Abschreibungen von faulen Krediten, wurden aber nicht gelöst.

Im Vergleich mit den europäischen Finanzhäusern stehen amerikanische Banken derzeit besser da. Der Unterschied dürfte daher rühren, dass die US-Institute in der Krise »zwangskapitalisiert« wurden, und dass faule Kredite resolut abgeschrieben wurden. In Europa läuft hingegen ein Spiel auf Zeit. Zudem gilt Europa als »overbanked«, es gibt also viel zu viele Banken. Die extrem expansive Geldpolitik hat indessen die nötige Strukturbereinigung des europäischen Finanzsystems in die Zukunft verschoben. Für die Rückkehr zu höheren Wachstumsraten ist aber ein gesundes Bankensystem nötig.

Über eine »Bankenunion« wird seit dem Frühjahr 2012 diskutiert und verhandelt. Ende Juni 2012 stellten die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone erste Weichen: Sie vereinbarten einerseits, einen »einheitlichen Aufsichtsmechanismus« (SSM) für Banken zu schaffen. Das Europäische Parlament gab Anfang September grünes Licht für eine gemeinsame Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank (EZB). Die EZB kann nun mit deren Aufbau starten.

Funktionsfähig könnte die Aufsicht, die sich auf die 130 größten Geldhäuser Europas konzentriert, im Herbst 2014 sein. Mit dem Parlamentsbeschluss gibt es einen ersten rechtskräftigen Schritt hin zu einer Bankenunion. Für den Präsidenten des deutschen Bankenverbandes, Jürgen Fitschen, wird damit eine wichtige Konsequenz aus der Finanzkrise gezogen. EZB-Chef Mario Draghi versprach, die Notenbank werde alles tun, damit sie die Aufsicht wie geplant in einem Jahr übernehmen könne. Mit der einheitlichen Aufsicht könne das Ziel erreicht werden, wieder mehr Vertrauen in das Bankensystem Europas zu schaffen.

Damit könnte die erste Säule der Bankenunion in wenigen Monaten stehen. Der zweite Baustein ist ein gemeinsamer Abwicklungsmechanismus für Problembanken in Europa. Zu einem späteren Zeitpunkt ist möglicherweise noch eine einheitliche Einlagensicherung avisiert – auch die ist noch sehr umstritten. Schließlich soll der Euro-Krisenfonds ESM die Möglichkeit erhalten, Banken direkt zu rekapitalisieren.[1]

Die Bauarbeiten an den Teilen der Bankenunion sind unterschiedlich weit gediehen. Während das Gesetzgebungsverfahren zur Schaffung des SSM fast abgeschlossen ist, wird über wichtige Bestandteile des »Fundaments« noch zwischen den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament verhandelt. Am wenigsten weit gediehen ist der Single Resolution Mechanism (SRM), der festgelegt, wie sich der Prozess für die Sanierung und Auflösung einer Bank gestaltet. Die EU-Kommission hat den einschlägigen Gesetzesvorschlag erst Mitte Juli vorgelegt; er stieß und stößt auf scharfe Kritik der deutschen Regierung.

Deren Keule ist die rechtliche Basis: Die Kommission maße sich Kompetenzen an, die sie laut den geltenden EU-Verträgen (Primärrecht) nicht haben könne. Es gibt mithin noch ungeklärte Grundsatzprobleme. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warnt angesichts des Streits in der EU über eine gemeinsame Bankenabwicklung vor Verzögerungen bei der Schaffung der Bankenunion. Die Europäer sollten so schnell wie möglich vorankommen, müssten das aber auf einem rechtlich einwandfreien Wege tun. Den Vorschlag, dass die EU-Kommission am Ende den Daumen über eine Krisenbank senkt, lehnte Schäuble ab. Dies wäre durch das EU-Recht nicht gedeckt. Ohne eine begrenzte Vertragsänderung könnten die Kompetenzen für derartige Entscheidungen nicht auf Brüssel verlagert werden. Schäuble plädierte dafür, das Sagen bei den nationalen Aufsehern zu belassen, die dabei zusammenarbeiten sollten. Die EU-Kommission könne dabei mitwirken.

Die Teilnahme an SSM und SRM ist für Euro-Staaten obligatorisch und für die übrigen EU-Mitglieder freiwillig. Das Fundament der Bankenunion hingegen ist breiter: Es wird gebildet durch EU-Vorschriften für den Bankensektor, die für alle 28 Staaten gelten. Neben Vorgaben zur Kapitalausstattung und zur Einlagensicherung ist hier vor allem der Vorschlag für eine Richtlinie (Gesetz) über die Sanierung und Abwicklung von Banken (BRRD) wichtig. Deren Kernelemente sind die Beteiligung von Aktionären, Gläubigern und ungesicherten Einlagen an Verlusten und an Abwicklungskosten (»Bail-in«) sowie aus Bankenabgaben finanzierte Abwicklungsfonds, die gewisse Kosten übernehmen, wenn das »Bail-in« nicht reicht. Umgesetzt sollen diese Vorgaben im SRM durch eine zentrale Stelle sowie einen gemeinsamen Fonds, in den übrigen EU-Staaten durch nationale Behörden und Fonds.

Das Zusammenspiel von besserer Eigenkapitalausstattung und »Bail-in«/Abwicklungsfonds soll dafür sorgen, dass nur noch in seltenen Fällen nationale öffentliche Mittel oder – als letzte Möglichkeit bei Euro-Staaten – der ESM eingesetzt werden müssen. Allerdings wird es Jahre dauern, bis das voll umgesetzt ist. So könnte es bis 2018 dauern, bis das »Bail-in« der BRRD voll greift. Neue Staatshilfe-Vorschriften und die ESM-Regeln nehmen indessen zumindest Teile der »Bail-in«-Vorgaben schon jetzt vorweg.

Gemessen an den guten Vorsätzen aus dem Krisenjahr der Lehman-Pleite sind die Anstrengungen zu einer Schrumpfung und Neuregulierung der Finanzsektoren nicht weit gediehen. Der IWF fordert von Europa zu Recht mehr Tempo bei der geplanten Bankenunion. Seine Chefin Christine Lagarde drängt darauf, die entsprechenden Vorschläge müssten schnell umgesetzt werden.

Zwar wurde einiges getan, um das Finanzsystem sicherer zu machen. Doch die zentralen Probleme, die zur Krise führten, sind nicht gelöst: Zu hohe Verschuldung, falsche Anreize und eine faktische Staatsgarantie für Großbanken. Ab einer gewissen Größe und Bedeutung können Finanzinstitute damit rechnen, im Ernstfall vom Steuerzahler gerettet zu werden. Sie sind »too big to fail«, zu groß, zu vernetzt und zu wichtig für das Finanzsystem, um im Krisenfall sich selbst überlassen zu werden.

Seit 2008 sind die globalen Akteure im Finanzsystem noch größer und mächtiger geworden. Letztlich gilt nach wie vor, dass die Regeln der kapitalistischen Marktwirtschaft in der Finanzbranche deutlich eingeschränkt sind und im Krisenfall nur mit massiven Einsatz von öffentlichen Krediten ein Systemzusammenbruch blockiert werden kann. Die Zähigkeit, mit der global die Bankenregulierung vorankommt, befördert die Befürchtungen vor einer neuen Finanzkrise. Die Gruppe der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) drängt schon seit längerem auf deutlichere Fortschritten. Auf dem G20-Gipfel Anfang September in Sankt Petersburg sind einige Verabredungen getroffen. Tenor ist: »Es reicht nicht, Banken zu regulieren, auch Hedgefonds und Schattenbanken müssen reguliert werden.« Aber die konkreten Schritte und die Zeitvorstellungen blieben doch weiterhin im Ungefähren.

Was sind die wichtigsten Schritte zu einer Re-Regulierung?


Erstens: Eigenkapital erhöhen

Unbestritten ist der Weg, über strengere Kapital- und Liquiditätsanforderungen die Vorteile zu minimieren, von denen die Großbanken profitieren. Zentrale Reformbereiche sind die Liquiditätsvorschriften, die Abwicklungsregelungen für globale und nationale systemrelevante Banken, die Regulierung der Ratingagenturen und Institutionalisierung des FSB[2] zu einem handlungsfähigen Instrument. Wie lange eine Umsetzung in nationales Gesetz dauert, sieht man am Fall des Bankenregelwerkes Basel II. Die ursprüngliche Fassung der Rahmenvereinbarung wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Bis heute haben drei der 27 Mitgliedsländer des Basler Ausschusses Basel II nicht vollständig umgesetzt – darunter auch die USA.

Basel III ist Teil einer europäischen Richtlinie mit der Bezeichnung Capital Requirements Directive. Diese Verordnung, die das Europaparlament im April dieses Jahres verabschiedete, und die der Bundestag als einer der ersten EU-Staaten in nationales Recht überführte, beinhaltet weitere neue Vorschriften für die Bankenwelt. Mit Basel III wird das haftende Kapital der Banken gestärkt und die Bezahlung der Bankmanager so ausgestaltet, dass sie einen Anreiz zu nachhaltigem Wirtschaften haben. Musste eine Bank bislang nur 2% Eigenkapital vorhalten, so sollen es ab 2019 7% sein. Diese Kernkapitalquote bezieht sich aber nicht auf die gesamte Bilanzsumme, sondern nur auf das Verhältnis von Kernkapital zu »risikogewichteten assets«. Wertpapiere und Kreditkarten beispielsweise gelten nicht als risikoreich, entsprechend werden sie bei dieser Berechnung nicht berücksichtigt. In den USA dagegen wird anders gerechnet: Die »Leverage Ratio« berücksichtigt Eigenkapital im Verhältnis zu allen assets der Bank und ist dadurch wesentlich strenger. Nach Basel III muss die »Leverage Ratio« 2019 bei 3% liegen, die Deutsche Bank erreicht aktuell knapp 2%. In den USA dagegen wird jetzt von den Regulierungsbehörden eine höhere »Leverage Ratio« von 4-5% oder sogar 8% angestrebt – die amerikanischen Großbanken haben längst eine »Leverage Ratio« von 3-4%.

Die Eigenkapital-Anforderungen im Rahmen von Basel III, das ab 2014 schrittweise in Kraft treten sollte, sind laut der Bank für internationalen Zahlungsausgleich überhaupt erst von elf der 27 Baseler-Ausschuss-Länder umgesetzt. Entscheidende Länder wie Großbritannien, die USA und Deutschland fehlen. Außerdem fordern einige Finanzexperten mit starken Argumenten sehr viel höhere Eigenkapitalpuffer von etwa 20% – die meisten Grossbanken liegen heute noch unter 3%.


Zweitens: Überwachung und Regulierung von Schattenbanken

Als Schattenbanken gelten nach dem Verständnis des FSB Institutionen, die keine Banken sind, aber dennoch Kredite vergeben und dabei Fristentransformation betreiben. Das können Hedgefonds oder Private-Equity-Fonds sein, aber auch Pensionsfonds oder Versicherer. Angesichts der Kapitalknappheit und der verschärften Regulierung der Banken hat der Anreiz zur Abwanderung von Kapital ins Schattenbankensystem zugenommen. Allein in den Jahren 2002 bis 2011 hat sich die Bilanzsumme der Schattenbanken nach Daten des FSB auf rund 67 Bio. US-Dollar mehr als verdoppelt. In den Vereinigten Staaten machen die Schattenbanken mehr als ein Drittel des gesamten Finanzsystems aus, nach Angaben der Bundesbank entspricht hierzulande die Bilanzsumme der Schattenbanken 15% der Bilanzsumme der regulierten Banken.


Drittens: Reduzierung der Risiken aus Wertpapierleihe- und Repogeschäften

Die USA hatten das Trennbankensystem nach den Bankenpleiten in der großen Depression der 1930er Jahre eingeführt und erst Ende der 1990er Jahre abgeschafft. Seit Ausbruch der Krise steht es vielerorts wieder hoch im Kurs. Ob damit Bankenkrisen verhindert und das Problem des »Too big to fail« gelöst werden kann, ist allerdings unter Ökonomen höchst umstritten. So ist die genaue Abgrenzung des Investment Banking schwierig. Lehman Brothers und Bear Sterns, die am Ursprung der Finanzkrise standen, waren reine Investmentbanken, AIG gar ein Versicherer. Mit einem Trennbankensystem verschwindet das Risiko nicht, es wird nur innerhalb des Finanzsystems verschoben. Die Vorstellung, man könnte Investmentbanken und ihre Märkte kollabieren lassen, ohne die Geschäftsbanken und deren Kunden zu gefährden, ist naiv. Den Vorschlägen für ein Trennbankensystem kann man durchaus etwas abgewinnen. Eigenhandel und große Teile des Market Making der Banken seien für die Realwirtschaft nicht so wichtig, sie enthielten aber ein hohes systemisches Risiko. »Diese Bereiche abzuspalten, wie es die europäische Liikanen-Kommission vorschlägt, ist kein Allheilmittel, würde aber Banken abwicklungsfähiger machen.«

Zur Strategie der Reduzierung von Risiken gehören des weiteren neue Vorschriften für den Verbriefungsmarkt. Dabei geht es insbesondere darum, die durch die Mehrfach-Verleihung von Wertpapieren entstehenden Risiken zu begrenzen.

Diskutiert wird auch ein Rechtsrahmen für Repo-Finanzierungen. Vor allem in den USA refinanzieren sich Broker, indem sie Wertpapiere verpfänden. Der FSB empfiehlt nun, dass ein Kreditgeber künftig einen festen Preisabschlag verlangen soll, wenn er einem Broker Geld leiht und dafür ein Wertpapier als Pfand annimmt. So soll verhindert werden, dass Kreditgeber im Falle einer Vertrauenskrise die Märkte massiv mit Wertpapieren fluten. Gegen eine solche Regulierung der Repo-Finanzierungen laufen die Banken derzeit Sturm.


Fazit

Die EU-Kommission in Brüssel will nicht warten bis im Rahmen der G 20 eine Verständigung erreicht ist. Der zuständige Kommissar Michel Barnier nimmt zumindest die Regulierung der Geldmarktfonds bereits jetzt konkret in Angriff. Generell gilt aber, dass die Fortschritte in Sachen Bankenregulierung nach fünf Jahren recht bescheiden sind. Dabei wird immer wieder betont: Neue Stabilität in der kapitalistischen Ökonomie kann das Bankensystem nur gewinnen, wenn dem Haftungsprinzip wieder mehr Geltung verschafft wird. Eine rigorose Eigenkapitalregulierung ist dafür Grundvoraussetzung.

Fakt ist: Fünf Jahre nach der fundamentalen Erschütterung ist das internationale Finanz- und Bankenstem stabiler geworden. Vor allem das Eigenkapital ist weitaus größer als vor der großen Krise. Wahr ist aber auch: Nur ein Bruchteil der vorgeschlagenen Regulierungen ist umgesetzt. Die Großbanken sind heute größer als vor der Krise und die Immobilienfinanzierung ist repariert, aber keineswegs auf solide Fundamente gestellt.

Die öffentlichen Verluste bei der Bankenrettung erreichen in den Hauptkrisenländer alle einen zweistelligen Milliarden Eurobetrag und eine Endabrechnung steht noch aus. Der Bankenrettungsfonds ist in der Bundesrepublik gesetzlich in der Endstufe auf 70 Mrd. Euro festgesetzt und im Rahmen der europäischen Bankenunion soll der Fonds 55 Mrd. Euro umfassen. Es wird Jahre dauern, bis diese Fonds durch die Bankenabgaben voll handlungsfähig sind. Selbst wenn die immer noch vorhandenen Risiken im Finanzsystem bis dahin tragfähig bleiben, werden die Fonds im Falle einer neuen Krise nicht ausreichen und wird wieder auf öffentliche Mittel zurückgegriffen werden.

Die politische Floskel, dass Banken- und Finanzkrisen künftig ohne öffentliche Geld restruktiert oder abgewickelt werden sollen, ist pure Illusion. Die Alternative zu diesen Rettungs- und Stablisierungsversuchen besteht in einem öffentlichen Finanzsystem, womit freilich der Expansion des Kredits im Rahmen des kapitalistischen Akkumulationsprozesses deutliche Schranken gesetzt werden.

[1] Aus dem maximal 500 Mrd. Euro schweren Fonds können sich marode Banken nach der voraussichtlichen Einführung der gesamteuropäischen Bankenaufsicht durch die EZB ab nächstem Jahr direkt rekapitalisieren. Immerhin hat die EU-Kommission Anfang Juli 2013 die Regeln für die Bewilligung von Staatshilfen verschärft. Künftig bedarf es nach dem Vorbild Zyperns auch eines »Bail-in« von Anteilseignern und Gläubigern sowie eines Abwicklungsplans der hilfesuchenden Bank.
[2] Der Rat für Finanzstabilität, Financial Stability Board oder FSB, hat zum Gipfel der 20 Staaten neue Empfehlungen gegeben, zumindest in einigen Teilbereichen scheint es voranzugehen.

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