Bertelsmann agitiert mit falschen Zahlen für die Rente ab 69

Von Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff

27.03.2013 / www.luegen-mit-zahlen.de, 22.03.2013

Zahlen und Statistiken werden häufig eingesetzt, um nicht selber nachdenken und nicht selber, als Kopf und Persönlichkeit, etwas entscheiden zu müssen. Stattdessen dient eine willkürlich ausgewählte und passend zurechtfrisierte Zahl als jener Sachzwang, zu dem es angeblich keine Alternative gibt.

Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff, Autoren des Buches »Lügen mit Zahlen – Wie wir mit Statistiken manipuliert werden«, spießen in diesem neuen Beitrag ein aktuelles Beispiel auf.

Eine Pressemitteilung der Bertelsmann-Stiftung vom 11. März 2013 titelte: „Der Renteneintritt der Babyboomer setzt die Rentenversicherung schon bald unter Druck.“ Darin fand sich die absurde Behauptung, 2060 sei damit zu rechnen, dass 63 % der deutschen Bevölkerung 65 Jahre alt oder älter sein werde. In Wirklichkeit sind aber selbst bei der von Bertelsmann ausgewählten Prognose für 2060 nur knapp 33 % „Ältere“ zu erwarten. Die Bertelsmann-„Experten“ hatten Altenquotient und Bevölkerungsanteil verwechselt, und die Deutsche Presse-Agentur dpa hatte den Fehler gehorsam weiterverbreitet.

In der Originalversion der Bertelsmann-Pressemitteilung hieß es: „Der zusätzliche Druck auf das Rentensystem ergibt sich nach den Berechnungen aus dem anhaltenden demographischen Wandel in der deutschen Bevölkerung. Während heute der Anteil der über 65-Jährigen bei 30 Prozent liegt, sieht die Prognose für 2030 einen Anteil von 49 Prozent und für 2060 von 63 Prozent.“

Nachdem dpa und Weser-Kurier diese Behauptung verbreitet hatten, schaltete sich das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe ein und stellte die gravierenden Fehler der Bertelsmann-Stiftung richtig: Ende 2011 waren nicht 30, sondern nur 20,6 % der Bevölkerung 65 Jahre und älter. Sichere Bevölkerungsprognosen für das Jahr 2060 gibt es nicht, da wir nun einmal nicht wissen, wann die heute lebenden Menschen sterben werden, wie viele Kinder in sechs Jahren geboren werden oder wie viele Menschen in elf Jahren zu- oder abwandern werden. Sogar die heutige Zahl der Menschen in Deutschland ist unsicher. Deshalb hat das Statistische Bundesamt 2011 ja den Zensus durchgeführt.

Bertelsmann bezieht sich auf die „12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung der statistischen Ämter der Länder und des Bundes“ von 2009. Und in einer ihrer Varianten „Obergrenze der ‚mittleren Bevölkerung’“ ist für 2060 tatsächlich die Zahl 63 zu finden. Doch nicht als Bevölkerungsanteil, sondern als Altenquotient! Der Bevölkerungsanteil wurde dort mit 32,6 % ausgewiesen. Also eine ganz andere Nummer als die 63 % der Panikmacher von Bertelsmann.

Eine ganz ähnliche Episode haben wir in unserem Buch „Lügen mit Zahlen“ aufgedeckt. Im Juli 2009 beschworen FAZ und andere die Seniorenrepublik Brandenburg: 90 Prozent der Bevölkerung dieses Bundeslandes, so hieß es allen Ernstes, würden 2050 im Rentenalter sein. Auch damals hatten die Demographie-„Experten“ mehrerer seriöser Redaktionen Altenquotient und Bevölkerungsanteil verwechselt, weil es ihnen gerade so schön in den Kram passte.

Die Bertelsmänner haben ihren Fehler auf der Zahlenebene inzwischen korrigiert. Sie schreiben: „In einer früheren Version dieser Pressemitteilung ist uns ein Fehler unterlaufen. Unsere Formulierung ließ den Schluss zu, dass derzeit ein Drittel und im Jahr 2060 63 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre sind. Unsere Studie … weist auf Seite 16 ff jedoch aus, dass es sich hierbei um den Altenquotienten handelt, also das Verhältnis der über 65-Jährigen zum Erwerbspersonenpotenzial.“ Doch auf der Kopfebene halten sie an ihrer alten Sichtweise fest: „An unserer Einschätzung zur Zukunft des Rentensystems in Deutschland ergeben sich dadurch keine Änderungen.“

Dazu fällt mir ein leicht ordinärer rheinischer Karnevalsschlager ein: „Scheiß-ejal! Scheiß-ejal! / Ob du Huhn bist oder Hahn…“ 34 Prozent, 63 Prozent, ein Drittel oder zwei Drittel, so what? Die gesetzliche Rentenversicherung muss gefährdet sein, das ist alles, worauf es den „Experten“ anzukommen scheint.