Die Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein: Unter dem Diktat der Schuldenbremse

Von Björn Radke

05.01.2013 / www.vorort-links.de, 03.01.2012

Am 26. Mai finden in Schleswig-Holstein die Kommunalwahlen statt. Ein Jahr nach der Landtagswahl, bei der 892.891 BürgerInnen von ihrem Wahlrecht nicht Gebrauch gemacht und damit die Wahlbeteiligung auf 60,1% gedrückt hatten, ist wiederum eine geringe Wahlbeteiligung zu befürchten. Bei der letzten Kommunalwahl lag die Wahlbeteiligung bei 49,4% (2003: 54,4 %). Die politische Partizipation im Parteiensystem bewegt sich damit auf einem neuen Tiefpunkt zu.

Alle Parteien sind mit großen Herausforderungen konfrontiert: es geht wie in allen Ländern um die Lösung wirtschaftlicher Probleme bei gleichzeitiger Sanierung der öffentlichen Finanzen. Schleswig-Holsteins Landesregierung muss, um Konsolidierungshilfen in Höhe von 720 Mio. Euro bis 2020 zu erhalten, nach der Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund ein strukturelles Finanzierungsdefizit von 1,3 Mrd. Euro abbauen. Der Landesrechnungshof hat die Haushaltslage des Landes drastisch beschrieben und den Auftrag an die politischen Akteure vorgegeben: »Regierung und Opposition stehen gemeinsam in der Verantwortung für unser Land. Sie müssen den Bürgern erklären, warum es notwendig ist, Standards zu senken, Leistungen zu kürzen und Steuern zu erhöhen.«

Die Landesregierung musste zum Jahresende 41 Millionen Euro nachträglich in den Haushalt über neue Kredite einlegen wegen voraussichtlich geringeren Steuereinahmen. Grund für die höhere Neuverschuldung ist die neue Steuerschätzung vom Oktober. Sie geht im Vergleich zur Mai-Schätzung davon aus, dass das Land wegen der nachlassenden Konjunktur rund 45 Millionen Euro weniger Steuern einnehmen wird. Schleswig-Holsteins Landesregierung muss, um Konsolidierungshilfen in Höhe von 720 Mio. Euro bis 2020 zu erhalten, nach der Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund ein strukturelles Finanzierungsdefizit von 1,3 Mrd. Euro abbauen.

Gleichzeitig müssen wir erleben, dass Kommunen (Bad Bramstedt, Pinneberg, Bad Segeberg, Kiel, Lübeck) vor der Insolvenz stehen, und durch die Anwendung des Haushaltskonsolidierungesetz des Landes, welches dem des Bundes entspricht, in ihrer Haushaltssouveränität massiv eingeschränkt werden. Schleswig-Holsteins Landesregierung hat ihren Haushaltsentwurf für das kommende Jahr beschlossen, der unter dem selbst gesetzten Diktat der »Schuldenbremse« steht. Im Kern soll an dem von der schwarz-gelben Vorgängerregierung verfolgten Haushaltskonsolidierungspfad festgehalten werden. Der Korridor für den Konsolidierungspfad ist sehr schmal angelegt und bei einer weiteren Veränderung der konjunkturellen Rahmenbedingungen nach unten, ist dieser Haushaltsplan Makulatur. (Siehe die jüngste Entwicklung der Steuerschätzung oben). Aber nicht nur Konjunktureintrübungen, sondern auch die Situation der HSH-Nordbank können den Haushalt zur Makulatur werden lassen. Eine Risikovorsorge im Haushalt 2013 sei derzeit nicht möglich, behauptet die Landesregierung.

Weiterhin steht für die Landesregierung fest, in den kommenden Haushaltsjahren wie geplant 10% Personalabbau zu realisieren. Dies hatte der Landesrechnungshof schon im Mai 2011 angemahnt: »Der in der 17. Wahlperiode eingeschlagene Sanierungskurs muss konsequent fortgesetzt werden. Dabei dürfen auch die Personalausgaben nicht ausgeklammert werden. Mit 3,3 Mrd. ¤ sind sie der größte Posten im Landeshaushalt. Es war daher richtig, dass die Landesregierung beschlossen hat, bis 2020 mehr als 5.300 Stellen abzubauen. Dies entspricht einem Gegenwert von 267 Mio. Euro.«

Im Klartext: Auch die Dreier-Ampel hat keinen anderen Plan als ihre Vorgängerregierung: die Personaldecke im Öffentlichen Sektor ausdünnen und die Arbeit verdichten. »Für Tarifsteigerungen sind ca. 45 Millionen Euro eingeplant und für mögliche Auswirkungen durch absehbare Bundesgesetzesänderungen haben wir zusätzliche Belastungen von mehr als 10 Millionen Euro eingeplant.« In der Praxis heißt dies: Alle Tarifvereinbarungen, die über den Abschluss von 1,5% hinausgehen werden durch Stellenkürzungen wieder reingeholt. Damit sind nach der jüngsten Tarifforderung von ver:di für die Landesbediensteten im Frühjahr 2013 harte Auseinandersetzungen vorprogrammiert.

Der November-Bericht des Innenministeriums spricht in seinen „Anweisungen an die Kommunen“ eine klare Sprache: »Die Kommunen müssen daher ihre bereits eingeleiteten Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung vorrangig durch eine Begrenzung des Anstiegs der Aufwendungen im Ergebnisplan bzw. Begrenzung des Anstiegs der Ausgaben im Verwaltungshaushalt mit Nachdruck fortsetzen. Ziel der Haushaltskonsolidierung muss es sein, neue Defizite im Ergebnisplan / Verwaltungshaushalt zu vermeiden, ggfls. aufgelaufene Defizite abzubauen und eine Zunahme der Verschuldung insgesamt, d.h. unter Einbeziehung der ausgegliederten Aufgabenbereiche eng zu beschränken und nach Möglichkeit zu vermeiden.«

Um sich für den Fiskalvertrag eine verfassungsändernde Mehrheit im Bundesrat zu sichern, hatte der Bund den Ländern eine Reihe von Maßnahmen in Aussicht gestellt. Diese betreffen explizit die Kommunen und ihre finanzielle Situation. Denn die Länder verpflichten sich in ihrer Einigung mit dem Bund dazu, die Verantwortung für die Einbeziehung ihrer Kommunen in den Fiskalvertrag zu übernehmen. Das bedeutet, dass im Rahmen der Defizitüberwachung durch den Stabilitätsrat ein massiver Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung der Kommunen zu erwarten ist.

Vor den Feiertagen erklärte die Bundeskanzlerin Angela Merkel, sie halte die europäischen Wohlfahrts-Staaten für nicht dauerhaft finanzierbar. Weil die Bevölkerung in Europa immer älter werde, müsse die „staatliche Rundumversorgung“ ein Ende haben. Die Welt blicke schon längst nicht mehr auf Europa als Vorbild, andere Modelle wie jene von China, Japan, Indien und Brasilien seien der Maßstab. Dort werde hart gearbeitet und Innovation vorangetrieben. Man könnte auch ergänzend hinzufügen: Dort werden die niedrigsten Löhne bezahlt.
Wenn Frau Merkel mit dieser Kampfansage an ein soziales Gemeinwesen wieder regieren will, braucht sie einen neuen Partner, da ihr wohl die FDP verloren geht. Wenn es dann für Rot-Grün auch nicht reicht, bleibt nur Große Koalition oder Schwarzgrün. Beide haben bisher nicht mit geharnischter Kritik gegenüber Merkels Vorstellungen überzeugen können. SPD und Grüne werden ein Glaubwürdigkeitsproblem haben, solange sie sich nicht überzeugend von einem Bündnis mit Merkels CDU und deren Positionen abrücken.

Bei den Kommunalwahlen bestimmen die genannten Rahmenbedingungen den politischen Handlungspielraum der Kommunen. Vor Ort stellt sich die Aufgabe, diese Bedingungen sichtbar zu machen und in den Zusammenhang zu stellen mit der Frage nach den Bedingungen einer öffentlicher Daseinsvorsorge, kommunaler sozialer und demokratischer Verantwortung, Gesundheit, Wohnen, Entsorgung von Abwasser und Müll, Versorgung mit Wasser und Energie, Kommunikation, Verkehr, Bildung, Sozialer Einrichtungen.

Kommune in Not: Eine andere Politik ist nötig!!

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat im Oktober 2012 festgestellt: „Auch wenn sich insgesamt die finanzielle Lage der Kommunen im laufenden Jahr gegenüber den Vorjahren wieder etwas entspannt, ist das kein Grund zu einer allgemeinen Entwarnung. Vielmehr setzen sich auf kommunaler Ebene zwei zentrale Entwicklungen fort: Zum einen öffnet sich die Schere zwischen Kommunen mit ausreichender Finanzlage und finanzschwachen Kommunen, die mit Strukturproblemen kämpfen, immer weiter. Nach wie vor gelingt es vielen Städten und Gemeinden trotz enormer Konsolidierungsanstrengungen nicht, ihre Haushalte auszugleichen. Zum anderen ist mit einem Abbau des erheblichen Investitionsstaus in den Kommunen - auch angesichts konjunkturbedingter Steuermehreinnahmen - mittelfristig nicht zu rechnen. (…) Die Folgen dieser nicht bedarfsgerechten Investitionsfähigkeit sind längst für jedermann - z. B. in Form von Schlaglöchern in den Straßen, unsanierten Schulen und Verwaltungsgebäuden - sichtbar. Selbst in den Investitionsschwerpunkten des Konjunkturpakets - Schulen und Kinderbetreuung sowie Straßen- und Verkehrsinfrastruktur - ist der Investitionsrückstand weiter angewachsen. Umso weiter aber dringend notwendige Investitionen nach hinten verschoben werden, umso größer fällt der Nachholbedarf letztlich aus. Der Verfall kommunaler Infrastruktur ist längst ein nationales Problem!“

Dem Städtetag ist zuzustimmen, nur: Die Finanznotlage der Kommunen lässt sich auf lange Sicht nur durch eine grundlegende Neugestaltung der kommunalen Einnahmequellen lösen. Die Gewerbesteuer, die wichtigste kommunale Steuer, muss zu einer Gemeindewirtschaftssteuer weiterentwickelt werden. Jeder und Jede, vom Arzt, über Rechtsanwalt bis zum Freischaffenden, die ihren Erwerb in einer Kommune betreiben, müssen ebenfalls Abgaben zahlen, unabhängig der Konjunkturlage. Das würde mehr Planungssicherheit schaffen. Übergangsweise müssen strukturelle Einnahmenverbesserungen und Konsolidierungshilfen von Seiten des Bundes und des Landes Schleswig Holstein deutlich erhöht werden. Eine solche Erhöhung wäre auch angesichts der bundes- und landespolitischen Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit (mangelnde Konnexität bei den Sozialausgaben, massive Steuersenkungen) angebracht, die wesentlich für die kommunale Finanzmisere verantwortlich sind.

Hauptursache für die prekäre Lage der Kommunalfinanzen ist die fortgesetzte Steuersenkungspolitik, die von der Regierung aus SPD und Grünen vor zwölf Jahren begonnen wurde und seitdem von CDU/CSU und SPD und aktuell von CDU/CSU und FDP fortgesetzt wird. Die Folgen sind umfassend: eine gigantische Umverteilung von unten nach oben und Milliarden Euro Einnahmeverlusten für die öffentliche Hand.

Die Finanznotlage der Kommunen lässt sich auf lange Sicht nur durch eine grundlegende Neugestaltung der kommunalen Einnahmequellen lösen.

  • Die Kommunen fordern ein kommunales Existenzminimum, das heißt eine finanzielle Mindestausstattung der Kommunen.
  • Die »Schuldenbremse« darf keine Vollbremsung auf Kosten der Kommunen werden. Die Kommunen sind strukturell unterfinanziert. Dies hat zu hohen Defiziten geführt, die nun erst einmal abgebaut werden müssen.

Eine andere Politik, die die strukturelle Schwäche der Kommunen überwindet, müsste aus verschiedenen – auch bundespolitischen - Elementen bestehen u.a.:

  • Neuausrichtung der Belastungen zwischen Land und Kommunen;
  • breitere Bemessungsgrundlage für Gemeindesteuern,
  • Re-Kommunalisierung statt weiterer Privatisierung. Dabei ist die finanzielle Stärkung der Kommunen ist Basis für Rekommunalisierung. Re-Kommunalisierung beinhaltet die Demokratisierung in den Bereichen der öffentlichen Betriebe, der Gemeinden und Kommunen, der Lebensumgebung.
  • stärkere Beteiligung des Bundes an Sozialleistungen der Kommunen; Mitentscheidungsrechte der Kommunen in der Steuergesetzgebung;
  • Bekenntnis zu höheren Steuern;
  • Überprüfung von Infrastrukturprojekten: Schaffung von neuen Arbeitsplätzen;

Die Ausgangslage für die LINKE

Bei den Kommunalwahlen im Mai 2008 hat DIE LINKE ein Riesenergebnis errungen. Landesweit 6,9 Prozent, in Flensburg, Neumünster und Lübeck stärker als Grüne und. So stark war die LINKE in den alten Bundesländern bei Kommunalwahlen bis dahin noch nie. Das Ansehen der schwarz-roten Landesregierung war auf ein neues Rekordtief gerutscht. Eine Mehrheit von 50,5% hat offensichtlich das Vertrauen in die Politik verloren und auf die Wahrnehmung ihrer staatsbürgerlichen Rechte verzichtet. Und die 49,5 Prozent, die noch zu Wahl gingen, haben der Großen Koalition ein Debakel bereitet: Gegenüber der Kommunalwahlen 2003 haben CDU und SPD über 240.000 Stimmen verloren. Das war für beide großen Volksparteien (SPD mit dem schlechtesten Ergebnis der letzten Jahrzehnte nur mehr 26,6 Prozent und CDU bei einem Verlust von 12% nur mehr bei 38,5%) ein Desaster.

Die gute Konjunkturentwicklung hatte zum Abbau der Arbeitslosigkeit und deutlich höheren Steuereinnahmen geführt. Damit hatten sich auch die Spielräume der Landesregierung vergrößert. Die große Koalition hatte die ihr zugewachsenen Spielräume allerdings nur begrenzt genutzt und an ihrer Sparpolitik festgehalten, die vor allem die Bediensteten des Landes belastet hat. Den Kommunen wurden weitere 80 Mio. Euro jährlich entzogen.
Nutznießer dieser fragilen ökonomisch-sozialen und politischen Konstellation waren die kleineren Parteien und die Wählergemeinschaften. Deren Zugewinne waren beachtlich. Landesweit erhielten sie 5,1 %. DIE LINKE erreichte aus dem Stand landesweit 6,9%. In einigen städtischen Zentren wie Neumünster, Lübeck und Kiel gab es erstaunliche Zugewinne von 11% bzw. 13%. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass DIE LINKE in den Kreisen Stormarn und Segeberg – dem „Speckgürtel" im Norden Hamburgs – trotz einer ökonomisch positiven Großwetterlage stabil über 6 Prozent der Stimmen geholt hat.

Bei der Landtagswahl 2012 musste DIE LINKE eine schwere Niederlage hinnehmen und wurde nach der verkürzten Wahlperiode wieder aus dem Landtag heraus gewählt und geht von einer neuen, geschwächten Ausgangslage in die Kommunalwahlen. Für DIE LINKE gilt als Ziel, das bisher Erreichte zu halten bzw. ausbauen. Das ist nicht leicht, da sie sich auch in ihrem Ergebnis 2008 messen lassen muss, auch wenn die Rahmenbedingungen andere waren.
Während auf der Bundesebene ein Wiedereinzug in den Bundestag gesichert erscheint (die Umfragen liegen stabil zwischen 6 und 8 Prozent), sieht es für Niedersachsen nicht gut aus: 3 Wochen vor der Landtagswahl liegt DIE LINKE bei 4 Prozent und damit ist der Einzug in den Landtag offen.

Das Ergebnis der Landtagswahl wird seine Auswirkung auch auf die Kommunalwahl in Schleswig-Holstein haben. Deren Ausgang wird auch das Ergebnis der LINKEN bei für die kommende Bundestagswahl beeinflussen. Da die LINKE auf der landespolitischen Bühne nicht präsent ist, besteht in Teilen der Partei die Vorstellung, die Kreisverbände könnten ohne eine übergreifende Klammer erfolgreich bestehen. Allein mit der gewachsenen kommunalpolitischen Kompetenz der letzten fünf Jahre werden wir in den Kreisen nicht gut bestehen. Es bietet sich also an, die bundes- und landespolitischen Rahmenbedingungen auch mit Blick auf die kommenden Bundestagswahlen mit aufzugreifen.