Ein Gespräch mit Bernd Riexinger: »Wir werden als Gesprächspartner anerkannt«

Die Spitze der Linkspartei diskutierte bei »Bewegungsratschlag« mit Aktivisten aus vielen sozialen Bereichen.

22.07.2012 / Interview: Peter Wolter, jW vom 18.7.2012

Bernd Riexinger ist einer der Vorsitzenden der Partei Die Linke

Sie und Ihre Kovorsitzende Katja Kipping hatten zum Wochenende nach Berlin zu einem »Bewegungsratschlag« geladen – gibt es jetzt frischen Wind in der außerparlamentarischen Opposition?

Es sind ungefähr 40 Leute aus unterschiedlichen Spektren gekommen. Sehr gefreut hat mich, daß auch Sozialverbände dabei waren, die Interventionistische Linke, ATTAC, DGB-Jugend, Linksjugend solid, die Blockupy-Bewegung, der linke Studentenverband SDS und andere. Die Gewerkschaften selbst waren leider kaum vertreten. Wir werden gezielt Anstrengungen unternehmen und Mitstreiter persönlich ansprechen, um sie für das Folgetreffen Ende September zu gewinnen. Mein Gesamteindruck von diesem Treffen ist jedenfalls sehr gut. Es erscheint vielversprechend. Die neue Parteiführung wird als Gesprächspartner der außerparlamentarischen Bewegung anerkannt. Wir haben es immerhin hinbekommen, dieses Treffen schon so kurz nach unserer Wahl zu arrangieren.

Auf welche Inhalte konnten Sie sich einigen?

Die Diskussion war sehr vielschichtig. Wir haben uns mit der Analyse der gesellschaftlichen Situation befaßt, welche Formen und welches Ausmaß die Krise in Deutschland annimmt; wir haben die Frage diskutiert, warum es bei uns so schwierig ist, Massenproteste zu organisieren. Natürlich haben wir auch über die Rolle der Gewerkschaften gesprochen.

Wir haben drei Schwerpunkte herausgearbeitet: Zum einen gibt es einen weitgehenden Konsens darin, daß der gesellschaftliche Reichtum umverteilt werden muß. Alle beteiligten Gruppen sind sich einig, daß wir offensiver in Sachen Vermögens-, Millionärs- oder Erbschaftssteuer werden müssen. Die Kosten der Krise dürfen nicht länger den Rentnern und Arbeitnehmern aufgedrückt werden, statt dessen müssen Vermögende herangezogen werden.

Ein zweites Themenspektrum, das uns allen wichtig ist, war die Wiederbelebung der sozialen Frage. Es reicht nicht mehr aus, das Thema und die Forderung: »Hartz IV muß weg!« alleine in den Vordergrund zu stellen. Wir sind uns einig, daß Millionen Menschen – Erwerbstätige, Leiharbeiter, Arbeitslose und Minijobber – in Deutschland von der Krise betroffen sind. Die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt ist deutlich größer, immer mehr Menschen arbeiten zu Niedriglöhnen, und die Arbeitsverhältnisse werden immer prekärer. Das alles müssen wir in den Mittelpunkt stellen, wobei wir nicht vergessen dürfen, daß auch diejenigen Lohnverluste hinnehmen müssen, die noch in festen Arbeitsverhältnissen sind. Die Leute arbeiten und arbeiten und kommen aber nie auf einen grünen Zweig.

Der dritte Punkt lag besonders den Jüngeren aus dem Teilnehmerkreis am Herzen: Ihnen geht es um die öffentliche Daseinsvorsorge und um den Kampf um den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, zu Energie, Wasser, Nahverkehr, Schulen, Bibliotheken, Krankenhäusern. Zu diesem Komplex gehören auch die Stichworte Kampf gegen Privatisierung und Rekommunalisierung.

Diese drei Punkte sollen jetzt weiter bearbeitet werden.

Die Beratung war nicht angekündigt worden – warum so geheim?

(Lacht) Wir wollten uns selbst erst einmal verständigen. Unsere nächste Beratung wird auch öffentlich zugänglich sein.

Können sich aus diesen Kontakten heraus konkrete Aktionen für den Herbst entwickeln?

Das Bündnis »UmFairteilen – Reichtum besteuern«, zu dem sich Sozialverbände, ver.di, GEW, DGB-Jugend, ATTAC, Campact, Migrantenorganisationen und unterschiedliche Jugendverbände zusammengeschlossen haben und das wir – die Linke also –, die Grünen und andere politisch unterstützen, bereitet derzeit einen bundesweiten Aktionstag am 29. September vor. Dazu finden in vier Städten, Berlin, Köln, Hamburg und Frankfurt am Main, große Aktionen statt.

Wir unterstützen natürlich mit allen Kräften dieses Bündnis. Es liegt ja eine gewisse Tragik darin, daß Massenproteste, wie in anderen europäischen Ländern, bei uns ausbleiben, obwohl gerade Deutschland ein entscheidender Faktor für die ganze Euro-Krise ist. Wir werden übrigens zum Thema Millionärssteuer noch in dieser Woche ein Plakat herausbringen, mit dem unsere Kreisverbände in den Sommermonaten im Straßenbild Präsenz zeigen können.

Vor und während des Göttinger Parteitags Anfang Juni wurde von allen Seiten beklagt, daß die Partei mit ihren ständigen Personaldebatten ein Bild der Zerrissenheit abgibt. Hat sich das gelegt, sind die Genossinnen und Genossen disziplinierter geworden?

Wir sind zwar erst seit sechseinhalb Wochen im Amt, aber ich nehme schon eine gewisse Aufbruchstimmung wahr. Wir wenden uns zunehmend den wirklich brennenden Themen zu, nämlich den Auswirkungen der Euro-Krise. Mit dem Fiskalpakt, der nichts anderes als Sozialabbau bedeutet, würde auf Jahre hinaus die neoliberale Vorherrschaft in Verträge gemeißelt. Da muß man sich doch die Frage stellen, wie dann eine demokratische, linke und soziale Politik noch eine Chance haben kann.

Von allen Bundestagsparteien sind wir die einzigen, die diesen Fiskalpakt ohne Wenn und Aber ablehnen – und darin werden wir auch von der breiten Mehrheit der Bevölkerung bestätigt. Daß wir gegen diesen unsozialen Pakt beim Bundesverfassungsgericht geklagt haben und das höchste Verfassungsorgan unsere Klage jetzt prüft, beweist doch unsere Politikfähigkeit.

Die nächste wichtige Wahl findet im Januar in Niedersachsen statt. Muß sie nach den Mißerfolgen der letzten Monate der Wendepunkt sein?

Das wünschen wir uns natürlich, deshalb wird die gesamte Partei alle Kräfte mobilisieren, um den Genossinnen und Genossen dort zu helfen. Beim Parteitag des Landesverbandes habe ich jedenfalls eine kämpferische Stimmung erlebt, er ist politisch handlungsfähig. Am 23. Juli beginne ich unsere Sommertour und am 10. August übergebe ich an Katja Kipping in Nieder­sachsen den Staffelstab.

Wer soll denn Ihrer Meinung nach Spitzenkandidat der Linkspartei bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr sein?

(Lacht) Es gibt überhaupt keine Veranlassung, 15 Monate vor der Bundestagswahl eine neue Personaldiskus­sion zu führen. Wir beschäftigen uns lieber damit, unsere politischen Ziele umzusetzen. Wer sich für solche Debatten interessiert, findet doch bei den Grünen und bei der SPD jetzt schon genügend Stoff.