Rede von MdB Axel Troost zum Gesetzentwurf der Bundesregierung "Stärkung der Finanzkraft der Kommunen": Diesen Kuhhandel tragen wir nicht mit

28.10.2011

Die Aufzeichnung der Rede können Sie hier online in der Mediathek des Bundestages ansehen
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Finanzlage in vielen Städten, Landkreisen und Gemeinden ist nach wie vor katastrophal. Zwar verzeichnen einige Gemeinden jetzt wieder steigende Gewerbesteuereinnahmen, trotzdem kann von einer Entwarnung überhaupt keine Rede sein. Als Folge explodieren die Kassenkredite weiter. Das sind die sogenannten Dispokredite der Kommunen, mit denen diese ihre Liquidität sichern und laufende Ausgaben finanzieren. Wir haben inzwischen einen Stand von über 40 Milliarden Euro erreicht. Das bedeutet eine Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2004.

Angesichts dieser untragbaren Situation hat man vonseiten der Regierung eine Gemeindefinanzreformkommission eingerichtet. Man wollte Lösungen finden, um die Gewerbesteuer abzuschaffen. Das ist gnadenlos gescheitert. Die Gemeinden haben sich nicht auf diesen Weg eingelassen. Damit sind alle Versuche, die Gewerbesteuer abzuschaffen und sich damit bei großen Unternehmen und Konzernen lieb Kind zu machen, gescheitert.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Birgit Reinemund (FDP): Das ist doch Blödsinn!)

Es ist gut, dass die Gewerbesteuer bleibt und dass damit das jämmerliche Possenspiel dieser Kommission ein Ende gefunden hat. Ich will aber noch einmal hervorheben: Die Finanzprobleme der Kommunen sind keineswegs gelöst. Deswegen bleiben wir dabei das wird auch in unserem Antrag deutlich : Die Gewerbesteuer muss zu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickelt werden, damit die Einnahmen erhöht und stabilisiert werden können. Das hilft den Kommunen unmittelbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Zudem benötigen die Kommunen mehr vom Steuerkuchen insgesamt. Die Lösung kann daher nur sein: Die Politik der Steuersenkungen muss endlich beendet werden. Hierzu haben wir gestern eine Debatte geführt. Wir brauchen ein Steuerkonzept, das die Staatsfinanzen durch Mehreinnahmen nachhaltig stärkt

(Dr. Daniel Volk (FDP): Genau! Steuererhöhungen!)

und Reiche und Vermögende als Profiteure mit zur Kasse bittet.

Kommen wir jetzt konkret zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, der ganz hochtrabend eine Stärkung der Finanzkraft der Kommunen verspricht.

(Paul Lehrieder (CDU/CSU): Völlig zu Recht!)

Wenn man sich den Inhalt im Einzelnen anschaut, stellt man fest, dass es sich um eine massive Mogelpackung handelt. Die Fraktion DIE LINKE hat die Zusage der Regierung, dass dem Bund bis 2014 die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung schrittweise übertragen werden sollen, zunächst begrüßt. Das ist eine wichtige Maßnahme, die den Kommunen auf der Ausgabenseite in der Tat erheblich hilft. Denn die Grundsicherung ist einer der Ausgabenbereiche, in denen die Kosten am stärksten explodieren; inzwischen machen sie schon über 10 Prozent der gesamten Sozialausgaben der Kommunen aus. Die Konsequenz daraus ist - das ist hier nicht so genau thematisiert worden -, dass immer mehr Menschen infolge von Altersarmut in die Grundsicherung hineinrutschen. Es ist gut, dass der Bund die entsprechenden Kosten in Zukunft übernimmt und damit für eine Teilentlastung der Kommunen sorgt.

Die Lösung ist aber nur halbherzig - das ist hier schon angesprochen worden -; denn die Frage des Abrechnungsmodus ist völlig offen bzw. unzureichend gelöst. Die Erstattung der Kosten richtet sich jeweils nach den Ausgaben im Vorvorjahr. Dadurch geht den Ländern und Kommunen viel Geld verloren. Vonseiten des Bundesrates, auf Betreiben der Bundesländer Berlin - damals noch von Rot-Rot regiert - und Brandenburg - Rot-Rot -, ist deswegen eine Initiative gestartet worden, um an dieser Stelle eine Veränderung herbeizuführen und ein zeitnäheres Abrechnungsverfahren zu erreichen. Natürlich muss darüber hinaus sichergestellt werden, dass die Kommunen wirklich die Gelder erhalten und sie nicht an den sogenannten klebrigen Fingern der Landesfinanzminister hängen bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Zweiten - das ist eigentlich das gravierendste Problem - schafft der Gesetzentwurf die rechtliche Grundlage für den Kahlschlag in Sachen aktiver Arbeitsmarktpolitik. Besonders schäbig ist, dass die sukzessive Übernahme der Kosten der Grundsicherung durch drastische Kürzungen bei der Arbeitsförderung gegenfinanziert wird: In dem Maße, in dem der Bund die Kosten der Grundsicherung übernimmt, werden der Bundesagentur für Arbeit Bundesmittel gestrichen. Bereits im kommenden Jahr, 2012, werden der Bundesagentur laut Finanztableau Kürzungen von rund 1,2 Milliarden Euro zugemutet.

(Dr. Birgit Reinemund (FDP): Wie viele Arbeitslose haben wir derzeit?)

- Wenn Sie mit Vertretern der Bundesagentur für Arbeit sprechen, dann sagen sie Ihnen, dass sich die Kosten der Arbeitsförderung keineswegs proportional zum Rückgang der Arbeitslosigkeit senken lassen.

(Dr. Birgit Reinemund (FDP): Aber er ist doch erheblich!)

Dadurch, dass der Anteil der Langzeitarbeitslosen steigt, wird die Kostenbelastung pro Kopf immer größer. Die Mittel für Weiterbildungsmaßnahmen und vieles andere mehr werden gekürzt. Sie haben die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik völlig zusammengestrichen.

(Dr. Birgit Reinemund (FDP): Das stimmt so nicht! - Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Die Mittel pro Person steigen!)

Der Kuhhandel, der hier praktiziert wurde, wird zumindest von uns sehr stark kritisiert. Noch einmal zur Erinnerung: Die Gemeindefinanzreformkommission ist Ende letzten Jahres gescheitert. Zufällig kam es dann zu der Situation, dass im Vermittlungsausschuss im Zusammenhang mit der Hartz-IV-Erhöhung über die Frage entsprechender Regelungen gesprochen wurde.

(Antje Tillmann (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege Troost, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Middelberg von der CDU/CSU-Fraktion?

Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
Ja.

Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU):
Lieber Herr Kollege Troost, weil ich Sie besonders schätze, wage ich es kaum, Sie zu unterbrechen. Ich möchte Sie aber doch fragen, ob Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass die Zahl der Arbeitslosen unterdessen erheblich zurückgegangen ist.

(Zuruf von der LINKEN: Offiziell! - Weitere Zurufe von der LINKEN - Bernd Scheelen (SPD): Die Zahl der Langzeitarbeitslosen aber nicht! Um die geht es doch!)

- Warten Sie bitte ab. - Ich möchte Sie fragen, ob es zutreffend ist, dass die Eingliederungsmittel pro erwerbsfähigem Leistungsberechtigten von 715 Euro im Jahr 2005 auf 1 229 Euro im Jahr 2010 und die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit pro Arbeitslosem im SGB-II-Bezug, Herr Kollege Scheelen, von 1 651 Euro im Jahr 2006 auf 2 783 Euro im Jahr 2010 gestiegen sind,

(Ingrid Remmers (DIE LINKE): Dann streichen wir sie lieber gleich, oder was?)

also pro eingliederungsfähiger und eingliederungsbedürftiger Person am Arbeitsmarkt mehr Mittel zur Verfügung stehen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege Troost, lassen Sie gleich noch eine weitere Zwischenfrage zu? Dann können Sie Ihre Redezeit beträchtlich verlängern.

Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
Ja, das können wir gern machen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollegin Mast, bitte.
Katja Mast (SPD):

Herr Kollege Troost, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass 2005 die Reformen am Arbeitsmarkt gerade erst angelaufen sind und deshalb der Ansatz im Haushalt noch nicht voll ausgenutzt worden ist und dass man, wenn man die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik seriös vergleichen möchte, die Zahlen von 2008 und nicht von 2005 verwenden muss?

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Jetzt hat der Kollege die Möglichkeit zur Antwort. Herr Middelberg, Sie waren nicht gefragt.
(Heiterkeit)

Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
Das ist ja beides erst einmal richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Moment, ich bin ja noch nicht fertig. Aber wenn Sie die Bundesagentur für Arbeit fragen oder sich Ihre letzte Veröffentlichung zur Langzeitarbeitslosigkeit und zu den damit verbundenen Problemen anschauen, dann werden Sie sehr deutlich feststellen, dass die Mittel für die Arbeitsvermittlung dieser Personengruppe deutlich erhöht werden müssen, weil die Ausgaben nicht proportional zur Arbeitslosigkeit zurückgehen werden.
Machen wir uns doch nichts vor! Wir sind jetzt auf dem Gipfel des Beschäftigungsniveaus angelangt. Wir gehen doch nicht davon aus, dass sich jetzt noch viel tut, sondern mit dem nächsten Abschwung geht es wieder in die Massenarbeitslosigkeit hinein. Das heißt, die Mittel der Bundesagentur sind noch geringer; und die Maßnahmen können nicht mehr ermöglicht werden. Das ist das Problem.

(Antje Tillmann (CDU/CSU): Wie kommen Sie darauf?)

Sie bringen zulasten der Ärmsten der Armen, der Langzeitarbeitslosen, die Mittel auf, die Sie anschließend den Kommunen zur Verfügung stellen. Das ist ein Kuhhandel, der mit uns nicht zu machen ist.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Deswegen werden wir dieses Gesetz ablehnen, obwohl wir wissen, dass die Übernahme der Kosten für die Kommunen sehr sinnvoll ist. Aber so einen schäbigen Kuhhandel zu machen und das eine mit dem anderen zu koppeln, ist aus unserer Sicht eine nicht zulässige Maßnahme, unter der um das noch einmal zu sagen letztlich die Ärmsten der Armen, nämlich die Langzeitarbeitslosen, leiden werden und die dazu führen wird, dass es keine aktive Arbeitsmarktpolitik mehr geben wird.
Deswegen haben wir einen eigenen Entschließungsantrag eingebracht, in dem wir fordern, dass auf der einen Seite die Grundsicherung übernommen wird und auf der anderen Seite keine Kürzungen bei der Bundesagentur für Arbeit erfolgen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)