Die Vergesellschaftung der Banken konkret denken

Axel Troost

27.09.2010 / Neues Deutschland, 27.9.2010

Die Partei DIE LINKE hat mit der Debatte um ihr Grundsatzprogramm begonnen, das sie im Herbst 2011 beschließen will. ND begleitet die Debatte mit einer Artikelserie. Heute: Axel Troost fordert über eine schrittweise Vergesellschaftung einen Einstieg in eine andere Bankenwelt. Der 1954 in Hagen / Westfalen geborene Geschäftsführer der »Memo-Gruppe« und des Bremer Progress-Instituts für Wirtschaftsforschung (PIW) ist finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied im Bundesvorstand der LINKEN.

Im Programmentwurf der Partei DIE LINKE wird die demokratische Kontrolle des Finanzsektors und seine Verpflichtung auf das Gemeinwohl als eines der zentralen linken Reformprojekte identifiziert.

Einige Eckpunkte sind im Programmentwurf bereits benannt. Ausgangspunkt ist, den Finanzsektor als eine notwendige Infrastruktur, als ein »öffentliches Gut« zu begreifen, dessen »Bereitstellung daher eine öffentliche Aufgabe« ist. Daher soll es in Zukunft nur noch »Sparkassen, Genossenschaften und staatliche Großbanken« geben. »Private Banken müssen deshalb verstaatlicht, demokratischer Kontrolle unterworfen und auf das Gemeinwohl verpflichtet werden. Durch strikte Regulierung ist zu gewährleisten, dass der Bankensektor in Zukunft wieder seinen öffentlichen Auftrag erfüllt«.

Nicht zuletzt aufgrund der gebotenen Kürze eines Parteiprogramms ist im Programmentwurf kein detaillierteres Vorgehen beschrieben, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Ich will im Folgenden dazu einige Überlegungen unterbreiten, wie ein Einstieg in eine andere Bankenwelt aussehen könnte und wie die Partei dabei mit dem Begriff der Verstaatlichung umgehen sollte.

Die Kernfunktionen eines Bankensektors der Zukunft

Eine Neuordnung des Bankwesens braucht zuvorderst eine Neubestimmung bzw. Rückbesinnung hinsichtlich der ökonomischen Kernfunktionen des Bankensektors. Es waren vor allem die Finanzmärkte, die in den vergangenen Jahrzehnten falsche Leitbilder etabliert haben: Shareholder Value, schlanker Staat, Standortkonkurrenz und Steuerwettbewerb. Genau diesen Prozess gilt es umzukehren und den Finanzsektor wieder auf die Rolle eines Dienstleisters für die Gesamtwirtschaft zurückzustutzen. Die Kernfunktionen des Bankensektors sind dementsprechend erstens die Sicherstellung eines zuverlässigen und kostengünstigen Zahlungsverkehrs einschließlich einer entsprechenden Bargeldversorgung. Zweitens müssen Banken auf die Rolle als Kapitalsammelstellen zurückgeführt werden, die für Sparerinnen und Sparer sichere, verständliche und nachhaltige Sparmöglichkeiten bieten, statt mit deren und bankeigenem Geld riskante Geschäfte zu tätigen. Drittens müssen Banken ihre Finanzierungsfunktion erfüllen, indem sie die Investitionen der Unternehmen und des Staates zu annehmbaren Bedingungen über Kredit finanzieren. Diese Kernfunktionen des Bankensektors lassen sich mit den Schlagworten Zahlungsverkehr, Ersparnisbildung und Finanzierung (nachfolgend als ZEF-Funktionen bezeichnet) umreißen. Die gesamte Debatte um die überfällige strikte Regulierung der Banken muss von diesen Kernfunktionen ausgehen.

Das Ziel muss sein, den Finanzsektor in seinem Volumen erheblich zu schrumpfen und seine ökonomische wie politische Machtposition zurückzudrängen. Als Dienstleister für Realwirtschaft und Gesellschaft darf der Finanzsektor nicht mehr als Ort eigenständiger Wertschöpfung gelten, sondern muss als gesamtwirtschaftlich notwendige Infrastruktur begriffen werden. Es ist Aufgabe staatlichen Handelns, die Funktionsfähigkeit dieser Infrastruktur sicherzustellen.

Privatbanken: Abschalten!

Wie stehen die Banken in Deutschland heute da? Ein Blick in die drei Säulen:

Öffentlich-rechtliche Institute: Die Sparkassen haben sich wenig an riskanten Finanzgeschäften beteiligt und bilden gerade in der Krise das Rückgrat der Kreditversorgung für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU). Die überwiegende Zahl der Landesbanken hat unverantwortlich riskante Geschäfte im globalen Finanzkasino gemacht, die nichts mit ihrem ursprünglichen Geschäftsauftrag zu tun hatten.

Genossenschaften: Die Genossenschaftsbanken haben sich, abgesehen von einigen Verlusten ihres Zentralinstituts DZ Bank, in der Krise ebenfalls gut bewährt. Die Volks- und Raiffeisenbanken leisten, ähnlich den Sparkassen, einen wichtigen Beitrag zur Kreditversorgung.

Die privaten Banken als dritte Säule schneiden insgesamt am schlechtesten ab. Die Commerzbank und viele der Spezialbanken wie z. B. IKB und Hypo-Real-Estate hätten die Finanzkrise aus eigener Kraft nicht überlebt. Und ohne die Rettungspakete der US-Regierung wäre auch die Deutsche Bank mit ihrem US-Geschäft ebenfalls in schwere Schieflage geraten. Schon vor der Krise und umso mehr heute erbringen die privaten Banken den geringsten Dienst an der (für die?) Realwirtschaft.

Wenn also der gefährlich überdimensionierte Finanzsektor schrumpfen muss, dann sollten einerseits die Geschäftsbereiche der Landesbanken, die das riskante Kapitalmarktgeschäft betreiben, geschlossen werden. Andererseits sollten die privaten Banken so weit als möglich durch Insolvenz aus dem Bankensektor ausscheiden. Ein Ausscheiden der privaten Banken durch Insolvenz wird aber nicht immer möglich sein, denn eine Commerzbank kann man nicht einfach in die Insolvenz schicken. Die Folgewirkungen sind so schwer abschätzbar, dass man das nicht »einfach mal ausprobieren« kann. Im Fachjargon wird dieses Dilemma mit dem Begriff »Systemrelevanz« umschrieben. Um Schlimmeres zu verhindern, müssen »systemrelevante« private Banken notfalls mit öffentlichen Mitteln gestützt werden. Bei den Landesbanken muss die öffentliche Hand als Eigentümer und Gewährträger ebenfalls nachschießen.

Diese Stützungen sind in der Bevölkerung und auch in der parteipolitischen und außerparlamentarischen Linken zurecht sehr unbeliebt. Es muss daher auch im Programmentwurf deutlich gemacht werden, dass die Verstaatlichung von systemrelevanten privaten Banken kein Wert und Zweck an sich ist, sondern vielmehr eine bedauerliche Notwendigkeit. Viel lieber, so sollten wir zum Ausdruck bringen, wollen wir private Banken in die Insolvenz gehen und verschwinden sehen. DIE LINKE braucht nicht in erster Linie ein Verstaatlichungs-, sondern ein Abwicklungsprogramm für private Banken. Es ist ähnlich wie in der Energiewirtschaft: Wir wollen die Vergesellschaftung der Energiekonzerne, aber nicht um mit deren Atommeilern schmutzige Oligopolgewinne für die öffentliche Hand zu »erwirtschaften«. Und genauso, wie wir die Atommeiler abschalten wollen, so sollten wir auch die privaten Banken unverzüglich abschalten.

Transformation der Banken

Einen praktischen Vorschlag, wie dies erfolgen könnte, hat der Arbeitskreis Wirtschaft, Finanzen, Steuer, Energie und Umwelt der Bundestagsfraktion der LINKEN jüngst in einem Diskussionspapier dargelegt (»Den Bankensektor neu ordnen – und mit der Vergesellschaftung beginnen«, abrufbar unter www.axel-troost.de). Ausgangspunkt muss ein rückhaltloser Kassensturz der Banken sein. Nur wenn klar ist, wie viel Substanz in den einzelnen Banken übrig ist, kann ein Vertrauen zurückkehren. Deswegen müssen die Banken zu einer schonungslosen Offenlegung ihrer Verlustrisiken ohne Bilanzierungstricks genötigt werden. Dabei werden die Banken vielfach enorme Verluste ausweisen müssen, die sie mit ihrem knappen Eigenkapital nicht schultern können. Die betroffenen Banken sind dann bilanztechnisch insolvent.

In diesem Moment muss ein neues Abwicklungs- und Restrukturierungsverfahren für Banken greifen, dass nach Aufzehrung des kompletten Eigenkapitals – d. h. eines Totalverlusts der Aktionäre – in einem zweiten Schritt auch eine Beteiligung der Bankgläubiger an den Verlusten vorsieht. Gläubiger inklusive Einleger sollten zunächst nur im Umfang der gesetzlichen Einlagensicherung von zukünftig 100 000 Euro entschädigt werden. Für darüber hinausgehende Forderungen können anteilige Verlustbeteiligungen, veränderte Rückzahlungsbedingungen etc. festgesetzt werden.

Nur wenn die Verlustbeteiligung der Aktionäre und Gläubiger nicht ausreicht, um den Zusammenbruch eines systemrelevanten Instituts abzuwenden, sollte der Staat den verbleibenden Rest der Bank mit frischem Stammkapital stützen. Als dann neuer und alleiniger Eigentümer der Bank muss er sofort im Sinne der genannten Kernaufgaben »Zahlungsverkehr, Ersparnisbildung und Finanzierung« (ZEF) entschlossen die neue Geschäftspolitik bestimmen.

Dabei ergibt sich ein Dilemma. Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken verfolgen das genannte Geschäftsmodell ZEF sehr erfolgreich für Privatpersonen und kleine und mittelständige Unternehmen. Es kann nicht sinnvoll sein, dass eine staatlich gerettete Großbank nun ausgerechnet den Banken das Wasser abgräbt, die der Vergesellschaftung deutlich näher sind, nämlich den Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Der Ausweg besteht allein darin, ZEF-Dienstleistungen für Großkunden bereitzustellen.

Auf genau dieselbe Kundschaft müssen sich aber auch alle Überlegungen konzentrieren, wenn man für die Landesbanken ein gemeinwohlverträgliches ZEF-Geschäftsmodell finden will. In der Summe wird der Staat nicht darum herumkommen, ein integriertes Konzept für verstaatlichte Privatbanken und Landesbanken zu finden, das dem real existierenden Bedarf von ZEF-Dienstleistungen für diesen Kundenkreis entspricht. Das kann und muss im Einzelfall dazu führen, dass Geschäftsbanken, die aus dem Sachzwang der Systemrelevanz verstaatlicht wurden, geschlossen oder mit anderen Teilen von ehemaligen Privat- oder Landesbanken zusammengeführt werden müssen.

Und wie sieht das konkret aus?

Auf lokaler Ebene sollten die öffentlich-rechtlichen Sparkassen einerseits und die genossenschaftlichen Volks- bzw. Raiffeisenbanken andererseits erhalten bleiben und für ihr jeweiliges Territorium im Wettbewerb stehen.

Auf der regionalen Ebene sollten aus den (in die öffentliche Hand überführten) Geschäfts- und Landesbanken neue Spar-Regional-Kassen geformt werden. Parallel dazu kann die genossenschaftliche Säule Regional-Genossenschaftsbanken ins Leben rufen. Die hier skizzierte Neuordnung des Bankensektors kommt daher explizit ohne bundesweit tätige Banken aus. Viele wünschenswerterweise einheitliche Finanzdienstleistungen (wie z. B. die flächendeckende Bargeldversorgung an Geldautomaten) können durch eine Stärkung der Zusammenarbeit innerhalb der jeweiligen Säule bundesweit einheitlich angeboten werden, bzw. werden das schon heute.

Ob lokal oder regional: Öffentlich-rechtliche und genossenschaftliche Banken werden nach dem Vorbild der Sparkassen in ihren Satzungen verbindlich auf Gemeinwohlorientierung und auf ein Geschäftsmodell entsprechend den ZEF-Kernfunktionen festgelegt. Die Kontrollorgane (Verwaltungs- bzw. Aufsichtsräte) der Banken müssen pluralistischer werden und stärkere Mitwirkungs- und Kontrollrechte erhalten. Neben PolitikerInnen und von Parteien benannten »ExpertInnen« müssen in den Verwaltungsräten öffentlich-rechtlicher Banken Vertreter gesellschaftlicher Organisationen wie z. B. Gewerkschaften, Naturschutz- und Umweltverbände, Verbraucherschützer, soziale Einrichtungen und Bewegungen etc. sitzen. Die Mitglieder der Kontrollorgane müssen eine demokratische Legitimation haben, ggf. durch direkte Wahl. Neben diesen Kontrollorganen sollten zusätzliche, über die einzelnen Regionalinstitute hinausreichende Beiräte eingerichtet werden, die z. B. über Fragen der gesamtwirtschaftlichen Kreditsteuerung oder über die Entwicklung einzelner Sektoren und Branchen beraten.

Diese Stärkung des Verbundgeschäfts ermöglicht trotz der im Vergleich zu heute dezentraleren Bankenstruktur auch weiterhin große Finanzierungen und die Begleitung beim Auslandsgeschäft. Mit Blick aufs Ausland ist aber anzustreben, dass deutsche Unternehmen im Ausland nach Möglichkeit auf das Fachwissen der dortigen (dann hoffentlich ebenfalls vergesellschafteten) Banken zurückgreifen, wie wir es umgekehrt für geboten halten, dass ausländische Unternehmen in Deutschland auch mit den hierzulande vergesellschafteten Banken zusammenarbeiten. In Europa sind daher mittelfristig lose und möglichst dezentral ausgerichtete, europaweite Verbünde von ähnlich gelagerten öffentlichen und genossenschaftlichen Banken erstrebenswert.

Ohne Kompetenz und Engagement keine Kontrolle

Ein demokratisch kontrolliertes Bankwesen steht und fällt mit den Menschen, die den nötigen Sachverstand und das gesellschaftliche Engagement mitbringen, diese Kontrolle auszuüben. Dazu müssen wir als LINKE bei uns selbst anfangen und unsere Kompetenzen zur Kontrolle der Banken ausbauen und wirksam einsetzen. Die Vertreter der LINKEN in den Aufsichtsgremien der Sparkassen und anderer Banken können heute die ersten Träger dieses Demokratisierungsprozesses sein. Viele müssen folgen. Dabei müssen sie von der Partei aber tatkräftig unterstützt und begleitet werden.