Der politische Spagat der GAL

Das Ende christdemokratischer Modernisierung und die Rolle der Grünen

18.08.2010 / Von Joachim Bischoff, Sozialismus Aktuell (www.sozialismus.de)

In den nächsten zwei Wochen entscheidet sich das politische Schicksal der ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene in Hamburg. Entweder sie wird nach dem Rücktritt des CDU-Bürgermeisters von Beust mit neuem Personal auf der Unionsseite fortgesetzt, oder – der unwahrscheinlichere Fall – das Bündnis zerbricht am Votum der grünen Parteibasis, die den Wechsel an der Spitze des Senats nicht nachvollziehen mag. Neuwahlen wären die Konsequenz, und ein rot-grünes Bündnis, das in Umfragen derzeit auf eine klare Mehrheit kommt, wohl die Folge.

Während auf Bundesebene ein rot-grünes Bündnis gegenüber der herrschenden schwarz-gelben Politik deutlich an Zustimmung in der Wählergunst gewonnen hat, zeigt die GAL in Hamburg ein deutliches Unbehagen, wenn nach einer Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie gefragt wird. Der Fraktionsvorsitzende in der Bürgerschaft, Jens Kerstan, stellt klar: "Mit der SPD würde die Umsetzung grüner Ideen nicht einfacher, sondern häufig sogar schwieriger werden. Schließlich hat die Partei den Umweltschutz in der Krise zu einem überflüssigen Luxus erklärt. In der Bürgerschaft stimmt die SPD bei wichtigen Umweltfragen regelmäßig gegen uns. Da stelle ich mir eine gute Grundlage für eine Koalition doch etwas anders vor... Bei der inneren Sicherheit versucht die SPD, die CDU rechts zu überholen, was bei uns derzeit nicht gerade für Glücksgefühle sorgt."

Dass die GAL nicht gerade auf Neuwahlen erpicht ist, kann nachvollzogen werden, denn die Hamburger SPD ist gemessen an der Bundespartei konservativer ausgerichtet. Einigermaßen überraschend ist freilich, dass die GAL die Frage der Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition weitgehend auf eine personelle Frage reduziert. Immerhin ist Thema der strategischen Debatte in der CDU, wie auf die Gefahr einer Spaltung und Neuformierung im rechten Wählerlager reagiert werden kann – das Personaltableau ist die davon abgeleitete Entscheidung.

Für die Hamburger Grünen müsste es auch darum gehen, welche politischen Projekte in den nächsten zwei Jahren realisiert werden sollen. Insbesondere könnte man auch von der GAL Aufklärung darüber erwarten, was der "Neustart" von Schwarz-Grün für die soziale Infrastruktur angesichts einer desolaten Lage der öffentlichen Finanzen bedeutet.

Auf Bundesebene hat die schwarz-gelbe Koalition ein massives Spaltungs-Sparpaket auf den Weg gebracht, das vor allem die BürgerInnen trifft, die von Sozialtransfers existieren müssen oder wegen ihrer prekären Beschäftigungsverhältnisse auf ergänzende staatliche Leistungen angewiesen sind. Die Bundespolitik trägt deutlich die Handschrift der FDP: Die Kosten der Wirtschaftskrise, die Finanzspekulanten verursacht haben, sollen auf Familien und Geringverdiener abgewälzt werden. Vermögende und Besserverdienende hingegen bleiben verschont. Die Gesundheits"reform" ist nach dem gleichen Muster gestrickt – eine Politik, die auf soziale und politische Ausgrenzung zielt.

Die Bundesgrünen nehmen zu Recht eine Rechtsentwicklung in der Union wahr. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, verweist dabei vor allem auf die Familien- und Umweltpolitik sowie auf Entwicklungen auf kommunaler Ebene. "Modernisierungsversuche der CDU unter der Vorsitzenden Angela Merkel in der Familien- und in der Umweltpolitik sind brutal gestoppt worden. Das Elterngeld wird für die Ärmsten der Armen zusammengestrichen, aber Hausfrauen sollen es weiter kriegen. Da entfernt sich die CDU von der Mitte der Gesellschaft und damit auch von den Grünen." (Trittin im Gespräch mit der FAZ vom 16.8., S. 2)

Auch in der Auseinandersetzung um die Verlängerung der Laufzeiten bei den Kernkraftwerken ist der Ausstiegskompromiss von der Atomlobby, Mehrheiten in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und in den entsprechend regierten Bundesländern bereits vor längerer Zeit in Richtung einer Bestandsgarantie für die Atomindustrie aufgekündigt worden. "Da ist schon ein Ruck nach rechts... Wahrscheinlich heißt das am Ende, dass wir eine stärkere Gewichtung haben werden für rot-grüne Zusammenarbeit."

Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, bringt die kritischen Themen zur Sprache. Auf die Frage nach den Chancen des nominierten CDU-Bürgermeisterkandidaten für die schwarz-grüne Koalition in Hamburg, Christoph Ahlhaus, antwortet sie: "Das hängt davon ab, ob er und die CDU mit dieser Regierung weiter ein Reformkonzept verfolgen, das klare grüne Inhalte hat: Klimaschutz, keine verlängerten Laufzeiten für Atomkraftwerke, Eintreten für ein besseres und gerechteres Bildungssystem und natürlich eine liberale Bürgerrechtspolitik in Hamburg. Ob er für eine solche Politik steht, muss Herr Ahlhaus nun bekennen. Der Ball liegt erst einmal im Spielfeld der CDU, denn dort ist der Regierende Bürgermeister zurückgetreten, nicht bei uns."

Die Frage allerdings, bei welcher Partei der Ball letztlich liegt, führt wenig weiter. Die GAL hat zu entscheiden, ob es ein Regierungskonzept gibt, das auch unter schwierigen Finanzbedingungen trägt und mit dem Schwarz-Grün in Hamburg sich dem bundesweiten Rechtstrend der Union entziehen kann.

Es mag ja sein, dass der designierte Bürgermeister Ahlhaus sein Mitwirken in der Heidelberger Szene von rechtskonservativen schlagenden Verbindungen als Jugendsünde aufgearbeitet hat. Entscheidend für die weitere Zukunft ist, ob die Grünen sich in der Hansestadt bis zum Ende der Legislaturperiode abmühen wollen, den Zug der CDU zum konservativen Milieu abzubremsen.

Die Veränderung in den politischen Kräfteverhältnissen wird auch von einem Teil der CDU-Politiker registriert. So konstatiert Armin Laschet, bis vor kurzem CDU-Minister in Nordrhein-Westfalen: "Im Fünf-Parteiensystem muss die CDU offen sein für Bündnisse mit allen außer der Linkspartei… Mein Eindruck ist, dass wir einen Linkstrend erleben: Rot-Grün will mit Duldung der Linkspartei Stück für Stück in den Ländern und dann 2013 auch im Bund eine linke Mehrheit herstellen. Das muss bürgerlichen Wählern der Grünen bewusst sein."

Wieweit dieser "Linkstrend" trägt, ist freilich offen. Die SPD hat zwar sukzessive etliche Korrekturen an ihrer Agenda-Politik vorgenommen (Mindestlohn, Leiharbeit, Vermögens- und Einkommenssteuer sowie aktuell Rente mit 67), diese veränderten Positionsbestimmungen sind allerdings parteiintern nach wie vor umstritten und nicht eingebettet in eine neue gesellschaftspolitische Konzeption, die Maßnahmen gegen die soziale Spaltung verbindet mit einer Erneuerungsperspektive für Wirtschaft und Gesellschaft und einen Ausweg aus der anhaltenden Krisenkonstellation bietet. Zudem muss offen bleiben, inwieweit die Reformagenda auch in Regierungskonstellationen durchgehalten wird.

Zum "Linkstrend" passen ferner nicht die anhaltenden Versuche vor allem der Sozialdemokratie, DIE LINKE aus einem gesellschaftlichen Reformbündnis auszugrenzen und zu marginalisieren.

DIE LINKE selbst liefert dazu allerdings gegenwärtig mit ihren parteiinternen Auseinandersetzungen um manipulierte Wahllisten und die Bezahlung ihres Spitzenpersonals auch diverse Vorwände. Hinzu kommen die eher passive, z.T. rückwärtsgewandte Auseinandersetzung mit den Positionsveränderungen bei SPD und Grünen sowie die Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung ihrer eigenen weitergehenden gesellschaftspolitischen Vorstellungen (Programmdebatte).