Chancen einer Finanztransaktionssteuer mit Komplexitätsprogression

Rüdiger von Nitzsch – Manuel Schüssler, Studie der RWTH Aachen

30.05.2010 / Veröffentlicht am 6.5.2010

Einleitung

Zwischen den großen Wirtschaftsnationen herrscht Einigkeit in dem Bestreben, sich einen Teil der staatlichen Gelder, die zur Bewältigung der Finanzkrise verausgabt werden mussten, von dem Finanzsektor wieder zurück zu holen. Hierbei wurden unterschiedliche Wege diskutiert, wobei man sich letztlich auf Empfehlung einer diesbezüglichen Studie des Internationalen Währungsfonds auf die vergleichsweise einfach umzusetzende Bankenabgabe einlassen möchte und somit Abstand nimmt von der ebenfalls diskutierten Finanztransaktionssteuer. Wir halten dies für zu kurzfristig gedacht und für einen großen Fehler. Ein Fehler ist es deshalb, weil man eine historische Chance verstreichen lässt, durch neue, richtige Anreize die Stabilität der Finanzmärkte zu verbessern und die Gefahr ähnlicher weiterer Krisen zu reduzieren. Im Kern wurde die Krise nämlich durch das gefährliche Zusammenspiel insbesondere zweier Faktoren ermöglicht:

• In der sehr kurzfristig und opportunistisch ausgerichteten Denkweise von Marktteil-nehmern im Umfeld des Vertriebs von Finanzprodukten, hier natürlich (aber nicht nur) im Bereich der Subprime Immobilienfinanzierung in den USA, sowie

• in den rasant gestiegenen Möglichkeiten, die Komplexität von Wertpapieren so zu steigern, dass kaum noch ein Marktteilnehmer das fundamentale Risikoprofil der Wertpapiere erkennen kann. Eine Bankenabgabe wird an diesen Punkten nichts ändern. Vielmehr werden die Entscheidungsträger in der Finanzindustrie wieder gedrängt, hohe Risiken einzugehen, um verträgliche Nettorenditen für die Aktionäre zu erreichen. Deshalb sind umfangreiche Regulierungen möglich, die versuchen müssen, hier durch andere direkte Eingriffe für Entschärfungen zu sorgen.

Wir schlagen stattdessen vor, über Modifikationen einer Finanztransaktionssteuer nachzudenken, die zwar vielleicht nicht einfacher umzusetzen sein mag, dafür sich aber aus der rein fiskalisch geprägten Sichtweise entfernt. Es dreht sich nicht darum, wie die gesundheitlich angeschlagene Kuh heute am besten gemolken werden kann, sondern die Kuh nachhaltig so gesund zu machen, dass man sich an den Melkerträgen noch lange erfreuen kann. In der vorliegenden Kurzstudie ist es deshalb unser Anliegen, in der Konzeption der Finanztransaktionssteuer allokationspolitische Überlegungen mit zu berücksichtigen. Mit anderen Worten sollte eine Einführung der Finanztransaktionssteuer nicht nur zu Steuermehr-einnahmen führen, sondern gleichzeitig auch das weltweite Finanzsystem stabilisieren. Wie dies durch Einführung einer Komplexitätsprogression innerhalb der Finanztransaktionssteuer möglich ist und welche fiskalischen Konsequenzen sich in einer solchen Konzeption ergeben, wird hier dargestellt.

Das folgende Kapitel 2 fasst zunächst die Ergebnisse einer aktuellen Studie zusammen, die das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) jüngst zur Finanztransaktionssteuer publiziert hat. Kapitel 3 schlägt eine Modifikation des Steuerkonzepts in Erweiterung des Ansatzes der Studie vor, in dem der Steuertarif auch die Komplexität der Fi-nanzprodukte berücksichtigt. Kapitel 4 schließt mit Abschätzungen über das mit diesem Ansatz zu erwartende Steuermehraufkommen.