Sozialstaat vor Ort am entschiedensten und klarsten verteidigen

01.05.2010 / Linksfraktion

Sabine Zimmerman, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über zentrale Forderungen zum 1. Mai 2010, die Entwicklung der Leiharbeit zu moderner Sklavenarbeit, Rechentricks der Bundesregierung bei der Arbeitslosenstatistik und das Verhältnis zu den Gewerkschaften

DIE LINKE rückt zum diesjährigen 1. Mai den Kampf gegen Hungerlöhne und Leiharbeit in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Was sind die zentralen Forderungen der Fraktion?

Ein gesetzlicher Mindestlohn ist einzuführen und Lohndumping mittels Leiharbeit zu bekämpfen. Die Drogeriekette SCHLECKER entließ kürzlich Beschäftigte und stellte sie dann wieder als Leiharbeiter ein - zur Hälfte des Lohns. Wegen des mutigen Kampfs der Verkäuferinnen und des öffentlichen Drucks hat der Konzern diese Praxis beendet. Aber jedes x-beliebige Unternehmen in Deutschland kann weiter Lohndumping nach Schlecker-Art betreiben. Wichtig ist für uns weiterhin, Arbeitsplätze zu sichern und im Falle des Jobverlustes den schnellen Absturz in Armut zu verhindern. Deshalb wollen wir das Arbeitslosengeld I krisenbedingt von 12 auf 24 Monate verlängern und die Regelsätze von Hartz IV in einem ersten Schritt auf 500 Euro erhöhen.

Im ersten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz von 1972 wurde Leiharbeit noch auf maximal drei Monate. Was hat in den zurückliegenden Jahren dazu geführt, dass Leiharbeit heute als Synonym für moderne Sklavenarbeit steht?

Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen können beliebig von einem Betrieb in einen anderen verschoben werden, haben kaum Rechte, verdienen weniger als die Stammbelegschaft und haben keinen sicheren Arbeitsplatz. So werden die Belegschaften gespalten, und der Unternehmer kann Lohndumping betreiben. Verantwortlich dafür ist die Hartz-Gesetzgebung der Schröder-Regierung von 2003. Seitdem können Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter unbegrenzt eingesetzt werden und noch wichtiger: im „Ausnahmefall“ schlechter bezahlt werden. Diese Ausnahme ist zur Regel geworden und hat zu einem Boom dieser prekären Beschäftigung geführt.

Auf der anderen Seite scheint aber Leiharbeit immer mehr Menschen einen Ausweg aus der Erwerbslosigkeit zu bieten.

Nicht wenige Arbeitslose hoffen, nach einiger Zeit irgendwo fest übernommen zu werden. Tatsächlich erhalten jedoch nur acht Prozent der ehemals arbeitslosen Leiharbeitskräfte nach zwei Jahren eine reguläre Beschäftigung. Würde die oder der Einzelne zwischen einem Leiharbeitsplatz und einer unbefristeten Beschäftigung wählen können, wäre die Entscheidung wohl klar. Damit wieder reguläre Jobs entstehen, wollen wir deshalb die Leiharbeit strikt begrenzen und gesetzlich den Grundsatz „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ ausnahmslos festschreiben.

Wie erklären Sie, dass der von Experten prognostizierte dramatische Anstieg der Erwerbslosigkeit infolge der Krise in der Bundesrepublik bisher offensichtlich ausgeblieben ist?


Zunächst ist keine Entwarnung angesagt. Keiner weiß, ob und wie schnell sich die Weltwirtschaft erholt. Bisher stieg die Erwerbslosigkeit nicht so stark wie befürchtet, weil in den Krisenbranchen die Arbeitszeit deutlich reduziert wurde, ob in Form von Überstunden, regulärer Arbeitszeit oder Kurzarbeit. Entscheidend war hier das Engagement der Gewerkschaften und Betriebsräte. Arbeitszeitverkürzung ist also kein Teufelszeug, wie uns lange vorgehalten wurde. Aber zum Teil beruht der moderate Anstieg der Arbeitslosigkeit auch nur auf einem statistischen Effekt.

Die Bundesregierung schummelt?


Ja, dass kann man so sagen. Immer wieder gab es Änderungen bei der Arbeitslosenstatistik. So fallen beispielsweise seit 2009 Erwerbslose bei privaten Arbeitsvermittlern komplett aus der offiziellen Statistik und werden lediglich als „Unterbeschäftigte“ aufgeführt. Zählt man diese und andere mit, ist die Arbeitslosigkeit im März gegenüber dem Vorjahr nicht um 18 000 gefallen, sondern hat um 143 000 zugenommen.

DIE LINKE hat gerade ihren Antrag »Mit Guter Arbeit aus der Krise« in den Bundestag eingebracht. Was ist ‚gute Arbeit’?

Das, was sich die meisten Menschen wünschen: Eine Arbeit, die sicher ist, die nicht krank macht, einen guten Verdienst ermöglicht. Es sollte auch genügend Zeit für Freunde und Familie bleiben und möglich sein, am Arbeitsplatz mitzubestimmen. Das ist heute leider immer weniger der Fall. Deshalb ist es wichtig für Gute Arbeit zu streiten. Gute Arbeit sollte an den Interessen, Wünschen und Bedürfnissen der Menschen ansetzen. Sie können selbst am besten beurteilen, was für sie gute Arbeit bedeutet.

Welche konkreten Maßnahmen schlägt DIE LINKE vor?

Wir wollen endlich einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro und prekäre Beschäftigung wie z.B. Leiharbeit oder Minijobs eindämmen. Wir wollen die unbefristete Vollzeitarbeit wieder zur Regel machen. Ferner sollte die Arbeitszeit begrenzt, die Mitbestimmung und der Gesundheits- und Arbeitsschutz ausgebaut werden.

Der DGB will unter dem Motto ‚Wir gehen vor!’ für gute Arbeit, gerechte Löhne und einen starken Sozialstaat demonstrieren. Das hört sich nicht wesentlich anders an als das, was DIE LINKE fordert.

In der Tat gibt es mit den Gewerkschaften viele Gemeinsamkeiten: ein gesetzlicher Mindestlohn, die Ablehnung der Rente mit 67 und einer Kopfsteuer im Gesundheitssystem. Gegen den Kurs der Bundesregierung ist Widerstand nötig. Zusammen mit anderen wollen wir dazu unseren Beitrag leisten. Wir sollten ruhig mal über den deutschen Tellerrand hinaus schauen. In Griechenland gehen die Menschen gegen den Sparkurs der Regierung zu Recht auf die Straße und legen die Arbeit nieder. Man kann Bewegungen nicht wie ein Lichtschalter an und ausknipsen, aber man kann dafür arbeiten.

Der DGB-Vorsitzende in NRW, Guntram Schneider, soll im Schattenkabinett der SPD Arbeits- und Sozialminister werden. Wieso trottet der Deutsche Gewerkschaftsbund im Jahre Sechs von Hartz IV noch immer der Sozialdemokratie hinterher?


Tja, ich kann die Vergesslichkeit und Vorschusslorbeeren mancher Spitzengewerkschafter gegenüber der SPD auch nicht verstehen. Sicherlich: Seit die SPD aus der Bundesregierung ist, blinkt sie öfters mal links. Ob das jedoch tatsächlich einen glaubwürdiger Kurswechsel ist, muss sie erst noch in der Praxis zeigen. Unsere Aufgabe sollte es sein, vor Ort am entschiedensten und klarsten den Sozialstaat zu verteidigen. Dann kann sich jeder selbst ein Bild machen. In Nordrhein-Westfalen haben hunderte Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter einen Wahlaufruf für DIE LINKE unterschrieben.

linksfraktion.de, 26. April 2010