Union bereitet weiteren Sozialabbau vor

Werner Dreibus im Interview

24.02.2010 / www.linksfraktion.de

Fraktionsvize Werner Dreibus bewertet die Forderungenn von ver.di bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst als "volkswirtschaftlich vernünftig". Den Streik sieht er weiterhin als stärkstes Mittel der Beschäftigten, um ihren Interessen Nachdruck zu verleihen. Von der Bundesregierung fordert er, "die Reichen und die Großunternehmen stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen".

Bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst hat ver.di bereits die ursprüngliche Forderung von 5 mehr Geld auf 3,5 Prozent nach unten korrigiert. Trotzdem sind die Verhandlungen gescheitert und Schlichter angerufen worden. Müssen die Beschäftigten nicht akzeptieren, dass derzeit bei Bund, Ländern und Kommunen einfach nichts zu holen ist?

Die Frage ist doch, warum Bund, Länder und Kommunen klamm sind. Weil die Regierungen Schröder und Merkel die öffentlichen Kassen kaputtgespart haben und auch Schwarz-Gelb dies weiterhin tut. Statt für angemessene Einnahmen zu sorgen, die es der öffentlichen Hand ermöglichen, sowohl ihre Aufgaben zu erfüllen als auch ordentliche Gehälter und Löhne zu zahlen, werden Steuergeschenke an Reiche und Unternehmen verteilt. Für die Erben großer Vermögen und die Hoteliers soll genug Geld da sein, aber für die Angestellten im öffentlichen Dienst nicht? Da läuft doch etwas schief!

Können Streiks im öffentlichen Dienst heutzutage noch die Wirkung erzielen wie vor zehn Jahren? In punkto Bürgerservice wird doch ohnehin an allen Ecken und Enden gespart und gestrichen.

Wenn die Müllmänner den Müll nicht mehr abholen und die Sachbearbeiterin in der KFZ-Zulassungsstelle keine neuen Kennzeichen ausstellt, dann üben sie schon einen deutlichen Druck auf ihre Arbeitgeber aus. Aber selbstverständlich gibt es auch andere Bereiche, wo das Drohpotenzial nicht so hoch ist. Grundsätzlich bleibt der Streik auch heute noch das stärkste Mittel der Beschäftigten, um ihren Interessen Nachdruck zu verleihen - auch im öffentlichen Dienst.

Während Kommunen Kindergärten, Bibliotheken und Schwimmbäder schließen müssen, planen die Bundesministerien für 2010 rund 1900 neue Stellen. Wie erklären Sie das?

Grundsätzlich befürwortet DIE LINKE den Ausbau des öffentlichen Dienstes, um die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Das gilt auch für die Bundesministerien. Was nicht geht, ist Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Danach sieht es zumindest bei einigen Ministerien allerdings aus. Im Einzelfall mag eine Aufstockung sachlich notwendig sein. Aber wenn selbst der Personalrat des Entwicklungshilfeministeriums diese sachliche Notwendigkeit in Zweifel zieht, dann riecht das schon nach Vetternwirtschaft.

Gibt es denn in Deutschland oder Europa Beispiele dafür, dass sich höhere Bezahlung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst als Wachstumsfaktor auszahlt?

Es gibt Berechnungen, die zeigen, dass sich Lohnerhöhungen allgemein positiv auf die Nachfrage auswirken. Schließlich macht es volkswirtschaftlich keinen Unterschied, ob eine Krankenschwester oder ein Feinmechaniker ein Fahrrad kauft. In beiden Fällen wird die Binnennachfrage gestärkt. Die Forderung von ver.di ist deshalb volkswirtschaftlich vernünftig - gerade auch in der Krise. Jetzt gilt es, die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zu stabilisieren. Andernfalls drohen hunderttausende Arbeitsplätze verloren zu gehen.

Vizekanzler Westerwelle meint gerade, im bundesdeutschen Sozialsystem „spätrömische Dekadenz“ erkannt zu haben. Befürchten Sie nicht, dass seine Anfeindungen gegen Hartz-IV-Empfänger bei vielen Arbeitnehmerinnen greifen, die nicht mit wesentlich mehr Lohn nach Hause gehen als Leistungsempfänger?

Die Gefahr besteht. Deswegen sprechen wir davon, dass Westerwelle sich mit seinen Äußerungen der Volksverhetzung nähert. Er hetzt die, die wenig verdienen, gegen die auf, die mit Sozialleistungen noch weniger zum Leben haben. Damit stellt sich Westerwelle gegen ein wesentliches Element unserer Verfassung - das Sozialstaatsgebot. Beides ist nicht hinnehmbar. Zuversichtlich stimmt mich, dass viele Menschen das auch so sehen. Sie wissen, dass Westerwelle nichts anderes ist als ein Lobbyist der Reichen und Großunternehmen.

Westerwelles Tiraden bescheren ihm einen weiteren Krisengipfel mit Kanzlerin Merkel und dem CSU-Vorsitzenden Seehofer. Wird damit die Hartz-Debatte beerdigt?

Nein, danach sieht es nicht aus. Kanzlerin Merkel wird Westerwelle wohl nur drängen, weniger scharf zu formulieren. In der Sache wird die Union die Attacken von Westerwelle nutzen, um den weiteren Abbau sozialstaatlicher Leistungen vorzubereiten. Das betrifft neben Hartz IV vor allem die Gesundheitsversorgung und die Renten. Die Regierung weigert sich, die Reichen und die Großunternehmen stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Deshalb will sie sich das Geld bei Arbeitslosen, Kranken und Alten holen. Westerwelle hetzt gegen Arbeitslose, aber er meint den Sozialstaat. Das weiß auch die Kanzlerin, und es scheint ihr recht zu sein.

linksfraktion.de, 23. Februar 2010