Jörg Huffschmid: London diskutiert an der Systemkrise vorbei

Der Druck bleibt im Dampfkessel

02.04.2009 / Interview mit Jörg Huffschmid (für das ND Martin Ling)

Weltfinanzgipfel in London: G20 beraten über Auswege aus der Wirtschaftskrise
Jörg Huffschmid war bis 2005 Professor für Politische Ökonomie und Wirtschaftspolitik an der Uni Bremen. Er ist Mitglied der Memorandum-Gruppe linker Ökonomen aus mehreren EU-Staaten (www.memo-europe.uni-bremen.de). Über die Aussichten für die Weltwirtschaft angesichts des Londoner G20-Gipfels sprach mit ihm für ND Martin Ling.

ND: Gerade mal 20 Stunden sind für den G20-Gipfel angesetzt. Lässt sich daraus schließen, dass die 47 Arbeitsaufträge vom G20-Gipfel am 15. November schon weitgehend abgearbeitet sind?


Huffschmid: Schön wär's, aber das Gegenteil ist der Fall. Ich gehe vielmehr davon aus, dass das G20-Treffen am 2. April eine sehr große propagandistische Veranstaltung sein wird, in der noch einmal beteuert wird, dass alles besser werden und man künftig viel regulieren wird. Vielleicht werden publikumswirksam einzelne Punkte herausgegriffen, wie mehr Transparenz oder vielleicht sogar eine stärkere Eingrenzung von Hedgefonds, die kreditfinanziert auf hochspekulative Anlagen wetten. Bei Lichte betrachtet kann indes überhaupt nicht davon die Rede sein, dass das umfangreiche Programm vom November in irgendeiner Weise konkret fassbar abgearbeitet worden ist und schon das war vage gehalten. In dem Zwischenstandsbericht, der vor wenigen Tagen veröffentlicht worden ist, hat sich an der Unbestimmtheit und Unklarheit der Begriffe nichts geändert. Die überwiegende Mehrzahl der Ausführungen sind Absichtserklärungen und keine konkreten Pläne zur Beschlussfassung.

Der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück meinte schon vor Wochen einen Durchbruch erkannt zu haben, und zwar dergestalt, dass nun auch die angloamerikanische Welt das Prinzip »kein Markt, kein Produkt, kein Akteur ohne Aufsicht« akzeptiere. Ist Steinbrück zu optimistisch?


Das Prinzip klingt fraglos gut, nur was steht konkret dahinter? Bisher gab es Märkte, Produkte und Akteure ohne Aufsicht wie Hedgefonds. Künftig sollen sie beaufsichtigt werden. Aber was heißt denn beaufsichtigt? Von Beschränkungen der Tätigkeiten von Hedgefonds ist bisher nicht die Rede und da liegt der Kern des Problems: Hedgefonds bedienen sich unter anderem in hohem Maße Kombinationen aus Kauf- (Long-Position) und Verkaufsabsichten (Short Selling) sowie Fremdkapitalaufnahme in ihren Strategien. Vernünftig wäre, diese hochspekulativen Geschäfte zu verbieten, doch davon kann überhaupt keine Rede sein. Stattdessen wird darauf gesetzt, dass Hedgefonds sich registrieren lassen müssen, um sie überwachen zu können. Doch was ihre Praxis angeht, werden sie sich selbstverständlich auf das Betriebsgeheimnis zurückziehen können. Das sind alles rhetorische Luftblasen, die gut klingen. Ohne zusätzliche harte Beschränkungen, die dann auch bei Zuwiderhandlungen mit Strafen verfolgt werden können, ist das ein Muster ohne Wert.

Viele Wirtschaftswissenschaftler fordern eine einheitliche, koordinierte Finanzpolitik weltweit und eine Schrumpfung der Finanzmärkte. Sichtbar ist eine solche Politik nicht. Glauben die Regierungen, das Schlimmste sei schon überstanden und nun könne man die Krise aussitzen?


Aussitzen schein in der Tat ein Teil der Krisenbewältigungsstrategie zu sein. Andererseits sind die Regierungen irritiert, weil die bisher begonnenen Maßnahmen überhaupt nicht gegriffen haben. Die Banken geben sich nach wie vor untereinander keine Kredite und auch kaum welche an Unternehmen. Daran haben die Bürgschaften, Subventionen und Teilübernahmen von Banken ohne Übernahme der Geschäftspolitik nichts geändert. Das ist das eine. Und auf der anderen Seite gibt es eine ziemliche Differenz zwischen den USA und Europa im Konzept der Krisenbekämpfung. Während man sich über die Notwendigkeit einer stärkeren Finanzmarktregulierung rhetorisch einig ist, geht die Meinung in Bezug auf die Konjunkturprogramme extrem auseinander. Die USA klotzen, die EU kleckert. Die Konjunkturprogramme der Europäischen Union und der EU-Nationalstaaten bewegen sich an der Grenze zur Lächerlichkeit. Es zeigt sich, dass es in der Europäischen Union keine Konzeption für eine Wirtschaftspolitik gegen die Krise gibt. Hier rächt sich das jahrzehntelange Versäumnis, so etwas wie eine gemeinschaftliche wirtschaftspolitische Konzeption zu entwickeln. Die Forderung, eine europäische Wirtschaftsregierung zu machen, ist immer wieder insbesondere von Deutschland zurückgewiesen worden.

Eines hat die Krise schon bewirkt. Der exklusive G8-Klub ist ein Auslaufmodell und wird durch den erweiterten G 20-Klub ersetzt. Dabei ist China, das sich für ein neues Weltwährungssystem ohne die Leitwährung US-Dollar stark macht. Mit Aussicht auf Erfolg?


Vorab: Die Ablösung der G8 durch die G20 ist zwar ein relativer Fortschritt. Aber auch die Legitimation der G20 lässt angesichts der Tatsache, dass es allein in der UNO 192 Staaten gibt, zu wünschen übrig. Chinas Vorschlag geht in die richtige Richtung: Ein Weltwährungssystem, mit einer durch die Weltgemeinschaft gemeinschaftlich ausgegebenen und verwalteten Leitwährung auf der Basis der Sonderziehungsrechte, die es ja gegenwärtig beim Internationalen Währungsfonds schon gibt, wäre als langfristige Perspektive wünschenswert. Allerdings sehe ich dafür nicht die geringsten Realisierungschancen. Die USA werden trotz ihrer großen Finanz- und Wirtschaftskrise immer noch von den Finanzinvestoren der Welt als der sichere Hafen angesehen. Das stärkt die USA, deren Führungsrolle in dieser Krise wahrscheinlich stärker werden wird, auch wenn alle schwächer werden und das Niveau der Weltwirtschaft absinkt.

Eine neue Weltwirtschaftsordnung ist von London nicht zu erwarten?


Nein. Es wird so etwas wie eine oberflächliche Übereinstimmung geben. Die größten Exzesse der Finanzmärkte werden vielleicht gebremst. Aber an den wesentlichen Eckpunkten des modernen Finanzsystems wird sich nichts ändern. Und vor allen Dingen wird in London kein Wort über die wesentlichen Ursachen der Finanzkrise verloren werden. Die allseits bedauerten Regulierungslücken sind in den letzten 20 Jahren bewusst politisch geschaffen worden, indem man den Finanzinvestoren alle möglichen roten Teppiche ausgerollt hat. Die dahinterliegende Problematik einer extrem ungleichen Verteilung der Einkommen wird überhaupt nicht angesprochen. Eine Problematik, die eben dazu geführt hat, dass oben immer mehr Geld angekommen ist, das nicht produktiv reinvestiert wird, weil unten eben zu wenig Geld übriggeblieben ist, mit dem man die zusätzlich produzierten Güter kaufen könnte. Stattdessen flossen die Gelder in abenteuerliche Spekulationsstrategien. In London wird das eine oder andere Deckelchen auf den Dampfkochtopf der Finanzmärkte gepackt, der eigentliche Druck wird aber nicht rausgenommen werden.

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Zahlen und Fakten - Exklusive Clubs

Seit Mitte der siebziger Jahre trafen sich bei den jährlichen G7-Gipfeln die größten Industriestaaten. Neben den G4 (Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien) waren das die USA, Kanada, und Japan. 1998 wurde die G7 um Russland zur G8 erweitert. Von der reinen Wirtschaftsleistung her müsste längst auch China zu dieser Gruppe gehören.

China gehört zur G20. Dazu kommen die EU und 18 Staaten: Argentinien, Australien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Türkei und die USA. Die G20 wurde Ende der 1990er Jahre als Reaktion auf die Finanzkrisen in Asien, Brasilien und Russland gegründet.

Die G20 repräsentiert zwei Drittel der Weltbevölkerung, fast 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft und rund 80 Prozent des Welthandels, aber nur einen Bruchteil der über 190 Staaten auf dem Globus.

Die Europäische Union reist mit einem 20-Punkte-Plan zum Weltfinanzgipfel. In bezug auf die Konjunkturprogramme wird eine schnelle und internationale Abstimmung gefordert und als Voraussetzung für ihr positives Wirken müsse die Kreditvergabe an Verbraucher und Unternehmen wieder reibungslos funktionieren. Darüber hinaus fordert die EU einen langfristigen Abbau der immensen Staatsverschuldung und spricht sich für einen freien Welthandel ohne Protektionismus aus.

Der Internationale Währungsfonds bekommt laut EU die zentrale Rolle beim Umbau der Weltfinanzordnung. Alle Staaten sollen sich verpflichten, einerseits das freie Spiel auf den Märkten zu garantieren, andererseits Exzesse zu unterbinden. Die Bilanzierung der Finanzunternehmen und deren Kontrolle soll verbessert werden. Für Verstöße gegen die Spielregeln soll es angemessene und abschreckende Strafen geben.