Hamburg: Haushalt ohne Neuverschuldung?

Oder: Wie der zum »Herkules« ernannte Finanzsenator die Öffentlichkeit täuscht

11.09.2008 / Von Joachim Bischoff und Bernhard Müller, http://www.die-linke-hh.de

Die schwarzgrüne Koalition begleitet ihre kümmerliche Reformpolitik mit gewaltigem Pathos. Der Haushalt für 2009/10 wird als der „große Wurf, ohne einen Cent Neuver­schuldung“ (Finanzsenator Freytag) verkauft. „Haushaltsberatungen sind immer eine Herkulesaufgabe. Diese haben wir sehr gut gemeistert“, sagte Bürgermeister Ole von Beust nach den Verhandlungen. Zwei Ziele habe man erreicht: Zum einen bliebe es bei einer soliden Haushaltspolitik ohne neuen Schulden, aber mit einer kleinen Tilgung. Zum anderen könne der Senat die Vorhaben, die im CDU-GAL-Koalitionsvertrag ver­einbart wurden, durchführen. In den Verhandlungen habe es nie eine Frontstellung „schwarze Senatoren gegen grüne Senatoren“ gegeben, so von Beust. Finanzsenator Michael Freytag (CDU) sprach von einem „kraftvollen Pakt für die Zukunft Hamburgs“.

Das Ergebnis diese „kraftvollen Pakts“ ist die weitere Minimierung des politischen Hand­lungsspielraums. „Keinen Cent Neuverschuldung“ – diese Botschaft unterstellt ganz praktisch:

1. Die Steuereinnahmen sprudeln auch weiterhin kräftig, was angesichts trüber Konjunkturaussichten eine heroische Annahme ist.

2. Der Senat plündert die Rücklagen und Fonds der Stadt und gewinnt mit weiterer Vermögensmobilisierung rund 1,5 Mrd. Euro.

3. Die Grunderwerbssteuer wird erhöht.

4. Die maroden Schulgebäude, die Hafen Port Authority und das Projekt Hafen­eisenbahn-Modernisierung werden in Nebenhaushalte verschoben.

5. Im Betriebshaushalt wird umgeschichtet zugunsten der schwarzgrünen Vorzei­geprojekte – was Einsparungen von jährlich rund 90 Mio. Euro an anderer Stelle mit sich bringt.

Der „Hamburger Herkules“ hat den miefigen Stall der öffentlichen Finanzen nicht aus­gemistet, sondern versprüht lediglich Phrasen. Die Verschuldung steigt weiter drama­tisch an.

Im Einzelnen:

Im „großen Wurf“ enthalten sind für die Jahre 2009/2010 Mehrausgaben von 800 Mio. Euro gegenüber 2007/2008. Insgesamt weist der Plan für 2009 und 2010 jeweils 10,7 Mrd. Euro an bereinigten Gesamtausgaben aus.

Allein 165 Mio. Euro sollen für die Einstellung zusätzlicher LehrerInnen ausgegeben werden. Außerdem wird der Besuch der Vorschulen vom nächsten Jahr an wieder kos­tenfrei und die Zahl der Ganztagsschulen auf mehr als 200 ausgeweitet. Im Vorder­grund des Kita-Ausbaus mit 123 Mio. Euro steht die Ausdehnung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz auf alle Zweijährigen vom 1. August 2010 an. Parallel zur Vorschule wird auch das letzte Kita-Jahr vor der Einschulung vom 1. August 2009 an kostenlos.

Außerdem will der Senat 50 Mio. Euro in das Klimaschutzprogramm investieren. Zu­sätzlich 67 Mio. Euro sollen in die Wohnungsbau- und Wohnraumförderung fließen. Für die Verbesserung des Straßen- und Radwegenetzes wollen CDU und GAL zusätzlich 55 Mio. Euro ausgeben. Polizei und Feuerwehr erhalten 15 Millionen Euro mehr. Der Bereich Wissenschaft und Forschung darf auf 97 Mio. Euro hoffen. Für die Weiterent­wicklung des Sports sind zehn Mio. Euro vorgesehen.

Zur Finanzierung will der Senat die Grunderwerbssteuer vom nächsten Jahr an von 3,5 auf 4,5 Prozent erhöhen. Das soll jährlich 63 Mio. Euro in die Kassen spülen. Ein wich­tiger Sparposten ist die Streichung des Betriebszuschusses für die Hamburg Port Authority in Höhe von 80 Mio. Euro jährlich. „In Zukunft gilt: Hafen finanziert Hafen“, sagte von Beust. Das heißt: Die Hafenunternehmen finanzieren die HPA über ihre Ge­bühren. Aber auch die Behörden müssen sparen: Schwarz-Grün hat für 2009 und 2010 eine globale Minderausgabe von jeweils knapp 90 Millionen Euro vereinbart. Bleibt ab­zuwarten, auf wessen Kosten hier erneut gespart werden wird.

Allerdings reichen diese Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen bei weitem nicht aus, um das gewaltige Finanzierungsloch im Haushalt zu stopfen. Allein der Investitions­haushalt weist in Zeitraum 2008-2010 einen Negativsaldo von 3,5 Mrd. Euro aus. Darin enthalten sind 1,2 Mrd. für »Zukunftsprojekte« wie Hafencity, U-4 und Elbphilharmonie, deren Wert für die Stadt zweifelhaft und deren Kosten offensichtlich nicht beherrschbar sind, wie der neuerliche skandalöse Anstieg der Kosten der Elbphilharmonie um 100 Mio. Euro, die in der Haushaltsplanung noch gar nicht berücksichtigt sind, nachdrücklich belegt.

Zur Finanzierung seiner „Investitionen in Hamburgs Zukunft“ greift der Senat zum einen auf den massiven Überschuss im Betriebshaushalt in den Jahren 2008 bis 2010 (zu dem auch die sozial einseitigen „strukturellen Einsparungen“ der alten CDU-Senate beigetragen haben) in Höhe von 1,5 Mrd. Euro zurück. Für die verbleibenden zwei Mrd. Euro „Zukunfts“kosten, werden in der Vergangenheit gebildeten finanziellen Reserven der Stadt faktisch aufgelöst. Für 2008 bis 2010 sind Entnahmen aus Rücklagen und Stöcken von zwei Mrd. Euro geplant. Hinzu kommen noch einmal 300 Mio. Euro aus Vermögensmobilisierungen, sprich dem Verkauf von öffentlichen Unternehmen und Grundstücken.

Aber auch das ist noch längst nicht die ganze Haushaltswahrheit. Zur Kaschierung des öffentlichen Defizits sollen zukünftig öffentliche Unternehmen für die dringend erforder­lichen staatlichen Investitionen verantwortlich sein. Praktisch bedeutet dies, dass es neben dem Gesamthaushalt der Stadt (neue) Schattenhaushalte geben wird, die sich der öffentlichen Kontrolle entziehen. Finanzsenator Michael Freytag (CDU) hat sich ausdrücklich dazu bekannt, staatliche Aufgaben auf öffentliche Unternehmen zu ver­lagern, die zu 100 Prozent im Besitz der Stadt sind. Der Effekt: Ausgaben und Investi­tionen dieser Unternehmen belasten den Gesamthaushalt der Stadt nicht mehr.

Klar ist bereits, dass die Schulgebäude mit ihrem Sanierungsbedarf von mehr als drei Milliarden Euro auf ein städtisches Unternehmen übertragen werden. Die Aufgabe wird vermutlich auf die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga/GWG verlagert. Die Ge­sellschaft saniert in einer privat-öffentlichen Partnerschaft im Süden Hamburgs bereits 31 Schulgebäude. In der Behörde werden derzeit zwei Modelle geprüft, eine Entschei­dung soll noch in diesem Monat fallen. Im Gespräch ist die Gründung einer städtischen Gesellschaft mit dem ausschließlichen Zweck der Schulsanierung und -unterhaltung. Dieser Gesellschaft sollen die Schulgebäude als Sicherheit übertragen werden, um Kredite aufzunehmen.

Diskutiert wird der Weg der Auslagerung auch bei einem zweiten Sanierungsfall: der Hafenbahn. Hier soll die Hochbahn einspringen, um dringend erforderliche Investitionen von 700 Mio. Euro vorzunehmen.

Reserven verbraucht, zur Kaschierung der Megalöcher Schattenhaushalte aufgebaut – von seriöser Finanzpolitik ist dieser Senat weiter entfernt denn je. Vorsorge für die Zu­kunft sieht jedenfalls anders aus. Die einbrechende Konjunktur mit höheren Sozialaus­gaben und geringeren Steuereinnahmen wird deutlich machen, dass diese Art „solider Haushaltspolitik“ komplett auf Sand gebaut ist.