„Riding the storm“: Wer Wind sät, wird Sturm ernten?

25.11.2020 / Peter Hennicke

Eine neuere Studie von UBS und PWC mit dem vielversprechenden Titel „Riding the Strom“ untersucht die Anzahl, den Vermögensumfang, die Investitionsschwerpunkte und die Perspektiven der Milliardäre der Welt[1] bis zum Juli 2020. Insofern vermittelt die Studie auch einen interessanten Einblick in die Wechselwirkungen von ökonomischen Folgen der Corona-Krise und Aktivitäten der Superreichen. Insbesondere eine Hauptthese ist interessant: „Wir haben bereits zuvor gesehen, wie eine Kohorte von ‚Inovators‘ und ‚Disruptors‘ von Milliardären, die in den Bereichen Technologie, Gesundheitswesen und Industrie aktiv sind, zur Umgestaltung der Wirtschaft beigetragen hat. COVID-19 hat diesen Trend drastisch beschleunigt ... Dies ist ein Schlüsselmoment in der Wirtschaftsgeschichte, eine Zeit außergewöhnlicher schumpeterianischer kreativer Zerstörung“[2] (Forword, ebenda, S.5).

Das Gesamtvermögen der Milliardäre ist vom bisherigen Spitzenwert (8,9 Billionen US$ Ende 2017) bis 31. Juli 2020 auf eine neues Maximum von 10,2 Billionen US$ angewachsen. Trotz erheblicher Verschiebungen innerhalb dieser Gruppe ist die Zahl der Milliardäre bis zum 31. Juli 2020 auf den neuen Maximalwert von 2.189 angestiegen, im Vergleich zu 2.158 im Jahr 2017. Obwohl die zugesagten Spenden von 209 Milliardären – insbesondere zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise – auf einen bis dato Rekordwert von 7,2 Milliarden US$ (vor allem in den USA) angestiegen ist, schränkt die Studie ein: „Eine kleine Gruppe von Milliardären leistet Pionierarbeit in der Philanthropie und verfolgt gleichzeitig Nachhaltigkeitsziele für ihre Unternehmens- und Investitionstätigkeit“[3] (Ebenda, S.7).

Der Bericht mündet in einen geradezu flammenden Appell an die Gruppe der Superreichen: „2020 wird für Milliardäre und die Weltwirtschaft als entscheidendes Jahr und Wendepunkt in die Geschichte eingehen. Ein Jahr, in dem der Sturm Covid 19 rasante Veränderungen hin zu einer digitalen Wirtschaft bewirkt hat, die zudem weniger global ausgerichtet und stärker verschuldet ist. In den nächsten 10 Jahren kommt den ‚Inovators‘ in der Gesellschaft eine entscheidende Rolle zu. Bei dem Einsatz des weltweit wachsenden Bestands an neuen Technologien zur Produktivitätssteigerung müssen sie auch die immer offensichtlicher werdenden ökologischen und sozialen Defizite überbrücken“[4] (Ebenda, S.39).

Als entscheidende Gruppe sieht der Bericht dabei die „Innovators“ und „Disruptors“ unter den Milliardären an, deren Vermögen von 2018 bis Juli 2020 um 17% (auf 5,2 Billionen US$) anstieg im Vergleich zu nur 6% (auf 3,7 Billionen US$) bei „traditionellen“ Milliardären. Es fällt auf, dass bei den Technologiefeldern, die den „Innovators“ und „Disrupters“ zugeschrieben werden, zielgerichtete technologische und soziale Innovationen für den Klima- und Ressourcenschutz praktisch keine Rolle spielen. Als „Essential Eight“ werden die folgenden disruptiven Technologien genannt, die zweifellos die Produktivität nach oben treiben können, deren positiver Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz aber zumindest ambivalent, wenn nicht kontraproduktiv ist: „Das Technologieteam von PwC hat die so genannten ‚Essential Eight‘-Technologien identifiziert, die für die Unternehmen in den nächsten drei bis fünf Jahren am wichtigsten sind. Diese sind: (1) Künstliche Intelligenz; (2) Augmented Reality; (3) Blockchain; (4) Virtuelle Realität; (5) Drohnen; (6) Internet der Dinge; (7) 3D-Druck; (8) Robotik. Das disruptive Potenzial dieser Technologien wird maximiert, wenn es eine Konvergenz zwischen der digitalen Praxis, der Cloud und großen Datenmengen gibt“[5] (Ebenda, S.41).

Trotz seiner betont optimistischen Bewertung der Investitionsaktivitäten der Superreichen zeigt der Bericht an einer Stelle die Defizite sehr deutlich auf. Nachdem die „kleine Anzahl“ sozialökologisch orientierter Milliardäre und einige herausragende Persönlichkeiten im Bericht erwähnt wurden, fährt der Bericht fort: „Sie bleiben jedoch Ausnahmen, da nicht alle von Milliardären kontrollierten Unternehmen gut abschneiden, wenn man sie an Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) misst. Nahezu 500 (494) milliardenschwere börsenkotierte Unternehmen, die unter der Kontrolle von Milliardären stehen, erhielten von UBS eine Nachhaltigkeitsbewertung. Ihre durchschnittliche Bewertung beträgt 3,1 (von 10) gegenüber einem Durchschnitt von 5,2 für die Aktien des MSCI AC World Index“[6] (S.31).

Es bleibt daher sehr zweifelhaft, ob die euphemistische Schlussfolgerung des Berichts zutreffend ist. Zwar ist eine Produktivitätssteigerung durch Innovationen für qualitatives Wachstum in nachhaltigen Sektoren zweifellos erwünscht, aber geschieht dies unter der Bedingung „... die soziale Ungleichheit zu verringern und die Knappheit der Umweltressourcen zu bekämpfen, indem mehr mit weniger getan wird?“ (ebenda.S.40) Und der nachfolgende Satz erscheint noch utopischer: „Zunehmend werden Milliardäre versuchen, dies nicht nur indirekt über die wirtschaftlichen Beiträge ihrer Unternehmen zu tun, sondern direkt durch strategische Philanthropie, gutes gesellschaftliches Engagement von Unternehmen und wirkungsvolle Investitionen. Die Pandemie hat ihnen die Augen geöffnet“[7] (Ebenda S.40).

Angesichts der dargestellten Fakten erscheint es überoptimistisch zu erwarten, dass die Superreichen ohne staatliche Intervention einen wirklich richtungsweisenden Anteil ihres Kapitals in eine nachhaltigere Richtung investieren. Es offenbart daher auch mehr Realitätssinn, wenn der Bericht am Schluss die Frage stellt: „Werden die Regierungen die Superreichen besteuern, um die öffentlichen Haushalte auszugleichen?“ (Ebenda, S.40). Vermögensteuern oder eine Corona-Vermögensabgaben werden in der Studie zwar skeptisch gesehen. Immerhin endet der Bericht aber mit der Empfehlung: „Es ist politisch sinnvoller, bestehende Steuern wie die Einkommen- und Kapitalertragsteuer zu erhöhen, als eine neue Steuer zu erfinden“[8] (Ebenda, S.40).

Im Ergebnis lässt sich festhalten: Die Anzahl und das Gesamtvermögen der Milliardäre ist – trotz der Corona-Pandemie – bis Juli 2020 weiter gestiegen. Das bisherige nachhaltige Engagement von „billionaire-controlled companies“ liegt nach UBS-Analysen deutlich unter dem durchschnittlichen Weltreferenzwert MSCI ACWI. Eine wirklich umfassende Richtungsänderung im Investment ist bisher nicht erkennbar. Die Hoffnung, dass die Superreichen – motiviert durch die Corona-Krise und ohne staatliche Intervention – von sich aus einen neuen Kurs auf Nachhaltigkeit einschlagen, kann empirisch nicht belegt werden und erscheint eher als naiv.

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[1] Die Studie konzentriert sich auf sogenannte „billionaire-controlled companies“. Die Frage, welcher Anteil der 2.189 Milliardäre sich allein auf Kapitalmarktgeschäfte und -renditen konzentriert, wird nicht weiter untersucht.

[2] eigene Übersetzung

[3] eigene Übersetzung

[4] eigene Übersetzung

[5] eigene Übersetzung

[6] eigene Übersetzung

[7] eigene Übersetzung

[8] eigene Übersetzung