Aufstehen oder sitzen bleiben?

04.10.2018 / Axel Troost

Anfang September ist sie gestartet, die neue Sammlungsbewegung Aufstehen. Der Versuch, politische Kräfte links der Mitte neu zu bündeln, lässt sich wahlweise als Kampfansage an DIE LINKE oder als Bündnisprojekt interpretieren. Doch so einfach ist es nicht. Konkurrenz oder Ergänzung - was bedeutet Aufstehen für unsere Partei?

Aufstehen - was soll das?

Der kurze Hype um Martin Schulz - ein Sprung von über zehn Prozentpunkten in den Umfragen, Tausende Neueintritte in die SPD, rechnerische Mehrheit für Rot-Rot-Grün - hat gezeigt, dass es in der deutschen Bevölkerung eine starke Sehnsucht nach einer anderen Politik gibt und diese Politik auch mehrheitsfähig ist. Das linke Potenzial wird aber - wie das Ergebnis der Bundestagswahl zeigte - von SPD, Grünen und Linken nicht ausgeschöpft. Die Enttäuschung vom SPD-Spitzenkandidaten führte gerade nicht dazu, dass sich die Enttäuschten innerhalb des linken Lagers zugunsten der LINKEN umentschieden, sondern sich ganz neu orientierten oder gar nicht erst zur Wahl gingen. Dazu trug sicher auch der Unwille oder die Unfähigkeit bei, entlang der Schnittmengen von Rot-Rot-Grün konkrete, langfristig angelegte gesellschaftliche Projekte abzuleiten und mit genügend Vorlauf und Überzeugung in die Öffentlichkeit zu tragen. Ohne solche Konzepte kann keine Wechselstimmung aufkommen.

2017 entfielen auf Rot-Rot-Grün gerade einmal 38,6 Prozent der Zweitwählerstimmen. 2005 waren es noch 51 Prozent gewesen. Auch wenn sich DIE LINKE in den letzten Jahren stimmenmäßig recht stabil gehalten hat, fehlen ihr in der momentanen Situation die Bündnispartner, um auf der wichtigen bundespolitischen Ebene Projekte durch Regierungsbeteiligung verwirklichen können. Dazu kommt die Frage, warum sie nicht wirklich von der Schwäche der SPD profitieren kann. Die fehlende Machtperspektive und die neue Protestpartei AfD macht es noch schwerer, Unentschlossene oder Enttäuschte zu mobilisieren, als es ohnehin schon ist. Insofern spricht vieles dafür, neue Formen der Politik zu wagen.

Linke Bewegungen entstehen normalerweise von Unten. Soziale Bewegungen wie die Friedensbewegung, die Umweltbewegung oder Attac sind als Antwort auf vernachlässigte Probleme aus der Zivilgesellschaft heraus entstanden. Typisch sind dabei auch basisdemokratische Strukturen. Insofern ist Aufstehenals von Oben initiiertes Projekt keine Bewegung im klassischen Sinne.

Aufstehen versteht sich trotzdem als linke Sammlungsbewegung. Die Hürden zum Aufstehen sind über die Registrierung auf der Internetseite denkbar niedrig, wobei sich das Aufstehen darüber hinaus bisher auf eine Online-Umfrage und die Weiterbewerbung begrenzt. Das scheint erst einmal wenig zu sein. Tatsächlich stehen aber erfolgreiche Bewegungen des Internetzeitalters zum Vorbild, die zunächst auch unscheinbar gestartet sind. Dazu gehören die Kampagnen Bernie Sanders in den USA, Jeremy Corbyns Unterstützungsplattform zur Neuausrichtung der britischen Labour-Partei oder "La France insoumise" in Frankreich. Die hinter Aufstehen steckende Digitalplattform stammt aus den USA und wurde laut Aufstehen schon von den Regierungen in Kanada, Neuseeland, Singapur und Taiwan eingesetzt. Computer-Algorithmen sollen dabei helfen, Mehrheitsmeinungen und Kompromisse zu finden. Das ist der Punkt, wo die Basis tatsächlich über die inhaltliche Ausrichtung mitbestimmen kann. Eine professionell gemanagte Digitalplattform kann aber nicht nur inhaltliche Debatten ausrichten und auswerten, sondern auch Klickzahlen für Videos, Internetlinks und Verweildauern verarbeiten. So entsteht eine Datenbank, die neben Inhalten auch Slogans und Layout optimieren kann. Das ist wichtig, da in der Politik leider die Verpackung oft wichtiger ist als der Inhalt. Dazu kommt die Fähigkeit, mithilfe der Plattform AktivistInnen und Spenden zu mobilisieren sowie neue politische Talente zu entdecken und zu fördern. Eine so vorbereitete Bewegung kann im richtigen Zeitpunkt gut vorbereitet vom Netz auf die Straße ziehen.

Sammlungsbewegung oder Spaltungsbewegung?

Die große Hoffnung ist, dass Aufstehen Menschen erreicht, die von traditioneller Parteiarbeit längst nicht mehr erreicht werden. Dazu leisten das Onlineformat und die losen Strukturen sicherlich einen Beitrag. Im Prinzip ist aber DIE LINKE immer schon eine Sammlungsbewegung von enttäuschten Linken gewesen. Im doch ziemlich bieder geratenen Gründungsaufruf von Aufstehen steht nichts, was DIE LINKE nicht schon seit Jahren fordert. Und die Partei hat natürlich auch schon längst auf die neuen Möglichkeiten des Internets und der Mobilisierung reagiert (unterschiedliche Meinungen über den Auftritt der Partei gibt es natürlich immer). Was ist es also, was die Menschen begeistern soll?

Was aus Aufstehen einmal werden soll, wissen wohl selbst die InitiatorInnen nicht. Insofern verbietet sich jedes definitives Urteil. Skepsis ist deswegen angebracht, weil Sahra Wagenknecht als Galionsfigur von Aufstehen bisher nicht gerade für Kompromissbildung und Annäherung von LINKEN mit SPD und Grünen stand, sondern sich einen Ruf als Hardlinerin erarbeitet hat. Ihre MitstreiterInnen von SPD und Grünen bei Aufstehen sind zwar respektable Personen, stehen in ihren Parteien aber bestenfalls in der dritten oder vierten Reihe. Das Aufstehen in nennenswerter Weise in die SPD und die Grünen hineinwirken wird, ist so nicht zu erwarten. Daran schuld ist sicher auch das immer wieder durchklingende Konzept eines linken Populismus, der das Volk durch klare Frontlinien gegen die herrschenden Eliten in Stellung bringt. Auch wenn es richtig ist, mit Kritik am Kapitalismus und am politischen System die Ursachen für die Polarisierung der Gesellschaft in den Blick zu nehmen: Geführt wird dieser Populismus in seiner zugespitzten Ausdrucksform seit einiger Zeit mit einer giftigen Schlagseite, wo er sich im Dienst der ArbeiterInnenklasse am Linksliberalismus, an Weltoffenheit und gut situierten Gutmenschen abarbeitet. Was für die einen der letzte Schrei aus linken Politikwerkstätten ist, kommt in etwas gesetzteren Kreisen als Agit-Prop und Spaltung an. Ein Konzept für eine linke Volkspartei ist dieser Populismus jedenfalls nicht.

Zwar will Aufstehen keine Partei sein - die Idee einer neuen linken Volkspartei stand aber anfangs im Raum. Auf der Pressekonferenz von Aufstehen gab es zur Frage, ob das Projekt letztlich nicht doch auf eine Partei hinausläuft, keine klare Antwort. Wozu auch, ist die Drohung mit einer Parteigründung doch ein potenzielles Druckmittel. Frankreichs Bewegungen von Macron und Mélenchon - oder aber auch die zur "Liste Sebastian Kurz" umgekrempelte ÖVP - haben gezeigt, dass auf einzelne Person zugeschnittene Parteien neuen Typs beachtliche Erfolge erzielen können - zu Lasten der innerparteilichen Demokratie. So weit ist Aufstehen längst nicht. Damit die Bewegung auf Dauer attraktiv sein kann, wird sie jedoch liefern müssen. Was Aufstehen so interessant macht, sind sicher nicht die Inhalte, sondern die Machtoption und das Disruptionspotenzial: "Wenn der Druck groß genug ist, werden die Parteien, auch im Eigeninteresse, ihre Listen für unsere Ideen und Mitstreiter öffnen." Dieses Zitat von Sahra Wagenknecht von der Pressekonferenz zielt zwar auf alle drei Parteien, faktisch betrifft es aber am ehesten DIE LINKE. Aufstehen fällt in eine Zeit, wo Sahra Wagenknecht im Fraktionsvorsitz ganz oben auf der Karriereleiter steht, nun aber immer wieder erleben muss, dass ihr die Fraktion und die Partei nicht folgt. Wo es jetzt darauf ankäme, Kompromisse in der eigenen Partei und Fraktion zu schließen und sich den Gremien zu stellen, wird nun über Aufstehen und die Medien versucht, den Kurs der Partei zu beeinflussen.

Damit Aufstehen keine Spaltungs- sondern eine Sammlungsbewegung wird, muss folgendes passieren: Die Diskussion um die Weiterentwicklung der LINKEN muss in erster Linie innerhalb der Partei und nicht an der Partei vorbei geführt werden. Dabei muss klar sein, dass es auf die aktuellen Herausforderungen, speziell auch im Umgang mit Migration, keine einfachen Antworten gibt und die Partei eine offene Debatte und Meinungsvielfalt akzeptieren muss. Diffamierungen sind zu unterlassen. Gleichzeitig hat die Führung die Ergebnisse der parteiinternen Willensbildung zu respektieren. Leute, die unsere Partei mit guten Ideen und Konzepten umkrempeln wollen, sind dabei herzlich willkommen. Das kann aber nur von Innen geschehen, wobei Impulse von Außen selbstverständlich aufgenommen werden sollten.