"Syriza wollte Einschnitte mildern"

Interview mit Axel Troost

26.04.2017 / Junge Welt

Das Interview ist zuerst erschienen auf www.jungewelt.de

Sie vertreten die These, dass die Bundesregierung falsche Behauptungen zur griechischen Politik verbreitet. So werde etwa kolportiert, dass dort zu hohe Renten ausgezahlt würden. Wie schätzen Sie das ein?

Axel Troost: Die staatlichen Ausgaben und Sozialsysteme in Griechenland unterscheiden sich im Durchschnitt nicht wesentlich von denen anderer Länder Europas. Das Geld wird nur anders verteilt. In Deutschland gibt es beispielsweise eine Krankenversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Rentenversicherung. In Griechenland dagegen gibt es bislang keine Sozialhilfe, auch keine längerfristige Grundsicherung für Erwerbslose. Renten dienen daher nicht nur dazu, die ältere Generation zu versorgen. Die ausgezahlten Beträge beinhalten eine Familienhilfe, um etwa Kinder zu unterstützen, die aufgrund von längerer Arbeitslosigkeit oder mangelnder Erwerbsfähigkeit nicht über eigene Einkünfte verfügen. Gegen die kolportierten Aussagen spricht zudem, dass 43 Prozent der Rentner und Rentnerinnen in Griechenland unter der Armutsgrenze von 660 Euro monatlich leben müssen. Auch hat es viele Veränderungen und Kürzungen im Rentensystem gegeben. Aus meiner Sicht wäre dieses sonst auf Dauer auch nicht finanzierbar gewesen.

Aber das ist doch nicht positiv. Zumal die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent, sogar teilweise 24 Prozent, zu deutlich teureren Lebensmittelpreisen geführt hat.

AT: Die Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras hat unter dem Druck der sogenannten europäischen Institutionen viel einsparen müssen. Aber sie hat stets versucht, die Einschnitte zu mildern. Ich hatte dafür den ironischen Begriff einer »linken Austeritätspolitik« geprägt. Die griechische Regierung hat einfach kaum Gestaltungsspielräume.

Bittet die Syriza-Regierung zumindest die Reichen zur Kasse?

AT: Sie hat eine Erhöhung des Einkommensteuersatzes für hohe Einkommen von 42 auf 45 Prozent beschlossen. Abgaben für griechische Reeder und auf die von ihnen nach Griechenland eingeführten Devisen wurden verdoppelt. Gegen superreiche Steuerhinterzieher laufen Prozesse. Die Staatseinnahmen konnten auch gesteigert werden, indem die Schwarzarbeit kleiner Selbständiger ausgebremst wurde. Vom selbständigen Taxifahrer über den Kneipenbesitzer bis zum Handwerker: Quittungen und Belege müssen jetzt von allen ausgedruckt werden.

Bisweilen behaupten deutsche Medien, der griechische Mittelstand würde mit zu hohen Steuern belastet. 22 Prozent Steuern werden für Jahreseinkommen von bis zu 20.000 Euro erhoben. Ist es damit für junge Menschen nicht tatsächlich schwierig, freiberuflich tätig zu sein oder sich ein kleines Unternehmen aufzubauen?

AT: In Deutschland werden Einkommen ab knapp 9.000 Euro im Jahr mit 14 Prozent besteuert, bei 20.000 Euro sind es über 20 Prozent. Es handelt sich hierzulande also um vergleichbare Werte. Bei einer hohen Staatsverschuldung müssen auch kleinere Selbständige entsprechend herangezogen werden.

Aber ist es nicht so, dass die Reichensteuer demgegenüber eben nicht besonders hervorsticht?

AT: Die Bankenauskunft wurde intensiviert, ein elektronisches Vermögensverzeichnis wurde eingeführt, die internationale Kooperation zur Bekämpfung von Steuerflucht verstärkte man, ebenso die Nutzung von Listen potentieller Steuerflüchtiger. Auch wenn es hier weiterhin viel zu tun gibt, werden in der Berichterstattung die Fortschritte häufig unterschlagen oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Dass die Steuererhöhungen den Reichen tatsächlich wehtun, zeigt die Schärfe ihrer Reaktion. Sie versuchen, ihre Verbindungen in die Kreise der internationalen Gläubiger zu nutzen, um die gestiegenen Belastungen abzuwenden.

Hätte sich die Syriza-Regierung nicht dem neoliberalen Spardiktat mehr widersetzen müssen?

AT: Es hat riesige Einbußen für die Bevölkerung gegeben. Das wirtschaftliche Wachstum in Griechenland leidet unter den erzwungenen Veränderungen durch die sogenannten Institutionen. Die Folge sind eine zu geringe Nachfrage und eine mangelhafte Beschäftigungspolitik des Staates. Besonders brutal finde ich, dass die Institutionen ständig neue Kürzungen verlangen, selbst wenn Auflagen bisher vollständig erfüllt wurden. Die Regierung kann kaum eigenständig handeln.

Das Interview führte Gitta Düperthal