Maut, ÖPP und die Autobahn-GmbH

Das Abschiedsgeschenk der Großen Koalition ist die schleichende Privatisierung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur

12.04.2017 / Axel Troost

Vor jeder Bundestagswahl kann man sich auf zwei Dinge verlassen: Erstens, dass die CDU ritualisiert Steuergeschenke in Aussicht stellt und zweitens, dass die SPD ankündigt, den selbst erzeugten Kahlschlag des Sozialstaats symbolisch abzumildern. In dieser wiederkehrenden, lautstarken Besinnung der vermeintlichen Volksparteien auf ihre Kernziele geht leider regelmäßig unter, dass bis zu den Wahlen noch gewisse unappetitlichen Restbestände aus Koalitionsverträgen abgearbeitet werden. Bei „großen Koalitionen“ sind das insbesondere solche Projekte, die kontroverse Änderungen am Grundgesetz erfordern und für die nach der Wahl möglicherweise keine Mehrheiten mehr zu gewinnen sind.

In diesem Jahr handelt es sich dabei um das wohl größte, und selbst innerhalb der Koalition umstrittene und unbeliebte Privatisierungsprojekt der Nachkriegszeit: Nämlich die Verlagerung der Bundesfernstraßen in eine private Gesellschaft. Nach der großen Bahnprivatisierung vor über 20 Jahren droht nun der Ausverkauf eines weiteren essentiellen Teils der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur.

Weil mit der Privatisierung öffentlicher Infrastruktur schlechte Erfahrungen gemacht wurden und auch das Thema ÖPP (Öffentlich-Private-Partnerschaften) einen schlechten Ruf hat (teuer, unflexibel, Dumping, intransparent), wird das Vorhaben in kleinen Scheiben serviert und in andere Gesetzesvorhaben untergemischt. Möglich ist diese Vermischung auch deshalb, weil der Bund die Zuständigkeit für die Bundesfernstraßen von den Ländern abpressen konnte für ein finanzielles Entgegenkommen bei der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Dabei haben weder die Maut noch die Bundesfernstraßen etwas mit dem bisherigen Länderfinanzausgleich zu tun – sie wurden schlicht Teil eines politischen Kuhhandels zwischen Bund und Ländern.

Die Salamitaktik der Bundesregierung: Erst Maut, dann Privatisierung

Ende März hat der Gesetzesentwurf für eine PKW-Maut (offiziell „Infrastrukturabgabe“) den Bundesrat passiert, ohne dass dort durch Landesregierungen mit LINKER Beteiligung mehr erreichbar gewesen wäre als Zeit zu gewinnen (Vermittlungsausschuss als aufschiebende Maßnahme).

Um nicht wegen Ausländer-Diskriminierung gegen europäisches Recht zu verstoßen, wurde aus der angekündigten „Ausländer-Maut“ eine allgemeine PKW-Maut. Sie gilt für Inländer auf Bundesfernstraßen und Autobahnen, für Ausländer zunächst nur auf letzteren.[1] Aufgrund einer steuerlichen Entlastung für Inländer über die Kfz-Steuer wird die Frage der Konformität dennoch bald vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt werden. Zudem wurde in einer Anhörung von Sachverständigen durch den Verkehrsausschuss am 20.03.2017 darauf hingewiesen, dass die vom Bundesverkehrsministerium erwarteten Einnahmen viel zu optimistisch seien. Aufgrund der Kosten für Bürokratie, technische Überwachung und komplementäre Steuerentlastungen seien vielmehr sogar Verluste durch die Maut zu befürchten. Dies alles wäre hauptsächlich der bayrischen Landesregierung und dem CSU-Verkehrsminister anzulasten, welche dieses fast schon „anti-euro-päisch“ ausgerichtete Maut-Projekt als politischen Spleen unbeirrt vorangetrieben haben.

Doch die Maut ist nur ein Teilschritt in einem größeren Plan: Längst liegen die entsprechenden Gesetzentwürfe vor, darunter Grundgesetzänderungen im Rahmen des Kompromisses zum Länderfinanzausgleich: Dadurch sollen die verkehrsrechtliche Verwaltung und der Unterhalt der Autobahnen sowie (optional) der Bundesfernstraßen von den Ländern auf den Bund übertragen – und dort in einer „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ gebündelt werden.

Diese „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ ist als eine Art „öffentliche GmbH“ geplant, ähnlich der Deutschen Bahn, die zwar formal in öffentlichem Eigentum des Bundes bliebe, jedoch privatwirtschaftlich geführt würde. Und die – dies wird von der großen Koalition explizit nicht ausgeschlossen – unter ihrem Dach dann auch ÖPP und Teilprivatisierungen durchführen könnte, ganz nach betriebswirtschaftlichen Erwägungen. Entgegen der gebetsmühlenartigen Dementi der Bundesregierung droht hier die Privatisierung der Autobahnen durch die Hintertür.[2] Ein internes, unter Verschluss gehaltenes Gutachten der SPD (deren ehemaliger Wirtschaftsminister Gabriel dieses Projekt überhaupt erst angestoßen hatte) schließt ebenfalls: „Hinsichtlich der Ausgabenplanung (für Bau, Erhaltung, Betriebsdienst etc.)“ der Infrastrukturgesellschaft ‚wird der Bundestag entmachtet’.“[3]

Bindung der Maut auf Straßenbau – Beschäftigte und sozialökologische Verkehrswende bleiben auf der Strecke

Die gerade beschlossenen Mauteinnahmen würden dann bald schon nicht mehr in den Steuertopf, sondern künftig direkt und vollständig an die quasi-privatisierte Bundesfernstraßen-Gesellschaft fließen. Und somit könnten die Maut-Einnahmen nur noch für Straßenbau verwendet werden. Zur Linderung der externen (Umwelt- und Gesundheits-) Kosten des Autoverkehrs oder zur Querfinanzierung anderer Verkehrsträger wie Schiene, ÖPNV oder Fahrrad könnten diese Einnahmen nicht mehr genutzt werden. Somit würde auch der sozialökologischen Verkehrswende eine wichtige Finanzierungsquelle abgeschnitten. Gerade das macht die offizielle Bezeichnung „Infrastrukturabgabe“ für die PKW-Maut so irreführend, weil die Zweckbindung eben nicht auf die gesamte Infrastruktur entfällt, sondern einen „geschlossener Finanzierungskreislauf“ ausschließlich für Bundesfernstraßen ergibt (O-Ton der Unternehmensberatung PWC).

Eine weitere große Sorge bei diesem Vorhaben der großen Koalition gilt den rund 30.000 Beschäftigten in den Straßenbauverwaltungen der Länder. Zu befürchten ist – ähnlich wie bei der Umwandlung der Bahn in einen privatwirtschaftlich geführten Betrieb – ein Kahlschlag beim Personal sowie Rationalisierungsdruck auf die verbliebenen MitarbeiterInnen. Daher kritisieren wir die völlig unzureichenden Regelungen in den Gesetzentwürfen zu Fragen des Status, des Arbeitsortes und der Entlohnung der Beschäftigten.

Statt die Schuldenbremse zu beerdigen, soll sie teuer umgangen werden – zur Freude der Kapitalanleger

Die Grundgesetzänderung wird nur deshalb nötig, weil die schwarz-rote Koalition die Sanierung der Verkehrswege nicht direkt finanzieren, sondern den Umweg über Investoren wählen will. Statt die Steuern zu erhöhen (denn: „mit der CDU gibt es keine Steuererhöhungen“) oder Investitionskredite aufzunehmen (denn: Schäubles „Schwarze Null“ im Bundeshaushalt ist ihm heilig) soll sich die Autobahngesellschaft das Geld durch die Autofahrer und durch Kredite privater Investoren besorgen. Statt den Unsinn mit der Schuldenbremse bei öffentlichen Investitionen endlich zu beerdigen, wie selbst Fratzscher, der Leiter der von der Bundesregierung eingesetzten Infrastruktur-Kommission, fordert,[4] soll die Schuldenbremse lediglich trickreich umgangen und dem Kapital die Tür zur öffentlichen Infrastruktur geöffnet werden.

Zudem wird diese Umgehung der Schuldenbremse ein teurer Trick: Einerseits kommen ÖPP am Ende erfahrungsgemäß (auch laut Bundesrechnungshof) teurer als eine herkömmliche Beschaffung. Andererseits soll die privatwirtschaftlich geführte Infrastrukturgesellschaft (die explizit keine Staatsgarantie haben soll!) zusätzlich private Kredite aufnehmen dürfen. Ohne eine Staatsgarantie müssen diese Kredite jedoch deutlich höher verzinst werden als eine herkömmliche öffentliche Kreditaufnahme über Staatsanleihen (das Beispiel Bahn deutet auf 2-3 Prozentpunkte über dem Niveau längerfristiger Staatsanleihen hin). Die einzigen Nutznießer wären private Investoren, die sich an – praktisch „idiotensicheren“ und äußerst lukrativen – Infrastrukturinvestitionen beteiligen können. Die Ausführung über ÖPP und die Finanzierung über Kredite ohne Staatsgarantie würde damit zum doppelten finanziellen Nachteil für die Allgemeinheit geraten.

Bau und Betrieb der Fernstraßen würden ein Anlageprodukt, welches die nötige Kapital-Rendite „erwirtschaften“ muss und sich auch primär an Renditen ausrichten wird. Die im internationalen Vergleich teure private Bewirtschaftung der Fernstraßen (siehe z.B. die exorbitanten Renditen französischer Maut-Betreiber[5]) wird auch hierzulande zu rasch steigenden Mautgebühren führen.[6] Kosten, denen gerade PendlerInnen nicht ausweichen können. Analog dem Aufkauf von Ackerland zu Spekulationszwecken, was als „Land-Grabbing“ kritisiert wird, öffnet die Bundesregierung nun die Tür zum „Autobahn-Grabbing“. Die ist nur noch durch Klientelpolitik der großen Koalition erklärbar, die sich wie vor jeder Wahl sicherlich durch üppige Wahlkampfspenden von Bauunternehmen, aus der Versicherungsbranche, von Beratungsgesellschaften und großen Kapitalanlagefonds etc. auszahlen wird.

Was will die LINKE?

Auch die LINKE sieht bei der maroden Verkehrsinfrastruktur einen großen Sanierungs- und Weiterentwicklungs-Bedarf, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu erhalten und zukunftsfähig zu machen. Der Investitionsstau darf aber nicht als Vorwand für eine Quasi-Privatisierung dienen, sondern sollte durch direkte staatliche, gerne auch kreditfinanzierte Investitionen angegangen werden.

Wir meinen: Straßen, als wichtiger Teil der öffentlichen Infrastruktur, dürfen nicht per Auslagerung in eine privatrechtliche Gesellschaft (sowie per dortiger Ausführung als ÖPP oder gar Teilnetz-ÖPP) den Profitinteressen von Investoren überlassen werden. Dies käme die SteuerzahlerInnen künftig teuer zu stehen und würde, wie bereits die Bahn, weitere Teile der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur der demokratischen Kontrolle entziehen.

Grundsätzlich spricht sich die LINKE gegen eine Grundgesetzänderung für Schwarze Null und Investoren-Renditen aus, die auf Kosten des Haushalts und zu Lasten der Beschäftigten und demokratischen Kontrolle gehen. Wir fordern eine Verbesserung und Modernisierung der Auftragsverwaltung der Länder im bestehenden System sowie die Weiterentwicklung der Schnittstellen zur Bundesverwaltung.[7]

Falls die Fernstraßen-Kompetenzen jedoch künftig zentral beim Bund liegen sollten, muss die damit betraute Gesellschaft zumindest eine Anstalt öffentlichen Rechts werden und eine Änderung der Rechtsform darf nur mit Zustimmung des Bundestages möglich sein. Zudem müssen die Arbeitsplätze gesichert, Tarifrechte eingehalten sowie die Mitbestimmung vollumfänglich gewährleistet bleiben.

Was tut die LINKE?

Die LINKE kämpft gegen diese schleichende Privatisierung des Gemeinwesens auf mehreren Ebenen:

  • Parlamentarisch mittels Anträgen wie „Autobahnprivatisierungen im Grundgesetz ausschließen“[8] sowie „Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen“[9]. Weitere Anträge zielen auf Zukunftsprogramme, um den generell gigantischen Investitionsstau bei öffentlicher Infrastruktur und Daseinsfürsorge abzutragen – nicht nur bei den Autobahnen.[10]
  • Weiterhin engagiert sich die LINKE in öffentlichen Bündnissen, wie der von meinen KollegInnen Sabine Leidig und Herbert Behrens mitinitiierten „Plattform gegen die Bundesfernstraßengesellschaft“.[11] Wir kämpfen gemeinsam mit dem DGB[12], ver.di und der Fachgewerkschaft VDStra, sowie NGOS wie Attac, Robin Wood und Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB)[13]. Überdies wissen wir bekannte Satiriker wie Max Uthoff und Claus von Wagner auf unserer Seite, siehe u.a. die ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt“ vom 04.04.2017.[14]
  • Und nicht zuletzt klärt die LINKE die BürgerInnen vor Ort über diese schleichende Privatisierungsgefahr auf, auch während des anlaufenden Wahlkampfes.

Wir rufen die BürgerInnen auf, sich zu vernetzen und gemeinsam zu protestieren. Denn nur gemeinsam können wir diesen verantwortungslosen Ausverkauf unserer Gemeingüter noch verhindern!

[1] www.bundesrat.de

[2] Schön dokumentiert durch Gemeingut in BürgerInnenhand: www.gemeingut.org

[3] Zitiert nach: www.berliner-zeitung.de

[4] www.axel-troost.de

[5] www.sueddeutsche.de

[6] Siehe hierzu auch die aufgedeckten „Geheimgutachten“ der Wirtschaftskanzlei Graf von Westfalen (GvW) im Auftrag des Verkehrsministeriums, sowie internen Gutachten von PricewaterhouseCoopers (PWC): www.berliner-zeitung.de

[7] Siehe hierzu vertiefend auch die Vorschläge der Bodewig-II-Kommission: www.gemeingut.org

[8] Drs. 18/11165 vom 14.2.2017

[9] Drs. 18/6547 vom 3.11.2015

[10] Siehe Entwurf des Bundestagswahlprogramm: www.die-linke.de sowie schon 2013: 100% sozial – 100% durchgerechnet! www.die-linke.de

[11] www.keine-fernstrassengesellschaft.de

[12] Siehe DGB-Resolution für eine zukunftsfeste Verkehrsinfrastruktur und gegen eine Privatisierung der Autobahnen, sowie große Unterschriftenaktion: www.dgb.de

[13] Vor allem Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) begleitet den Prozess der drohenden Fernstraßenprivatisierung eng mit kritischen Analysen: www.gemeingut.org

[14] ZDF-Sendung „Die Anstalt“ vom 4. April 2017 mit satirischer Aufklärung zu Maut und Privatisierungsgefahr: www.zdf.de

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