Alle Jahre wieder: Ein Stresstest zum Relaxen

Von Helge Peukert

01.08.2016 / 1.8.2016

Mit Spannung wurde der Freitagabend veröffentlichte Stresstest der noch in London ansässigen European Banking Authority (EBA) in Zusammenarbeit mit der EZB veröffentlicht. Im Rahmen der seit 2009 alle 2-3 Jahre vorgesehenen Tests wurden 51 (mittel)große Banken, 37 aus 15 EU-Ländern, 14 u.a. aus Dänemark, Polen, Schweden und UK unter die Lupe genommen. Danièle Nouy, oberste europäische Bankenaufseherin, liest die Ergebnisse positiv, der (offizielle) Bankensektor sei heute deutlich widerstandsfähiger als noch vor zwei Jahren. Gutbürgerliche Presseorgane titeln „Gesunde Geldhäuser“ oder „Großbanken bewähren sich im Stresstest“, der Politikbetrieb sieht sich bestätigt. Vergessen sind die Fehlurteile früherer Tests, bei denen z.B. Bankia (Spanien) und Dexia (Belgien) noch kurz vor ihrem Zusammenbruch das Siegel der Unbedenklichkeit erhielten.

Verglichen wurde ein normales, wie von der EU erwartetes und ein adverses Szenario: Das Wachstum in der EU sinke real in drei Jahren um - 1,2 und - 1,3 und steige dann um 0,7 Prozent. Man untersuchte, wie sich dann einbrechende Immobilienpreise, eine Schwäche des Euro, sinkende Börsenkurse und steigende US-Zinsen auf das Kapitalpolster der Banken durch entstehende Kredit-Markt- operationelle u.a. Risiken auswirkt. Ergebnis: Außer einer italienischen und einer irischen Bank bestanden alle den Stresstest, ihre gewichteten Eigenkapitalquoten liegen zumeist über 7 Prozent (das legale Minimum beträgt 4,5 Prozent, der EZB gibt als internen Richtwert 5,5 Prozent an). Die ungewichtete Leverage Ratio lag aggregiert bei 4,2 Prozent. Der Aufwand war immens, für jede der 51 getesteten Banken wurden 16.000 Einzeldaten (data points) erhoben, womit alleine bei der EZB 200 Aufsichtsexperten beschäftigt waren.

Die „Neue Geldordnung“ steht der Untersuchung und positiven Deutungen sehr skeptisch gegenüber. Wir geben folgendes zu bedenken:

  • 1. In der Finanzkrise sank selbst das deutsche BIP in einem Jahr um 5 Prozent. Der unterstellte Wachstumsrückgang im Stressszenario ist recht moderat. Wie hätten die Ergebnisse ausgesehen, wenn man 4 Prozent unterstellt hätte? Instruktiv ist in diesem Zusammenhang auch eine kürzlich erschienene Studie des ZEW, die die Folgen eines Börsencrashs um 40 Prozent durchrechneten und deren Ergebnisse durchgängig deutliche Rekapitalisierungen bei den meisten europäischen Banken ergab, um geschätzte Verluste von 880 Mrd. Euro auszugleichen. Auch der permanente Stresstest der Banken, abzulesen an ihren sinkenden Börsenkursen, vermittelt einen weniger positiven Eindruck.
  • 2. Es handelt sich (bei solchen Untersuchungen fast zwangsläufig) um sehr spezifische Szenarien, aus denen keine allgemeinen Folgerungen über die Widerstandsfähigkeit der Großbanken im Allgemeinen gezogen werden können. Griechenland und Portugal, deren Banken praktisch alle insolvent sind, wurden nicht einbezogen und auch ein Brexit, dessen negative Folgen nicht nur vom Politestablishment in den letzten Wochen düster ausgemalt wurden, blieb unberücksichtigt. Vor allem aber wurde das derzeitige Niedrig- bis Negativzinsumfeld, über das alle Banken zurecht klagen, völlig ausgeklammert.
  • 3. Simulierte Stressszenarien unterliegen sehr restriktiven Annahmen. Zum einen müssen z.B. Annahmen getroffen werden, wie stark und unterschiedlich die jeweiligen Län- 2 der und „ihre“ Banken betroffen sind. So wird angenommen, dass das BIP in Deutschland deutlich weniger als z.B. in Irland schrumpfen würde. Dies erschwert auch die Vergleichbarkeit der Ergebnisse, da die Werte für die Banken davon abhängen, welchem Land sie zugerechnet werden. Vor allem aber unterliegt dem Test eine statische Bilanzannahme, die im EBA-Bericht auch klar angesprochen wird: Vermögenswerte und Verbindlichkeiten der Banken, die während des dreijährigen Zeithorizonts fällig werden, ersetzt man durch identische Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, was in einer Krisensituation natürlich ausgesprochen unrealistisch ist. Erstmalig einbezogene „Verhaltensrisiken“, die zu kostspieligen Gerichtsverfahren führen können, lassen sich natürlich nur schwer vorausahnen.
  • 4. Trotz der eher generösen Anlage des Stresstests beruhigen die Ergebnisse kaum. Was die gewichtete Kernkapitalquote betrifft, liegen die Commerzbank und die Deutsche Bank mit über 7 Prozent auf den Plätzen 42 und 44 von 51. Das ist kein Ruhmesblatt. Grundsätzlich problematischer ist die u.E. aussagefähigere Leverage Ratio, bei der die Bilanzen nicht künstlich kleingerechnet werden (z.B. Abzug von Staatsanleihen, die keiner Eigenkapitalunterlegung bedürfen, da sie ja sooo risikofrei sind). Wenn man das Eigenkapital auf die Gesamtbilanzen ohne solche Abzüge bezieht, kommt man im Stressszenario auf durchschnittlich 4,2 Prozent bei allen 51 Banken. Das ist extrem wenig, der Fremdverschuldungsanteil beträgt nämlich dementsprechend über 95 Prozent. Wenn die Vermögenwerte einer Bank unter diesen 4,2 Prozent liegen, ist sie (ohne Rekapitalisierung) praktisch pleite. Die Deutsche Bank liegt so ehrlich gerechnet im Stressszenario bei 2,96 Prozent, die Commerzbank ganz knapp über 3 Prozent. Die Bayerische Landesbank und die Norddeutsche Landesbank Girozentrale liegen beide unter 3 Prozent, der magischen Marke bei Basel III als vorläufig anzustrebendem Minimum.[1]
  • 5. Es stellt ein grundsätzliches Problem dar, dass die EZB (aber auch die EBA) an diesen Untersuchungen beteiligt war, da sie als wesentlicher Politgestalter und Finanzkartenhausretter nicht interessenfrei ist. Hätte man z.B. die Negativ- und Niedrigzinspolitik der EZB einbezogen und als wesentlichen Krisenherd identifiziert, hätte dies eine Kritik am obersten Dienstherren bedeutet. Angesichts früherer Stresstests und z.B. der Praktik von Ratingagenturen fragt man sich, ob hier nicht wieder einmal so kalibriert wurde, dass fast alle Geldhäuser angesichts der fragilen Lage des europäischen Bankensystems nicht nur in Italien die Ergebnisse nicht schlecht ausfallen durften, um auch nach dem Brexit Turbulenzen zu vermeiden.
  • 6. Wir halten es grundsätzlich für fragwürdig, ob man überhaupt im heutigen Geld- und Finanzsystem halbwegs valide Aussagen im Rahmen von Stresstests treffen kann angesichts undurchsichtiger, komplizierter und gestaltungsfreudiger Bankbilanzen (z.B. hinsichtlich der Bewertung von Derivaten), stark interdependenter Finanzinstitute, systemrelevanter Megabanken, einem historisch einmaligen Schuldenstand nicht nur in Europa und nicht zuletzt einer monetären Zentralverwaltungswirtschaft, die auf Gedeih und Verderb von der übergriffigen Politik der EZB abhängt. In einer solch fragilen Lage bedarf es nur eines an sich geringfügigen, unvorhersehbaren Ereignisses (z.B. das Scheitern des Garantiekonsortiums für Monte die Paschi di Siena), um neuerlich in einen Krisenmodus zu geraten. Wir fragen uns, ob Stresstests angesichts dieser Rahmenbedingungen nicht eine Beruhigungspille und eine Anmaßung von Wissen sind und sich die Ergebnisse überhaupt in gut begründete regulatorische Kapital(mehr)anforderungen übersetzen ließen. Eine solche Anmaßung scheint aber die florierende Regulierungs- und Kontrollbürokratie zu beseelen, da es nächstes Jahr für die größeren Banken keine festen KapitalMindestquoten mehr geben soll und die Aufseher dann für jedes Institut einen individuellen Kapitalpuffer in Abhängigkeit vom Geschäftsmodell festlegen wollen. Doch in offenen, dynamischen, sich ständig verändernden Systemen wie den Kapitalmärkten lauern die Gefahren gerade dort, wo man sie nicht erwartet und ein solides Geschäftsmodell von gestern heute schon brandgefährlich sein kann. Für wie riskant hielten denn die nationalen, europäischen und internationalen Aufseher kurz vor Ausbruch der europä- ischen Staatschuldenkrise die Staatsanleihen der EU-Mitgliedsstaaten?
  • 7. Anstelle aufwendiger Stresstest setzt sich die Neue Geldordnung nach wie vor für einfache, transparente, demokratisch kontrollierbare Strukturreformen ein, zum Beispiel für eine Entflechtung der Megabanken, eine Abschaffung des Geldschöpfungsprivilegs der Banken, eine moderate Finanztransaktionssteuer, die auch die Hypertrophie weitgehend unnützer Finanzprodukte (Derivate) einschränkt, sowie ein gezieltes Schrumpfen des Finanzsektors und ein wirtschaftsethisch reflektierter, geordneter Schuldenabbau.
[1] Siehe Tabelle 8 zur fully loaded leverage ratio, in: storage.eba.europa.eu