Raus aus dem Euro?

Von Axel Troost

25.08.2015 / 25.08.2015

Der innergriechische politische Streit – eine Grundsatzdebatte auch innerhalb des Linksbündnisses Syriza –, ob ein Ausstieg aus dem europäischen Staatenbund und eine Rückkehr zur nationalstaatlichen Politik des 20. Jahrhunderts (Grexit) nicht eine sozialverträglichere und dauerhafte Lösung für die wirtschaftlichen Probleme wäre, hat in der europäischen Linken die Debatte über die Kollateralschäden des neoliberalen Regimes in Europa wieder befeuert. In der Griechenlandfrage gab und gibt es also recht unterschiedliche Konzeptionen, die auf unterschiedliche Bewertungen der Europäischen Union beruhen. Ein geordnetes Ausscheiden aus der Euro-Zone wäre nach Ansicht von Sahra Wagenknecht eine sinnvolle Lösung der Schuldenkrise Griechenlands. Voraussetzung sei allerdings, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die neue griechische Währung unterstütze „und dass sie nicht in Grund und Boden fällt“. Ein gravierendes Problem: der geordnete Grexit unterstellt eine Mitwirkung der europäischen Institutionen wie der EZB und eine wohlwollende Begleitung durch die neoliberale Mehrheit.

Wenige Tage nach der Zustimmung des Bundestages bei mehrheitlicher Ablehnung (sieben Enthaltungen) der Linksfraktion stellt Wagenknecht die Zukunft der Europäischen Union selbst und der Währungsgemeinschaft mit dem Euro infrage. Die zukünftige Fraktionschefin der Linken kritisiert das Währungssystem und warnt vor einer abnehmenden demokratischen Legitimation in Europa. „Es zeigt sich einfach, dass der Euro nicht funktioniert, sondern immer größere wirtschaftliche Ungleichgewichte erzeugt, und am dramatischsten zeigt sich das eben in Griechenland“.

Ihre Schlussfolgerung: die LINKE müsse die Debatte darüber wieder aufnehmen, welchen Spielraum eine Politik jenseits des neoliberalen Mainstreams im Rahmen des Euro überhaupt hat oder ob wir dieses Währungssystem nicht generell infrage stellen müssen.[1] Sie verweist dabei auf das von den Chefs von fünf EU-Institutionen – EU-Kommission, Europäischer Rat, EU-Parlament, EZB und Euro-Gruppe – vorgelegte Papier zur „Rettung der Euro-Zone“. An dem Papier sei deutlich zu erkennen, „wohin die Reise mit dem Euro gehen soll“. Wagenknecht : „Alles deutet darauf hin, dass es immer mehr Integrationsschritte gibt, die jede nationale Souveränität erledigen. Wenn in Zukunft die Haushalts- und sogar die Lohnpolitik in den Mitgliedsstaaten von EU-Technokraten gesteuert werden soll, dann gibt es letztlich keinen Raum mehr für demokratische Entscheidungen, und die Ergebnisse von Wahlen werden so irrelevant, wie wir das gerade in Griechenland erleben.“

Mit dieser Position steht sie nicht allein in der deutschen bzw. europäischen Linken. So fordert der Sprecher der parteiinternen Strömung „Sozialistischen Linken“, Ralf Krämer: „Statt sich zu sorgen und darum zu kümmern, das Vertrauen der Menschen in EU und Euro wieder zu stärken, müssen wir im Gegenteil Kritik und Skepsis und das Misstrauen dagegen stärken, weil es ist mehr als berechtigt. Wir sollten daher nicht mehr von »Europa« reden, was positiv konnotiert ist, wenn die EU und der Euro gemeint sind. Wir sollten aktiv für eine Delegitimierung und gegen eine weitere Stärkung der EU-Bürokratie, EU-Kommission und Rat sowie der EZB und für ein ausdrücklich »anderes Europa« eintreten.“[2]

Der gemeinsame Nenner dieser Positionen: Es zeige sich am Beispiel Griechenland, das alternative Politik jenseits des neoliberalen Mainstreams unter den gegenwärtigen Bedingungen innerhalb der Eurozone nicht mehr möglich ist.

Dieser Auffassung widerspreche ich in aller Deutlichkeit: Die Preisgabe des Kampfes innerhalb der europäischen Strukturen durch Linke erleichtert den neoliberalen Entscheidern die Umsetzung ihrer (untauglichen) Vorstellungen und befördert die euroskeptischen Ressentiments auch in linken Wählerschichten.

Keine Frage: Das gerade auf den Weg gebrachte „Unterstützungsprogramm“ für Griechenland verdeutlicht: Die Krise der Eurozone und der europäischen Ökonomien ist bei weitem nicht überwunden. Die Zukunft der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hängt maßgeblich von einem überzeugenden Konzept zur Überwindung der ökonomischen und sozialen Ungleichgewichte durch wirtschaftliche und finanzpolitische Koordination ab. Die aktuellen Reparaturmaßnahmen sind völlig unzureichend. Die Eurozone findet nur aus der Krise durch eine Politik, die vor allem den südeuropäischen Ländern die Chance eröffnet, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Dazu ist eine gesamteuropäische Anstrengung nötig, die diesen Ländern hilft, eine Art „europäischem New Deal“. Aber auch in Deutschland und den anderen Kernländern Europas brauchen wir eine Investitions- und Infrastrukturoffensive zur Reparatur und zum Ausbau des öffentlichen Kapitalstocks. Die marode Infrastruktur wird durch die Flüchtlingsbewegung verschärft. Drei von vier Gemeinden erwarten keine Verbesserung ihrer Situation innerhalb der nächsten fünf Jahre. Die Kommunen fordern von Bund und Ländern Hilfen beim Aufbau einer Infrastruktur für Flüchtlinge, bei der Entschuldung, eine Entlastung bei den Sozialabgaben und die Unterstützung bei Investitionen.

Es ist falsch, Strukturanpassungen der nationalen Ökonomien in der Euro-Zone einseitig durch eine in ökonomische Depression führende Lohnsenkungs- und Austeritätspolitik erzwingen zu wollen. Aber nicht die gemeinsame Währung ist der Angelpunkt für die Fehlentwicklung, sondern die unzureichenden Ausgleichungs- und Steuerungsprozesse, inklusive der Beschränkungen der europäischen Zentralbank.

Die Bauelemente einer Alternative sind bekannt: Notwendig ist ein Mix von Wachstumsanreizen über öffentliche Investitionen und Sanierungsmaßnahmen für die öffentlichen Finanzen durch eine sozialgerechtere Steuerpolitik. Außerdem brauchen wir Strategien gegen Europas interne Ungleichgewichte und Deutschlands enormen Leistungsbilanzüberschuss. Das Kernproblem einer hartnäckigen Depression in der EU und der wachsenden Ungleichgewichte ist die unzureichende gesellschaftliche Nachfrage. Die Unternehmen investieren nicht genug in neue Anlagen oder Ausrüstung und sie schaffen daher zu geringes Lohneinkommen oder überhaupt zu wenig Arbeitsplätze.

Es geht um Eingriffe in die Verteilungsverhältnisse – letztlich selektive Steuererhöhungen. Denn Europa braucht Strukturreformen, aber eben nicht so wie es die Verfechter einer Konsolidierungspolitik fordern. Die Alternative zur Konsolidierung läuft darauf hinaus, über eine Erhöhung der Steuern für höhere Einkommen, Vermögenserträge und angesammelte große Vermögen öffentliche Güter und Dienste, die vom privatkapitalistischen Sektor nicht ausreichend bereitgestellt werden – Dinge wie Verbesserung sozialer Sicherheit, Bildung, Gesundheitsvorsorge und öffentliche Infrastrukturen – zu finanzieren. Es geht letztlich um eine steuerfinanzierte Ausgabenpolitik.

Bei einer einheitlichen Geldpolitik, d.h. gleichem Zinssatz in der gesamten Euro-Zone, können gegenläufige Wirtschaftsentwicklungen in verschiedenen Ländern der Euro-Zone – z.B. hohes Wachstum mit Inflationsdruck in einem Land und niedriges Wachstum mit hoher Arbeitslosigkeit in einem anderen Land – nur durch aufeinander abgestimmte finanz-, wirtschafts-, sozial- und steuerpolitische Maßnahmen begrenzt werden. Fehlt eine solche Abstimmung, dann entwickeln sich die Länder und ihre Ökonomien immer weiter auseinander und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Währungsunion an ihren sozialen und ökonomischen Differenzen zerbricht.

Die Propagierung eines anderen Währungsmechanismus und die Forderung nach Rückkehr zu einer nationalstaatlichen Gestaltung der Ökonomien sollten wir den rechtspopulistischen Parteien überlassen. Eine solche politische Strategie läuft letztlich auf eine Unterwerfung unter den internationalen Kapitalverkehr hinaus. Die Befürworter einer Renationalisierung überschätzen die Spielräume nationalstaatlicher Politik. Vor dem Hintergrund freier Kapital- und Warenströme sowie einer gemeinsamen Währung können nationale Regierungen in den zentralen Feldern der Wirtschafts-, Sozial- und Lohnpolitik keine progressive Politik im nationalen Alleingang durchhalten. Was aber im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass eine enge Zusammenarbeit der zwei/drei größten Volkwirtschaften (Deutschland, Frankreich, Italien) nicht neue Handlungsspielräume schaffen könnte. Zudem hängt die Stabilität nationaler Austeritätsregime immer noch sehr eng mit der Stabilität nationaler Regierungen zusammen. Insofern hat der Nationalstaat keinesfalls ausgedient.

Eine Rückkehr zu nationalen Währungen – die radikalste Variante einer Renationalisierung – ist keine wünschenswerte politische Option. Dieser Weg würde mit dramatischen ökonomischen und sozialen Verwerfungen einhergehen. Die Alternative zu weniger Europa ist mehr Europa, aber anders. Ziel ist ein demokratisches und soziales Europa, das mit der neoliberalen Logik des Maastrichter Vertrags bricht.

Hierin stimme ich vollständig dem Journalisten Harald Schumann[3] zu, der in einem ausführlichen Interview am Rande der attac-Sommerakademie – zurecht anklagt, dass die Eurozone gegenwärtig zutiefst undemokratisch und neoliberal geprägt ist. Doch eine Auflösung des Euro sei mit enormen Kosten verbunden und würde in eine schwere europaweite Rezession führen. Zu befürchten sei außerdem, dass nationalistische Kräfte weiter Auftrieb erhalten und Europa eine Neuauflage von Konflikten erlebt, die nach dem 2. Weltkrieg überwunden schienen. Daher sei ein Kampf für die Demokratisierung Europas notwendig – wozu auch ein gewähltes und mit allen parlamentarischen Rechten ausgestattetes Eurozonenparlament gehöre. Um die Bürgerferne einer solchen Institution zu überwinden, brauche es außerdem Bürgerentscheide.[4]


[1] Auch der frühere SPD-Vorsitzende (1995 – 1999) Oskar Lafontaine macht sich für eine schrittweise Abkehr vom Euro als Einheitswährung stark. „Ich plädiere für die Rückkehr zu einem Europäischen Währungssystem, EWS, das die Erfahrungen, die mit diesem Währungssystem gemacht wurden, berücksichtigt und seine Konstruktion im Interesse aller teilnehmenden Länder verbessert.“ „Das Europäische Währungssystem förderte, und darauf kommt es an, im Gegensatz zum Euro die fortschreitende Zusammenarbeit der Völker Europas. Durch regelmäßige Auf- und Abwertungen wurde das zu starke Auseinanderdriften der europäischen Volkswirtschaften verhindert. Zwar war die Dominanz der Bundesbank ein großes Problem, aber ein ungleich geringeres als die heutige Bevormundung der Europäer durch die deutsche Wirtschaft und die Merkel-, Schäuble-, Gabriel-Regierung.“

[2] www.neues-deutschland.de

[3] investigativer Journalist (Der Tagesspiegel), Buchautor („Die Globalisierungsfalle“, „Der globale Countdown“) und Protagonist der Filme „Staatsgeheimnis Bankenrettung“ und „Macht ohne Kontrolle“

[4] Dieser Teil des Interviews ist zu hören unter www.kontext.tv

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