Drift nach rechts - Die Landtagswahl in Sachsen

Von Joachim Bischoff und Björn Radke

03.09.2014 / sozialismus.de, 02.09.2014

Bei der Landtagswahl in Sachsen haben – zwei Wochen vor den Urnengängen in Brandenburg und Thüringen – 1,7 Mio. oder mehr als die Hälfte der wahlberechtigten BürgerInnen von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht und damit die Wahlbeteiligung auf 49,2% gedrückt. Gegenüber der Landtagswahl 2009 ist die Zahl der NichtwählerInnen noch einmal um 36.572 gewachsen.

Die politische Beteiligung hat damit einen neuen Tiefpunkt erreicht. Massive Wahlenthaltung auf der einen Seite und ein starker Anstieg der rechtspopulistischen AfD mit 9,7% und eine nur knapp mit 4,95% (809 Stimmen fehlten) an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterten rechtsextremen NPD auf der anderen Seite zeigen eine Verschiebung des politischen Koordinatenkreuzes nach Rechts.

CDU, DIE LINKE und die Grünen haben WählerInnen verloren. Die FDP flog aus dem Landtag, nur die SPD kam auf einen kleinen Zugewinn von knapp 2%, was für sie aber lediglich einen kleinen Aufschlag auf die 10%-Marke darstellt.

Die CDU kam auf 39,4% der Stimmen (-0,8% gegenüber 2009) – und feiert sich damit weiterhin als stärkste politische Kraft. In absoluten Zahlen stellt sich das anders dar: 77.639 WählerInnen haben der christlichen Partei den Rücken zugekehrt (645.344 in 2014 anstelle 722.983 Stimmen in 2009). Für Stanislaw Tillich, den alten und neuen Ministerpräsidenten, ist dies offenkundig kein Problem. Er erklärt die niedrige Wahlbeteiligung mit der Zufriedenheit der Menschen im Land. Und dies ist ja ein populäres Argument: Die unzureichende Wahlbeteiligung sei nur ein Ausdruck von Zufriedenheit und Änderungen der politischen Kräfteverhältnisse seien unerwünscht.

In der Tat waren nach einer Umfrage vom Beginn dieses Jahres zwei Drittel der Sachsen mit der Arbeit von Ministerpräsident Stanislaw Tillich zufrieden. Auch die Arbeit der Regierung insgesamt wurde mehrheitlich positiv beurteilt. Als größte Probleme im Freistaat wurden am häufigsten Arbeitslosigkeit (19%), Kriminalität (13%), Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen (12%) und andere Probleme finanzieller Art (12%) genannt.

Stanislaw Tillich ist mit 93% nach Bundeskanzlerin Angela Merkel (100%) der bekannteste Politiker im Freistaat. Auch insgesamt sind die Menschen im Freistaat zufrieden: So werden sowohl die persönliche wirtschaftliche Situation (72%) wie auch die Wirtschaftslage allgemein (71%) mehrheitlich positiv bewertet. Zwei Drittel der Sachsen sehen ihre persönliche Zukunft positiv, hier vor allem Jüngere. Die Zukunft des Landes wird von 71% ebenfalls optimistisch eingeschätzt.

Die FDP, 2009 noch der strahlende Überflieger mit 178.867 Stimmen (10,0%) bewegt sich weiterhin im Sturzflug raus aus den Parlamenten. Sie hat mit 61.847 Stimmen (Stimmenanteil nur mehr 3,8%) 117.020 Stimmen verloren. Damit ist Schwarz-Gelb in Sachsen keine politische Option mehr. Die Liberalen sind jetzt nur noch in acht Landesparlamenten vertreten. Wichtig außerdem: Die CDU, obwohl unbestritten stärkste Kraft, verliert ihre Mehrheitsfähigkeit. Die sächsische CDU kann sowenig wie die Bundespartei bestreiten: Die Bindung an die Mehrheitspartei ist brüchig, es werden zunehmend WählerInnen an Partien recht von der Union abgegeben.

Der AfD ist es gelungen mit ihrem Wahlauftritt – einer Mixtur von Protestpartei, nationalstaatlich orientierter EU-Kritik, kaum verpackter Fremdenfeindlichkeit und einer populistischen Kritik an der politischen Klasse insgesamt – auf Anhieb mit 9,7% Prozent viertstärkste Kraft im Land zu werden. Erneut hat sich Sachsen als die Hochburg der AfD erwiesen. Bereits bei der Bundestagswahl 2013 und bei der Europawahl im Mai erreichte die Partei hier ihre bundesweit besten Werte. Bei den drei landesweiten Wahlen in Sachsen, an denen die AfD teilnahm, erreichte sie durchschnittlich 160.530 Stimmen, was auf eine wachsende Stammwählerschaft hindeutet.

In ihrem Wahlprogramm spielt die AfD thematisch auf der Klaviatur verschiedenster Ressentiments und Befindlichkeiten der Bevölkerung. Das »bedrohte Paradies« durch die eklatanten geopolitischen Brüche, sowie innere »Bedrohungen« durch Erosion der sozialen Gerechtigkeit, wachsende Zuwanderung und Politikverdrossenheit schaffen einen Resonanzboden für rechtspopulistische Stimmungen:

  • »Der Landesverband Sachsen der ›Alternative für Deutschland‹ beobachtet mit Sorge und Zorn, wie heute im Namen Europas Wohlstand vernichtet, Freiheit eingeschränkt und Demokratie beschädigt wird.
  • Das Wertesystem, an dem sich die AfD orientiert, leitet sich aus den Werten des christlichen Abendlandes ab.
  • Wenn Bürgern durch Spekulationen der Sachsen LB Milliarden an Staatsschulden aufgebürdet und wirtschaftlicher Erfolg nur noch an den Bilanzen von Konzernen gemessen wird, dann ist dieser Erfolg für die AfD eine Lüge.
  • Keine Generation hat das Recht, spätere Generationen ihren Gesetzen zu unterwerfen und die Zukunft zugunsten der Gegenwart zu verpfänden. Wenn auf Kosten unserer Kinder unverantwortlich hohe Schulden gemacht werden und die Schuldenmacher Verfassungsbruch an Verfassungsbruch reihen, stimmt etwas nicht. Die AfD sieht sich als Alternative zu einer verantwortungslosen Schuldenmacherei.
  • Die AfD kämpft schließlich gegen die offen betriebene Herabsetzung und Verhöhnung der Familie. Als natürlichste aller Gemeinschaften genießt für die AfD die Familie eine besondere Bedeutung und bedarf daher des besonderen Schutzes.
  • Die AfD fasst zusammen: Freiheit statt Dirigismus! Gerechtigkeit statt Gleichschaltung! Sozialer Rechtsstaat statt Bankendiktatur!«

Diese Mixtur aus Kapitalismuskritik, Verachtung des politischen Systems und nationalstaatlicher Besinnung ist eindeutig eine rechtspopulistische Positionsbestimmung. Richtig bleibt aber auch: Die AfD ist noch keine konsolidierte Organisation. Sie ist geprägt von drei politischen Strömungen und Milieus: einem marktradikalen, einem nationalkonservativen und einem deutlich rechtspopulistisch affinem Milieu.

Offen bleibt, welche dieser Strömungen sich auf Dauer durchsetzen wird, und ob sich die Partei stabilisieren kann. Deshalb ist auch unwahrscheinlich, dass die sächsische CDU auf das politische Abenteuer einlässt, mit der AfD eine Koalition anzustreben.

Die AfD ist keine rechtsextreme Partei wie die NPD. Nur im Ausnahmefall können Parteien, die durch starke Anleihen an der faschistischen Ideologie geprägt sind, in Wahlen einen politischen Frühling erleben. Allerdings bleiben diese politischen Fossile mit ihren ideologischen Versatzstücken stets eine relevante Strömung im rechten Spektrum. In Sachsen sehen wir das Paradox, dass trotz vordergründiger Zufriedenheit eines Großteils der BürgerInnen das verbreite Unbehagen und die Abneigung gegenüber der offiziellen Politik eine Basis für Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bilden.

Die Ausweitung des rechten Spektrums in Sachsen kann ein Anfang für die Berliner Republik insgesamt sein. Immerhin sind in Europa mit der britischen Ukip, der französische Front National und der österreichischen FPÖ in den Nachbarländern mächtige rechtspopulistische Parteien als potenzielle Bündnispartner unterwegs. Noch findet eine überwältigende Mehrheit der Deutschen die große Koalition gut. Bundeskanzlerin Merkel realisiert in den Meinungsumfragen Spitzenwerte, und doch gründet sich diese Zufriedenheit auf der verbreiteten Stimmung eines auch durch wachsende soziale Ungerechtigkeit »bedrohten Paradieses«.

Die durch gesellschaftspolitische Katastrophen ausgelöste Vertreibung von Menschen und die daraus resultierende Flüchtlingsbewegung werden von der politischen Klasse kaum kommuniziert. Außerdem gibt es zuhauf Beispiele für die Selbstbereicherung der politischen Klasse. Unter dem Firnis der Zufriedenheit baut sich eine Struktur der politischen Entfremdung auf. Es ist mithin naiv, die Warnzeichen der politischen Konjunktur für rechtspopulistische Parteien nicht zu beachten.

Mit der AfD hat dieses Gefühl einen politischen Ausdruck gefunden. Ausgerechnet die sich als ideologiefrei gebende »Partei des gesunden Menschenverstands« ist Ausdruck eines gefährlichen Ressentiments in der deutschen Gesellschaft und Politik.

Naheliegend ist, dass aus den politischen Verhandlungen der nächsten Wochen ein schwarz-rotes Bündnis – also eine »große« Koalition – herauskommen wird. Eine solche Formation kann sich auf eine Wählerschaft von 667.714 Stimmen berufen. Sie hätte mit 77 Sitzen eine komfortable Mehrheit gegenüber der Opposition von LINKE, GRÜNE und AfD. Sie repräsentiert allerdings gerade einmal 25,1% der gesamten Wahlbevölkerung.

DIE LINKE ist in Sachsen mit 18,9% (309.568 Zweitstimmen) zwar die zweitstärkste politische Kraft, hat aber gegenüber 2009 1,7% (60.791) Stimmen verloren (2009: 370.359). Die Herausforderung für DIE LINKE besteht darin, den Druck als führende Oppositionspartei auf die anderen Parteien durch realisierbare politische Alternativen zu verstärken. Eine umfassende Erneuerung des politischen Spektrums jenseits der CDU kann nur gelingen, wenn die Inhalte einer gesellschaftlichen Alternative konkretisiert und in Allianzen mit Bürgerbewegungen, Gewerkschaften und Sympathisanten eine breite Debatte über notwendige Schritte dorthin erreicht wird.

Das Wahlergebnis zeigt, dass es in Sachsen schon rein rechnerisch keine rot-rot-grüne Mehrheit gibt und sich auf absehbare Zeit auch keine abzeichnet. Das liegt auch daran, dass die SPD sich nur wenig von ihrem historischen Tiefpunkt von 2009 entfernt hat. Sie hat zwar 14.749 Stimmen hinzu gewonnen, was 202.370 Stimmen und 12,4% bedeutet. Sie hat für das Land keine eigenständige Entwicklungsperspektive entwickelt.

Es bleibt aber auch richtig: Wie wir in den europäischen Nachbarländern sehen, gibt es kein einfaches Patentrezept gegen die sich ausbreitenden rechtspopulistischen und rechtsextremen Mentalitäten. Letztlich kann diesem Entwicklungstrend nur dann die Wachstumskultur entzogen werden, wenn sich die demokratischen politischen Kräfte und die großen zivilgesellschaftlichen Organisationen darauf verständigen, transparent, mit umfassender politischer Kommunikation und breiter BürgerInnenbeteiligung gegen die hartnäckigen Fehlentwicklungen in den kapitalistischen Gesellschaften anzugehen.