Die EZB - das schizophrene Wesen

Von Axel Troost

09.06.2014 / 07.06.2014

Am 5. Juni traf die Europäische Zentralbank einige bemerkenswerte geldpolitische Entscheidungen, auf die die Zentralbank die Öffentlichkeit schon viele Wochen davor eingestimmt hatte. Auf der einen Seite standen die klassischen Instrumente, nämlich Änderungen bei den Zinssätzen: Der Leitzins wurde um 0,1 Prozent auf 0,15 Prozent reduziert. Gleichzeitig wurde der Zinssatz für Guthaben der Banken, die sogenannte "Einlagenfazilität", bei der Zentralbank ebenfalls um 0,1 Prozent auf -0,1 Prozent, also auf unter null, gesenkt.

Dieser – tatsächlich ungewöhnliche – Schritt, "Strafzinsen" auf Guthaben zu erheben, hat erwartungsgemäß sehr viel Aufmerksamkeit erregt, auch wenn er in der Praxis weitgehend irrelevant ist. Eigentlich soll der negative Guthabenzins die Banken dazu animieren, das ihnen zur Verfügung stehende Geld tatsächlich als Kredit zu vergeben statt es bei der Zentralbank zu horten. Auch wenn dieses Argument plausibel klingt, ist es praktisch unwirksam. Denn an den Kosten der Banken für das Horten von Zentralbankgeld[1] ändert sich nichts. Mussten sie vorher 0,25 Prozent Leitzins bezahlen und bekamen 0 Prozent als Guthabenzins, zahlen sie nun 0,15 Prozent Leitzins und bekommen -0,1 Prozent als Guthabenzins ((-0,25)+0,0 = (-0,15)+(-0,1) = (-0,25)). Ein höherer Anreiz zum weniger Geldhorten entsteht dadurch nicht.[2] Und eine relevante Ausweitung der Kreditvergabe durch die minimale Senkung des Leitzinses um 0,1 Prozent ist erst recht nicht zu erwarten.

Einstieg in Investitionslenkung

Dass insbesondere der negative Guthabenzins die Öffentlichtlichkeit gefesselt hat, dürfte der EZB recht sein. Denn dadurch blieb der andere Teil der Beschlüsse vom 5. Juni über die unkonventionellen geldpolitischen Schritte weitgehend unbeachtet, obwohl sie viel relevanter sind und für die EZB quasi einen revolutionären Schritt bedeuten: den (wenngleich extrem behutsamen) Einstieg in die Kredit- und damit Investitionslenkung. Die Zentralbank bietet den Banken nach 2011 und 2012 erneut längerfristige Zentralbankkredite mit einer Laufzeit bis 2018 an. Einmal pro Quartal werden den Banken bis Mitte 2016 solche Langfristkredite angeboten werden. Aber anders als 2011/2012, als alle Banken unbegrenzt Zugang zu diesen Langfristkrediten hatten, richtet sich der Zugriff diesmal danach, wie viel Kredit eine Bank zum Ende des jeweiligen Vorquartals gegenüber privaten Haushalten und Unternehmen vergeben hat. Kredite an Finanzunternehmen und private Immobilienkredite werden nicht angerechnet.Die langfristigen Zentralbankkredite werden also gezielt den Banken angeboten, die sich in ihrer Kreditvergabe an die sogenannte "Realwirtschaft" richten. Zum Spekulieren am Aktien- oder Immobilienmarkt sollen zusätzliche langfristige Zentralbankkredite hingegen nicht verwandt werden können. Damit wird erstmalig in der Geschichte der EZB bewusst eine Lenkung der Kreditvergabe in bestimmte Bereiche befördert. Banken, die schon heute auf die Realwirtschaft orientieren, profitieren von diesem Angebot. Andere Banken, die auch in den Genuss von Langfristkrediten der EZB kommen wollen, müssen ihr Kreditengagement gegenüber der Realwirtschaft auf- beziehungsweise ausbauen, damit sie im folgenden Quartal entsprechend Zugang zu den Langfristkrediten bekommen.

Linke ÖkonomInnen und auch DIE LINKE haben schon vor vielen Jahren gefordert, Zentralbankgeld nicht zum Einheitspreis anzubieten, sondern den Banken über bestimmte Spielregeln (z.B. eine sogenannte Aktivmindestreserve) die Vergabe von Krediten nach Bedarf, zum Beispiel ans verarbeitende Gewerbe, zu verbilligen oder Immobilienkredite (etwa zur Verhinderung von Blasen am Immobilienmarkt) zu verteuern. Damit wäre eine Zentralbank endlich in der Lage, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse nach Liquidität in verschiedenen Wirtschaftssektoren einzugehen und müsste nicht länger unerwünschte Nebeneffekte (gegebenenfalls eine Spekulationsblase am Aktienmarkt) mitfinanzieren. Alternativen ÖkonomInnen sind solche Überlegungen gern als Rückfall in die Planwirtschaft des Realsozialismus vorgehalten worden, aber nun beschreitet die EZB genau diese auch von der LINKEN geforderte Richtung. Das ist gut so und lässt darauf schließen, dass die EZB ganz froh ist, wenn sich in Deutschland die Zunft der bornierten Mainstream-Ökonomen an der Höhe des Einlagenzinses abarbeitet.

Ökonomische verheerende Sparpolitik beenden

Bei aller Anerkennung für diese im Detail pragmatische und unorthodoxe Geldpolitik der EZB – die sich übrigens schon vorher zum Beispiel in der Ankündigung des OMT-Programms für Staatsanleihen zeigte: Es ist dieselbe EZB, die als Teil der Troika zusammen mit EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) und mit Rückendeckung der Bundesregierung den Euro-Krisenländern eine brutal asoziale und ökonomisch verheerende Sparpolitik aufzwingt.[3] Diese Austeritätspolitik muss sofort beendet werden, und zwar aus Menschlichkeit, aus ökonomischer Einsicht und nicht zuletzt, weil die EZB in den Krisenländern als Troika viel mehr zerstört, als sie mit zaghaft fortschrittlicher Geldpolitik je gutmachen kann.

[1] „Horten von Zentralbankgeld“ bedeutet praktisch, dass die Banken sich als Sicherheitspolster deutlich mehr Geld von der EZB zum Leitzins leihen, als sie gerade brauchen. Den nicht benötigten Rest parken die Banken dann auf ihren Guthabenkonten bei der EZB. Auf ihre Guthabenkonten können die Banken jederzeit zugreifen, während sie Kredite von der EZB zum niedrigen Leitzins nur in bestimmten Abständen bekommen können.

[2] Normale Bankkunden würden sich natürlich fragen, warum sie Geld auf ein Guthaben mit negativem Zins einzahlen soll, denn dann wäre die Aufbewahrung unter der Matratze doch kostengünstiger. Diese Wahl haben die Banken aber nicht: Zentralbankgeld bleibt immer auf den Konten der EZB, entweder als Guthaben auf dem EZB-Konto der Bank A oder – wenn Bank A einen Kredit an einen Kunden der Bank B vergibt – als neues Guthaben der Bank B.

[3] Siehe auch Cansel Kiziltepe, Lisa Paus und Axel Troost, Die ungelöste Eurokrise - Zwischenfazit und Ausblick anlässlich der Europawahl. ISM-Denkanstoß Nr. 16, Juni 2014