Ein Staateninsolvenzverfahren in Europa erfordert bestimmte Vorbedingungen

Rede von Dr. Axel Troost am 21. März 2013

22.03.2013 / linksfraktion.de, 21.03.2013

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Antrag nimmt eine Forderung auf, die schon seit vielen Jahren für die Entschuldung der Entwicklungsländer vorgebracht worden ist und die in der Euro-Krise neue Aktualität erreicht hat. Letztlich geht es um die Frage, wer die Zeche zahlen soll, wenn ein Staat unter seiner Schuldenlast zusammenzubrechen droht oder schon zusammengebrochen ist.
Ziel eines solchen Staateninsolvenzverfahren muss zweierlei sein.
Erstens muss es den betreffenden Staat soweit entschulden, dass er ökonomisch von der Schuldenlast nicht erdrückt wird und ein wirtschaftlicher Neuanfang möglich wird.
Und zweitens muss es darum gehen, dass der Staat seinen Pflichten als Sozial- und Rechtsstaat nachkommen kann und nicht die soziale Verantwortung des Staates gegenüber seinen Bürgern von den Interessen der Gläubiger in den Hintergrund gedrängt wird.
Oft wird gegen den Begriff „Insolvenzrecht für Staaten“ eingewandt, man könne einen Staat ja nicht wie ein bankrottes Unternehmen zerschlagen und auflösen. Das ist selbstverständlich richtig. Ein Staateninsolvenzrecht war aber nie vom Konzept der Unternehmensinsolvenz inspiriert, sondern vom Insolvenzverfahren für überschuldete Kommunen, wie es das US-Insolvenzrechts kennt. Dort ist nämlich explizit festgelegt, dass in einem solchen Falle die grundlegenden Verpflichtungen der Kommune – z.B. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Verwaltung, des Bildungswesens etc. – nicht zugunsten der Gläubiger vernachlässigt werden dürfen.
Hierzulande können wir uns eine Staateninsolvenz auch analog zu einer Privatinsolvenz vorstellen. Grundsätzlich haben Staaten ebenso wie Privatpersonen ein Anrecht auf ein "Existenzminimum", das die Gläubiger nicht antasten dürfen. Vorrang hat daher u.a. die Verpflichtung des Staates, sich um ein menschenwürdigen Existenzminimum seiner Bevölkerung zu bemühen und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte sicherzustellen, wie sie z.B. im UN-Pakt für die sozialen und zivilen Menschenrechte festgelegt sind.
Besonders wichtig ist bei einem solchen Verfahren, dass es von einer neutralen Instanz durchgeführt wird, die weder einseitig nur die Schuldner- oder nur die Gläubigerinteressen vertritt. Wir denken daher – ähnlich wie es z.B. das Bündnis Erlassjahr seit vielen Jahren vorschlägt –, dass ein Staateninsolvenzverfahren unter Leitung eines unparteiischen Schiedsgerichts ablaufen könnte, wenn die Öffentlichkeit und Transparenz des Verfahrens gesichert ist. Gegenstand des Verfahrens muss daher auch eine öffentliche Bestandsaufnahme sein, wo die jeweilige Mitverantwortung für die Überschuldungssituation auf Gläubiger- und Schuldnerseite zu suchen sind. In vielen der Südeuropäischen Krisenländer wurden daher zurecht öffentliche Schulden-Audits gefordert, um überhaupt erst mal zu erfahren, wer die Gläubiger sind, für welchen Zweck die Schulden aufgenommen wurden und wieweit Gläubiger- und Schuldnerseite sich dabei ehrlich und ökonomisch umsichtig verhalten haben.
Als Linksfraktion haben wir die Forderung nach einen Insolvenzverfahren für Staaten stets unterstützt. Gerade im Zuge der Euro-Krise ist aber umso deutlicher geworden, dass bei drohenden staatlichen Überschuldungen in einem Währungsraum nicht nur die Entschuldung, sondern auch die Zweit- und Drittrunden-Effekte berücksichtigt werden müssen. Eine Staatsinsolvenz Griechenlands oder Zyperns bleibt solange ein Problem, wie die anderen kriselnden Euroländer auf das Wohlwollen der Finanzmärkte angewiesen sind. In der Summe ist nämlich wenig gewonnen, wenn Griechenland eine Schuldenerleichterung erfährt, dafür aber Spanien oder Italien mit doppelt so hohen Zinsen am Kapitalmarkt abgestraft werden. In so einem Fall kann es sogar in der Summe billiger sein, die griechischen Schulden zu bedienen und die Schulden statt über einen Schuldenschnitt über Einnahmeerhöhungen des Staates – z.B. in Form von Vermögensteuern und Vermögensabgaben – abzutragen und dadurch zu reduzieren.
Wir haben daher einige Voraussetzungen für ein Staateninsolvenzverfahren in der Euro-Zone formuliert, damit dieses zum Erfolg führen kann. Erstens muss gesichert werden, dass ein Schuldnerstaat seine Reichen und Unternehmen in hinreichendem Maße an der Staatsfinanzierung beteiligt. Zweitens müssen Refinanzierungsinstrumente in Form von inflationsneutralen EZB-Krediten und Euro-Bonds sichergestellt werden, damit ein Staat auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahren seinen laufenden Betrieb weiter finanzieren kann, denn die privaten Finanzmärkte werden spätestens nach Beginn des Insolvenzverfahrens dem Schuldnerland erst mal den Geldhahn zudrehen. Der Antrag der Grünen sieht ausdrücklich vor, dass für Staatenbünde und Währungsunionen Sonderregelungen bei der Anwendung des Insolvenzverfahrens möglich sein sollen. Das ist grundsätzlich mit unseren Vorbedingungen vereinbar, wir würden sie uns aber noch konkreter wünschen.
Wir stimmen dem Antrag also zu, sehen aber gerade mit Blick auf die Euro-Krise die Notwendigkeit, parallel dazu neue Instrumente der Staatsfinanzierung zu etablieren, um den Finanzmarktakteuren nicht ausgeliefert zu sein. Das Wichtigste dazu ist ein neues Verständnis von Zentralbankpolitik. Hier ist die EZB zwar schon einen Schritt weiter als die Politik der Bundesregierung, aber es bleibt für beide noch sehr viel zu tun.
Ein Staateninsolvenzverfahren schützt den Schuldnerstaat vor dem Diktat der Gläubiger. Insofern hätte es das Diktat der Troika gegenüber den Euro-Krisenländern in dieser Form in einem unparteiischen Staatsinsolvenzverfahren nicht gegeben. Es ist aber ebenso notwendig, dass der Schuldnerstaat seinen sozialstaatlichen Aufgaben nachkommt – und die niedrigen und mittleren Einkommensgruppen im Schuldnerland schützt.

Weitere Informationen zum Thema:

Einführung eines Staateninsolvenzverfahrens: Gegen das Votum der Opposition hat der Bundestag am 21. März einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (17/8162) abgelehnt, in dem sich die Fraktion für die Einführung eines transparenten und unabhängigen Staateninsolvenzverfahrens eingesetzt hatte. Er folgte damit einer Empfehlung des Finanzausschusses (17/10031).

(Quelle: www.bundestag.de)