Hochfrequenzhandel: Schluss mit den Roboter-Kriegen

Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE

28.02.2013 / www.die-linke.de, 28.02.2013

Der Deutsche Bundestag debattierte am 28.2.2013 über die „Vermeidung von Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhandel“ und verabschiedete gegen die Stimmen der Opposition das „Hochfrequenzhandelsgesetz“. Beim Hochfrequenzhandel setzen Com­puterprogramme blitzartig Kauf-und Verkaufsaufträge ab. Mehrere hundert Aufträge pro Sekunde und Händler sind keine Seltenheit. Hochfrequenzhandel ist kein Exotikum, im Gegenteil: an den US-amerikanischen Börsen gehen 70 Prozent des Handels­volumens auf Hochfrequenzhandel zurück. An europäischen Börsen und in Deutsch­land sind es immerhin schon über 40 Prozent.

Hochfrequenzhändler überschwemmen die Börsen mit einer Vielzahl an Aufträgen, die überwiegend wieder storniert werden. In Interaktion mit anderen Händlern können sie Kurskapriolen auslösen und damit die Märkte destabilisieren. So hatten Algorithmen zum „Flash Crash“ vom Mai 2010 beigetragen, bei dem der Dow Jones aus heiterem Himmel um 9 Prozent abstürzte (doppelt so tief wie nach der Lehman-Pleite). Ein be­stimmter Kontrakttyp hatte dabei innerhalb von 14 Sekunden 27.000 Mal den Besitzer gewechselt.[1] Ein anderes Beispiel: Der Hochfrequenz-Händler Infinium hat durch einen verunglückten Programmcode für den Handel mit Ölkontrakten innerhalb von 5 Sekun­den einen Verlust von über 1 Million Dollar eingefahren, was zu einem Kurssturz um 5% geführt hatte.[2] Inzwischen häufen sich die Fälle, in denen Algorithmen Amok laufen. Im August letzten Jahres kam es innerhalb weniger Tage gleich zu drei großen Handels­unterbrechungen in Madrid, New York und Tokio.[3]

Ein Problem sind aber nicht nur diese spektakulären Crashs. Darüber hinaus sind eine Vielzahl an Praktiken von Hochfrequenzhändlern bekannt, die den Zweck haben, Gebote anderer Investoren auszuspähen, Preise zu manipulieren und auf diesem Weg Gewinne auf Kosten anderer zu erwirtschaften. Dazu zählt die Bundesanstalt für Fi­nanzdienstleistungsaufsicht (Bafin)[4] unter anderem:

  • Quote-Stuffing: Eingabe einer großen Zahl von Auftragen und/oder Auftragsstornie­rungen oder -aktualisierungen, um die anderen Handelsteilnehmer zu verunsichern, deren Prozesse zu verlangsamen und die eigene Strategie zu verschleiern.
  • Momentum Ignition: Eingabe von Auftragen oder einer Auftragsserie mit der Absicht, einen Trend auszulösen oder zu verschärfen und andere Handelsteilnehmer zu ermu­tigen, den Trend zu beschleunigen oder zu erweitern, um eine Gelegenheit für die Auflösung oder Eröffnung einer Position zu einem günstigen Preis zu schaffen.
  • Layering und Spoofing: Übermittlung mehrerer Auftrage, die häufig auf der einen Seite des Orderbuchs nicht sichtbar sind, mit der Absicht, ein Geschäft auf der anderen Sei­te des Orderbuchs auszuführen. Nachdem das Geschäft abgeschlossen ist, werden die manipulativen Auftrage entfernt.
Die Folge ist, dass Anleger auf unvorteilhaftere Kurse eingehen müssen, weil ihre Gebote von Hochfrequenzhändlern ausgespäht und ausgebeutet wurden. Aus Angst vor manipulativen Handelsstrategien verlagern Investoren ihre Handelsaktivitäten zu­nehmend auf intransparente, unregulierte Handelsplätze (z.B. Dark Pools). Auch das erhöht die Risiken für das Gesamtsystem.

Wie das atomare Wettrüsten im Kalten Krieg verschlingt der „Roboter-Krieg“ im Hoch­frequenzhandel im großen Stil Ressourcen, die anderweitig sinnvoll eingesetzt werden könnten. Die Entwickler der Handelsstrategien und Algorithmen der Hochfrequenz­händler sind hochqualifiziert und hochbezahlt. Der Wettkampf um den schnellsten Zugriff auf die Börsen wird nicht nur über teuerste Hardware ausgetragen, sondern Hochfrequenzhändler kämpfen auch um Rechnerstandorte in unmittelbarer Nähe zu den Handelsplätzen (z.B. im Keller der Börse). All das nur, damit sie anderen Händlern - und insbesondere anderen Hochfrequenzhändlern – zuvorkommen können.

Diesen Praktiken lässt sich nichts Positives abgewinnen. Gerne wird zwar argumentiert, dass Hochfrequenzhändler für mehr Liquidität sorgen würden. Doch zum einen tum­meln sie sich bevorzugt bei den Finanzprodukten, die ohnehin eine hohe Liquidität aufweisen. Zum anderen versiegt die Liquidität in Krisenzeiten, wenn die Hochfrequenz­händler ihre Programme abschalten. Vor allem aber nutzt die Liquidität in Sekunden­bruchteilen nur denjenigen, die innerhalb von Sekunden kaufen oder verkaufen wollen. Daher handelt es sich um Scheinliquidität ohne gesellschaftlichem Wert.

Daraus folgt das Fazit: Da Hochfrequenzhandel für die Gesellschaft keinen Nutzen, aber viele Risiken bringt, ist er generell zu unterbinden.[5]

Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetz dagegen nur einige schädliche Aspekte des Hochfrequenzhandels beseitigen, ohne ihn pauschal zu verbieten: Die Betreiber von Handelsplätzen müssen Vorkehrungen treffen, damit Kursstürze vermieden werden. Praktiken, mit denen der Handel manipuliert oder gestört werden sollen, werden als verbotene Marktmanipulation klassifiziert. Börsen sollen auch eine Mindestpreis­änderungsgröße einführen und dafür sorgen, dass ein von ihnen bestimmtes Auftrags-Transaktions-Verhältnis nicht überschritten wird.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung macht jedoch in vielen Punkten nur bereits an deutschen Börsen etablierte Vorkehrungen verpflichtend. Anders als in den USA haben deutsche Börsen bereits Sicherungssysteme gegen Kursstürze implementiert. Längst verhängen deutsche Börsen auch schon Gebühren für übermäßige Nutzung, d.h. wenn das Verhältnis von abgegebenen Aufträgen zu tatsächlich zum Abschluss gebrachten Aufträgen zu groß wird.[6] Das von der Deutschen Börse verhängte Auftrags-Trans­aktionsverhältnis liegt bei 2500:1 bei Dax-Aktien, im MDax und TecDax bei 1000:1, im SDax bei 500:1. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung überlässt es den Börsenbe­treibern, das nunmehr vorgeschriebene Auftrags-Transaktionsverhältnis genauer zu spezifizieren. Damit erhalten absurd hohe Quoten wie bei der Deutschen Börse gesetz­lichen Segen.

Zu den über den Status Quo hinaus gehenden Maßnahmen im Gesetzentwurf gehören eine Kennzeichnungspflicht, bei der jeder Auftrag eine elektronische Kennung erhalten muss, damit er einem Auftraggeber zugeordnet werden kann. Will die Aufsicht darüber Kurskapriolen auf den Grund gehen, ist das angesichts der enormen Umsätze an den Handelsplätzen eine kaum leistbare Sisyphos-Arbeit. Zu den gut gemeinten Ergän­zungen gehören auch die Wohlverhaltensregeln, bei denen Preismanipulationen oder andere vorsätzliche Störungen explizit untersagt werden. Auch diese Maßnahme setzt auf unrealistische Weise voraus, dass die Aufsicht schädliche Praktiken tatsächlich aufspüren und nachweisen kann.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung trifft daher den Nagel auf den Kopf, wenn es schreibt: „Die staatlichen Regulierer hoffen auf den Placeboeffekt halbherziger Maßnahmen. Die Zeche zahlen am Ende die Bürger, die direkt oder indirekt für die Schäden haften müssen, ob sie wollen oder nicht. Eigennutz Weniger geht vor Ge­meinwohl."[7]

Was ist stattdessen nötig?

Die Ausgangsfragestellung für die Regulierung des Hochfrequenzhandels müsste lau­ten: Wie kann man den Hochfrequenzhandel am effektivsten unterbinden? Durch direk­tes Verbot? Oder durch Maßnahmen, die faktisch auf ein Verbot hinauslaufen?

Die eleganteste Maßnahme ist sicherlich eine Finanztransaktionsteuer. Sie würde die Geschäfte der Hochfrequenzhändler schlicht unrentabel machen und kurzfristige Spe­kulation insgesamt deutlich zurückdrängen. Auch aus dem Ausland operierende Hoch­frequenzhändler wären von der Finanztransaktionsteuer betroffen: Das Hochfrequenz­handelsgesetz sieht für Hochfrequenzhändler eine Zulassung nach KWG (Kreditwesen­gesetz) vor. Demnach benötigen sie eine Hauptverwaltung oder Zweigniederlassung in Deutschland. Sie würden gemäß dem aktuellen Vorschlag der EU-Kommission für die Finanztransaktionssteuer als in Deutschland ansässig gelten und wären demnach steu­erpflichtig.[8]

Die auf europäischer Ebene im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit verabredete teil-europäische Finanztransaktionsteuer wird jedoch frühestens 2015 in Kraft treten können. Nach Äußerungen aus dem Bundesfinanzministerium wird sie wohl sogar erst 2016 kommen. Deswegen ist erst einmal ein anderes Vorgehen angezeigt.

Alternative 1: Direktes Verbot

Nach aktuellem Verhandlungsstand auf EU-Ebene sind hochfrequente algorithmische Handelstechniken gekennzeichnet durch:

  • i) die Nutzung von Infrastrukturen, die darauf abzielen, Latenzzeiten zu minimieren, wie Kollokation, Proximity Hosting, oder direkter elektronischer Hochgeschwindigkeits­marktzugang,
  • ii) durch die Entscheidung des Systems über die Einleitung, das Erzeugen, das Weiter­leiten oder die Ausführung eines Auftrags ohne menschliche Intervention für einzelne Geschäfte oder Aufträge,
  • iii) durch ein hohes untertägiges Mitteilungsaufkommen in Form von Aufträgen, Quotes oder Stornierungen.

Ein Verbot müsste an diese Kriterien ansetzen.

Alternative 2: Mindesthaltedauer

Eine andere wirksame Maßnahme ist eine Mindesthaltedauer. Bei einer Mindesthalte­dauer (oder Mindestverweildauer) müssen Aufträge eine bestimmte Zeitspanne aufrecht gehalten werden. Das Europaparlament hat im Rahmen der Revision der MiFID-Richt­linie bereits eine Mindesthaltedauer von einer halben Sekunde gefordert. Eine halbe Sekunde ist wohl übertrieben kurz, aber selbst dies würde den Hochfrequenzhandel empfindlich treffen. Die Einführung einer Mindesthaltedauer wäre auch ein wichtiges Signal, um auf europäischer Ebene auf eine ambitioniertere Regulierung hinzuwirken.

Wenn darüber hinaus Aufträge generell etwas verzögert in die Handelssysteme einge­speist werden müssten, würde verhindert, dass ein algorithmischer Händler Aufträge anderer Händler ausspäht und innerhalb der Mindesthaltedauer ausbeutet.

Letztendlich führen die Alternativen zu der pragmatischen Frage: Ist das direkte Verbot oder die Mindesthaltedauer der effizienteste Weg, um den Hochfrequenzhandel zu un­terbinden? Doch egal welche der beiden Variante letztlich wirksamer ist: Ein intelligen­tes Gesetz könnte Umgehungsversuche oder ungewollte Begleiterscheinungen verhin­dern. Leider lehnt die Bundesregierung konsequente Maßnahmen gegen den Hochfre­quenzhandel aber ab.


Quellen:

[1 Robin Hood Tax: „Financial Crisis 2: Rise of the Machines“, www.robinhoodtax.org.uk

[2] Vgl. Fußnote 1.

[3] Die Welt vom 30.11.2012: Elektronische Superhirne stürzen Börsen ins Chaos,

[4] Birgit Ortkemper: „Neue Regeln für den Hochfrequenzhandel“, BaFin-Journal 11/12 2012

[5] Vgl. auch die sehr emotionale Antwort von Dirk Müller (Finanzethos GmbH) in der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages www.axel­ troost.de

[6] Die Welt vom 13.4.2012: „Deutsche Börse bekämpft den Phantomhandel“

[7] DIW Wochenbericht Nr. 35/2012 vom 29. August 2012:„Hochfrequenzhandel bedroht Funk­tionsfähigkeit der Finanzmärkte“, Kommentar von Georg Erber

[8] „Finanztransaktionssteuer und ausländische Hochfrequenzhändler“, Sachstand des Wissen­schaftlichen Dienst vom 26.2.2013, PE 6 – 3000 – 023/13; WD 4 – 3000 – 028/13, relevant ist Abschnitt 4.2