Italien hat gewählt: Frustrierte Linke, jubilierende Populisten und verzweifelte Demoskopen

Von Christina Ujma

27.02.2013 / sozialismus.de, vom 27.02.2013

Es war eine schreckliche, lange Wahlnacht! Nachdem die Demoskopen erst einen klaren Sieg für die Demokratische Partei und ihre Verbündeten gemeldet hatten, worüber sich die Börsen freuten, kehrten sich ungefähr drei Stunden nach Schließung der Wahllokale die Prognosen um. Auf einmal hieß es, Berlusconi hätte gewonnen, dann – Stunden später – Grillo hätte gewonnen und seine »5 Stelle-Bewegung« wäre die stärkste Kraft im Land geworden.

Erst sehr spät in der Nacht kam heraus, dass das Linksbündnis von »Partito Democratico« und »Sinistra, Ecologia e Liberta« (SEL) im Abgeordnetenhaus einen hauchdünnen Stimmenvorsprung gegenüber Berlusconis Parteienbündnis (PdL) hat (29,5 zu 29,1%) und durch die Prämie für die stärkste Listenverbindung hier die absolute Mehrheit hat, obwohl Grillos »5 Stelle-Bewegung« mit 25% stärkste Partei geworden ist. In der zweiten Kammer, im Senat, wo es diese Prämie nicht gibt, gibt es dagegen keine Mehrheit und das Linksbündnis, 5 Stelle und Berlusconis Truppe stehen sich hier fast als gleichstarke Blöcke gegenüber (PD=31,6%, PdL=30,7%, 5*=23,7%).


Italien im Winter

Der Schock war groß, die Demoskopen verzweifelten und stellten deshalb im Laufe des Wahlabends die Hochrechnungen quasi ein, Pier Luigi Bersani und die Demokratische Partei gingen auf Tauchstation und sagten erstmal gar nichts mehr oder schickten SEL Politiker der zweiten oder dritten Reihe vor. In den Wahlsendungen der Berlusconi-fernen Sender saßen deprimierte Journalisten mit Gästen, die wenig zu bestimmen hatten. Denn neben den PDlern kamen auch die Grillini nicht, die Fernsehauftritte grundsätzlich eher ablehnen.

Immerhin fanden die Demoskopen schnell eine Erklärung für das Debakel: Sie hätten die Stimmen der jungen Leuten einfach unterschätzt, die seien massenhaft arbeitslos und hätten dementsprechend massenhaft Grillo gewählt. Sie seien aber im Unterschied zu den älteren WählerInnen, die sich durch Eis und Schnee abschrecken ließen, massenhaft zur Wahl gegangen. Nie wieder Winterwahlen ist sicherlich eine Schlussfolgerung, die aus dem Debakel gezogen werden wird, denn gerade die Progressiven sind auf die Piazza und die Straße angewiesen, das ist der traditionelle Ort ihrer Politik. Die Möglichkeiten des Internets, das für die Grillini das wichtigste Instrument der politischen Kommunikation ist, wird bislang nur ansatzweise genutzt.


Wer hat schuld?

Der Vorsprung der Progressiven, den die Demoskopen prognostizierten, hat bei deren WählerInnen eine falsche Sicherheit erzeugt, den Eindruck geschaffen, dass es nicht wirklich auf ihre Stimme ankomme, weil die Wahl sowieso gewonnen sei. Das hat sicherlich viele zu einer Protestwahl verführt. Ein Hauptgrund für das schlechte Abschneiden der PD lag aber wohl darin, dass sie einen sehr defensiven Wahlkampf führte. Ihr Programm wurde von den Parteien der Mitte und der Rechten als linksradikal angegriffen, statt zu den eigenen Forderungen zu stehen, hat man sich windelweich rausgeredet.

Ein weiterer Akteur des Desasters war sicherlich die Staatsanwaltsliste Rivoluzione Civile, die von Antonio di Pietros Partei Italia die Valori sowie den Resten von Rifondazione unterstützt wurde. Deren sang- und klangloser Untergang (2,2% bzw. 1,7%) hat zahlreiche begabte Politiker mitgerissen, was bedauerlich ist. Schwerer wiegt aber, dass diese Formation im Wahlkampf nonstop gegen Bersanis Linksbündnis geschossen hat, weshalb der greise Eugenio Scalfari, Linksintellektueller und Journalistenlegende, ihnen bereits am Wahlabend eine massive Mitschuld am Debakel der progressiven Kräfte gab. Erstens hätten sie doch besser das Bündnisangebot der PD annehmen sollen, zweitens hätten sie durch ihre Dauerpolemik, dass Bersani schlimmer als Berlusconi sei, Grillo die WählerInnen in die Arme getrieben und drittens hätte das Linksbündnis selbst deren magere Prozente, die jetzt durch die 4%-Klausel unter den Tisch gefallen sind, gut brauchen können.

Programmatisch hatten Bersani und SEL ein Reformprogramm zu bieten, das die Wirtschaftspolitik Montis gemäßigt und sozialer fortsetzen wollte, während die Grillini den absoluten Bruch mit der hergebrachten Politik verlangten und Berlusconis PdL mit Steuersenkungen und sogar Steuerrückzahlungen lockte. Obwohl das Rechtsbündnis acht Millionen WählerInnen verloren hat, reichte das aus, ca. 30% des WählerInnenvolks zu überzeugen. Grillos Gewinne gingen dagegen auf Kosten der Linken und der linken Mitte.


Montis und Merkels Desaster?

Die Hauptschuld am Debakel trägt aber wohl Mario Montis unsoziale Politik, der dafür aber immerhin noch 9% bzw. 7% der WählerInnenstimmen bekam. Die Tatsache, dass sich EU und Merkel direkt in die italienische Politik und den Wahlkampf einmischten und Italien ein Programm des Sozialabbaus aufzwangen, wird sowohl von der Rechten als auch von Grillo als Unverschämtheit angesehen, beide möchten lieber aus dem Euro austreten, als dies weiter hinzunehmen, was sicher nicht so ernst gemeint ist, aber bei den WählerInnen gut ankam.

Der Umstand, dass Staatspräsident Giorgio Napolitano den EU Kurs weitgehend mittrug und die PD ihrem alten Genossen zähneknirschend folgte, hat ihrer Popularität sicher nicht geholfen. Eine künftige Regierung wird europaferner agieren müssen. Wer aber in der Zukunft überhaupt agiert, steht noch in den Sternen, das könnte zum Problem werden, denn die Amtszeit Napolitanos läuft demnächst ab, wenn die Regierungsbildung zu lange dauert, könnte sich ein veritables Interregnum und die Unregierbarkeit Italiens, von der in der Wahlnacht permanent die Rede war, tatsächlich einstellen.


Vorwärts! Aber Wohin?

Andererseits haben weder die Partito Democratico noch die Regierung Monti die wirtschaftliche Krise zu verantworten, sagte Bersani bei seiner Pressekonferenz am Abend des 26.2., auf der er das lange Schweigen der PD brach. Anders als befürchtet oder erhofft, trat der Parteichef nicht zurück, obwohl er sagte, er könnte sich nettere Beschäftigungen vorstellen, als in dieser Situation Chef der PD zu sein. Es ist ziemlich klar, dass er nur deshalb nicht hinschmeißt, weil das die Partei in Diadochenkämpfe stürzen würde und das in der gegenwärtigen Krise nicht zu verantworten ist. Wie man aus dem Debakel wieder herauskommt, kann er auch noch nicht sagen, einer Zusammenarbeit mit der Rechten, gar einer großen Koalition, steht er negativ gegenüber. Den Führungsanspruch, der aus der Tatsache resultiert, dass das Linksbündnis in beiden Kammern stärkste Kraft ist, hat er aber noch einmal betont!

Immerhin hat Grilli die Fundamentalopposition etwas gelockert und sich zur partiellen Zusammenarbeit bereit erklärt. Nichi Vendola und zahlreiche linke PDler betonen nun die inhaltlichen Übereinstimmungen mit den Grillini, die immerhin einen Mindestlohn und die Ablehnung der Privatisierung öffentlicher Güter unter ihren Hauptanliegen haben. Außerdem sind die neuen Parlamentsmitglieder der »5 Stelle« häufig junge, linke AktivistInnen, es sind sogar echte ArbeiterInnen darunter. In Sizilien findet sich der Regionalpräsident Rosario Crocetta in einer ähnlichen Situation wie heute Bersani und hat ein System der Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten entwickelt, was nun als Modell gilt.

Ob es dazu kommt, oder doch zu baldigen Neuwahlen, wie einige rechte PDler und die Repräsentanten der marginalisierten Parteien fordern, wird sich wohl erst in den nächsten Wochen oder Monaten erweisen.

Christina Ujma, Berlin, schreibt in »Sozialismus« regelmäßig über Italien.

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