Umstrittene EU-Pläne zur Privatisierung der Wasserversorgung - Eine Übersicht zu den Fakten und deren Interpretation

Von Michael Kaczmarek

29.01.2013 / www.euractiv.de, 29.01.2013

Die EU-Kommission ist nach heftiger Kritik an ihrem Richtlinienvorschlag über Konzessionen in die Offensive gegangen: "Die vorgeschlagene Richtlinie wird nicht zu einer Zwangsprivatisierung der Wasserversorgung führen. Kommunale Gebietskörperschaften werden jederzeit frei darüber entscheiden können, ob sie diese Dienste selbst erbringen oder damit private Unternehmen beauftragen wollen", stellte die EU-Kommission in einer Stellungnahme am Donnerstag (24. Januar) klar.


Am gleichen Tag hatten die Europaabegordneten im EU-Binnenmarktausschuss über die Kommissionsvorschläge abgestimmt. Mit 28 Pro-Stimmen zehn Gegenstimmen und zwei Enthaltungen wurde eine abgeänderte Textfassung zur der im Dezember letzten Jahres von der Kommission vorgelegten Konzessionsrichtlinie beschlossen.

Stand der Dinge


Der österreichische EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer (SPÖ) fasst die Abstimmungsergebnisse im Binnenmarktausschuss wie folgt zusammen:

Änderungen an der Originalfassung nahm der parlamentarische Ausschuss beispielsweise beim Anwendungsbereich vor. Explizit ausgenommen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie sind Konzessionen im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich, öffentliche Personenverkehrsdienste oder bestimmte Leistungen für Rundfunk- und Fernsehanstalten. Auch Rettungsdienste werden explizit von der Ausschreibungspflicht ausgenommen. Zudem konnte der Schwellenwert, ab welcher Auftragshöhe eine Ausschreibung erfolgen muss von fünf auch acht Millionen Euro erhöht werden.

Für soziale Dienstleistungen ist im Entwurf ein vereinfachtes Verfahren vorgesehen, langfristig könnte es also auch für soziale Dienstleistungen zu einer Ausschreibungspflicht kommen. Alle Abänderungsanträge, die eine klare Ausnahme des Wassersektors forderten, fanden keine Mehrheit. Bei Inkrafttreten der Richtlinie in der vom Binnenmarkt beschlossenen Fassung würde der sensible Bereich der Wasserwirtschaft ausschreibungspflichtig werden. Die Konzessionsvergaben werden zudem nicht verbindlich an soziale, arbeitsrechtliche oder ökologische Zuschlagskriterien gebunden.

Knackpunkt Wasserversorgung


Auch wenn es keine Ausnahmeregelung für die Wasserversorgung geben wird, so stünde es den Kommunen auch bei Inkrafttreten der Richtlinie nach wie vor frei, diese Dienstleistungen selbst zu erbringen oder sie im Outsourcing zu betreiben. Bei einer direkten Erbringung durch die kommunalen Behörden, bei in-house-Vereinbarungen sowie im Falle der Ausnahme für "verbundene Unternehmen" wird die Richtlinie keine Anwendung finden.

Die Richtlinie greift nur dann, wenn derartige Dienstleistungen an private Unternehmen vergeben werden. "Es ist von grundlegender Bedeutung, im Binnenmarkt Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit in Fällen sicherzustellen, in denen Anbieter von Wasserversorgungsdienstleistungen, wie die deutschen Stadtwerke, direkt oder indirekt auch in anderen Mitgliedstaaten tätig sind", begründet die EU-Kommission ihren Vorstoß.

Obwohl die Richtlinie keine aktuellen Situationen betrifft (keine Rückwirkung), dürfte sie greifen, wenn Konzessionen an bestimmte kommunale Unternehmen (Stadtwerke) erneuert oder neu vergeben werden sollen. Die Richtlinie trifft alle kommunale Unternehmen (Stadtwerke), die keinen vollständigen öffentlichen oder einen in-house-Charakter oder den Status eines verbundenen Unternehmens haben.

Um dem absehbaren Widerstand aus Deutschland entegenzuwirken, hat die Kommission Übergangsfristen angeboten. "Um den Eigenheiten der deutschen Situation Rechnung zu tragen, ließen sich bestimmte Übergangsbestimmungen finden, die insbesondere die Ausnahme der verbundenen
Unternehmen betreffen, um eine progressive Erfassung dermultiplen Tätigkeiten der Stadtwerke von den anwendbaren Regeln zu ermöglichen", teilte die Kommission mit.

Reaktionen, Interpretationen


Von den deutschen Europaabegordneten hagelte es nach der Abstimmung im Ausschuss Kritik an den Kommissionsplänen und an dem gerade gefassten Beschluss.

"Die CSU hat von Anfang an mit Nachdruck gegen die Konzessionsrichtlinie gekämpft. Wir haben schon im Binnenmarktausschuss einen Änderungsantrag zur Ablehnung der gesamten Richtlinie gestellt, denn sie bringt für die Kommunen nur zusätzliche Bürokratie und ist zur Stärkung des Binnenmarktes nicht erforderlich. Leider ist eine große Mehrheit der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament für die Konzessionsrichtlinie", sagten die CSU-Europaabegordneten Anja Weisgerber und Markus Ferber.

Der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab erklärte ebenfalls, die CDU/CSU-Gruppe habe die Richtlinie abgelehnt, "denn der Nachweis, was diese Richtlinie verbessern soll, ist bis heute nicht erbracht". Leider habe der CDU/CSU-Antrag aber keine Mehrheit bekommen.

Die zitierten SPD-Abgeordneten sehen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt: "Wasser ist ein lebensnotwendiges Gut, die Wasserversorgung ist deshalb in öffentlicher Hand am besten aufgehoben. Von Beginn an habe ich dafür gestritten, öffentliche Formen der Wasserversorgung durch Stadtwerke oder kommunale Zweckverbände aus dem Anwendungsbereich der Konzessionsrichtlinie explizit herauszunehmen, wohl wissend, dass eine Gesamtablehnung der Richtlinie keine Mehrheit finden würde. Hierbei habe ich aber eine klare Unterstützung derjenigen vermisst, die jetzt im Europäischen Parlament lautstark aufschreien", erklärte die SPD-Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt.

Die FDP-Delegation hat nach eigenen Angaben ebenfalls gegen die Einbeziehung des Wassersektors in die Richtlinie gestimmt, sich damit aber nicht durchsetzen können. "Zwar hat die Kommission immer wieder beteuert, sie wolle durch die Richtlinie nur ein Instrument zur Verfügung stellen, falls Konzessionen zum Beispiel für Wasser an Private vergeben werden. Allerdings befürchte ich eine große Gefahr für die interkommunale Zusammenarbeit, indem kleine Kommunen demnächst dazu verpflichtet werden könnten, europaweit auszuschreiben, statt ohne bürokratische Hürden mit dem Stadtwerk der Nachbargemeinde zusammenzuarbeiten. Das Kriterium der 'echten Zusammenarbeit' ist zu ungenau, weshalb die interkommunale Zusammenarbeit mancher Kommunen zu Unrecht in Frage gestellt werden könnte", sagte der FDP-Abgeordnete Michael Theurer.

Die Grünen/EFA stimmten gegen die Richtlinie. "Der verbissene Kampf des EU-Binnenmarktkommissars Barnier um diese Richtlinie macht nur Sinn wenn man - was er immer wieder bestreitet - den Wassermarkt öffnen und den Druck zur Privatisierung vor allem des Wassers erhöhen will", sagte Heide Rühle, binnenmarktpolitische Sprecherin der Grünen/EFA im Europäischen Parlament.

Die Fraktion der Linke lehnt die Richtlinie zur Vergabe von Konzessionen ebenfalls ab. "Es geht jetzt darum, die Abstimmung im Plenum des Europäischen Parlaments zu gewinnen - damit das Allgemeingut Wasser weiter in öffentlicher Hand bleibt. Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht", sagte der Linken-Abgeordnete Thomas Händel. Ab einer Auftragshöhe von 8 Mio. Euro wird eine europaweite Ausschreibung von Konzessionen Pflicht, auch bei einer Neuvergabe von bereits bestehenden Konzessionen. [...] "Da viele Gemeinden verschuldet sind, könnte das zu Druck zur Vergabe von Konzessionen und damit Liberalisierung und Privatisierung führen, den Preis zahlen die Arbeitnehmer durch Druck auf die Löhne und die Bürger durch explodierende Wasserpreise." so Händel.

Der für die Richtlinie verantwortliche Binnenmarktkommissar Michel Barnier kann die ganze Aufregung nicht nachvollziehen: "Der Richtlinienvorschlag beeinträchtigt in keiner Weise die Autonomie der Gebietskörperschaften bei der Organisation der Wasserversorgung. Er enthält keine Verpflichtung zur Vergabe dieser Leistungen am Markt. Bedauerlicherweise ist es einfacher, falsche Informationen zu verbreiten als die Wahrheit zu sagen", erklärte Barinier. In Wirklichkeit tue die Richtlinie genau das Gegenteil: "Sie verpflichtet Gebietskörperschaften, ein faires und transparentes Verfahre durchzuführen, wenn sie im Rahmen ihrer Autonomie die Entscheidung getroffen haben, die Wasserversorgung am Markt zu vergeben oder zu privatisieren. Das gilt zum Beispiel bei der Vergabe von Aufträgen an privatisierte Versorgungsunternehmen", so Barnier.

Nächste Schritte


Der im Binnenmarkt beschlossene Bericht zur Konzessionsrichtlinie soll Mitte März 2013 vom Plenum des Europäischen Parlaments bestätigt werden. Danach müssen sich Kommission, Parlament und Rat im Rahmen des offiziellen 'Trilogs' auf eine gemeinsame Endfassung der Richtlinie einigen. Das Plenum des Europäischen Parlaments könnte die Richtlinie als Gesamtes noch ablehnen.

EBI: Wasser ist ein Menschenrecht


Die mehrdeutigen Interpretationen der Kommissionsvorschläge haben die öffentliche Debatte angeheizt, ob das öffentliche Gut Wasser überhaupt privatisiert sein sollte. So suchen die Initiatoren der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) "Wasser ist ein Menschenrecht" (www.right2water.eu) noch bis Ende September 2013 nach Unterstützern, um die erforderlichen eine Million Unterschriften vorlegen zu können. Unterstützt wird diese EBI vom Europäischen Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EGÖD).

Das Ziel dieser EBI ist es, die "Durchsetzung des Menschenrechts auf den Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung" zu einem Thema auf der europäischen politischen Agenda machen. "Der Menschenrechtsgedanke muss ein zentraler Punkt der Wasserpolitik werden, nicht der Wettbewerb oder die Vollendung des Binnenmarktes", schreiben die EBI-Iniatoren in der Begründung für ihre Kampagne.

Links


EU-Parlament: "Utility" services: Internal Market MEPs vote for more freedom to choose (24. Januar 2013)

EU-Parlament: The modernisation of public procurement

Josef Weidenholzer: Fünf Fragen und Antworten zur Konzessionsrichtlinie (26. Januar 2013)

EU-Kommission: Vorschläge der EU-Kommission führen nicht zu einer Privatisierung der Wasserversorgung (24. Januar 2013)

EU-Kommission: Vorschläge zur Revision der Vergaberechtsregelungen und zu Dienstleistungskonzessionen

EU: Öffentliche Aufträge im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste

EBI: Wasser ist ein Menschenrecht