Deutsche Wirtschaftspolitik ist schon lange Bremse für Wachstum und Beschäftigung

Rede von Axel Troost

28.10.2011 / 28.10.2011

Sehen Sie die Aufzeichnung der Rede in der Mediathek des Bundestages unter diesem Link: http://dbtg.tv/vid/17/137/3/12

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sicherlich haben die Kolleginnen und Kollegen der SPD recht, wenn sie die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung als Risiko für die Konjunktur bezeichnen und staatliche Investitionen fordern.

Dennoch will ich nicht verschweigen, liebe Kollegen von der SPD, dass Ihr Antrag sicherlich nicht nur bei mir auch ein gewisses Befremden auslöst. Sie haben vorgestern Ihre Zustimmung zu einem Euro-Rettungsschirm bekräftigt, der Ländern nur dann hilft, wenn sie sich hemmungslos kaputtsparen und damit ihre eigene Wirtschaft in eine Abwärtsspirale stürzen.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Unsinn!)

Man darf den bevorstehenden Konjunktureinbruch in Deutschland sicher nicht auf die leichte Schulter nehmen. Eine verantwortungsvolle Politik muss ihm unbedingt entgegenwirken.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber im Vergleich zu der Tiefe der wirtschaftlichen Talfahrt in Griechenland und Portugal ist der zu erwartende Konjunktureinbruch in Deutschland geradezu eine Lappalie.

(Klaus Barthel (SPD): Warten wir es ab!)

Griechenland und Portugal haben sozusagen eine schwere Lungenentzündung, liegen auf der Intensivstation und bekommen jetzt noch heftige Abführmittel zur völligen Austrocknung ihres Wirtschaftskörpers. Wenn Deutschland aus ökonomischer Vernunft eine konjunkturelle Stimulierung vertragen kann, wie viel mehr muss das erst für Griechenland und Portugal gelten?

(Beifall bei der LINKEN)

Ihnen sprechen Sie aber das Recht auf ökonomische Stimulierung ab. Wie geht das zusammen?

(Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Das stimmt doch gar nicht!)

Wenn auch die Forderungen in Ihrem Antrag im Einzelnen nicht falsch sind, so greifen Sie doch aus unserer Sicht bei Ihrer Analyse der Mängel zu kurz. Wir brauchen nicht nur eine kurze Intervention oder konjunkturelle Stimulierung gegen dem Kriseneinbruch, sondern wir brauchen einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der SPD)

Glauben Sie wirklich, dass wir Investitionen in Bildung und Qualifizierung nur aus konjunkturpolitischen Gründen brauchen? Das kann doch nicht ihr Ernst sein!

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Das behauptet doch keiner!)

In unseren Schulen und Hochschulen fällt der Putz von der Wand. Auch ohne konjunkturellen Einbruch müsste etwas getan werden. Es ist doch eine Schande, dass mir letztes Jahr eine Schulleiterin berichtet hat: Gott sei Dank gibt es die Weltwirtschaftskrise; denn jetzt wird endlich mein Turnhallendach repariert.

(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Wo Sie regieren! Nicht in Bayern!)

Die steuerliche Förderung von Energie. und Ressourceneffizienz sollte auch keine Frage der Konjunktur sein. Was ich damit sagen will: Die deutsche Wirtschaftspolitik ist bereits seit langem, auch unter Rot-Grün und Schwarz-Rot, nicht nur ein Risiko, sondern auch eine Bremse für binnenwirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung, und zwar jenseits der jeweiligen aktuellen Konjunktur.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Ich will daher ein paar Eckpunkte eines alternativen Aufbauprogramms skizzieren. Wir hatten einige Punkte schon angesprochen: die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes muss verlängert werden, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, die Erhöhung des Arbeitslosengeldes II und die Einführung einer Grundsicherung. Aber wir brauchen auch ein langfristig angelegtes Zukunftsprogramm. Dazu gehört eine vernünftig geförderte öffentliche Beschäftigung. Wir haben über 880 000 Langzeitarbeitslose, von denen die Bundesagentur für Arbeit ausgeht, dass sie nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren sind.

(Jutta Krellmann (DIE LINKE): Nicht ohne Weiteres!)

Wir brauchen langfristig angelegte Investitionen. Ich will Ihnen einige Beispiele nennen. Das Deutsche Institut für Urbanistik hat errechnet, dass wir allein im kommunalen Bereich bis zum Jahr 2020 einen Investitionsbedarf von über 700 Milliarden Euro haben. Es gibt eine neue Studie, die nächste Woche durch den Hauptvorstand der GEW, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, vorgestellt wird, die den Finanzierungbedarf für den Bildungsbereich nach Bundesländern aufschlüsselt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass ein zusätzlicher jährlicher Bedarf an Mitteln von über 50 Milliarden Euro besteht und dass allein zur Auflösung des Investitionsstaus noch einmal 45 Milliarden Euro benötigt werden. Wir haben große Bedarfe an Investitionen im Bereich des ökologischen Umbaus. Das gilt nicht nur für den gesamten Energiebereich, für den Bereich Wärmedämmung und viele andere mehr, sondern auch für den gesamten Verkehrsbereich mit dem Ausbau des Nah- und Fernverkehrs. Es gibt in der Tat große Bedarfe, die zwar auch konjunkturpolitisch notwendig sind, die aber langfristig angelegt werden müssen. Sie sollen kein Strohfeuer sein, sondern die Beschäftigung in den Kommunen langfristig sichern.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss nur so viel: Ja, wir Linke haben für diese Ausgaben ein seriöses Finanzierungskonzept. Die SPD bleibt das in ihrem Antrag schuldig. Sie sind zusammen mit CDU/CSU und FDP verantwortlich für die Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz. Wie passt das zu ihrem Antrag, zur Stimulierung der Konjunktur öffentliche Investitionen auszuweiten und private Investitionen steuerlich zu fördern? Wer soll das bezahlen, wenn gleichzeitig die Staatsschulden nicht steigen sollen?
Wer wie wir eine grundlegend andere Form von Wirtschafts- und Strukturpolitik will, muss auch eine grundlegend andere Steuerpolitik wollen. Eine deutlich stärkere Belastung von Menschen, die im Jahr etliche Hunderttausend Euro verdienen oder Millionen Euro an Vermögen besitzen oder erben, finden wir völlig angebracht und wünschenswert.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die großen Konzerne müssen endlich wieder in relevantem Maße zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen werden.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Ihr wollt die Industrie plattmachen! Das ist es!)

Wenn wir uns diesbezüglich einigen können, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, werden wir Ihrem nächsten Antrag zum Thema Konjunktur zustimmen.
Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)