Die Geschichte vom guten BUT

Von Rosemarie Hein, Stadträtin, MdB

08.09.2011 / September 2011

In einer kleinen Stadt hinterm Deich, ganz oben im Norden des Königreiches, lebte eine Familie mit ihren zwei Kindern, einem Mädchen, der Ilsebill, und ihrem drei Jahre jüngeren Bruder Matti. Der Vater hatte früher Schiffe gebaut, aber seitdem die großen Pötte woanders gebaut werden, ist er arbeitslos. Mehrere Versuche, in anderen Berufen wieder ein Auskommen zu finden, waren erfolglos geblieben und nur von der Reparatur der wenigen verbliebenen Kutter der ansässigen Fischer konnte er auch nicht leben. Nicht dass die Kutter gründliche Reparaturen nicht nötig gehabt hätten, allein die Fischer konnten nur noch wenige Fische fangen und ihr Verkauf brachte nicht so viel ein, dass sie sich größere Reparaturen leisten konnten. Die Mutter hatte einst eine gute Arbeit in einem Betrieb, der Schiffsruder und Segel baute für die großen Schiffe. Aber dort, wo die großen Schiffe jetzt gebaut wurden, kaufte man die Ruder und Segel woanders ein. Also war auch sie seit vielen Jahren ohne richtige Arbeit. Von Zeit zu Zeit konnte sie für einen Gulden am Tag den Stadtpark pflegen oder die Stadtbücherei aufräumen. Beide lebten mit ihren Kindern von Brocken eines Gebirges etwas weiter südlich im Land. Da es sich aber um ein sehr hartes Felsgestein handelte, fielen nur kleine Bröckchen ab. Die nannten sich Hartz vier und mussten einen ganzen Monat reichen.

Als die Kinder in die Schule gekommen waren, fiel es den Eltern schon schwer, ihnen alle notwendigen Bücher und Hefte in den Schultornister zu packen, und überhaupt, die anderen Kinder hatten auch die bunteren Ranzen, die schöneren Federkästchen und so weiter. Die Kinder waren musikalisch und sportlich, die Eltern hätten allen Grund zur Freude gehabt, aber in der Stadt gab es keine Musikschule und die Fußballschuhe waren für die Familie zu teuer. Irgendwie machte sich bald Trostlosigkeit in der Familie breit und auch die Lust zum Lernen schwand nach und nach. Und irgendwann kamen die Kinder dann auch in der Schule nicht mehr mit und verstanden nicht, was der Lehrer vor der Klasse sagte. „Ihr lernt doch für das Leben“, sagten die Eltern. „Für welches Leben?“, fragten die Kinder, „ihr habt doch schon so lange keine richtige Arbeit mehr und könnt euch selbst nichts leisten“.

Diese und andere traurige Geschichten sprachen sich herum bis zur großen Hofrätin, der Königin in der Hauptstadt. Sie war zuständig für die Sorgen des einfachen Volkes. Die Hofrätin vom harten Fels – so war ihr Name und der war Programm – sagte: „Da muss sich etwas ändern“, und ging zur Königin. „Wir müssen ein Paket stricken, das den Kindern hilft.“ Gesagt, getan, man strickte und strickte ein Dreivierteljahr. Die Hofrätin vom harten Fels hatte gute Beziehungen zu einem BUT. Das versprach ihr ein paar goldene Stacheln aus seinem Flossensaum. Eigentlich sollten es goldene Schuppen sein, aber ein BUT hat nicht so viele Schuppen, manche auch gar keine, so mussten sie sich mit Stacheln zufrieden geben. Die wurden schon mal in das Paket hineingestrickt, damit es den Kindern helfen möge. Man nannte es auch nach dem Spender der Stacheln das BUT-Paket. Nachdem man auch die anderen Reichsfürsten, Hofräte und Prinzen überzeugt und beruhigt hatte – je nachdem, was sie für Wünsche oder Sorgen hatten – und noch ein paar Stacheln hinzugelegt hatte, um die Möchtegernfürsten der Opposition zu befriedigen, stimmte fast der ganze Hofstaat dem Paket holterdipolter und über Nacht freudig zu, und es wurde mit reitenden Boten übers Land verteilt. Das heißt, verteilt wurde erst einmal ein Paket von Papier, das die Antragsformulare enthielt, denn Ordnung muss sein im Staate. In den Verwaltungen der Fürstentümer und der Grafschaften des Landes fing man an zu arbeiten und man gab sich wirklich meistens Mühe, aber irgendwie wussten die Menschen nicht richtig etwas anzufangen mit dem Paket.

Doch die Kinder unserer Familie aus der kleinen Stadt hinterm Deich ließen ihren Eltern keine Ruhe und auch die Eltern wollten ihren Kindern gern ihre Wünsche erfüllen, denn es war nicht gut, dass sie aus Geldmangel immer allein spielen mussten, und in der Schule musste es auch besser werden. Ilsebill wollte schließlich Alchimistin werden, aber dafür musste man an einer Universität in der Hauptstadt des Fürstentums studieren. Das war für Mädchen ohnehin nicht ganz einfach.

Darum gingen die Eltern gemeinsam zum Deich und riefen oben vom Deich nach dem BUT, denn sie hatten gehört, dass es goldene Stacheln verteilte. „Leyen, Leyen timpetee. BUTje, BUTje in der See, unsre Deern, die Ilsebill, lernt nicht gut nach unserm Will.“ Erst tat sich gar nichts. Dann begann die See ganz unheimlich zu rauschen, die Wellen wurden hoch und höher und plötzlich teilte sich das Wasser einer besonders großen Welle und das BUT tauchte auf. „Gut“, sagte das BUT, „weil ihr die Fischkutter nicht mehr repariert und die Fischer nicht mehr so viele Netze auswerfen können, sind meine Kinder und ich nicht mehr so gefährdet.“ – Dass sie das gar nicht mehr konnten und dies ein Grund für ihre Armut war, hatte das BUT nicht bemerkt. – „Darum will ich euch etwas von dem BUT-Paket geben“, sprach es, „vier goldene Stacheln aus meinem Flossensaum für jedes Kind könnt ihr von mir haben. Das hat die Königin nach dem Rat der Hofrätin vom harten Fels in der Hauptstadt des Königreiches versprochen. Was ist denn euer Wille?“ So fragte das BUT und öffnete vielsagend sein großes Fischmaul, so wie es Herr Ringelnatz vor vielen Jahren in einem Gedicht beschrieben hatte. „Unsere Ilsebill hat Schwierigkeiten beim Lernen in der Schule. Wir haben gehört, du kannst da helfen“, sagte die Mutter mutig, denn das BUT sah schon ungeheuerlich aus. „Kann ich“, sagte es gutmütig. Es zog sich einen goldenen Stachel aus dem Flossensaum und warf ihn auf den Strand. „Fahrt damit zur Verwaltung in der Zentralstadt der Grafschaft, da bekommt ihr einen Schein für Lernförderung für eure Ilsebill.“ Der Vater nahm den goldenen Stachel und das letze Hartz-Bröckchen des Monats und kaufte eine Fahrkarte – es reichte nur noch für eine, darum musste die Mutter zu Hause bleiben. Dort ging der Vater zum Amt. Er bekam aber erst einmal einen Antrag, damit musste er zur Schule und der Lehrer musste erklären, dass er bei Ilsebill nicht mehr weiter wusste. Aber, wenn jemand anderes die Ilse fördere, könnte sie besser werden. Mit der Bescheinigung fuhr der Vater vom nächsten Monatsbröckchen wieder zum Amt. Dort erklärte man ihm, dass Lernförderung nur für drei Monate gezahlt würde und auch nur, wenn Ilsebill Gefahr liefe, nicht in die nächste Klasse versetzt zu werden. Versetzungsgefährdet war Ilse nicht, sie hatte einfach schlechte Noten und wollte sich verbessern, damit sie es auf die höhere Schule schaffen könnte, denn schließlich wollte sie studieren. „Dafür ist das BUT nicht eingerichtet“, sagte man im Amt in der Zentralstadt der Grafschaft. Unverrichteter Dinge musste der Vater zurückfahren in seine kleine Stadt hinterm Deich und der Ilse war nicht geholfen.

Tags darauf gingen die Eltern wieder zum BUT. Sie riefen es und nach einem entsetzlich bedrohlichen Rauschen teilte sich wieder die große Welle und das BUT erschien. „Was wollt ihr denn heute?“ fragte es. Und weil der Vater erfolglos geblieben war, nahm jetzt Mutter die Sache in die Hand. Sie antwortete: „Unsere Kinder wollen in ihrer Freizeit nicht mehr zu Hause sitzen. Seit der Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft möchte Ilsebill gerne Fußball spielen, wie auch ihre Freundin das tut. Aber die Mädchenfußballmannschaft trainiert in der Nachbarstadt und den Vereinsbeitrag können wir nicht aufbringen, außerdem braucht sie Fußballschuhe, die sind teuer.“ Der Vater nickte beipflichtend. Das BUT zückte einen goldenen Stachel aus dem Flossensaum und warf ihn an den Strand. „Aber das reicht doch nicht für Fußballschuhe und Trikot“, wandte die Mutter entschlossen ein. Das BUT überlegte kurz, bedeutete den beiden zu warten, verschwand dann und kam nach kurzer Zeit mit einem Seesack wieder. Den hatte es von einem Schiffsjungen erhalten, der den Inhalt nicht mehr brauchte, weil die Sachen zu klein geworden waren. Da waren auch Fußballschuhe drin. Die nahmen die Eltern erfreut mit nach Hause. Zu Hause fiel der Mutter ein, dass Ilsebill ja auch noch Fahrgeld brauchte für die Fahrt zum Training und zu den Wettkämpfen. Also schickte sie den Vater zurück auf den Deich und der fragte das BUT, ob es noch einen Stachel für Fahrgeld übrig habe. Aber das BUT zuckte bloß mit den Seitenflossen: „Das ist im Paket nicht vorgesehen, das müsst ihr von den Hartz-Brocken bestreiten.“ Dann verschwand es. „Halt, Halt“, rief der Vater entschlossen. Für meinen Jungen, den Matti, brauche ich auch noch was. Der möchte gern Geige spielen lernen. Er schwärmt doch so für David Garrett und will es ihm gleich tun. Die Musikschule aus der Nachbarstadt kommt auch in die Schule, aber der Musikschulmeister will wenigstens zehn Gulden für die Stunde, denn das ist der Mindestlohn.“ „Das ist auch gerecht“, sagte das BUT. „Dafür kann ich dir einen goldenen Stachel geben. Aber nur einen. Dann ist es eben nur eine Stunde im Monat, davon kann man zwar nicht Geige spielen lernen wie David Garrett, doch es ist besser als Nichts. Nimm den Stachel, fahre zum Amt und stelle einen Antrag.“ Damit ging der Vater heim. Das nächste Mal fuhren sie beide in die Zentralstadt zum Amt. Dort gab man ihnen wieder einen Antrag und schickte sie zum Sportbund gleich nebenan. „Aber was sollen wir denn da, unser Junge will doch Geige spielen?“ „Ja, aber der Sportbund ist dafür zuständig und bewilligt den Antrag. Außerdem, vielleicht überlegt es sich euer Junge ja auch und lernt lieber Trommeln, das kann man auch auf dem Fußballplatz gut gebrauchen.“ Etwas verwirrt verließen die beiden das Amt und wendete sich an den Sportbund gleich nebenan. Dort war aber keiner da, weil man ehrenamtlich arbeitet und nur zweimal die Woche Sprechstunde hat. Also fuhren sie zunächst unverrichteter Dinge nach Hause. Auf dem Heimweg fiel ihnen ein, dass sie gar nicht nach einer Geige gefragt hatten und so gingen sie gleich noch mal zum BUT. Das kam auch gleich – es war ja froh über so hartnäckige Antragsteller – und fragte nach dem Begehr. Die Mutter war besonders mutig und fragte das BUT nach einer Geige. Das BUT zuckte ratlos mit den Seitenflossen: „Dafür ist im Paket nichts vorgesehen.“ Da es nun die Enttäuschung der Mutter bemerkte, fügte es schnell hinzu: „Aber ich kann dir zwei Stacheln für die Schülerdroschke geben, Ilsebill und Matti müssen doch zur Schule fahren.“ – „ Nein, danke, die brauchen wir nicht“, sagte die Mutter enttäuscht, „für Ilsebill zahlt schon der Fürst in unserem kleinen armen Fürstentum etwas Fahrgeld und der Graf legt auch noch was drauf. Und unser Junge geht in unserer kleinen Stadt zur Schule, da fährt gar keine Droschke.“ „Ich kann euch auch was für das Mittagessen in der Schule geben.“ „Das ist gut“, sagte die Mutter erleichtert, „dann hat die Ilsebill wenigstens etwas Warmes gegessen, wenn sie am späten Nachmittag mit dem Pferdewagen aus der Schule kommt. Aber an der Schule meines Jungen hier in der Stadt gibt es kein Mittagessen. Bei uns in der kleinen Stadt hinterm Deich sind sowieso viele Mütter und Väter arbeitslos. Da essen die Kinder mittags zu Hause.“ Na, sie nahm den einen goldenen Stachel und fuhr diesmal aus Ersparnisgründen allein in die Zentralstadt der Grafschaft zum Amt, erwarb einen Antrag, füllte ihn aus, ging zum Schulküchenmeister und wollte eine Bescheinigung für die Essenskosten, denn die gekauften Essenmarken musste Ilsebill in der Schule immer abgeben. Der Küchenmeister wollte aber eine Bearbeitungsgebühr für das Ausstellen der Bescheinigung, es kostete ja Papier, Tinte und Arbeitszeit. Die aber bekam die Mutter vom Amt auch nicht wieder, die musste aus den Hartz-Brocken bestritten werden.

Inzwischen war das Schuljahr herum, und die Eltern waren dreimal beim BUT gewesen und etwa zehnmal zum Amt, zum Sportbund und zur Schule in der Nachbarstadt gefahren, um alle nötigen Unterlagen für die Nutzung des Pakets der Königin aus der Hauptstadt zusammenzubekommen. Viel hat es nicht gebracht: den Vereinsbeitrag für den Fußballverein, ein paar gebrauchte Sportschuhe, das Geld für eine Musikschulstunde pro Monat, und, nicht zu vergessen, den Zuschuss zum Mittagessen für Ilsebill. Na immerhin…

Im Sommer, die Familie war am Strand, um die wenigen warmen Tage dieses Jahres nach dem ganzen Stress mit dem BUT-Paket für ein bisschen gemeinsame Entspannung zu nutzen, kam das BUT, völlig ohne dass es gerufen worden war, wedelte mit der Schwanzflosse etwas Sand auf, um auf sich aufmerksam zu machen, und sagte: „Ich hatte ganz vergessen, für das nächste Schuljahr könnt ihr hundert Gulden beim Amt abholen für Schulbücher und Hefte. Den ersten Teil gleich, den zweiten zum Schulhalbjahr. Das ist doch was. Oder?“ „Sicher“, antworteten die Eltern, denn sie wollten auch nicht undankbar sein, „aber hundert Gulden gab es auch im vorigen Jahr schon. Nur halt auf einmal und nicht in Raten“.

In der fernen Hauptstadt hatten die Beraterin der Hofrätin vom harten Fels und die Königin selbst die Landesfürsten und Grafen eingeladen, um zu fragen, ob man denn im Lande auch recht glücklich über die Wohltaten des Königshofes sei. Die Grafen und Landesfürsten drucksten ein bisschen herum und suchten nach allerlei positiven Beispielen, sie fanden auch einige, denn sie wollten nicht riskieren, dass das mit viel Aufwand gestrickte Paket wieder aufgetrennt würde, denn auch die anderen Hofräte hatten zahlreiche Wünsche angemeldet nach noch viel größeren Paketen. Besonders die Schatzmeister und Geldverleiher hatten sich kräftig verzockt und da brauchte man sehr schnell sehr große Pakete, auch für die Nachbarkönigreiche, und sie täten nichts lieber, als den Landesfürsten und Kreisgrafen das Geld wieder wegzunehmen, denn sie brauchten wirklich jeden Gulden. Also lobten die Grafen und Landesfürsten das Paket heftig. Die Hofrätin vom harten Fels und die Königin hörten das mit großem Wohlwollen und lehnten sich zufrieden in ihren Sesseln zurück.

Die Familie in der kleinen Stadt hinterm Deich grübelte derweil, wie sie mit den wenigen nutzbaren goldenen Stacheln des BUT möglichst viele Wünsche ihre Kinder erfüllen könnte. Die Fahrten zum Amt hatten indes so viel Fahrgeld aus den Hartz-Bröckchen gekostet, dass in diesem Sommer die Fahrt zu den Großeltern, die ebenfalls gleich hinterm Deich wohnten, aber am anderen Ende des kleinen Landes, entfallen musste. Da waren auch die Großeltern sehr traurig, denn sie hatten sich auf den Besuch ihrer Kinder und Enkel schon sehr gefreut.

(Aufgeschrieben von Rosemarie Hein, Stadträtin, MdB. Im September 2011)