Neoliberales Steuer-Chaos

ND-Wirtschaftskolumne von Rudolf Hickel

24.04.2010 / Neues Deutschland, 23. April 2010

Ohne Rücksicht auf die Fehlentwicklung in den öffentlichen Haushalten setzt die FDP, ideologisch rechthaberisch, auf eine massive Senkung der Einkommensteuer. Die scheinbar verlockenden Ziele dieser neoliberalen Steuersenkungspolitik: eine individuell nachvollziehbare, einfache Ermittlung der Einkommensteuer, eine gerechtere Lastverteilung sowie ein hohes Maß an Selbstfinanzierung durch Steuermehreinnahmen aus der Stärkung des Wirtschaftswachstums.

Alle Ziele werden mit dieser Steuerreform jedoch verfehlt. Die vorgeschlagene Einführung von fünf Steuersätzen würde, gegenüber dem derzeit geltenden Tarifverlauf mit einer Zone der linearen Progression, kaum zu einer Vereinfachung führen. An den Stellen, wo der Steuersatz etwa von 25 auf 35 Prozent hochschnellt, kommt es zu Belastungssprüngen. Wird dann noch die Ermittlung der Bemessungsgrundlage berücksichtigt, bleibt von der Propaganda der vereinfachten Steuererklärung nicht viel übrig.

Die Pläne stehen auch im Widerspruch zu dem hehren Ziel einer gerechteren Besteuerung. Am Ende werden die Wohlhabenden stärker entlastet. Dabei zählt der absolute Entlastungsbetrag, der über das verwendbare Nettoeinkommen bestimmt. So erhält die alleinerziehende Friseurin bei einem Jahresgehalt von 15 600 Euro insgesamt 73 Euro netto. Dagegen fließen einem Ehepaar mit einem Jahrseinkommen von 200 000 Euro insgesamt 3237 Euro zu. Der Zugewinn fällt bei diesem wohlhabenden Ehepaar noch höher aus, wenn die FDP auch die geplante Anhebung des Kinderfreibetrags durchsetzen sollte. Die Forderung, Leistung muss sich wieder lohnen, entpuppt sich als Rechtfertigung der Einkommenshierarchie.

Zur Bewertung der Verteilungswirkung wird auch die relative Entlastung, bei der die Steuerersparnis auf das zu versteuernde Einkommen bezogen wird, betrachtet. Diese fällt bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 225000 Euro mit 1,78Prozent niedriger aus als bei 11 000 Euro (18,66 Prozent). Entscheidend ist jedoch für die Betroffenen der absolute Zugewinn, der mit sinkendem Einkommen zurückgeht: in unserem Beispiel wären es 1534 zu 82 Euro.

Über die effektive Steuerentlastung unterschiedlicher Einkommensgruppen entscheidet auch die Bemessungsgrundlage. Die FDP hat angedeutet, dass sie zur Gegenfinanzierung die Streichung etwa der Steuervorteile für Nachtschicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit plant. Dadurch würde beispielsweise für die Krankenschwester die absolute Entlastung durch die Tarifänderung endgültig auf eine marginale Restgröße reduziert.

Diese Steuerreform wird sich auch nicht maßgeblich selbst finanzieren. Denn die versprochenen Mehreinnahmen über die Ankurbelung der Wirtschaft sind kaum zu erwarten. Modellrechnungen zeigen, dass diese nicht einmal eine Milliarde Euro betragen werden – bei Mindereinnahmen von 16 Milliarden aus der tarifbedingten Steuerentlastung. Die These von der Selbstfinanzierung gehört eher in den Bereich neoliberaler Fantasien. Schließlich sind es nicht zu hohe Steuersätze, die die Unternehmensinvestitionen bremsen, sondern die pessimistischen Absatzerwartungen.
Durch die FDP-Pläne würde der Druck zunehmen, Staatsausgaben zu kürzen und damit am Ende auch die Gesamtwirtschaft zu belasten. Und soweit die mit dieser Chaospolitik erzeugten Löcher auch mit Ausgabenstreichungen nicht zu schließen sind, wird die Staatsverschuldung zunehmen.