»Ich frage mich, ob die Koalition politisch noch zurechnungsfähig ist«

Werner Dreibus im Interview der Woche über die Unfähigkeit der Regierung, auf die veränderten Wirtschaftsprognosen richtig zu reagieren, die eine Million zusätzliche Arbeitslose ankündigen.

29.04.2009 / Interview mit Werner Dreibus, Wortlaut, www.linksfraktion.de, 27. April 2009

Die Lage ist Ernst. Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben letzte Woche eine Million zusätzliche Arbeitslose prognostiziert. Beim Konjunkturgipfel hat die Regierung erklärt, sie halte die bisherigen Maßnahmen für ausreichend. Kann sie sich das leisten?

So wie SPD und Union auf die aktuellen Prognosen reagieren, stelle ich mir ernsthaft die Frage, ob die Koalition politisch noch zurechnungsfähig ist. Die Koalition versucht die Lage gesundzubeten. Die Entwicklung ist doch so: Bisher hat die Regierung für 2009 ein Minus von 2,25 Prozent beim Wachstum und etwa eine halbe Million zusätzliche Arbeitslose erwarte. Daraufhin hat sie 20 Milliarden Konjunkturhilfen als Gegenmaßnahme beschlossen. Jetzt werden sechs Prozent minus erwartet und bis zu eine Million mehr Arbeitslose. Warum die 20 Milliarden dennoch ausreichen sollten, ist nicht einsichtig. Genauso gut könnte die Regierung behaupten, ein Damm, der vor einer Flutwelle von 5 Metern schützt, schützt auch vor einer Flutwelle von 15 Metern. Das ist realitätsfern, dreist und unverantwortlich.

Welche Maßnahmen sind notwendig, um die Arbeitsplätze zu retten?

An erster Stelle steht die Aufstockung des Konjunkturprogramms. Nur wenn die Nachfrage angekurbelt wird, werden Arbeitsplätze gesichert.

Zweitens müssen die Beschäftigten mehr mitbestimmen und an den Unternehmen beteiligt werden. Nur so kommen die Menschen in die Lage, ihre Interessen am Schutz von Arbeitsplätzen, Löhnen und guten Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

Drittens sollte der Staat auch selbst Arbeitsplätze anbieten, zum einen im Öffentlichen Dienst. Dort fehlen Beschäftigte vor allem bei den sozialen Dienstleistungen, etwa in der Altenhilfe oder in den Schulen. Wir fordern deshalb die Einrichtung von einer Million zusätzlichen Arbeitsplätzen. Zum anderen müssen für diejenigen, die keine Chancen mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, öffentlich geförderte Arbeitsplätze eingerichtet werden. 500.000 sind da die Untergrenze.

Sie haben das Verhalten der Regierung gegenüber der Agentur für Arbeit eine politische Geisterfahrt genannt. Die Beitragssätze wurden gesenkt und die Kassen leeren sich angesichts des Einbruchs der Wirtschaft. Was geschieht, wenn das Geld alle ist?

In der Not wird der Bund zuschießen müssen. Klar ist aber, dass der Druck aus dem Arbeitgeberlager steigen wird, Leistungen zu kürzen. Das betrifft das Arbeitslosgeld ebenso wie Weiterbildungsmaßnahmen oder das Kurzarbeitergeld. Gerade jetzt in der Krise wären solche Einschnitte verheerend.

Der DGB-Vorsitzende Sommer hat vor sozialen Unruhen gewarnt. Ist das realistisch?

Die Menschen wissen was in der Krise auf sie zukommt. Arbeitsplätze sind in Gefahr, das Einkommen ist bedroht. Und sie nehmen sehr genau wahr, dass die Regierung viel für die Banken aber kaum etwas für die Menschen tut. Beschäftigungsgarantien für Opel – Fehlanzeige. Investitionen für neue Arbeitsplätze – Fehlanzeige. Beschäftigungsprogramme für Langzeitarbeitslose – Fehlanzeige. Und so weiter.

Wenn die Regierung so weiter macht, riskiert sie eine Spaltung der Gesellschaft. Ich gehe davon aus, dass sehr viele Menschen die Demonstrationen am 1. und am 16. Mai nutzen werden, um dass deutlich zu machen. Und DIE LINKE wird sie dabei voll unterstützen.