Am Rande einer Kernschmelze

US-FINANZMARKT - Fannie Mae und Freddie Mac sehen ihrer Nationalisierung entgegen

28.07.2008 / Von Michael Krätke, Freitag 30/2008


In nur 14 Tagen haben die beiden US-Hypotheken-Banken Fannie Mae und Freddy Mac nach Insolvenz­gerüchten 50 Prozent ihres Börsen­werts verloren - seit Anfang des Jahres über 76 Prozent. Drei Viertel ihres "Marktwerts" lösten sich damit in Luft auf. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass die US-Finanzkrise in ihre nächste Runde geht - dieser war schlagend.

Während des G-8 Gipfels auf Hokkaido tat sich Angela Merkel noch als Weltökonomin hervor. "Wir haben eine Subprime-Krise gehabt", flötete die Kanzlerin, "heute läuft die irgendwie wieder aus". Kaum war sie zu Hause, meldete sich die Finanzkrise mit Macht zurück, die nächste Runde ist in vollem Gange - Banken und Sparkassen rutschen in die Pleite, die Bankaktien stürzen ab, die Märkte sind in Aufruhr, US-Regierung und Zentralbank haben alle Hände voll zu tun, die Panik aufzuhalten.

Nun haben auch die USA ihren Northern-Rock-Fall wie Großbritannien*, nur erheblich drastischer. Seit Jahresanfang sind Hunderte von kleinen Hypothekenfinanzierern durch Pleiten oder Übernahmen vom Markt verschwunden. Vor zwei Wochen hat es die zweitgrößte unabhängige Hypothekenbank der Vereinigten Staaten erwischt: Die kalifornische IndyMac Bankcorp ging nach drei Quartalen mit jeweils dreistelligen Millionenverlusten in die Pleite, nachdem ihre Kunden angesichts der abstürzenden Bankaktien in Panik gerieten und in elf Tagen 1,3 Milliarden Dollar abzogen. IndyMac hat in einem knappen Jahr sagenhafte 98 Prozent ihres Börsenwerts verloren und wird nun vom staatlichen Einlagensicherungsfonds (FDIC) abgewickelt. Der größte Teil der Depositen (bis zu 100.000 Dollar pro Einlage) ist damit gesichert - die Aktionäre sind die Dummen. Von den rund 53 Milliarden Dollar Reserve, über die der FDIC verfügt, werden nach optimistischer Schätzung um die acht Milliarden verloren gehen, weil der Verkauf der insolventen Bank kaum etwas einbringen dürfte. Das ist - mit Verlaub - die größte Bankenpleite in den USA seit über 20 Jahren, seit dem Untergang der Continental Illinois National Bank von 1984, und zieht sofort Kreise. In wenigen Tagen sackte die Aktie der viertgrößten US-Investmentbank Lehman Brothers um 37 Prozent nach unten durch, nachdem bekannt wurde, dass sie im II. Quartal fast drei Milliarden Dollar verloren hat - viel, aber fast gar nichts verglichen mit den Einbußen von neun sowie sechs Milliarden, die den Schwergewichten Citigroup und Merrill Lynch für den gleichen Zeitraum beschieden waren.

Drei Rettungsringe

Weit schlimmer jedoch ist der Crash, an dem die beiden größten Hypothekenfinanzierer der USA, die staatlich geförderten Giganten Fannie Mae und Freddie Mac, gerade so vorbei geschrammt sind - der US-Hypothekenmarkt stand am Rande einer Kernschmelze. Dabei hatten Fannie Mae und Freddie Mac ursprünglich mit Ramsch-Hypotheken aus dem Subprime-Segment nichts zu tun, doch haben sie sich in den vergangenen Jahren weltweit im Geschäft mit Hypotheken-Derivaten völlig übernommen.

Wegen der schieren Größe der beiden Giganten mussten Regierung und Zentralbank eingreifen, da beide Häuser zusammen die stolze Summe von über 5,2 Billionen Dollar an Hypotheken und Hypotheken-Derivaten halten - fast die Hälfte des Volumens des US-Hypothekenmarkts und fast ein Drittel des US-Bruttoinlandsproduktes. Ihr Kollaps wäre nicht zuletzt wegen der ausländischen (Zentral-)banken verheerend, die Massen von Wertpapieren der beiden Hypothekenfinanzierer in ihren Portefeuilles halten. Weil die USA - besonders in Asien - finanziell von diesen Banken abhängig sind, können sie deren Interessen nicht ignorieren. Bis zu 600 Millionen Dollar an Wertpapieren von Fannie und Freddie, ein Zehntel des Emissionsvolumens, finden sich nach Expertenschätzung allein in den Tresoren der chinesischen Zentralbank.

Drei Rettungsringe hat der amerikanische Staat Fannie und Freddie zugeworfen: Erstens soll vorübergehend der Kreditrahmen von derzeit 2,25 Milliarden Dollar für beide deutlich angehoben werden. Zweitens soll der Staat erstmals Aktien der von ihm geförderten Unternehmen kaufen dürfen, wozu der Kongress noch sein Plazet geben muss. Drittens wird die US-Notenbank (Fed) ihr Diskontfester öffnen und Fannie Mae wie Freddie Mac Zugang zu ihren Notfallkrediten gewähren, die bisher nur private Geschäfts- und Investmentbanken erhielten. Pikantes Detail dabei: Die Fed verlangt Sicherheiten - sprich, dass sichere Wertpapiere wie Treasury Bonds (Bundesanleihen) oder Papiere von Government Sponsored Enterprises (GSEs) ausgegeben werden. Nun sind aber Fannie und Freddie die mit Abstand wichtigsten Unternehmen in dieser Gruppe, so dass die Fed den beiden quasi erlaubt, Schuldscheine oder Aktien zu drucken und diese sich sofort von der Notenbank beleihen zu lassen. Ein abenteuerliches Geschäft.

Soviel ist absehbar - Fannie und Freddie werden weitere Kapitalspritzen in Milliardenhöhe brauchen, so dass der US-Regierung bei nächsten Mal nicht anderes übrigbleiben wird, als die beiden Hypotheken-Finanzierer zu nationalisieren. Kommt es zu einer solchen Rettungsaktion, dürften sich die US-Staatsschulden mit einem Schlag verdoppeln.

Neue Spekulationsblasen

Mehr als 8.500 Geschäftsbanken und Sparkassen hat die bereits erwähnte Einlagensicherung (FDIC) in ihrer Obhut. In ihrem jüngsten Quartalsbericht listete sie 90 akut gefährdete Häuser auf - die IndyMac Bancorp war nicht dabei! Inzwischen kursieren Dossiers mit mehr als 150 Pleitekandidaten, die bis Jahresende in Konkurs gehen können, womit Verluste drohen, die von der FDIC niemals ausgeglichen werden können. Da werden Erinnerungen an die große amerikanische Bankenkrise von 1990/91 wach, als Hunderte kleiner und mittlerer Sparkassen in die Knie gingen.

Vor wenigen Tagen erst ist die größte Sparkasse der USA, die Washington Mutual, an der New Yorker Börse um gut 34 Prozent eingebrochen, nachdem drohende Verluste von 26 Milliarden Dollar aus dem Geschäft mit faulen Hypothekenkrediten bekannt wurden. Andere regionale Banken haben zur gleichen Zeit Kurseinbrüche zwischen 18 und 29 Prozent erlebt. Weitere Hiobsbotschaften dürften folgen, denn in den nächsten Wochen stehen Massen von Hypothekenkrediten mit variablen Zinsen zur Verlängerung an. Mit anderen Worten, die Zinslast für Millionen von Hausbesitzern wird schlagartig steigen.

Kein Wunder, dass Autofinanzierer und Kreditkartenfirmen in den Krisensog geraten, und damit weitere Banken straucheln, die mit Hypothekenkrediten wenig zu tun haben. Da die US-Versicherer, die weltweit für Anleihen im Wert von 2,6 Billionen Dollar bürgen, ebenfalls im Dilemma stecken und mit den Banken über einen Rettungsplan verhandeln, ist von ihnen wenig Hilfe zu erwarten. Auch wenn sich die Banken auf einen Deal mit den großen Anleiheversicherern wie Ambac und FGIC einlassen - sie werden in den Ratings fallen, so dass die Ausfallrisiken für alle Banken sprunghaft ansteigen und mit weiteren Milliardenabschreibungen zu rechnen ist,.

Fed-Chef Ben Bernanke hat vor dem Bankenausschuss des Kongresses erstmals von einer drohenden Systemkrise des nationalen Finanzmarktes gesprochen. Fast zur gleichen Zeit redete am gleichen Ort mit Thomas Jenkins ein hochkarätiger Manager der US-"Finanzindustrie" Klartext: Aus dem gegenwärtigen Desaster gäbe es nur einen Ausweg - neue Spekulationsblasen. Ohne einen solchen Schritt komme der Finanzsektor nicht aus dem Schlamassel, allein mit "gesunden Investitionen" könne die US-Ökonomie nicht überleben. Es gelte, so schnell wie möglich neue Spekulationsobjekte zu (er)finden und dem Publikum schmackhaft zu machen, damit die Finanzindustrie jetzige und künftige Verluste ausgleichen könne. Eine bemerkenswerte Wahrheit über den heutigen Kapitalismus, in dem das Verhältnis von Boom und Bubbles - von "realer" und Finanzökonomie - völlig auf den Kopf gestellt ist.

(*) Die schwer angeschlagene Bank war im Februar durch eine vorübergehende Verstaatlichung vor dem Zusammenbruch gerettet worden.