Neue Agenda für Europa?

Auch die LINKE sollte sich stärker einmischen

18.07.2017 / Axel Troost

Zwei Monate nach dem Amtsantritt des französischen Präsidenten Emmanuel Macrons werden Hoffnungen auf eine Reaktivierung des Motors der deutsch-französischen Partnerschaft für neuen Schwung und Reformen in Europa geweckt. Seit langem saßen neben Kanzlerin und Präsident auch die Außen- und Verteidigungsminister und die Innenminister wieder mit am Tisch. Für Macron sind die Ergebnisse des ersten Ministerratstreffens nichts weniger als eine „Europäische Agenda“. Man wolle ein soziales Europa weiterentwickeln, in dem gleiche Arbeit auch mit gleichem Lohn vergolten wird. Daran müsse man aber vor allem auf internationaler Ebene arbeiten. Für Kanzlerin Merkel haben sich auch die Zeichen der Zeit verändert: „Bei vielen Menschen – auch bei mir – hat sich etwas verändert, als wir gesehen haben, die Briten wollen austreten, als wir Sorgen hatten, wie geht die Wahl in Frankreich aus, wie geht die Wahl in den Niederlanden aus“, argumentierte Merkel. Es lohne sich für Europa zu kämpfen und dies nicht nur den Europaabgeordneten zu überlassen. Sie wolle zusammen mit dem französischen Präsidenten Macron neue Impulse geben. Zugleich nahm Merkel die Mitgliedstaaten für Probleme in der EU in Mithaftung. Man könne die Bürokratie in der EU kritisieren. Aber vieles hätten die Regierungen selbst angestoßen.

Schon vor dem deutsch-französischen Ministerrat hat Frankreichs Präsident an Deutschland appelliert sich stärker für Investitionen in Europa einzusetzen. „Deutschland muss für eine Wiederbelebung der öffentlichen und privaten Investitionen in Europa sorgen.“ Er wolle keine Lektionen erteilen. „Aber wir müssen herausfinden, welches Szenario in gesamtwirtschaftlicher Hinsicht geeignet ist.“ Er machte deutlich, dass Deutschland seine wirtschaftliche Stärke „zum Teil den Missständen in der Euro-Zone“ und „der Schwäche anderer Volkswirtschaften“ zu verdanken habe. Es bestehe ein wirtschaftliches und kommerzielles Ungleichgewicht zwischen Deutschland und seinen Nachbarn. Diese Situation sei auf Dauer nicht gesund. Zugleich gebe es „eine gemeinsame Verantwortung, damit die Euro-Zone sich so gut entwickelt, wie sie es verdient.“ „Deutschland muss sich bewegen, so wie sich auch Frankreich bewegen muss“, fügte Macron hinzu.

Macron bekräftigte seine Forderung nach einer Erneuerung der EU. „Irgendwann müssen die europäischen Verträge geändert werden, da dieses Europa unvollständig ist. Die Frage ist nicht, ob diese Änderungen nötig werden, sondern wann und wie.“ Er sei davon „beseelt“ zum Ursprung zurückzukehren: „Europa wurde im Zuge eines Versprechens von Frieden, Fortschritt und Wohlstand gegründet. Heute brauchen wir eine Vision, um dieses Versprechen zu erneuern. Eine Vision von einem Europa, das wieder mehr inspiriert.“

Was da ein wenig nach Selbstkritik klingt, sollte die politische Linke – auch die Linkspartei – offensiv aufgreifen und sich für eine Konkretisierung der Reformvorschläge stark machen. Macron fordert beständig eine „Relativierung“ der neoliberalen Austeritätspolitik.

Angesichts der Forderungen von Macron zur Reform der Eurozone sowie der sich abzeichnenden Neubelebung der deutsch-französischen Achse wirtschafts- und währungs-politische Veränderungen ist es meines Erachtens politisch unklug gegenüber dieser Kritik immer wieder die Grundsatzkritik von der neoliberalen EU zu wiederholen. Ja, wir können kritisieren, dass diese Lockerung der Austeritätspolitik nicht über symbolische Schritte hinauskommt. Mag sein, dass auch nach den Bundestagswahlen die Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland weiterhin so gravierend sind, dass keine tiefgreifenden Reformen in Richtung einer Wirtschaftsregierung in der Eurozone oder einer relevanten Stärkung des EU-Haushalts zustande kommen. Selbst wenn – wie von Macron gefordert – ein Finanzminister für die Eurozone eingeführt wird, könnten dessen Kompetenzen begrenzt bleiben. Und selbst wenn im EU-Haushalt – im Sinne der Vertiefung des Juncker-Plans – weitere Mittel zur Stärkung der Investitionsbereitschaft in Europa bereitgestellt werden, wird damit keine grundlegende Überwindung des Austeritätskurses verbunden sein. Aber ein weiter so in dem europäischen Eliten-Projekt ist auch für das Establishment gefährlich. Angesichts der erheblichen ökonomischen und politischen Probleme einiger Eurostaaten – vor allem in Südeuropa – müssen die Strukturmängel des Eurosystems behoben und der vorherrschende stabilitätspolitische Kurs geändert werden. Alles andere läuft auf eine Verschleppung der Krise hinaus – und setzt die Zukunft der Eurozone und der EU selbst aufs Spiel.

Wir sollten die Forderungen nach einer größeren europäischen Investitionsoffensive unterstützen, die von vielen ÖkonomInnen als notwendig erachtet wird, um den überschuldeten Staaten in der Eurozone einen größeren Wachstumsimpuls zu verleihen und ihnen bei einer Reduktion der hohen Jugendarbeitslosigkeit zu helfen.

Auch die Kommission fordert ein Abrücken von der Austeritätspolitik. Die Kommission hängt nicht der Illusion nach, dass die Krisen in der EU dauerhaft überwunden seien. Allein die Bewältigung des Brexits in den nächsten Jahren enthält enorme ökonomisch-politische Risiken. Neben einer Investitionsoffensive geht es nach Auffassung der Kommission um die Schaffung einer Sonderregelung für die öffentlichen Investitionen derjenigen Staaten, die von einer Krise betroffen sein könnten. Die Kommission erwägt nicht nur die Einführung einer Europäischen Arbeitslosenversicherung, welche die nationalen Instrumente ergänzen solle, oder einen sogenannten „Rainy-Day-Fonds“, einen Fonds für schlechte Tage, aus dem Krisenstaaten Mittel abrufen könnten. Auch ein Haushalt der Eurozone – den zuletzt etwa Macron gefordert hatte – könnte eine stabilisierende Funktion übernehmen. Schließlich deutet auch die Kommission mögliche Veränderungen an der Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion an. Dazu zählen die Einführung eines Schatzamtes und eines eigenen Haushalts für die Eurozone, die vom Europaparlament kontrolliert würden. Das Euroschatzamt wäre für die makroökonomische Stabilisierung und die Ausgabe von sicheren europäischen Anlagen zuständig. Auch ein Europäischer Währungsfonds – als Alternative zum Internationalen Währungsfond mit Sitz in Washington – könnte stabilisierend auf die Eurozone nach Ansicht der Kommission wirken.

Was ist nun der von Macron geforderte Plan? Der bleibt bislang zu wolkig: Es gehe ihm um ein Europa, das angesichts der Globalisierung Schutz biete und ein neues Gesellschafts- und Wachstumsmodell ausarbeite. Was die notwendigen Investitionen betrifft, wurde verabredet eine Milliarde Euro in einen Fond für Informationstechnologie anzulegen. Ziel sei es, mit Projektausschreibungen Forscher anzuziehen. „Darüber hinaus wollen wir ein gemeinsames Programm zu Nanotechnologien und Batterien starten.“

Dagegen ist aus meiner Sicht nichts einzuwenden, aber die tatsächlichen Schwerpunkte der „Visionen“ liegen bei der zukünftigen engeren militärischen Kooperation zwischen beiden Ländern und in der EU, wirtschaftspolitischen Fragen und Bildungsthemen. Die Einigung auf einen europäischen Verteidigungsfonds und die Ankündigung, dass Deutschland und Frankreich in Zukunft ihre Verteidigungssysteme aufeinander abstimmen wollen, wird Milliarden verschlingen. „Ein gemeinsamer Einkauf, gemeinsame Entwicklung und Kompatibilität der Verteidigungssysteme bringen Europa gemeinsam nach vorn“, betonte Angela Merkel und setzt damit ein Signal frei, welches letztlich die schleichende Militarisierung Europas fortsetzt.

Während Merkel und Macron sich einig waren Milliarden in ein gemeinsames neues Kampfflugzeug zu investieren, liegt man in der Frage der Vertiefung der Euro-Zone für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik doch weiter auseinander. Macron fordert schon länger eine Wirtschaftsregierung für die Eurozone. „Wir benötigen in der Eurozone einen Haushalt, eine Regierung, die über die Verteilung dieses Budgets entscheidet, und eine demokratische Kontrolle, die so heute nicht existiert“, sagte Macron. „Wir brauchen einen freiwilligen Masterplan für die Vertiefung der Eurozone bis zum Jahresende.“

Die Idee eines Euro- oder EU-Finanzministers gibt es seit Jahren – in unterschiedlichen Ausprägungen. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger äußerte sich am Montag skeptisch zur Idee eines Euro-Finanzministers, hat sich aber im Januar zumindest für die Idee erwärmen können, dem EU-Parlament mehr Eigenmittel zukommen zu lassen. Sein für Wirtschaftsfragen zuständiger Kollege Pierre Moscovici würde dagegen gern den Eurogruppen-Vorsitz mit den Aufgaben eines EU-Kommissars zusammenführen. Über einen Vollzeit-Vorsitzenden für die Treffen der Euro-Finanzminister, der die Währungsunion beispielsweise in internationalen Gremien wie dem IWF vertreten könnte, wird ebenfalls schon lange debattiert. Angela Merkel möchte sich bis zur Bundestagswahl nicht festlegen und erklärt, dass man gezielter bei Investitionen vorgehen wolle. Das Geld sei da.

Außer politischen Planspielen sind bis zu den Bundestagswahlen keine wichtigen Entscheidungen mehr zu erwarten, zumal die gegenwärtigen ökonomischen Rahmenbedingungen der EU nicht die schlechtesten sind. Die Konjunktur in der Eurozone läuft immer besser. Inzwischen verzeichne man 16 Quartale in Folge Wachstum, sagte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Die Gefahr einer Deflation schwinde, dennoch gebe es keine direkten Hinweise auf eine Überhitzung. Sorge bereitet allerdings der große Bestand fauler Kredite bei europäischen Banken. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mahnte dies schrittweise abzubauen. Dank der guten Konjunktur gebe es dafür jetzt gute Chancen.

Der Brexit-Entscheid zeigt Zerfallsgefahren in der EU an; der große Schwung der Expansionsbewegung von 12 auf 28 Mitgliedstaaten ist vorbei. Brüssel muss sich mit dem Abgang Londons auch auf kleinere Budgets einstellen. Schuldenkrise und Migrationsprobleme erzwingen neue politische Prioritäten, ebenso die Digitalisierung der wirtschaftlichen Prozesse und der Meinungsbildung – von den neuen Cyberkriegen schon gar nicht zu reden. Der Rechtspopulismus hat zwar seinen Aufwind des letzten Jahres nicht steigern können, ist aber weiterhin eine ernstzunehmende Bedrohung für einen weiteren europäischen Integrationsprozess.

Schon die Ergebnisse der zweiten Runde der Brexit-Verhandlungen – und erstmals geht es in Brüssel um konkrete inhaltliche Fragen zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union – werden ein Signal geben über die Perspektiven für eine gangbare Lösung für alle Beteiligten. Gesprochen wird unter anderem über die Zukunft der EU-BürgerInnen in Großbritannien und der BritInnen in der EU sowie über finanzielle Forderungen der EU an London und die künftige EU-Grenze zu Nordirland.

Ich plädiere auch in der LINKEN für eine selbstkritische Bilanzierung der europapolitischen Überlegungen. Wir sollten nach den Bundestagswahlen die Chance ergreifen uns verstärkt in die Überlegungen und angedachten Veränderungen einzubringen. 

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