Bundesregierung will schwer reiche Unternehmensdynastien von der Erbschaftsteuer verschonen

Bundestagsrede von Richard Pitterle zur Ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

27.09.2015 / linksfraktion.de, 25.09.2015

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne!

Seit vielen Wochen und Monaten wird die Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen von den Lobbyverbänden als todbringende Gefahr für den Mittelstand gegeißelt. Und ich sage Ihnen vorweg: Ich kann dieses Märchen wirklich nicht mehr hören.

(Beifall bei der LINKEN)

Erst einmal zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende letzten Jahres verlangt, die weitreichenden Verschonungsregeln für Erbinnen und Erben von Unternehmen bei der Erbschaftsteuer einzuschränken. Als dann das erste Eckpunktepapier des Finanzministeriums zur Erbschaftsteuerreform herauskam, brach ein unfassbarer Propagandasturm der Lobbyisten los, der den Teufel in Form des Endes des Mittelstandes an die Wand gemalt hat. Unter diesem Druck ist der Gesetzentwurf entstanden, der heute vor uns liegt. Er besteht letztlich wieder aus großzügigen Steuergeschenken an die Unternehmensdynastien. Die Linke wird dem nicht zustimmen.

Die Geschenke sehen so aus: Wird Betriebsvermögen vererbt, winken den Erbinnen und Erben, abhängig vom Vermögenswert und unter der Voraussetzung, dass sie das Unternehmen eine bestimmte Zeit weiterführen, satte Verschonungsbeträge. Erbt man zum Beispiel ein Unternehmen im Wert von 20 Millionen Euro und führt man den Betrieb über sieben Jahre unter Einhaltung einer bestimmten Lohnsumme für die Beschäftigten weiter, so erhält man einen Abschlag von 100 Prozent.

(Fritz Güntzler (CDU/CSU): Das ist gut für die Beschäftigten!)

Man muss also überhaupt keine Erbschaftsteuer zahlen. Erbt man mehr als 26 Millionen Euro, so ist künftig eine Verschonungsbedarfsprüfung vorgesehen. Das heißt, man muss, um in den Genuss einer Verschonung zu kommen, darlegen, dass man sozusagen bedürftig ist und die Steuerschuld nicht begleichen kann. Diese Prüfung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil angemahnt. Es ist eigentlich schon kaum vorstellbar, dass jemand, der Unternehmensvermögen im Wert von zum Beispiel 70 Millionen Euro erbt, bedürftig sein soll und sich die Zahlung der Erbschaftsteuer nicht leisten kann.

Aber jetzt kommt der Hammer: Um den Wohlhabendsten unserer Gesellschaft noch weiter entgegenzukommen, wurde für Erbfälle über dieser besagten Grenze von 26 Millionen Euro noch das sogenannte Abschmelzmodell eingeführt. Anstatt sich einer Bedarfsprüfung zu unterziehen, können sie alternativ dieses Modell wählen und bekommen bei Fortführung des Unternehmens immer noch einen satten Verschonungsabschlag, ganz egal, wie viel sie erben und ob sie überhaupt bedürftig sind. Wer Hartz IV bekommt, wird auf das Gründlichste durchleuchtet, bevor gezahlt wird, aber bei den Reichen macht man natürlich wieder eine Ausnahme, und das ist eine Frechheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist angesichts der genannten Zahlen auch absolut lächerlich, vom Ende des deutschen Mittelstands zu sprechen. Das immer wiederkehrende Argument, dass die Unternehmen und somit die Arbeitsplätze durch die Erbschaftsteuer in ihrer Existenz gefährdet seien, ist an den Haaren herbeigezogen. Folgende Fakten müssen von allen Beteiligten endlich einmal zur Kenntnis genommen werden:

Erstens. Bis heute ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein Unternehmen an der Last der Erbschaftsteuer zugrunde gegangen wäre; wohlgemerkt: weder vor noch nach Einführung der Verschonungsregeln im Jahr 2009. Sollte ein Unternehmen tatsächlich einmal aufgrund anstehender Erbschaftsteuerzahlungen in Schieflage geraten, was - ich muss es einfach wiederholen - noch nie passiert ist, so ließe sich dies ganz einfach über eine Stundung, im Extremfall sogar über einen Steuererlass regeln.

Zweitens. Die Lobbyisten nutzen hier gern das romantische Bild des Familienunternehmens. Es geht aber bei der vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Verschärfung der Verschonungsregeln gar nicht um den kleinen Bäckereibetrieb oder das in dritter Generation geführte Familienhotel, sondern vor allem um schwerreiche Unternehmensdynastien wie die Familie Quandt und Co. Von der von den Lobbyisten verteufelten Bedarfsprüfung etwa sind nach dem jetzigen Entwurf gerade mal weniger als 2 Prozent aller Unternehmen in Deutschland überhaupt betroffen.

Dritter und wichtigster Punkt: Auch hierzulande nimmt die Vermögenskonzentration immer weiter zu. Immer mehr Vermögen befindet sich in immer weniger Händen. Mittlerweile besitzt 1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ein Drittel des gesamten Vermögens, während die unteren 50 Prozent, also die ärmere Hälfte der Bevölkerung, gerade einmal 1 Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Hier wäre die Erbschaftsteuer ein adäquates Mittel, um dieser unheilvollen Entwicklung und der fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Die derzeitigen Einkünfte aus der Erbschaftsteuer betragen aber weniger als 1 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Da ist noch reichlich Luft nach oben auch und gerade bei den Erbinnen und Erben großer Unternehmensvermögen.

Ausgerechnet in der Bayerischen Verfassung steht übrigens ein Satz, den ich Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten will: "Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in Händen einzelner zu verhindern."

Und auch im Grundgesetz steht: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."

Ich meine, diese beiden Verfassungsnormen sollten die Richtschnur für diese Erbschaftsteuerreform sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Und wo wir gerade beim Verfassungsrecht sind: Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, ich streite zwar gerne mit Ihnen über Ihre unbegründeten Ängste bezüglich des deutschen Mittelstands. Dennoch will ich Ihnen den Hinweis geben, dass Ihre ganze Dampfplauderei, mit der Sie Ihr Steuergeschenk durchs Plenum wuchten wollen,

(Max Straubinger (CDU/CSU): Hey, hey!)

am Ende umsonst gewesen sein wird. Wenn Sie nämlich dieses Gesetz so verabschieden, wird der nächste Gang nach Karlsruhe nicht lange auf sich warten lassen. Das Bundesverfassungsgericht wird das Gesetz allein schon wegen Ihres Abschmelzmodells kassieren, und das zu Recht.

An Herrn Schäuble gerichtet, der heute nicht da ist, aber die Diskussion sicherlich vor dem Fernseher verfolgt: Wenn es um die Sparauflagen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Griechenland geht, dann zeigen Sie unbarmherzige Härte. Nach unten lässt sich immer leicht treten, aber bei der Lobby der Superreichen knicken Sie trotz der eindeutigen Hinweise des Bundesverfassungsgerichts sofort ein. Das finde ich, mit Verlaub, beschämend.

(Beifall bei der LINKEN Zuruf des Abg. Max Straubinger (CDU/CSU))

Ganz besonders bitter ist für mich übrigens der Beitrag eines Teils der SPD bei diesem Trauerspiel. Ausgerechnet der SPD-Landesfinanzminister meines Bundeslandes hat Schäuble noch rechts überholt und eine noch umfassendere Verschonung der Erbinnen und Erben von Betriebsvermögen gefordert. Da kann man sich wirklich nur noch an den Kopf fassen!

Ich hoffe, dass wenigstens die Grünen nicht einknicken, deren Stimmen für die Verabschiedung des Gesetzes im Bundesrat erforderlich sind.

Meine Damen und Herren, wie Sie es auch drehen und wenden - am Ende gibt es für dieses riesige Steuergeschenk, das Sie den Unternehmenserbinnen und Unternehmenserben machen wollen, keine tragfähige Begründung. Das Mantra vom Untergang des Mittelstands und massenhafter Arbeitsplatzvernichtung ist der allerletzte Quatsch. Die Verschonungsregelungen gehören ersatzlos gestrichen. Alle, auch die Unternehmenserbinnen und Unternehmenserben, müssen ihren Beitrag für die Gemeinschaft leisten und die ihren Verhältnissen angemessenen Steuern zahlen. Dafür wird zumindest die Linke kämpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN Max Straubinger (CDU/CSU): Und für die Enteignung!)