SYRIZA - die zweite Chance nutzen

Von Axel Troost

22.09.2015 / 22.09.2015

Die griechischen Wählerinnen und Wähler haben entschieden und dem Linksbündnis SYRIZA den Auftrag erteilt die Regierungsarbeit fortzusetzen. Deutlicher als vielfach erwartet – mit 35,5 Prozent – wurde SYRIZA wieder zur stärksten Partei und kann ihre Koalition mit der rechtspopulistischen ANEL fortführen. Die Koalitionsmehrheit beträgt 155 Sitze von 300 Parlamentsmandaten. Schon im Januar war diese die einzige Partei, die bereit war den Versuch zu unternehmen, gegen die harte Austeritätspolitik der EU-Institutionen in Griechenland Front zu machen. „Das griechische Volk hat ein klares Mandat erteilt, uns von dem zu befreien, was uns in der Vergangenheit gefangen genommen hat“, sagte Parteichef Tsipras in Athen. Es gehe jetzt darum, mit „viel Arbeit, Hartnäckigkeit und Kampf“ Griechenland aus der Krise führen.

Die knallharte Machtpolitik der Eurogruppe hat die Aufbruchsstimmung spürbar gedämpft. Die Wahlbeteiligung lag nur bei 55%, nach 64% bei der letzten Wahl im Januar. Dennoch ist anerkannt worden, dass SYRIZA versucht hat die Austeritätspolitik zu beenden. Trotzdem hat auch SYRIZA fast 330.000 Stimmen verloren. Die konservative Nea Dimokratia erreichte 28,1 Prozent – und damit nur einen minimalen Zugewinn von nicht einmal 0,3 Prozent gegenüber dem Januar. Sie verliert absolut ebenfalls fast 200.000 Stimmen. Das Ergebnis der faschistischen „Goldenen Morgendämmerung“ mit gut 7 Prozent bleibt eine Herausforderung für alle emanzipatorischen Kräfte der griechischen Gesellschaft.

Vor allem die ärmsten und sozial schwächsten Schichten haben sich zurückgezogen. Noch am Wahlabend erklärte Alexis Tsipras, jetzt würden die Ärmel hochgekrempelt und hart gearbeitet. Griechenland hat es derzeit nicht nur mit einer zerrütteten Ökonomie und mit seinen Schulden sowie den zugesagten Reformen zu tun, sondern auch mit einem großen Flüchtlingsproblem. Es stehen harte Zeiten bevor, sagte Tsipras. Eine Besserung der Lage werde nicht durch Zauberei erreicht werden, wohl aber durch harte Arbeit. Die Vereinbarungen mit den Geldgebern würden umgesetzt und die Verhandlungen fortgeführt. Er versprach bei der entschiedenen und unverzichtbaren Modernisierung der Strukturen die sozial Schwachen zu schützen.

Eben an dieser Entscheidung der Regierung hat sich die linke Linke innerhalb SYRIZAS abgespalten und sich als „Volkseinheit“ konstituiert. Sie behauptete, dass die Lebensverhältnisse der Menschen in Griechenland nur verbessert werden könnten, wenn die Regierung die wirtschaftlich und sozial verheerende Vereinbarung mit den Gläubigern zerreißt.

Bereits im kommenden Monat steht die Überprüfung der Reformen durch Vertreter der EU, des Internationalen Währungsfonds (IWF), der EZB und des Euro-Rettungsfonds ESM an. Die Reformen sind Bedingung für die schrittweise Auszahlung des 86-Milliarden-Euro-Hilfspakets. Allerdings haben sich die griechische Regierung und die Gläubiger-Länder auf eine deutliche Modifikation der makro-ökonomischen Vorgaben verständigt. Wegen der schlechten Aussichten für das Wirtschaftswachstum gibt es deutlich abgesenkte Ziele für den Primärhaushalt.

Im April wies das Euro-Mitglied eine Verschuldung von 301,5 Mrd. Euro auf, was 168,8 Prozent der Wirtschaftsleistung entsprach. Vor allem zwischen den Euro-Staaten und dem IWF gab es Streit darüber, welcher Schuldenstand für Griechenland zu bewältigen ist.

Griechenland muss nach der erpressten Vereinbarung im Jahr 2018 einen Haushaltsprimärüberschuss von 3,5 Prozent erreichen. Die neue Regierung will erreichen, dass die Zielvorgabe reduziert wird. Außerdem kämpft SYRIZA weiter für einen tragfähigen Umschuldungsplan. Die Austeritätspolitik soll durch einen Ausbau der Investitionen gemildert werden.

Nicht nur die Zurückhaltung der öffentlichen Hand, sondern auch die de facto Zertrümmerung des griechischen Bankensektors und die damit verbundenen mangelnden Finanzierungsmöglichkeiten haben zu einem starken Rückgang privatwirtschaftlicher Investitionen geführt, was besonders die kleinen und mittelständischen Unternehmen getroffen hat. Es gilt Wege zu finden, die Finanzierung dieser Unternehmen wieder zu gewährleisten.

Die „Volkeinheit“ und mit ihr auch etliche europäische Linkspolitiker widerspricht dieser Bewertung und Aufgabenstellung. Ihnen fällt es schwer Syriza zu ihrem Wahlsieg zu gratulieren. Allein ein soziales Programm, das die Lebensverhältnisse der Menschen in Griechenland endlich verbessert, müsste die neue Regierung umsetzen. Daher müsse sie die wirtschaftlich und sozial verheerende Vereinbarung mit den Gläubigern zerreißen. Aber genau an dieser Frage hatte Syriza sich gespalten.

Die Neuwahlen wurden unvermeidlich, weil der linke Flügel des Linksbündnisses die Vereinbarung des dritten Memorandums mit Unterstützung von europäischen LinkspolitikerInnen (u.a. Melanchon, Lafontaine, Fassani) als Kapitulation vor dem Neoliberalismus bekämpfte und die SYRIZA-Regierung damit auf die Unterstützung durch die Oppositionsparteien angewiesen war.

Die SYRIZA-Abspaltung Laiki Enotita („Volkseinheit“) scheiterte nun bei den Neuwahlen an der Drei-Prozent-Hürde. Die Gruppe um Panagiotis Lafazanis hatte Tsipras’ Kurs gegenüber den Gläubigern als Kapitulation kritisiert und den Anspruch erhoben die 60 Prozent des „Nein“ vom Referendum vom Juli zu vertreten. Laiki Enotita kam am Sonntag auf insgesamt 154.000 Stimmen. Sie hat die WählerInnen nicht davon überzeugen können, dass ihre Probleme gelöst würden, wenn sie zur Drachme zurückkehrten.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Prozess der Abspaltung des linken Flügels die vorhandene Tendenz zur Wahlenthaltung verstärkt hat. Aber auch all jene Kräfte innerhalb der europäischen und deutschen Linken, die einen linken Grexit befürworteten, müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler akzeptiert, dass Griechenland nur innerhalb der Euro-Zone zu sanieren ist. Nach diesem Ergebnis wäre eine selbstkritische Reflexion über die Realitätstauglichkeit der eigenen Positionen mehr als angebracht. Die ersten Stellungnahmen stimmen mich nicht sehr optimistisch.

Jetzt geht es der neuen/alten Regierung um die weitere Stabilisierung der Ökonomie und die Fortführung des Kampfes gegen die humanitäre Katastrophe. Trotz einer schwierigen Ausgangslage – die durch die Flüchtlingsbewegung weiter verschärft wurde – gibt es Spielräume: Der Staatsbankrott ist abgewendet, die Bankenschließungen führten zu keinen Massenentlassungen und die Kapitalverkehrskontrollen sind zwar eine Einschränkung, haben den Wirtschaftsprozess aber nicht blockiert. Angaben des griechischen Statistikamtes zufolge hat sich die Situation im zentralen Wirtschaftsbereich Tourismus verbessert. Laut Europas größtem Reisekonzern TUI lagen die Sommerbuchungen über dem Vorjahresniveau.

Die internationalen Geldgeber haben angekündigt über die Tragfähigkeit der griechischen Schulden zu verhandeln. Die Euro-Gruppe hat zugesagt nach einer erfolgreichen Zwischenprüfung die Gewährung von Schuldenerleichterungen zu prüfen. Zwar schließt sie einen nominalen Schuldenschnitt (hair cut) weiterhin aus. Doch sie ist bereit über Schritte wie die Verlängerung der Laufzeiten und der tilgungsfreien Zeiten europäischer Hilfskredite zu reden.

Griechenland hat eine Chance, sich auf einen wirtschaftlichen Erholungs- und Wachstumskurs zurück zu kämpfen. Gleichzeitig ist es notwendig der alten Klientelpolitik ein Ende zu bereiten. Diese Aufgabe kann nur SYRIZA leisten, da sie nicht mit dem alten verrotteten oligarchischen System verbunden ist. Zurecht betont in der ZEIT Kostas Vaxevanis[1]: „Griechenland braucht eine Regierung, die parallel zum Sparprogramm auch Reformen verabschiedet, welche für mehr gesellschaftliche Gerechtigkeit sorgen: Gesetze gegen Korruption und Vetternwirtschaft. Die alten Regierungsparteien aber trauen sich nicht einmal, dies zu versprechen, geschweige denn: umzusetzen.“


[1] Kostas Vaxevanis ist Herausgeber und Chefredakteur des griechischen Investigativ-Magazins Hotdoc, das auch im Ausland bekannt wurde durch die Veröffentlichung der sogenannten Lagarde-Liste mit mehr als 2.000 griechischen Steuersündern. Der Journalist selbst wurde daraufhin wegen Veröffentlichung sensibler Personendaten angeklagt, später aber freigesprochen.

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